VISIER 06/2012 Leseprobe

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Neu, aber antik | Uberti NM No.3 Frontier .44-40

Neu, aber antik Neuen Repliken von Westernwaffen fehlt oft das Flair eines gebrauchten Oldies — deswegen wurde dieses Muster auf alt getrimmt. VISIER prüfte, was sonst noch an dem .44-40er Uberti New Model No. 3 Frontier geändert wurde und wie sich das in der Praxis auswirkte. Autor: Hartmut Mrosek und Matthias Recktenwald Fotos: Matthias Recktenwald

Bei Westernwaffen hat sich das als Tuning bekannte Feinabstimmen längst etabliert. Was aber nicht heißt, dass dieses Wissen zu jedem modernen Nachbau solch alter USWaffen vorliegt: Repliken der Hahnspanner-Colts etwa gibt es seit fast 60 Jahren – genug Zeit, um das Know-how der Altvorderen wieder zu entdecken und durch neue Erkenntnisse zu ergänzen. Was jedoch ist mit den erst seit kurzem wiederbelebten Western-Waffen-Modellen? Das fragte sich Fachhändler und Westernschütze Matthias Märklen von MHW in Heilbronn. Er hat die Courage, einige neue Repliken tunen zu lassen und so Erfahrungswerte zu schaffen. Auch auf das Risiko hin, dass am Anfang manches zu weit geht. So ließ er als einer der ersten die Uberti-Kopie des Colt-Lightning-Unterheblers überarbeiten (VISIER 3/2012). Kaum war der Test erledigt, schickte Märklen das nächste Stück – die Uberti-Replika des Smith & Wesson-Kipplaufrevolvers New Model No.3 Frontier in .44-40 Winchester. Das Grundmodell hat VISIER schon vorgestellt, ebenso die von Uberti und Beretta vertriebenen Kopien (VISIER-Hefte 10/’02, 6/’05, 7/’06 und 11/’10). „Frontier“ war der Beiname der ab 1885 in einer Zahl von 2072 Stück gebauten, speziell auf den Markt im US-Westen gemünzten .44-40er Variante des NM No.3. In der Prärie war das Kaliber beliebt, da man es aus Revolvern und Gewehren verfeuern konnte und so nur eine Sorte Patronen mitführen musste. Als die Firma Uberti ihre Kopie gleichen Namens vorlegte, maulte mancher auf VISIER | 6-2012

Authentizität bedachte Schütze: Der Uberti NM No. 3 Frontier kam anfangs in .45 Colt – erstens nicht das „Frontier“Kaliber, zweitens keins der 16 Originalkaliber des NM No. 3 (die Masse kam in .44 S & W Russian). Kaum schob Uberti die .44-40er Version nach, als Märklen zuschlug und sie direkt zum Überarbeiten weiterreichte. Er listete danach auf: ■ “Fallsicherung entfernt. ■ Abzug auf ca. 1100 g eingestellt. ■ Abzugs- und Handwege poliert. ■ Patronenlager gehont. ■ Korn getauscht: brünierbar, 1 mm breiter, hinten schraffiert. ■ Reproduktionsgriffe mit originalgetreuem S & W-Logo montiert. ■ Antikfinish.“ Die erste der Arbeiten sei direkt erklärt: Die Fallsicherung vom Typ „Transfer Bar“ ist eine aus Haftungsgründen erfolgte Dreingabe Ubertis. Sie ist aber nicht originalgetreu und macht den Schlossgang hakeliger. Daher entfernen RevolverTuner dieses Element gern, da es für nur auf dem Schießstand benutzte Waffen überflüssig ist – so auch hier. Zu den Arbeiten am Äußeren: Der originale NM No. 3 besaß Griffschalen aus „hard rubber“. Dieses seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts übliche Hartgummi-Material lässt sich als Kunststoff-Vorläufer beschreiben. Durch kombinierte Gieß- und Pressverfahren ließen sich daraus hergestellte Griffschalen kostengünstig mit Checkering sowie erhaben stehenden Logos aller Art versehen. Heute macht das aber kaum noch einer. Die Italiener statten ihre Nachbauten üblicherweise mit schicken Holzgriffschalen aus – fürs heutige Auge ist das sogar noch schöner als der schnöde

Gummi. Aber der ist eben vorbildgerecht und kam daher drauf. Apropos Originaltreue. Deretwegen fordern viele Westernschützen Neu-Waffen gleich im „Antikfinish“, als ob sie richtig gebraucht seien. Den Look hatte auch dieses Muster – und über das Ergebnis kann man streiten: Einige befragte Schützen fanden das klasse: „Als ob 1000 Meilen Staub ihre Spuren an der Oberfläche hinterlassen hätten. Cool!“ Zumal sich nun auch die ab Werk Holstermordenden, weil messerscharfen Partien unten am Lauf-Kippgelenk spürbar geglättet hatten. Hingegen sahen das Tester Hartmut Mrosek und seine Schützenfreunde so: „Das sogenannte Antikfinish wirkt barbarisch. Da hat doch der Maestro mit viel zu grobem Schmirgelpapier die Brünierung verkratzt. Scheußlich! Wenn schon ‘antik’, dann wäre doch wohl die Brünierung dort, wo ein Holster reibt, behutsam auf ‘durchscheinend’ zu polieren gewesen. Meinetwegen noch ein paar Rostpickel. Aber so?“ Das Ergebnis bleibt eine Geschmacksfrage – was hingegen nicht für den technischen Zustand der Waffe gilt. D i e V e r a r b e i t u n g lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Sie lag auf dem gleichen ausgezeichneten Niveau wie bei den bereits vorgestellten 45er NM No.3-Nachbauten von Uberti und Beretta. So hatte der Kipplauf-Revolver eine stabile, spielfreie Verriegelung. Auch stimmte es mit den Passungen. Der Lauf war innen und außen tadellos. Die gut gearbeitete Trommel lief bei aufgeklappter Waffe glatt, weich und ohne zu eiern. Die Hülsen wurden sicher ausgezogen – nicht ausgeworfen. Dafür ist der Hub des Sterns mit 24 mm bei einer Hülsenlänge 35


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