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MÜNSTER, WESTFALEN LIEBENSWERTES MÜNSTER

L(i)ebenswertes Münster

Studentenstadt, Fahrradstadt, Spiesserstadt, Hipsterstadt, Regenstadt, Tatortstadt – Münster hat viele Klischees, doch hat die schöne Westfalenmetropole weit mehr zu bieten.

Text: Karin Schmidt

Münsters Mauern haben schon viel gesehen und können einiges erzählen: Die Stadt war früher Domstadt mit Marktrecht, Provinzialhauptstadt Westfalens und Sitz vieler bedeutender Institutionen und Unternehmen. Rund 40 % der knapp 300’000 Einwohner sind jünger als 30 Jahre. Das begründet sich vor allem durch die hohe Anzahl an Studenten, die in der viertgrössten Universität Deutschlands studieren. Was wäre Münster ohne die Fahrräder: Täglich sind mehr als 100’000 Münsteraner mit dem Fahrrad unterwegs. Mit rund 500’000 Stück, was fast doppelt so viele Räder wie Einwohner sind, hat sich Münster den Titel als Velohauptstadt Deutschlands verdient. Neben der historischen Altstadt mit St.-Paulus-Dom und Prinzipalmarkt hat die norddeutsche Stadt aber auch Kunst und Kultur sowie eine lebendige Altstadt zu bieten. Das Kuhviertel gehört mit seinen verwinkelten Gassen zu den traditionsreichsten Quartieren der Münster Innenstadt. Galerien, Kunsthandlungen und Antiquariate geben dem Viertel ein besonderes Flair und bieten mit urigen Kneipen und Münsters ältester Brauerei diverse Gaumenfreuden. Der innerste Kern und das Herzstück des grünen Münsters ist die 4,5 km lange Promenade. Als einziger geschlossener Promenadenring in ganz Deutschland ist sie einzigartig und trennt die Altstadt von den umliegenden Stadtteilen mit wunderschönen Linden. Neben dem Aasee und dem Kreativkai (Hafenviertel) bietet Münster alles, was man sich für einen interessanten Kurzurlaub wünschen kann. Nicht umsonst gewann die Stadt Münster 2004 den LivCom-Award als «lebenswerteste Stadt der Welt» in ihrer Kategorie. Wen wundert es da noch, dass jährlich über acht Millionen Besucher nach Münster kommen.

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Münster- Tipps

ST.-PAULUS-DOM

Eines der Wahrzeichen der Stadt. Der Dom wurde zwischen 1225 und 1264 im spätromanischen Stil errichtet. Während der Wiedertäuferzeit und dem Zweiten Weltkrieg (wo 90% der Stadt zerstört wurden) wurde der St.-Paulus-Dom schwer beschädigt. Seit 1956 steht er wieder komplett aufgebaut neben dem historischen Rathaus in Münster. Highlight ist die astronomische Uhr von 1540. Jeden Tag pünktlich um 12 Uhr ertönt das Glockenspiel des Doms.

HISTORISCHES RATHAUS

Durch den Bombenbeschuss während des Zweiten Weltkriegs brannte das historische Rathaus – einer der schönsten Profanbauten der Gotik – bis auf die Grundmauern nieder. Erst 1950 begann man mit dem Wiederaufbau. Heute wird es für besondere Anlässe wie Jubiläen oder offizielle Empfänge genutzt. Ratssitzungen finden auch heute noch im Festsaal statt.

PRINZIPALMARKT

Auf der ältesten Marktstrasse in Münster, direkt im Zentrum der Stadt, schlagen die Herzen der Shopping-Fans höher. Umsäumt von alten Giebelhäusern und Bogengängen, lässt es sich hier wunderbar flanieren. Bei Schlechtwetter kann man sein Einkaufsvergnügen in die Shopping-Arkaden von Münster verlegen.

LAMBERTIKIRCHE

St. Lamberti beherbergt das «höchste Dienstzimmer» Münsters, die Türmerstube, in der bereits seit vielen hundert Jahren Türmer ihren Dienst verrichten. Allabendlich (ausser dienstags) besteigt die Türmerin Martje Saljé, die erste Frau auf diesem Posten, den Kirchturm und bläst von 21 Uhr bis Mitternacht halbstündlich in das Kupferhorn. Ihre Aufgabe ist es, nach Bränden Ausschau zu halten und diese der Feuerwehr zu melden. Eindrückliches Mahnmal der Kirche sind die drei am Turm aufgehängten Eisenkäfige. Sie erinnern an die furchtbaren Folterungen und die Zurschaustellungen, denen die Täufer in der Gegenreformation ausgesetzt waren.

KUNSTMUSEUM PABLO PICASSO UND PICASSOPLATZ

Ein Picasso aus 13783 Steinen ist aus der Vogelperspektive auf dem Picassoplatz an der Königsstrasse auszumachen. Gleich nebenan befindet sich das erste Picasso-Museum Deutschlands. Es beheimatet unter anderem eine weltweit einmalige Sammlung von 800 Picasso-Lithografien, Malerbücher von Picasso, Matisse und Miró sowie Werke von Braque und Chagall. Sonderausstellungen widmen sich mit Leihgaben aus internationalen Museen und Sammlungen nicht nur dem Leben und Werk Picassos, sondern auch dem seiner Künstlerfreunde und Zeitgenossen.

DIE AASEETERRASSEN: MÜNSTERS SCHÖNSTE FREITREPPE

Seit 2008 verschönern die Aaseeterrassen das Nordufer des Aasees an der Annette-Allee. Sehr idyllisch gelegen, lässt es sich hier wunderbar entspannen. Zwar ist schwimmen nicht erlaubt – dennoch ist der Aasee bei schönem Wetter Anlaufstelle für hunderte Münsteraner.

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1 Überall Fahrräder: In Münster kommen auf jeden Einwohner zwei «Leezen». Auch viele Touristen steigen aufs Rad, um die Stadt zu erkunden. 2 Auch im Winter Treffpunkt für Freizeit und Erholung: Der Aasee. Im Hintergrund der Turm der Überwasserkirche, die Dom-Doppeltürme und die Türme der Martini- und Lamberti-Kirche (v. l.). 3 Gemütlich und traditionell: das Restaurant Kleiner Kiepenkerl.

Essen und Trinken

ALTES GASTHAUS LEVE

Münsters älteste Gaststätte muss man gesehen haben: Im urigen Haus aus dem Jahre 1607, das mit holländischen Kacheln, Öfen und Tonkrügen ausgestattet ist, lassen sich viele traditionelle Gerichte der Westfalen zu sehr fairen Preisen probieren.

KLEINER KIEPENKERL

Das Restaurant Kleiner Kiepenkerl gehört zu den Traditionsstätten, die bei Münsteranern und Touristen gleichermassen beliebt sind. Der Vorplatz ist im Sommer ein beliebter Treffpunkt mit zünftiger Biergartenatmosphäre. Der Kiepenkerl, ein mobiler Krämer, der seine Waren und die Neuigkeiten von Ort zu Ort brachte, ist gleichzeitig Denkmal und Wahrzeichen der Stadt. www.kleiner-kiepenkerl.de

Hotel-Tipp

MÖVENPICK MÜNSTER

Schon mehr als 30 Jahre logieren im Mövenpick Hotel Münster anspruchsvolle Gäste aus aller Welt, die Klassik in Wertigkeit und Design schätzen und die Professionalität und Herzlichkeit der rund 160 Mitarbeiter geniessen. Bei der Einrichtung der neugestalteten Zimmer spielt das moderne Fahrrad eine zentrale Rolle. Durch eine Vielzahl von Detail- und Materialimpulsen der «Leeze» verbindet das Hotel den Charakter der Stadt Münster mit dem Ambiente der Zimmer. Selbstverständlich stehen auch Fahrräder für die Mövenpick-Gäste bereit. Damit fährt es sich bequem in die zehn Minuten entfernte Innenstadt oder durch die weitläufigen Parkanlagen am Aasee. Durch die einmalige Lage im Grünen bietet das Mövenpick Hotel Münster sowohl für Geschäfts- als auch Urlaubsreisende ideale Voraussetzungen für ein entspanntes Wochenende. Nicht nur Hotelgäste, auch Münsteraner kommen gerne ins Mövenpick. Sei es zur «Tea Time» oder abends auf einen leckeren Drink in der Lounge-Bar. Etwas Besonderes sind aber auch die beiden Schweizer Restaurants. Das ausgiebige Frühstück bis 11 Uhr ist weitherum bekannt. Während das Hotel-Restaurant eine moderne Atmosphäre mit einer grossen Terrasse bietet, wird im Fine-Dining-Restaurant «Chesa Rössli» – einem der besten Gourmettempel in Münster – innovative Küche auf höchstem Niveau inklusive den passenden Weinen zelebriert. Wer nach einem anstrengenden Tag Entspannung sucht, begibt sich aufs Dach des Hotels. Hier kann man im neuen Sauna- und Fitnessbereich mit Blick zur Altstadt wunderbar die Seele baumeln lassen.

www.moevenpick-hotels.com/muenster

Die Leeze, Münsters Fahrrad, spiegelt sich in den neuen Zimmern des Vier-Sterne-Superior-Hotels wider.

20. bis 22. Januar 2017 in St.Gallen

TRAVEL MÜNSTER, WESTFALEN

TATORT

Es ist genau jene Gelegenheit zum zweiten Blick, die den Besuch in der Dauerausstellung eines Museums so interessant macht. Eine Erfahrung, die Chefredaktorin Karin Schmidt eins zu eins im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster erleben durfte.

Sicher wäre ich zunächst daran vorübergegangen, bei der Führung durch das LWL, dem Westfälischen Landesmuseum in Münster. Denn bei diesem auffallend steif komponierten Gruppenporträt aus dem mittleren 16. Jahrhundert treten mir Vater, Mutter und die zwei Töchter mit ihren ungerührten Mienen gekonnt blasiert gegenüber. «Das ist eines meiner Lieblingsbilder», sagt Jenny und blickt dabei in die etwas erstaunten Gesichter der kleinen Gruppe, die sich um das Bild aus dem 16. Jahrhundert schart. Die Ansage unserer Museumsführerin und die Hinweistafel im Museum haben auch meine Neugier geweckt. Hermann tom Ring, Familienbild des Grafen Johann II. von Rietberg, 1564. Mit diesem Werk sollte das Ansehen der Familie, so steht dort vage angedeutet, «nach den Verfehlungen» des Grafen wieder rehabilitiert und auf dem Heiratsmarkt für die beiden Töchter geworben werden. Jenny, die als studentische Volontärin im LWL als freie Mitarbeiterin Museumsführungen macht, klärt uns auf: «Der Entstehungsanlass und die Geschichte hinter dem Bild sind so aufregend, dass es einen nicht mehr loslässt». Das hat Jenny bereits erfahren. Von ihrer Begeisterung für das Bild springt der Funke auch auf mich über. Sie erzählt, dass Fachleute das Gemälde der Grafenfamilie «eines der ungewöhnlichsten Bildnisse des 16. Jahrhunderts» nennen. Ungewöhnlich sei an dem Bild fast alles, seine künstlerische Qualität, sein Schicksal und sogar sein Format, denn es ist nur 56 Zentimeter hoch, aber stolze 1,66 Meter breit. Ungewöhnlich ist aber auch die Geschichte hinter dem Bild: Denn als es 1564 entstand, lebte Graf Johann schon zwei Jahre nicht mehr. Die Hinweise darauf sind eindeutig. Der Graf hält eine Sanduhr mit Totenkopf und der Jahreszahl 1562 in der Hand – seine Frau Agnes trägt Witwentracht.

Eine gemalte Heiratsannonce

Es war denn auch die Gräfin, die bei allem ihre Hände im Spiel hatte. Mit dem Bild, das sie bei dem münsterischen Renaissancemaler Hermann tom Ring 1564 in Auftrag gibt, stellt sie die Familienehre der Rietbergs wieder her, die durch einen blutigen Konflikt mit einer anderen Adelsfamilie verloren gegangen ist. Vor allem an die Zukunft ihrer damals erst sieben und dreizehn Jahre alten Töchter dachte Agnes bei dem Bild. Walburg, die jüngere, hält auffälligerweise eine Nelke in der Hand, das Symbol für die Treue in einer Ehe: Offenbar sollte das kostbare Kunstwerk die Mädchen auch für zukünftige Heiratskandidaten interessant machen und so die Grafschaft für Walburg und Ermengard sichern.

Ein Bild auf mysteriöser Reise

Nicht weniger abenteuerlich als das Leben der Menschen, die es zeigt, war das Schicksal des Gemäldes selbst. Irgendwann im 19. Jahrhundert geriet es auf unbekannten Wegen nach England. Ein geschäftstüchtiger Händler rechnete sich dort offenbar aus, dass drei Bilder mehr Gewinn

ATORT

Münster

versprachen als eins: So trennte er die beiden Töchter mit der Säge von ihren Eltern, und auch das Ehepaar wurde ebenso rücksichtslos «geschieden». Lange waren alle drei Tafeln verschollen. Erst 1955 entdeckte der spätere Direktor des Westfälischen Landesmuseums, Paul Pieper, im englischen Kunsthandel überraschend den Teil mit den beiden Mädchen und konnte ihn nach Münster zurückholen. Bereits drei Jahre später gelang ihm das Gleiche mit Graf Johanns Bild. Doch es sollte noch volle dreissig Jahre dauern, bis bei einer Auktion in Monte Carlo schliesslich auch das Porträt der Gräfin wieder auftauchte. Mit finanzieller Hilfe der NRW-Stiftung konnte die «Familienzusammenführung» 1989 nun endlich vollendet werden. Doch Agnes war übel mitgespielt worden. Irgendjemand hatte ihr Porträt teilweise übermalt. Ausserdem waren ihre Hände abgeschnitten worden, vermutlich, um das Bild in einen kleineren Rahmen einfügen zu können. Die Übermalung konnten die Restauratoren entfernen, aber die Hände blieben verloren. Man sieht an ihrer Stelle heute nur noch eine neutrale Retusche. Und so hinterlässt uns die tüchtige Agnes, die 1589 mit 58 Jahren starb, ein kaum lösbares Rätsel: Was hält die Gräfin in den Händen? «Vielleicht werden wir es nie erfahren», schliesst Jenny die faszinierende Geschichte der Rietbergs und meint: «Manchmal lohnt sich nicht nur ein erster, sondern auch ein sehr eindringlicher zweiter Blick.» Wie wahr!

LWL-MUSEUM FÜR KUNST UND KULTUR, MÜNSTER

Vor über 100 Jahren wurde das Westfälische Landesmuseum als Zeichen bürgerschaftlichen Engagements gegründet. 1908 eröffnete der Altbau im Zentrum der Altstadt. 2014 erhielt das Museum einen Neubau, der die Ausstellungsfläche auf 7500 m² erweiterte und jetzt einen geschlossenen, barrierefreien Rundgang durch den Alt- und Neubau ermöglicht. Mit den vielschichtigen Sammlungen bietet das führende kunst- und kulturgeschichtliche Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) Einblicke in 1000 Jahre abendländischer Kultur. Der Bestand umfasst mehr als 100’000 Objekte von mittelalterlicher Sakralkunst Westfalens über Kunstwerke der Renaissance, des Barocks und des 19. Jahrhunderts bis zu Werken der klassischen Moderne sowie zeitgenössischer Kunst. Besonders in den grossen Wechselausstellungen und den seit 1977 stattfindenden Skulptur-Projekten zeigt sich das internationale Profil des Hauses. TIPP: Noch bis zum 19.3.2017 läuft die Ausstellung «Henry Moore. Impuls für Europa», die mit 74 Exponaten von Moore die umfangreichste Werkschau seit fast 20 Jahren, die darüber hinaus seine prägende Bedeutung für die europäische Kunst seiner Zeit verdeutlicht. www.lwl-museum-kunst-kultur.de

1 Hermann tom Rings «Familienbild des Grafen Johann II. von Rietberg» erzählt eine fast 500 Jahre alte Geschichte von Macht, Blut und Ehre. 2 in der Spitze zum Domplatz hin stehen Figuren aus dem Portal der Überwasserkirche. 3 Zum Aegidiimarkt hin öffnet sich das LWL mit einem grossen Platz, an der Südwestecke illuminiert eine Lichtinstallation von Otto Pienes den Haupteingang.

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