Kundenmagazin BerlinDruck #36

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048 Warum lügen dennoch so viele Menschen? Es gibt ja sogar notorische Lügner … Tatsächlich gibt es das zwanghafte Lügen, und man fragt sich, warum die Menschen das tun. Vielleicht versucht man sich interessant zu machen, indem man in der eigenen Biografie Sachen erfindet, die andere nicht erlebt haben. Man sehnt sich nach Aufregung und sozialer Interaktion, die man durchs Lügen einfach herstellen kann. Vielleicht braucht man genau diesen Nervenkitzel. Die Lüge als hausgemachte Droge also? Ja, wenn man so will. Zwanghafte Lügner suchen den Kick, den die Lüge verursacht – und den sie bekommen, selbst wenn sie andere über eigentlich völlig irrelevante Kleinigkeiten täuschen. Auch die Furcht vor dem Entdecktwerden oder der Wille zum bösartigen Täuschen können eine entscheidende Antriebskraft darstellen.

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Wo fängt denn für Sie persönlich die schwerwiegende Lüge an? Dort, wo es unangenehm wird. Sobald jemand geschädigt wird, wenn ihm Informationen vorenthalten werden, weil er dadurch einen Nachteil hat oder über etwas im Unklaren gelassen wird, was eigentlich für ihn relevant ist. In solchen Fällen wäre das ethisch nicht in Ordnung.

Dass unser Körper auf unsere Lügen reagiert, wurde schon früh erkannt, richtig? Ja, es gibt körperliche Reflexe, die man – wenn man geschickt ist – beobachten kann. Schon seit der Antike versucht man, herauszufinden, ob man erkennen kann, wann und unter welchen Umständen Personen lügen. Da gibt es die Anekdote der chinesischen Jadehändler, die ihren Kunden ganz tief in die Augen schauten. Weiteten sich deren Pupillen beim Anblick eines bestimmten Jadestücks, erhöhten die Händler den Preis, weil sie glaubten, die Kunden wollten genau dieses Jadestück haben und seien bereit, einen höheren Preis dafür zu zahlen. Auch im Mittelalter in Europa gab es eine Methode, mit der man versucht hat, Lügner in Hexenprozessen zu stellen. Dazu sollten Verdächtige trockenes Brot kauen und schlucken. Falls sie das Brot nicht schlucken konnten, wurden sie der Lüge bezichtigt. Die Annahme dahinter war, dass ein trockener Mund eine körperliche Reaktion auf das Lügen sei. Die körperliche Reaktion auf eine Lüge macht sich auch der Lügendetektortest

BERLIN Einblick

zunutze. Erklären Sie uns, wie das Verfahren funktioniert? Der Lügendetektor ist eine Erfindung aus den USA. Da wird er seit Mitte der 1920erJahre systematisch eingesetzt, und zwar nicht von den Psychologen, sondern von der Polizei. Die Idee ist, körperliche Reaktionen zu messen, also vor allem die Schwitzreak­ tion der Hände. Hautleitfähigkeit nennt sich das Maß. Da werden zwei Elektroden auf die Handfläche geklebt und dann schickt man einen kleinen elektrischen Strom durch und schaut, ob dieser hohen Widerstand vorfindet. Wenn man gestresst ist, etwa weil man lügt, wird die Haut feucht durch den Schweiß und dann wird der Widerstand geringer, und das kann man als Kurve abbilden. Daneben gibt es weitere physische Veränderungen: Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, die Atmung wird unregelmäßig. Die Lüge versetzt uns also in eine Stresssituation. Warum? Ja, genau, das ist Stress. In dem Moment, wo wir lügen, haben wir eigentlich – und das ist die gute Nachricht – den Impuls, erst einmal die Wahrheit zu sagen. Wir müssen diesen Impuls aber unterdrücken und stattdessen eine Lüge konstruieren. Das erfordert eine größere Anstrengung des Gehirns. Nicht einfach das zu sagen, was ist, sondern sich eine Alternative zu überlegen, die wahre Antwort zu unterdrücken. Quasi etwas zu erfinden, immer mit der Befürchtung, damit aufzufliegen. Und das setzt uns unter Stress. In der

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