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HOTEL CASTELL ZUOZ CECI N’EST PAS UN CASTELL

ceci n’est pas un Caste

Text: Lucie Paska

Im Hotel Castell im Engadin ist vieles nicht so, wie man es sich ausgemalt hat: Bereits die Anreise vom Bahnhof Zuoz lässt einen daran zweifeln, ob man hier überhaupt richtig ist. Der massige Bau aus dem letzten Jahrhundert hatte auf den Bilder so imposant gewirkt, doch ist vor Ort weit und breit nichts von ihm zu sehen. Erst in der letzten Haarnadelkurve, die sich auf die grosse Sonnenterrasse ob Zuoz windet, erhascht man durch die Lärchen einen Blick auf das historische Gemäuer. Ganz im Stil seiner Zeit erbaut, mimt das ehemalige Kurhaus eine stattliche Burg mit Erkern und Zinnen, wo auch das gemeine Volk einmal in aristokratischen Gefühlen schwelgen konnte.

Hier regiert die Kunst

Auch der gedrungene Turm aus grauen Bruchsteinen, der die Zufahrt zu bewachen scheint, ist alles andere als das, was er vorgibt. Das Werk des amerikanischen Künstlers James Turrell soll nicht etwa Misstrauen wecken, sondern ganz im Gegenteil den Blick der Menschen fokussieren auf das Wesentliche. Steht man drin, fühlt man sich in dem bis auf ein grosses, rundes Oberlicht fensterlosen Raum nicht etwa ein-, respektive von der Umwelt ausgeschlossen, sondern eingebunden in ein Universum aus Raum und Ruhe. Die Türöffnung bildet exakt die Vulkanform des Piz Uter nach, zu dem der Blick bis weit zum Horizont hinausschweift. Die Hängematte beim Haupteingang besteht aus Drähten und Glühbirnen und ist somit auch nicht das, wofür eine Hängematte in der Regal gedacht ist. Der Taubenschwarm bei der Rezeption scheint zu fliegen, tut es aber doch nicht. In den Flaschen an der Bar spukt nicht der Weingeist, sondern läuft ein Videofilm. Und das Jägerstübli besticht nicht etwa durch ein Arventäfer und heimelig-rustikales Ambiente mit Geweihen und schweren Lampen, sondern man betritt einen weissen Kuppelraum mit einer filigranen windspielartigen Installation aus bunten Drähten und exotischen Versatzstücken aus der Natur und dem Kinderzimmer.

Lebendig und zugänglich

Die Kunst ist in diesem Haus aber nicht etwa Dekoration, sondern die eigentliche Raison d‘être. Im und um das Castell überrascht und erfreut den Besucher so viel Spielerisches, Provokatives und Experimentelles, dass eine erfrischende, fast kindliche Neugierde den müden Alltagsblick nach und nach ablöst. Jedes Werk bringt wieder eine andere Saite der Fantasie zum Klingen: da sind die nachdenklich-traurigen Landschaftsbilder, das poetisch-spritzige Wasserfenster, die ironisch-absurden Lichtinstallationen. Und hin und wieder fliegt auch mal ein Tisch oder ein Sessel mit lautem Knall durch die Luft – wenn eines der Kunsthappenings auf dem Hotelgelände stattfindet. Einmal in der Woche finden im Castell Führungen statt, wo man so einiges zu den Künstlern und ihren in den Gängen, Zimmern und Gemeinschaftsräumen ausgestellten Werken erfährt. Und einmal im Jahr kommen am «Art Weekend» Kunstschaffende und Kunstliebhaber zusammen, um sich auszutauschen, Kunst zu machen und zu erleben. Und trotzdem wird – ob so viel geistiger Nahrung – das Leibliche nicht geringgeschätzt. So organisiert das Castell regelmässig Märkte und Verkostungen, an denen lokale Anbieter ihre Produkte einem breiteren Publikum präsentieren können. Von Trockenfleisch über Käse, Nudeln, Kräutertees, spezielle Kartoffel- und Artischockenarten bis zu Wein und Schnäpsen ist da für jeden Geschmack etwas dabei.

Gast sein «comme il faut»

Doch tief im Herzen ist das Castell neben seiner Funktion als lebendige Galerie immer auch noch ein Hotel. Und hier ist das meiste so, wie es sein sollte – herzlich und professionell. In den Gemeinschaftsräumen ist noch viel von der historischen Substanz und ehemaligen Grandezza erhalten geblieben. Opulenter Deckenstuck, Kristalllüster und gemütliche Ohrsessel am Kamin. Das Felsenbad, das während der Glanzzeiten des Hotels in den 1920er-Jahren als erstes beheizbares Freibad Graubündens Scharen von Besuchern anzog, ist unterdessen von einem japanischen Künstler zu einer beschaulichen Holz-und-Wasser-Installation uminterpretiert worden. Der Pool dient heute den umgebenden mächtigen Felsen als Spiegel. Wellness-Suchende finden im «Kerkergeschoss» des Castells ein ausgewachsenes Hamam, das seinem Namen alle Ehre macht. Dampfgewärmt und seifenschaumgeschrubbt beobachtet man dann vom Ruheraum aus, wie das rosa Licht der untergehenden Sonne langsam die gegenüberliegenden Bergriesen hochwandert. Nach dem Eindunkeln locken die stimmungsvolle Bar, eine Flipperkasten- und Billiard-Spielhölle und das aussergewöhnliche Angebot an Autorenfilmen im eleganten kleinen Kinosaal.

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