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Gedanken zum Einstieg
«Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört zu werden.» (Sokrates)
Wozu auch noch ein Buch schreiben, obwohl ich das nie wollte?
Nach 40-jähriger beruflicher Erfahrung, davon drei Jahrzehnten in meiner eigenen psychotherapeutischen Praxis in Biel/Schweiz, fühle ich mich so reich beschenkt von meinen Klientinnen und Klienten, dass ich einer kleinen Anzahl von ihnen die Gelegenheit bieten möchte, sich selbst eine Stimme zu geben. So habe ich die wiederholte Bitte von einigen, etwas von meiner Arbeit auf Papier zu bringen, in eine Möglichkeit umgewandelt, sich selber zu äussern, was ihrem Bedürfnis zum Teil sehr entsprochen hat. Im Mittelpunkt soll der psychotherapeutische Prozess, wie sie ihn persönlich erlebt haben, stehen. Zwölf Einzelpersonen und ein Paar, von ihrer Geschichte und Lebensweise, ihrem Alter und Beruf völlig verschieden, haben sich bereit erklärt, in Interviews, von einer Journalistin aufgezeichnet, offen und ehrlich über ihre lange Reise nach innen zu erzählen. Was hat sie dazu bewogen, eine Therapie zu beginnen? Was hat diese für sie bedeutet? Was sie alle bei aller Verschiedenheit der Biografien miteinander verbindet, lässt sich in ihren spannenden Berichten nachlesen, denen je eine Betrachtung aus meiner Sicht folgt. Die Auswahl der beteiligten Personen entspricht in etwa der Reihenfolge der Anmeldung ihres Interesses. Ich habe gleichzeitig darauf geachtet, eine möglichst grosse Variante von psychischen Beschwerden zu berücksichtigen. Der Anteil von Männern und Frauen und Opfern einer Gewalttat entspricht ungefähr der Verteilung in meiner Praxis.
Beim Aufschreiben meines Werdeganges zur Psychotherapeutin ist daraus meine Biografie entstanden, ohne dass ich das beabsichtigt habe; es ist so aus mir herausgeflossen, dass meine Lektorin mich dazu ermutigt hat, sie in das Buch aufzunehmen. Mein Lebens-
lauf ist weder als Nabelschau noch als Seelenstriptease gemeint, sondern soll dazu ermutigen, zum besseren Selbst-Verständnis den eigenen roten Faden im Leben zu suchen und zu finden. Gleichzeitig macht auch meine Vita deutlich, dass in jeder Krise, in jedem Scheitern ein Neuanfang und eine Weiter-Entwicklung geboren wird. Ich habe mich neben meiner Familie und meiner Praxisarbeit vor allem der Erforschung meines Selbst gewidmet, der wichtigsten und spannendsten Reise meines Lebens. Trotz vielen Durststrecken und dunklen Pfaden fühle ich mich heute viel freier und lebendiger und wieder als Teil der Natur, eine wichtige Voraussetzung dafür, mit ihr achtsam und dankbar umzugehen.
Im Anhang dieses Buches stelle ich meinen therapeutischen Ansatz vor, der auch eine Reise nach innen ohne Begleitung ermöglicht, und zwar im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei habe ich folgende Anliegen und Ziele:
Ich möchte Neugierige, Sehnsüchtige, Unzufriedene und Unruhige, Zweifelnde, Krisengeschüttelte oder Leidende dazu ermutigen, sich ebenfalls auf eine Reise nach innen zu wagen, um sich und ihr Leben besser zu verstehen und dadurch mehr Ver-Antwortung für sich und die (Um-)Welt übernehmen zu können. Eine Psychotherapie ist dann notwendig, wenn das Leiden so gross und das eigene Leben so eingeschränkt wird, dass der eigene Kompass verloren geht. Bewusster zu werden lohnt sich in jedem Fall auch für diejenigen, die zwar in ihrem Leben zurechtkommen, sich oft aber leer und unruhig fühlen.
Ich möchte mein Bewusstseinsmodell in der Psychotherapie auch anderen Reisenden und Reisebegleitenden zur Verfügung stellen. Ich habe es vor 18 Jahren entwickelt, um meine Arbeit klarer auf den Punkt zu bringen, und es hat sich im Praxisalltag bewährt. Dank seiner Einfachheit und Verständlichkeit wurde es bereits an mehreren Ärztekongressen geschätzt, an denen ich es habe vorstellen dürfen. Mein Modell kann wie eine kleine Landkarte dienen, um den jeweiligen Standort oder das Etappenziel zu überprüfen. Es ist die Essenz meiner zahlreichen Erkenntnisse und Erfahrungen, die ich meinen Klientinnen und Klienten zu verdanken habe. Im Dschungel meiner vielen therapeutischen Zusatzausbildungen ist es mir gelungen, alle Wege in einen eigenen Pfad münden zu lassen, den ich auch anderen, die unterwegs zu sich selbst sind, als mögliche Wegstrecke aufzeigen möchte.
Ich möchte dazu ermutigen und auffordern, dass die Menschen in unseren Breitengraden, wo die meisten nicht um das tägliche Brot und ein Dach über dem Kopf kämpfen müssen, sich dafür engagieren, eine grössere Bewusstheit und damit auch inneren Frieden zu entwickeln. Um uns, unser Konsumverhalten und unseren Umgang mit «Mutter Erde» zu durchschauen und zu verändern, müssen wir bei uns selbst anfangen. Nur wenn wir unsere tiefen Bedürfnisse kennen und authentisch werden, können wir mit unseren umweltschädigenden Ersatzhandlungen aufhören und ein erfülltes Leben finden. Gerald Hüther, der bekannte Göttinger Neurobiologe, spricht in seinen Vorträgen immer wieder davon, dass wir als Kinder durch die Erziehung und das Schulsystem zum Objekt gemacht werden und deswegen nicht gelernt haben, die Zusammenhänge zwischen Gefühlen, Denken und den längerfristigen Auswirkungen unseres Handelns zu erkennen. Unsere (un-)bewussten Lösungsstrategien, den inkohärenten Zustand in unserem Gehirn zu beenden, z. B. durch unreflektierten Konsum von irgendetwas, haben uns und unserer Umwelt schon geschadet. Gleichzeitig ist unsere Leistungs- und Konsumgesellschaft nicht an wachen, bewussten Menschen interessiert. Wir dürfen trotzdem nicht resignieren! Wenn wir uns in unserem Anliegen verbünden, unseren Planeten auch für unsere Nachkommen zu erhalten, können wir unsere Energien vervielfältigen.
Jede Einzelne darf dazu beitragen, dass «Mutter Erde» uns noch weiter versorgen kann, nämlich indem sie bewusster wird, nicht nur im Umgang mit den biologischen Ressourcen, sondern auch im Umgang mit sich selber und den Mitmenschen.
Ich möchte in meinem Buch Möglichkeiten und Wege aufzeigen, wie der Prozess des Aufwachens Menschen aus dem allgemeinen «Denn-sie-wissen-nicht-was-sie-tun»-Dämmerzustand zu ihrem tiefsten Wesenskern führen kann und sie dann sich und ihre Beziehungen und ihre Handlungen begreifen und liebevoller gestalten können. Hinter sogenannten Symptomen und Störungen verstecken sich meistens verdrängter Schmerz, ungelebte Bedürfnisse und andere Schattenthemen. In meinem therapeutischen Modell geht es jedoch nicht darum, diese wegzutherapieren, sondern den Spuren zu folgen, die sie uns zeigen wollen. Nehmen, was ist, stellt psychologisch die Basis für mögliche Veränderung dar. Ich habe eine Reihe von Trancereisen und Übungen entwickelt, die ich im Anhang vorstelle und die im «Reisegepäck» gute Dienste leisten können.
Meine Idee ist, meinen Ansatz beispielhaft an Angst und Depression aufzuzeigen, den beiden Hauptleiden unserer Zeit. Ein weiteres persönliches Anliegen von mir ist es, auf die jahrelange desaströse Situation der psychologischen Psychotherapie in der Schweiz hinzuweisen, die sich ab Sommer 2022 etwas verbessern soll.
Seit Anfang 2020 scheint die ganze Welt den Atem anzuhalten. Zu der Bedrohung durch die zunehmende Umweltzerstörung ist jene einer Pandemie gekommen, die uns ohnmächtig und fassungslos gemacht hat, da Einschränkungen über uns verhängt worden sind und wir nicht mehr wissen, was von der ganzen Informationsflut wahr ist. Eigentlich wissen wir nur, dass wir nichts wissen. Erstaunt durften wir gleichzeitig beobachten, dass sich während des Lockdowns die Natur von unserer Ausbeutung und unserem Drang nach «immer mehr, schneller und weiter» zu erholen schien. Die Frage bleibt, ob wir zur Besinnung kommen.
Seit den 37 Jahren, die ich in der Schweiz lebe, durchtrennt neben dem berühmten «Röstigraben» auf einmal ein zweiter Graben unser schönes Land, ich nenne ihn den «Kronengraben». Noch nie habe ich die sonst so braven Bürgerinnen so emotional erlebt wie im Kampf zwischen den Impfbefürworterinnen und den Impfgegnerinnen; wer wie ich in der Mitte steht, geht im Kampfgeheul eher unter. Vieles an der Art des Widerstandes gegen «Vater Staat» kommt mir pubertär vor; dieser verhält sich eigentlich wie immer, wenn auch deutlich unsicherer und autoritärer. Für gefährlich und gefährdet halte ich diejenigen, die meinen, die allgemeingültige Wahrheit zu kennen. Traurig stimmt mich, dass viele wichtige Themen wie Umwelt, Frieden und gerechte Verteilung der Ressourcen in den Hintergrund rücken. Was aber noch klarer auf den Tisch kommt als bisher: Es gibt auch eine Umweltverschmutzung in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, auch in der Familie als kleinster Zelle der Gesellschaft. Corona bringt alles aufs Tapet! Über die Unbewusstheit von uns Menschen habe ich mich schon als Kind aufgeregt, ohne dass ich es hätte benennen können. Ich habe mich oft fremd und unbehaglich gefühlt und fand die Erwachsenen irgendwie dumm. Jedes Kind kommt mit dem Gespür zur Welt, was echt ist oder unecht.
Ich habe mich getraut, dieses Buch aus meinem Herzen zu schreiben. Von daher will und kann diese Publikation keine wissenschaftliche sein; deren gibt es genug. Es freut mich jedoch sehr, dass heute
viele wissenschaftliche Arbeiten existieren, die meine Erfahrungen in therapeutischen Prozessen und meine Intuition bestätigen. Wichtig finde ich, dass mein Buch auch Menschen ohne psychologische Vorkenntnisse erreicht und ich anderen, vielleicht jüngeren und weniger erfahrenen Reisebegleitenden wertvolle Orientierungshilfen geben kann.
Ich habe mir erlaubt, hauptsächlich die weibliche Form zu wählen, sozusagen als Ausgleich für die lange männliche Dominanz. Die neue Gendersprache ist mir noch zu fremd. Und natürlich möchte ich immer alle Geschlechter ansprechen, von weiblich bis männlich, einschliesslich neutral.
Manchmal möchte ich mit einer besonderen Schreibweise (Wörter/Verben mit Bindestrichen getrennt oder Grossbuchstaben innerhalb eines Wortes) auf die tiefere Bedeutung eines Wortes hinweisen. Zum Beispiel kann Entwicklung darauf hindeuten, dass wir uns aus verschiedenen Schichten, z. B. aus Verhaltensmustern, schälen oder wickeln müssen, um zu unserem Kern zu kommen.
Zur Hypnotherapie gehören Wiederholungen, vor allem, wenn es um die Aufnahme neuer Informationen geht. Deshalb scheue ich mich auch in meinen Ausführungen nicht davor, meine Grundideen zu wiederholen. Das führt dazu, dass Sie alle Kapitel für sich lesen können und sich nicht unbedingt an eine Reihenfolge halten müssen. Es ist auch durchaus möglich, zuerst den Anhang zu studieren. Auf alle Fälle wünsche ich Ihnen aufschlussreiche Momente mit den Reiseberichten spannender Menschen!
Anna Dorothea Keller-Brand,
Fachpsychologin für Psychotherapie Medizinische Hypnose Werkstatt für Trancephänomene und Ent-Wicklung Schmiedengasse 13 2502 Biel