B219339 umweltgeschichte leseprobe

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war 1356 erneut betroffen sowie norddeutsche, dänische, niederländische und englische Städte durch verschiedene Epidemien von 1358 bis 1362. Im frühen und im späten 15. Jh. führten zwei Pestpandemien zum Tod von etwa der Hälfte der Bevölkerung Islands. Die Große Pest von London forderte 1665/1666 allein in der englischen Hauptstadt etwa 70 000 Todesopfer. Von 1709 bis 1711 starben in Polen, Litauen und Ostpreußen mehr als 200 000 Menschen an der Pest – um nur einige Beispiele zu nennen. Aufgrund katastrophaler hygienischer Zustände gingen von Konstantinopel auch noch in der frühen Neuzeit wiederholt Pestepidemien aus. Nach 1771 gab es keine Pestepidemien mehr in Europa. In einigen Regionen der Erde tritt die Pest bis heute auf, ist aber bei geeigneter Antibiotikagabe beherrschbar.

Die Ursachen der Pest Seit der Entdeckung des sehr ansteckenden Pestbakteriums Yersinia pestis im Jahre 1898 ging man davon aus, dass es auch für die Pestpandemie Mitte des 14. Jh. verantwortlich war. In jüngster Zeit gab es jedoch Zweifel an der Letalität der von Yersinia pestis hervorgerufenen Erkrankung, am Infektionsweg und an der Bedeutung des Zwischenwirtes Ratte. Für die Mitte des 14. Jh. liegen kaum Berichte über Rattenplagen vor und eine hohe Nagetierdichte scheint eine wichtige Voraussetzung für die Übertragung zu sein. Auch für andere der Pest zugeschriebene Epidemien in der Antike und im Frühmittelalter war kein Kausalzusammenhang zur Massenausbreitung von Ratten eindeutig nachweisbar. Dennoch wurde bereits im Altertum das massenhafte Auftreten von Nagetieren als Vorbote der Pest angesehen. In der biblischen Überlieferung zu den Philistern wird die Opferung von Mäusen zur Abwehr der Pest beschrieben (I Sam. 5,6 ff). Ein Team um die Archäologin und Forensikerin Verena Schünemann und die Anthropologin Kirsten Bos konnte durch Analysen alter DNA kürzlich eine bislang unbekannte und heute nicht mehr existente Variante des Pestbakteriums Yersinia pestis an gut erhaltenen Skelettresten von Pestopfern nachweisen, die 1348 bis 1350 in einem Massengrab auf dem East-Smithfield-Friedhof in London bestattet worden waren (Schünemann et al., 2011). Damit ist das Pestbakterium Yersinia pestis erstmals an einem Ort eindeutig als Verursacher der Pest in der Mitte des 14. Jh. nachgewiesen worden.

schaftsveränderungen zweifellos vor allem aus dem Massensterben durch die Pest der Jahre 1347 bis 1351 in Mitteleuropa. Eine besonders starke Dynamik erfasste aufgrund der Wiederbewaldung ausgedehnter Gebiete die regionalen Energie-, Wasser- und Stoffhaushalte. Die Grundwasserstände fielen und viele Feuchtgebiete trockneten aus. So änderte sich auch das regionale Klima. Der mittlere Abfluss der großen Flüsse reduzierte sich nach Modellrechnungen um bis zu ein Viertel. Die Hochwasser vieler Fließgewässer wurden seltener und weniger stark. Die Waldvegetation schützte die Böden; dort trat fast keine Bodenerosion mehr auf. Mit dem rasch nachlassenden Nutzungsdruck auf die Landschaften Mitteleuropas konnten sich auch die Ernährungsgewohnheiten der überlebenden Menschen ändern. Vor 1347 konnte der größte Teil der Bevölkerung fast nur über Getreideprodukte und Gemüse ernährt werden, mit der Folge zeitweilig starker Mangel- und Unterernährung. Das energetisch aufwendiger zu produzierende, teure Fleisch stand fast nur der Oberschicht zur Verfügung. Mit der Wiederbewaldung wuchsen die Wildtierbestände und gewann die Haltung von Schweinen und Rindern in Wäldern an Bedeutung. Der Fleischkonsum der Menschen nahm zu. Die Pest hatte also nicht nur das ­Sozialsystem und die Umwelt verändert, sondern sogar die Ernährungsgewohnheiten der Menschen in Mitteluropa. (GraSSl, 1982; Bork et al., 1998; Cohn, 2002; Winiwarter & KNoll, 2007; Hoffmann, 2010)

Im Jahr 1679 floh Kaiser Leopold I vor der Pest aus Wien. Zum Dank für die Rettung der Stadt ließ er eine Pestsäule erbauen. Das 1693 geweihte Monument steht im Herzen der Innenstadt Wiens.

Können besondere Umweltbedingungen zur Ausbreitung der Pest beigetragen haben? Ein Kausalbezug ist (noch) nicht nachgewiesen. Die spätantiken und frühmittelalterlichen Pestwellen wie die Pestpandemie der Jahre 1347 bis 1351 traten vorwiegend in Zeiträumen mit ungünstiger Witterung, insbesondere in Jahren mit niedrigen Tempera­ turen und hohen Niederschlägen, mit Überschwemmungen und Missernten auf. Unterernährte Menschen, die in feuchten Häusern lebten, waren immunologisch geschwächt und damit wohl besonders anfällig. Der umgekehrte Kausalzusammenhang – die Umweltwirkung von Pestpandemien – ist hingegen nachweisbar. So resultierten die eingangs geschilderten drastischen Land-

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