
„Automatische Gesichtserkennung“, Skimaske, Buchstabenpailetten, Messing, 2024
„Automatische Gesichtserkennung“, Skimaske, Buchstabenpailetten, Messing, 2024
wear&tear – Franziska Harnisch & Philipp Valenta
Die Ausstellung „another line in our cv“ lässt schon im Titel vermuten, dass sich der Inhalt auf ein vielfach iteriertes Thema bezieht. … und noch eine Zeile im Lebenslauf spiegelt eine gewisse Müdigkeit im Hinblick auf den eigenen Werdegang. Damit sind wir auch schon beim Kern der Ausstellung, die sich – durchaus unüblich – mit dem oft harten Alltag zeitgenössischer junger oder nicht mehr so junger Künstler:innen auseinandersetzt.
Eine Seite der Kunstwelt, die bisher wenig Beachtung gefunden hat; unter anderem auch daher, da das Künstler:innenduo wear&tear –durchaus mit einem zwinkernden Auge – die eigene Branche und ihre Mechanismen kritisiert. Dass eben jene Branche der Kritik an den eigenen Funktionsweisen keinen Raum gibt, scheint wenig verwunderlich. In einer Welt, die auf guten Kontakten, einem prallgefüllten, makellosen Lebenslauf mit möglichst wohlklingenden Namen bekannter Institutionen basiert, um an die wenigen Gelegenheiten zur Repräsentation und / oder Zusammenarbeit zu kommen, sind Kritiker nicht gern gesehen. Der Schein ist alles und wird um jeden Preis aufrechterhalten.
Die Einsicht in diese Mechanismen und ihre Kritik daran haben Franziska Harnisch und Philipp Valenta in eine Kollektion von wearables gegossen; T-Shirts, Basecaps, Schals etc., die auf stilvolle Art und Weise die Schattenseiten der Kunstwelt beleuchten. Absurde Absagen auf Bewerbungen, Altersgrenzen von Künstler:innenstipendien, unseriöse Künstlerresidenzen, die Tatsache, als möglichst jung, neu, spannend gelten zu müssen, um Erfolg zu haben, aber dabei offenbar nie genug von allem zu sein, sind die Themen, die das Künstler:innenduo beschäftigen.
Die Anforderungen an Künstlerinnen und Künstler, die nach der Akademiezeit den Sprung in das Berufsleben wagen, scheinen fast zu hoch. Dabei bezeichnen sich Harnisch
und Valenta als die diplomierte sprichwörtliche „eierlegende Wollmilchsau“, die allen Ansprüchen genügen soll. Die Anspruchsgruppen sind hierbei Museen und freie Kunsträume sowie der Kunstmarkt mit Sammler:innen, Galerien und Auktionshäusern. Von der eigenen Kunst leben zu können, die Freiheit zu haben, der Berufung zu folgen und kommerziell erfolgreich zu sein ist der Traum vieler Absolvent:innen. Der Weg bis dahin, oft steinig und schwer bis geradezu schier unmöglich.
Dabei spielen Faktoren eine Rolle, die wenig bis gar nicht durch die Künstler:innen selbst zu beeinflussen sind. Kann man sich noch bemühen, Meisterschüler:in bei einer/m renommierten Künstler:in/Professor:in zu werden, ist die Phase, die nach der Akademie folgt, meist wenig glamourös. Denn anstatt durch den Kunstmarkt „entdeckt“ zu werden, müssen Künstler:innen den Lebensunterhalt sichern, einem Brotjob nachgehen und dabei fehlt entsprechende Zeit für ihre eigene künstlerische Praxis und Weiterentwicklung. Die Zwänge einer Gesellschaft, die Kunst und Kultur wenig Freiräume lässt, engen hier zusätzlich ein. Stipendien und Residenzprogramme sind dann oft der Ausweg, um wirtschaftlich zu überleben und gleichzeitig der Berufung zu folgen und an der noch möglichen erfolgreichen Karriere zu arbeiten. Die Währung scheint hierbei der Lebenslauf zu sein, der oft prall gefüllt ist mit Förderungen, Arbeitserfahrungen und Sammlungen, in denen die eigene Kunst hängt. Dennoch schaffen es nur wenige zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und den Aufstieg als gut gehandelte/r Künstler:in zu schaffen.
Die andere Seite der Branche, die Museen, Ausstellungsräume, Galerien und der hart umkämpfte Kunstmarkt der großen und kleineren Auktionshäuser tragen ihren Anteil an dieser Situation. Parallelen symbiotischer Natur kennzeichnen die Berufsgruppe der Kunstwissenschaftler:innen und Kurator:innen, die in den Institutionen arbeiten. Beide Grup-
„‘tis the season for burnout“, Schal, gewebt, 2021
pen, Künstler:innen und Kurator:innen, brauchen einander. Die einen um besprochen, publiziert und ausgestellt zu werden, die anderen um Themen und künstlerische Positionen im Ausstellungskontext zu kuratieren und Ideen zu vermitteln. Dabei bedingt sich das System gegenseitig. Museal gesammelte Künstler:innen haben tendenziell einen höheren Marktwert, da sich die Kunstwissenschaft mit ihnen beschäftigt hat, als jene, die bisher noch nicht in Ausstellungen in Erscheinung getreten sind. Die Autorität der Institution Museum führt in diesem Fall zu einer Aufwertung. Dabei sind es die künstlerischen Positionen, die wiederum den Kunstwissenschaftler:innen zu ihrer beruflichen „Währung“ der Publikations- und Ausstellungsliste verhelfen. Auch hier gilt „another line in my cv“ im Kampf um die rar gesähten Stellen in Ausstellungsinstitutionen oder dem Wissenschaftsbetrieb.
Um diesem komplexen und bisher nicht präsenten Thema im zeitgenössischen Diskurs einen Raum zu geben und zu behandeln, haben Harnisch und Valenta Kleidung als künstlerischen Kommentar ihrer eigenen und der Situation vieler andere Künstler:innen entworfen.
Die Basecapserie „Too old for…“ zeigt auf, wie willkürlich gewählte Altersgrenzen Künstlerinnen und Künstler von der Möglichkeit der Förderung ausschließen. Dabei scheint die magische Zahl die 35 zu sein. Danach sollen Künstler:innen den Sprung ins Geschäft geschafft haben. Dass dies nicht die Realität widerspiegelt, zeigen Harnisch und Valenta mit einem T-Shirt im Collegestil mit dem Aufdruck „Forever 34“. Weitere Beispiele sind tragbare Listen, in denen man seine gewährten Stipendien eintragen und sie der Anzahl der Bewerbungen gegenüberstellen kann. Ganz plakativ wird hier die Diskrepanz zwischen zahlreichen Bewerbungen und wenigen Zuschüssen deutlich. Auf psychologischer Ebene sicherlich nicht leicht zu verdauen. Weniger resiliente Naturen könnten an diesem System leicht zerbrechen, zumal die eigene Kunst stets Seele nach außen trägt und Ausdruck eines inneren Erlebens ist. Hier Ablehnung zu erfahren, kann durchaus traumatisch sein.
Das gleiche Thema behandelt ein Schal, der in der Ausstellung plakativ Platz an der Wand findet und durch seine Farbigkeit rotgrün und des Satzes „‘tis the season for burnout“ (Artfacts, 30.11.2021) Bezug nimmt auf die
typischen amerikanischen Holiday Greetings zur Weihnachtszeit. Jedoch das Wörtchen Burnout und die Angabe Artfacts mit einem Datum verweisen auf die Künstlerrankingseite ‚Artfacts‘ und haben so gar nichts mit den freudigen Grüßen zur Weihnachtszeit gemein. „Buzzwords“ der Branche wie „young“, „contemporary“ oder „emerging“, mit der die Kunstwelt junge Künstler:innen auf beliebige Weise beschreibt, finden sich als ankreuzbare Identifikationsmerkmale auf einem T-Shirt, der Schal „Ultras contemporary“ bezieht sich wiederum auf die Fußballkultur, wo Fans mit ihren Schals Vereins- oder Gruppenzugehörigkeit signalisieren.
Mit den von ihnen entworfenen wearables bedienen sich Franziska Harnisch und Philipp Valenta für ihre Branchenkritik ganz klar den Mechanismen der Bekleidungsindustrie. Mit Mode befriedigen Konsumenten ihr Bedürfnis, sich von der Masse abzuheben oder sich ihr anzupassen, indem mittels Kleidung individuelle Persönlichkeit, Überzeugungen und Einstellungen ausgedrückt werden. Daher können auch alle Arbeiten in der Ausstellung im temporären Ausstellungsraum des Städtischen Museums in Wesel anprobiert und käuflich erworben werden. Somit können die Käufer:innen nun ihren Zweifeln und ihrer Kritik mit der wear&tearKollektion Ausdruck verleihen und die Statements des Künstler:innenduos zu den eigenen werden lassen, indem sie sie sprichwörtlich auf dem Leib und damit die Systemkritik in die Gesellschaft tragen.
Sarah Heidebroek Leiterin Städtisches Museum Wesel
Ausstellungsansicht Städtisches Museum Wesel. 2024
Editionen „Künstler heulen immer rum“ 2024, „Keks No 1“ 2024, „Celebrating public art installation“, 2023
„Gesamtsituation“, Buchstabenperlen, Perlseide, Magnetverschluss, 2024
Ausstellungsansicht Remote Gallery, Zwickau, 2022
Bielefeldt trägt „The older I get, the worse the art I produce“
„artist, curator, diverse“, Stickerei auf Vorhang, ortsspezifische Installation, Städtisches Museum Wesel, 2024
Franziska Harnisch trägt „young, contemporary, emerging“
Ausstellungsansicht Städtisches Museum Wesel. 2024
trägt „Ich kuratier dich in meinem Herzen“
Ausstellungsansicht Remote Gallery, Zwickau, 2022
Sarah Oh-Mock und Bongjun Oh tragen Shirts aus der artfacts-Serie
„„Who was discovered after the age of 45?“
„Who was discovered before they were 20?“
Ausstellungsansicht CUBIC Art Space, Greifswald, 2023
Wilke trägt „hydrofeminismus“
Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung „another line in our cv“ von wear&tear (Franziska Harnisch und Philipp Valenta) vom 03. Mai bis 25. Juli 2024 im Städtischen Museum Wesel.
Herausgeber
Sarah Heidebroek
Städtisches Museum Wesel
Text
Sarah Heidebroek
Auflage
200 Exemplare
ISBN 978-3-924380-44-1
Bildrechte
Sofern nicht anders vermerkt, liegen die Bildrechte bei Franziska Harnisch und Philipp Valenta.
www.instagram.com/wearandtear_textiles www.wearandtear.de
www.wesel.de/kultur-freizeit/staedtisches-museum