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Gebeine

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Sabine Hurni über

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Harte Schale, weicher Kern – was Knochen leisten

Dank unseren Knochen können wir sitzen, stehen und gehen, sie schützen unsere inneren Organe und spielen eine wichtige Rolle für Stoffwechsel und Blutbildung.

Text: Sabine Hurni Illustration: Sonja Berger

Im Zirkus oder beim Sport gibt es diese Momente, wo wir gebannt und fasziniert das Muskelspiel eines durchtrainierten Körpers bestaunen. Doch was wären die imposanten Muskeln ohne die Knochen? Wir müssten in die Welt der Schnecken und Regenwürmer eintauchen, um uns eine Vorstellung zu machen. Die Knochen geben dem Körper eine Form. Sie lassen ihn aufrecht stehen, mit beiden Füssen fest verankert auf dem Boden. Sie sind die Felsen in der Brandung und legen sich schützend wie ein Panzer um die überlebenswichtigen Organe Herz, Zentralnervensystem und Gehirn. Das Knochengerüst kann innert Sekunden seine Position verändern. Die Grundstruktur der Knochen bleibt, die Form verändert sich, dazwischen ist Bewegung. Mit Hilfe von Muskeln, Gelenken, Sehnen, Muskeln und eben auch der Knochen ist der Körper zu unzähligen Bewegungen fähig, die ihn weich und agil machen. Die ihn stark machen und ihm zu körperlichen Höchstleistungen verhelfen.

Der knöcherne Mensch

Das Knochengerüst eines erwachsenen Menschen besteht aus über 200 Knochen. Schädel, Brustkorb und Wirbelsäule bilden den Körperstamm (Rumpf), Schultergürtel, Arme und Hände die oberen Extremitäten, Beckengürtel, Beine und Füsse die unteren Extremitäten. Je nach Funktion sind die Knochen entweder wuchtig und stabil oder fein und leicht. Der Oberschenkel, der grösste Knochen des Körpers, ist enormen Druck-, Zug-, und Scherkräften ausgesetzt. Mit der Belastung im Sport oder bei der Arbeit kann der Knochen Kraft und Stärke dazugewinnen – trotzdem sind die Verschleiss- und Abnutzungserscheinungen an Hüfte oder Knie sehr häufig. Die oberen Extremitäten und der Rumpf sind bedeutend geringeren Kräften ausgesetzt und entsprechend weniger anfällig auf Degenerationskrankheiten wie Osteoporose (siehe S. 32).

Die knochenreichsten Körperstellen sind Hände und Füsse. Ein Viertel aller Knochen, insgesamt 52 Stück, be-

Über 200 Knochen umfasst das menschliche Gebein, ein Viertel davon die Hände. Mit 50 Zentimetern Länge ist der Oberschenkelknochen der grösste; der kleinste Knochen, der Steigbügel, misst gerade mal 3 Millimeter. »

finden sich an den Händen. Diese vielen Einzelteilchen, verbunden mit Muskeln, Gelenken, Bändern und Sehnen, ermöglichen der Hand unzählige Bewegungen. Das gilt auch für die Füsse. Dass diese weniger beweglich sind als die Hände, liegt daran, dass sich beim Menschen ein Standfuss entwickelt hat. Dieser sorgt für Stabilität und Spannung. Der Greiffuss eines Menschenaffen hingegen ist auf Beweglichkeit der Zehen ausgerichtet. Deshalb kann der Affe die Füsse ebenso geschickt einsetzen wie die Hände.

Neben der Stützfunktion dienen die Knochen dem Körper als Schutz: Der Hirn- und Gesichtsschädel legt sich wie ein Helm um den Kopf, die Rippen bilden einen flexiblen Käfig um die inneren Organe und die 24 beweglichen Wirbelkörper formen eine Kette, durch deren Öffnung das Rückenmark mit dem zentralen Nervensystem verläuft. Die Knochen sind jedoch nicht nur ein wichtiger Teil des Bewegungsapparates; sie sind auch Mineralstoffspeicher und das Zentrum für die Blutbildung.

Knochen sind ein Organ

Das Wort Skelett kommt aus dem Griechischen und bedeutet «ausgetrockneter Körper». Diese Bedeutung wird dem harten Organ nicht gereicht. Im Gegenteil, Knochen sind voller Leben. Sie bestehen aus Knochen- und Nervengewebe, Knorpel und Blutgefässen. Jeder Knochen ist mit einer kompakten Knochenrinde umfasst, die von blossem Auge glatt und dicht erscheint. Rund die Hälfte des Knochens besteht aus mineralischen, anorganischen kristallinen Salzen; ein weiteres Drittel des Knochens besteht aus organischen Substanzen, hauptsächlich den Kollagenfasern; der Rest ist eingelagertes Wasser. Zum mineralischen Teil gehören in erster Linie Kalzium und Phosphor: Die beiden Mineralstoffe bilden die wichtigste Strukturkomponente in Knochen und Zähnen, das Hydroxylapatit. Dabei handelt es sich um eine äusserst harte, anorganische Substanz.

Im Inneren des Knochens befindet sich ein lockeres Gewebe mit Bälkchenknochen, die ein Ornament aus Hohlräumen bilden. Dieses schwammartige Knochengewebe befindet sich in einem Prozess ständiger Erneuerung. Für den Knochenumbau sind Knochenzellen verantwortlich, die Osteoblasten und Osteoklasten heissen. Die Osteoklasten bauen Knochensubstanz ab, die Osteoblasten bilden

Gebein

Das Wort Knochen bezeichnet alle festen Teile des Körpers von Säugetieren und Vögeln. Doch ist für Knochen, wie sie im menschlichen Körper vorkommen der ältere Ausdruck Bein, oft die gewähltere und treffendere Bezeichnung – zum Beispiel Armbein, Schulterbein, Nasenbein, Schlüsselbein, Hüftbein und so weiter. Gebräuchlich ist der Ausdruck «Durch Mark und Bein». Der edelste Ausdruck von allen ist Gebein, ein zusammenfassendes Wort, das das ganze Knochengerüst des Körpers bezeichnet.

Blutgefäss Markhöhle mit Fettmark,auch gelbes Knochenmark genannt

Gelenkknorpel Kompakter Knochen Knochenhaut

neues Knochengewebe. Beim Knochenabbau entstehen Hohlräume, die von den Osteoblasten sofort wieder geschlossen werden. Bricht ein Knochen bei einem Unfall, werden die Osteoblasten aktiv und spielen eine wichtige Rolle bei der Heilung und Wiederherstellung des Knochenbruchs. Innert zwölf Wochen wächst ein gebrochener Knochen zusammen und in rund zwölf Jahren erneuert sich das gesamte Knochengerüst. Die Aktivität der Knochenzellen wird durch Hormone und Vitamine reguliert. Allen voran das Parathormon (PTH), Geschlechtshormone und Vitamin D.

Blutbildung im weichen Kern

Fleischlielbhaber*innen sind sich einig: Das Beste an Kalbshaxen ist das Markbein. Es wird genüsslich ausgeschlürft, nachdem das Fleisch vom Knochen weggegessen ist. Der menschliche Oberschenkelknochen ist nicht viel anders aufgebaut als eine tierische Haxe. Auch unsere Knochen sind im Kern weich und gallertartig. Als Knochenmark bezeichnet man das weiche Binde- und Stammzellengewebe, das sich beim Zentrum grosser Knochen befindet. Es füllt die Hohlräume der schwammartigen Knochenstruktur aus. Dabei unterscheidet man das gelbe und das rote Knochenmark. Beim Erwachsenen kommt das rote Knochenmark vor allem in den platten und kurzen Knochen vor. Bei Säuglingen hingegen findet man es in allen Knochen. Im roten Knochenmark findet die Blutbildung statt, insbesondere in der Wirbelsäule, Hüfte, Schulter, in den Rippen, im Brustbein und in den Schädelknochen. Das fettreiche, gelbe Knochenmark wird als Fettmark bezeichnet. Es ist nicht an der Blutbildung beteiligt, da es keine Stammzellen mehr enthält. Da die Blutkörperchen eine begrenzte Lebensdauer haben, müssen ständig neue Blutzellen gebildet werden, und zwar mehrere Milliarden Zellen pro Tag! Bei besonderen Anforderungen, wie zum Beispiel bei einer Infektion, kann der Körper die Anzahl der Zellen gezielt erhöhen. In diesem Fall beginnt er mit der Produktion von spezialisierten Abwehrzellen zur Stärkung der Körperabwehr. Die aus den Stammzellen gebildeten, reifen Zellen werden nach Beendigung des Blutbildungsprozesses in die das Knochenmark durchdringenden Blutgefässe abgegeben und erreichen so das Blutkreislaufsystem.

Die Knochen sind somit die Basis unseres physischen Daseins. Sie geben uns ein sicheres Gefühl, Kraft und Standfestigkeit. Sie sind der Fels in der Brandung und geben uns die Fähigkeit, mitzugehen, innezuhalten oder Widerstand zu leisten. Dank der Knochen sind wir ein Gegenüber, das Stirn bietet oder lenkt.

Nahrung für die Knochen

Der ständige Auf- und Abbau von Knochensubstanz muss fein reguliert werden, damit es nicht zu Funktionsstörungen kommt. Für ein gesundes und gut funktionierendes Knochengewebe sind deshalb eine ausreichende Versorgung mit Mineralien, Spurenelementen, Vitaminen, tierischen oder pflanzlichen Eiweissen, Omega-3-Fettsäuren und ein ausgewogenes Säure-Basen-Gleichgewicht äusserst wichtig. Ein Überblick:

Proteine und Aminosäuren sind essenziell für den Knochenaufbau. Für starke Knochen benötigen Erwachsene täglich 800 mg Eiweiss pro Kilogramm Körpergewicht. Das sind gut 50 bis 70 Gramm pro Tag. Viel mehr Eiweiss ist jedoch nicht besser, im Gegenteil: Ein zu hoher Eiweisskonsum erhöht die Säurebelastung im Körper und führt zu einer verstärkten Entmaterialisierung des Knochens. Das gilt insbesondere beim Fleisch.

Grünfutter ist eine gute Kalziumquelle. Immerhin verfügen Kühe über starke Knochen, auch wenn sie ihre eigene Milch nicht trinken. Ein hoher Konsum an Gemüse (und Früch-

Kleine Knochenkunde der Rekorde

•Kleinster Knochen: Der Steigbügelknochen des Mittelohrs sieht aus wie der Steigbügel eines Sattels, was ihm seinen Namen gegeben hat. Er ist gerade mal 2,6 bis 3,4

Millimeter lang und wiegt zwischen 2 und 4,3 Milligramm. Dass dieser Knochen so klein ist, hat etwas mit unserer Hörleistung zu tun: Wäre er grösser und schwerer, würden wir schlechter hören. Der Grund: Er gerät ins

Schwingen, wenn Schallwellen das Trommelfell erreichen.

•Grösster Knochen: Der Oberschenkelknochen. Er verbindet Knie und Hüfte und muss sehr viel Druck aushalten können.

•Härtester Knochen: Das Felsenbein, ein kleiner Knochen, den man von aussen nicht sieht. Er schützt das Innenohr und damit auch das Gleichgewichtsorgan und die Hörnerven.

•Am leichtesten zu brechender Knochen: Schlüsselbein.

Es befindet sich an der Vorderseite des Brustkorbs in der

Nähe der Schultern und kann schon brechen, wenn

Druck oder Stress auf die Schultern ausgeübt wird oder wenn die Arme ausgestreckt werden.

•Am schwersten zu brechender Knochen: Der Oberschenkelknochen. Er ist nicht etwa der härteste, sondern der flexibelste aller Knochen. Die Stärke geht also eher mit

Beweglichkeit und nicht mit Knochenhärte einher.

•Ältester Knochen: Der älteste Knochen menschlicher

Vorfahren wurde in Kenia gefunden. Er soll sechs Millionen Jahre alt sein.

•Ältester Knochen der Schweiz: Ein 8300 Jahre altes Skelett, das in Nenzlingen (BL) unter einem Felsvorsprung bestattet worden war.

•Verwesungsprozess: Es dauert je nach Bodenbeschaffenheit des Friedhofs rund 30 Jahre, bis sich ein Knochen im

Sarg zersetzt hat.

100 % Steigbügelknochen

1000 %

ten) wirkt sich deshalb positiv auf die Knochendichte aus. Die Pflanzenkost liefert zudem weitere wertvolle Nährstoffe und fördert ein gesundes Gleichgewicht des SäureBasen-Haushalts.

Kalzium ist zentral für den Aufbau der Knochenstruktur. Das menschliche Skelett eines Erwachsenen enthält rund ein Kilogramm Kalzium. Deshalb ist der Kalziumbedarf von jungen Menschen im Wachstum enorm wichtig: Es legt den Grundstein für eine gesunde Knochensubstanz im Alter, insbesondere bei jungen Frauen. Kritisch sind Softdrinks, da sie den Mineraliengehalt der Knochen reduzieren, wie Studien zeigen. Da Fleisch die Kalziumaufnahme hemmt, benötigen vegetarisch und mehrheitlich vegetarisch lebende Menschen bedeutend weniger Kalzium (500 mg/Tag) als die Mischköstler (1000-1200 mg/Tag). Gute Kalziumquellen sind zum Beispiel Milch- und Milchprodukte (300 mg/1 Portion, also ca. 200 ml Milch), Sojaprodukte, Kohlarten und Mineralwasser.

Häufig liegt die Störung des Kalzium-Haushaltes allerdings weniger an der Zufuhr, als vielmehr an hemmenden Faktoren. Zum Beispiel führt ein Mangel an Vitamin D und Vitamin K zu einer eingeschränkten Kalziumaufnahme. Ebenso Stress, eine veränderte hormonelle Situation in den Wechseljahren, mangelnde Magensäureproduktion (Vorsicht Säureblocker!) und eine mangelnde körperliche Aktivität. Auch bei der Ernährung finden sich einige Stolpersteine:

• Eiweiss aus Fleisch und Wurst hemmt die Kalzium-

Resorption. Das gilt, gemäss neusten Studien jedoch nicht für das Eiweiss aus der Milch. • Phosphate (Softdrinks, Lebensmittelzusatzstoff E338) hemmen die Aufnahme von Kalzium im Darm und verursachen einen vermehrten Knochenabbau. • Oxalsäure (Schwarztee, Spinat, Rhabarber) bildet einen Komplex mit Kalzium im Darm. • Phytate (frisches Getreide, nicht eingelegte Hülsenfrüchte) bilden unlösliche Komplexe mit Kalzium im

Darm • Kochsalz erhöht den Kalziumverlust über die Nieren • Ein übersäuerter Körper zieht Kalzium aus den Knochen, um die Säuren zu binden und über die Nieren ausscheiden zu können.

Magnesium ist für die Knochen ebenso wichtig wie das Kalzium. Das Verhältnis Kalzium-Magnesium sollte 2:1 betragen. Magnesium ist für die Knochen äusserst wichtig, da die Umwandlung von Vitamin D in seine aktive Form davon abhängig ist. Für die Knochenmineralisierung zum gezielten Aufbau an Knochenmasse benötigt der Körper 250 bis 700 mg Magnesium pro Tag. Laut Studien kann die Knochendichte dadurch 1 bis 8 Prozent zunehmen.

Phosphor ist zusammen mit dem Kalzium essenziell für den Knochenstoffwechsel. Ein Mangel ist nicht zu befürchten, da Phosphor in Form von Phosphat in Industrieländern omnipräsent ist: Es steckt in Softdrinks, Backwaren, Brot, Käse, Fleisch, Wurstwaren, Fisch und vielen weiteren Lebensmitteln. Zuviel Phosphor in Kom-

bination mit zu wenig Kalzium führt zu einer Verringerung der Knochenmineraldichte. Wer gerne phosphatreiche Nahrung isst oder trinkt, sollte entsprechend viel Kalzium zu sich nehmen.

Vitamin D ist ein Überbegriff für verschiedene verwandte Verbindungen. Am besten bekannt ist das Vitamin D3, auch Cholecalciferol genannt. Es ist die Vitamin-D-Form, die unsere Haut aus Cholesterin herstellt, wenn sie der Sonne ausgesetzt ist. Bei den meisten Menschen genügt es, zumindest in den Sommermonaten, mehrmals pro Woche Hände, Gesicht und Arme zehn bis 15 Minuten von der Sonne bestrahlen zu lassen, um ausreichend Vitamin D zu bilden. Was der Körper nicht sofort benötigt, kann er in der Leber speichern. In der Niere wird Vitamin D bei Bedarf dann wieder in eine aktive Form umgewandelt.

Weitere wichtige Nährstoffe für die Knochengesundheit, insbesondere für die Elastizität und Biegsamkeit:

• Kupfer: Wichtiger Bestandteil von Enzymen, die die Vernetzung von Elastin und Kollagen unterstützen. Damit trägt Kupfer zur Erhaltung der Knochenelastizität bei. • Mangan: Zur Knochenmineralisierung und für den

Aufbau von elastischem Gewebe. • Zink: Für den Knochenstoffwechsel; verbessert die

Wirkung von Vitamin D. • Bor: Fördert die Östrogenproduktion und -wirkung auf die Knochen; sorgt für bessere Vitamin-D-Werte; weniger Verlust von Kalzium und Magnesium über die

Nieren. • Silizium: Strukturelles Element des Kollagens. Es verbessert die Knochenelastizität. • Vitamin K: Für den Knochenstoffwechsel und die Aktivierung von Osteocalcin. • Vitamin C: Essenziell für die Kollagensynthese und somit für die Knochenelastizität; stimuliert den Knochenaufbau. • Folsäure: Ein Mangel an Folsäure kann ein Risikofaktor für Osteoporose sein. • Omega-3-Fettsäuren: Sie reduzieren Entzündungswerte im Körper, was den Knochenstoffwechsel positiv beeinflusst. •

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