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Die erste eigene Wohnung in der Altstadt S

Abenteuer Wohnungsrenovierung in den 80er Jahren

Angeregt durch den Artikel „Kugelporsche mit Überlänge“ in der Ausgabe Nr. 41 hat sich Familie Albert entschlossen, die Geschichte ihrer Ansiedlung in der Östlichen Altstadt im Jahr 1983 zu erzählen. Sie steht stellvertretend für viele ähnliche, aus der Not geborene Eigeninitiativen der damaligen Zeit.

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Nach der Beendigung unseres Studiums im Jahre 1981 zogen wir von Dresden nach Rostock, um hier unsere Arbeitsverhältnisse anzutreten. Meine Frau bekam eine Einweisung in ein Zimmer mit Küche des Arbeiterwohnheims ihrer Firma in Rostock-Lütten Klein. Dort wohnte ab November 1981 auch unsere erstgeborene Tochter und ab August 1983 auch unser zweites Kind. Als „frischgebackener“ Mitarbeiter des VEB Warnowwerft Warnemünde hatte ich Unterkunft in einem Dreibettzimmer des Arbeiterwohnheims der Werft in der Parkstraße Warnemünde (nach 1990: Best-Western-Hotel). Offiziell war uns das gemeinsame Wohnen im Wohnheim meiner Frau nicht gestattet, obwohl wir verheiratet waren. Zur kurzfristigen Verbesserung unserer Wohnsituation hätte es einer Zuweisung von staatlichem Wohnraum bedurft, was aber durch beide Beschäftigungsbetriebe sowie die Kommune nicht realisiert werden konnte.

Auf eigene Initiative gelang es uns, einen neuen Arbeitgeber zu finden, mit dem wir planten, im gemeinsamen Vertragsverhältnis mit dem VEB Gebäudewirtschaft (Wohnungsverwaltung), außerhalb der Arbeitszeit ein baulich gesperrtes Altstadthaus bewohnbar zu machen. Die Rahmenbedingungen waren folgende:

Der zukünftige Mieter muss der Wohnungsverwaltung einen Kostenplan mit Leistungsverzeichnis übergeben. Durch die Staatsbank sollen danach an den VEB Gebäudewirtschaft Kredite in Höhe von ca. 80.000 Mark der DDR ausgereicht werden. Mit diesem Geld ist der Ausbau von zwei Wohnungen im Haus geplant. Der Auftragnehmer rechnet alle Arbeitsleistungen und Materialeinkäufe gegenüber der Wohnungsverwaltung ab, erhält die verauslagten Materialkosten nach Prüfung in voller Höhe und die Lohnkosten für seine eigenen Leistungen sowie Dritte je Arbeitsstunde mit 5 Mark der DDR zurück, allerdings höchstens bis zur Gesamtkredithöhe je Wohnung. Die Finanzierung beginnt nach der Kreditbewilligung und erteilter Baugenehmigung, der Auftragnehmer geht in Vorleistung. Alle notwendigen Projektunterlagen sind vom Auftragnehmer bereitzustellen, einschließlich der Einholung von Zustimmungen des Büros für Stadtplanung sowie der Staatlichen Bauaufsicht. Der Auftragnehmer sucht sich einen Bauingenieur als Baubetreuer. Alle Baumaterialien werden außerhalb und unabhängig von staatlich bilanzierten Zuweisungen beschafft.

Am 14.06.1983 erfolgte die offizielle „Zuweisung des Hauses Faule Str. 15 mit Freifläche der Nr. 14“. Zur Veranschaulichung dient ein Foto, welches den Zustand vor Beginn der Baumaßnahmen im Jahre 1983 zeigt (zweites Bild von oben). Das bereits nach Osten abgekippte Hinterhaus und das Waschhaus durften abgerissen werden. Das Alter des Gebäudes konnte nicht ermittelt werden, wurde aber auf mindesten 100 Jahre geschätzt. Das ehemalige 3-Familienhaus war zum Zeitpunkt des Baubeginns leergezogen und bereits ein Jahr aus baulichen Gründen gesperrt. Die Wohnungen waren bis auf den Dachboden von den letzten Mietern besenrein beräumt.

Eine erste Besichtigung zeigte eigentlich nur die völlige Unbewohnbarkeit des Hauses. Die Ver- und Entsorgungsleitungen waren vollständig durch Vandalismus zerstört worden. Im ca. 1.20 m hohen Kriechkeller lief ständig mit starkem Druck Wasser aus. Der Keller war dadurch stark verunreinigt und teilweise zugeschwemmt. Die Kachelöfen und Dauerbrandkohleöfen waren durch Vandalismus beschädigt und nicht mehr nutzbar. Das Erdgeschoss war bis zur halben Raumhöhe stark durchfeuchtet, da es weder eine horizontale noch vertikale Mauerwerksabdichtung gab.

Die Außenfassade einschließlich der Fenster war in einem desolaten Zustand. Alle Türen wiesen Verwerfungen sowie Undichtigkeiten auf. Im ersten Obergeschoss sowie im ausgebauten Dachgeschoss waren in den Küchen Teile der Holzdielung wegen Feuchtigkeitseinwirkung verfault. Das Treppengeländer war durchgängig durch Vandalismus zerstört. Im ausgebauten Dachgeschoss waren im Außenmauerwerk Risse in Fingerbreite. Der zweizügige Schornstein wurde vom Bezirksschornsteinfegermeister nach Besichtigung gesperrt, weil er versottet und rissig war. Die Dachdeckung war sowohl im Bereich der Hartdeckung des Spitzdaches als auch in der Pappeindeckung des ausgebauten Dachgeschosses stark beschädigt. Eine vorhandene Attikadachrinne auf der Straßenseite hatte durch Undichtigkeiten zu Feuchteschäden am Außenmauerwerk geführt. Die Fallrohre der Dachentwässerung waren nur noch teilweise vorhanden.

Gemeinsam mit den neu gewonnenen Arbeitskolleginnen und Kollegen unserer beiden Betriebe ging es nun zunächst an das Aufräumen und Entkernen. Im Rahmen der Wiederherstellung der Gebäudesubstanz (von einer Rekonstruktion im heutigen Sinne kann man wegen vieler Ersatzbaustoffe und Behelfslösungen nicht sprechen) konnten aus dem ehemaligen Dreifamilienhaus zwei Wohnungen mit normalem Komfort gewonnen werden. Der aus heutiger Sicht „regelgerechten Bauausführung“ waren durch die gültigen Standards der DDR und den dazu erforderlichen, aber nicht beschaffbaren Baustoffen Grenzen gesetzt. Der Schornstein musste vollständig erneuert werden, um die Kohleheizung, Bauart Forst, als Etagenheizung, den Gasdurchlauferhitzer für die obere Wohnung und einen Dauerbrandofen für die untere Wohnung anschließen zu können. Um einen günstigen Funktionsablauf innerhalb der Wohnungen zu erreichen, war es notwendig, verschieden Türen zu schließen und dafür neue Öffnungen in die Wände zu brechen. Sämtliche Türen und Fenster wurden durch neue ersetzt. Wo dies bei den Fenstern wegen fehlenden Materials nicht möglich war, kamen Fenster aus anderen Abrisshäusern zum Einbau, bei denen später lediglich die Thermoverglasungen erneuert wurden. Die Fußböden in Bad und Küche der oberen Wohnung wurden einschließlich der Unterkonstruktionen komplett erneuert. Da wir keine Dielenbretter bekommen konnten, wurden dünne

Baubeginn 1983, der Anhänger für die Abfuhr des Bauschutts steht bereits davor.

Ausgangssituation 1983: Das Haus Nr. 14 und die historische Stadtmauer waren im Rahmen einer Übung der „Zivilverteidigung“ der DDR bereits wegen Verbreiterung der Straße Am Strande abgerissen worden.

1986 war die Stadtmauer mit Schuppen und Toreinfahrt von uns wieder errichtet worden.

Schalbretter mit Nut und Feder und entsprechendem Unterbau als Verstärkung gegen die Durchbiegung verwendet.

Von der vorhandene Gaszuleitung für das Haus wurde die Leitung bis ins erste Obergeschoss verlängert, um Gasherd und Durchlauferhitzer anschließen zu können. Die Wasserleitung wurde im gesamten Haus neu verlegt.

Mein Beschäftigungsbetrieb stellte zur Unterstützung für einige Wochen ganztags eine Arbeitskraft zur Verfügung, welche im Wesentlichen die Bauhauptleistungen (Maurer/ Zimmerer) ausführte. Da es sich bei diesem Mitarbeiter glücklicherweise um einen bereits pensionierten, in der Firma aber noch als Heizer tätigen, Baupolier handelte, wurden viele schwierige Umbauprobleme aus der Erfahrung heraus, nach den sogenannten „anerkannten Regeln der Baukunst“ ausgeführt.

Am 17.03.1984 bezogen wir nach nur 9 Monaten die obere Wohnung. Die Bauarbeiten im Erdgeschoss, im Treppenhaus und außen liefen weiter. Die gesamte Freifläche des Grundstückes Nr. 14 und die Fläche des abgerissenen Hinterhauses waren bisher als Baustelleneinrichtung und Lagerfläche genutzt worden. Nach unserem Neuaufbau der Stadtmauer als neue Begrenzung zur Straße Am Strande wurden daran hofseitig zwei kleine Schuppen als Kohlelager und ein Abstellraum errichtet.

Die drei freistehenden Seiten des Wohnhauses Nr. 15 wurden durch uns anschließend bis auf die Grundmauern freigelegt und eine vertikale Sperrung mit entsprechendem Schutzanstrich aufgebracht. Nachdem diese Maßnahmen abgeschlossen waren, haben wir die Freiflächen beider Grundstücke begrünt und auf eigene Rechnung gärtnerisch gestaltet.

Was sich in der Betrachtung nach „Rückwärts“ recht rational liest, setzte voraus, dass man bis zum Einzug jede freie Minute nach Feierabend und an den Wochenenden auf der Baustelle verbrachte. Wir hatten keinen eigenen PKW, keinen Lastenanhänger, kein Telefon... Allerdings besaßen wir ein Moped, viele uneigennützige Helfer und Zuversicht, dass es nun endlich mit einer „eigenen“ Wohnung klappen würde. Es gab unzählige „Beschaffungsmaßnahmen“ von offiziell nicht erhältlichem Baumaterial. Dabei lernten wir die Grundzüge der Tauschwirtschaft, das „soziale Netzwerken“ und viele Freunde kennen. Zwei Anekdoten, die besonders zum Schmunzeln anregen, seien hier eingefügt.

Die Beschaffung von Dachziegeln Ein Dachdeckermeister fand sich schnell über den Arbeitgeber. Er hatte allerdings keine Dachsteine. Er machte uns jedoch Mut, indem er versprach, alle erhaltenswerten Steine auf die Ansichtsseite der Faulen Straße umzudecken und dann die entstandenen Löcher auf der straßenabgewandten Seite mit dem Material auszuflicken, das ich besorgen könnte. Ich fand natürlich einen Tippgeber, der wusste, dass in seiner Firma zuletzt neue Betondachsteine bei Reparaturarbeiten übriggeblieben waren. Der Haken: Sie lagerten auf dem Betriebsgelände dieser Firma, welches Tag und Nacht durch einen Pförtner gesichert wurde. Ein Abkauf war nach Anfrage nicht möglich. Stehlen kam nicht in Frage, also haben wir den „Leihschein“ erfunden. Mein Tippgeber aus dieser Firma schrieb mir diesen Zettel, auf dem sinngemäß bescheinigt wurde, dass sich der Kollege Albert per Selbstabholung 50 Dachsteine ausleiht, da er seine bestellte Lieferung verspätet erhalten würde. Rückgabe zugesichert, Stempel, Unterschrift… Die Schranke am Werktor ging nach Vorzeigen des Zettels hoch.

Die Beschaffung von Wandfliesen

1. Akt: Kauf von Wandfliesen: Nach mehrfacher, erfolgloser Vorsprache beim VEB Baustoffhandel Rostock gelang uns das nach Schilderung der Umstände und Darstellung der Bedürftigkeit. 2. Akt: Betrachtung der zugeteilten Wandfliesen beim Aufladen und Erkenntnis, dass es sich um eine Güteklasse drei handelte, bei der jede Fliese um mindestens 1 cm beschnitten werden müsste. 3. Akt: Finden von zwei Tauschpartnern aus dem privaten Umfeld. Tauschpartner eins holt sich 2/3 der Fliesen auf der Baustelle ab um damit seine Waschküche zu fliesen. Er vermittelt Tauschpartner zwei, der gegen einen geringen Aufpreis den Rest der Fliesen abholt und uns Fliesen erster Wahl für unser Bad überlässt, die wir bei ihm abholten und zeitnah zur Baustelle brachten. 4. Akt: Der ABV (Abschnittsbevollmächtigter der Deutschen Volkspolizei der DDR) wird auf der Baustelle vorstellig und stellt mit der Begründung „einem Bürgerhinweis nachzugehen“ die Frage, ob wir mit Fliesen handeln würden…

Nach dem Einzug betrachteten wir unsere Mietwohnung doch sehr im Sinne einer „eigenen“ Wohnung. Umso mehr waren wir erstaunt, als Anfang der 1990-er Jahre die Eigentümer des Hauses an unserer Haustür klingelten und Unverständnis darüber äußerten, was mit Ihrem einst so schönen Haus passiert war. Das Haus wurde von uns über 10 Jahre genutzt bis wir 1994 in ein von uns neu errichtetes Einfamilienhaus innerhalb Rostocks umzogen.

Diana und Reinhard Albert

Das Haus in der Faulen Straße 15 mit dem Turm der Petrikirche im Jahr 2021. (Foto: Hinrich Bentzien)

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