"Gestalterkrankheiten"

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Trendy Kapitel Titel Eins Gestalterkrankheiten

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gestalter krankheiten —

Das Ali-Baba-Virus

Die En-Vogue-Amöbe

Die Panikzelle

Das Perfektions­bakterium

Der Sprachwurm


Editorial *

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er diagonale Strich? Ein mir letztlich sehr unsympatisches, gestalterisches Mittel. Veranlassung: Jeder Opportunist und Möchtegern-Trendsetter macht ihn. Warum? Getarntes Schulterzucken und überspielte Ignoranz. Darauf vermag keiner eine rationale Antwort zu geben. »Sieht halt geil aus«, denkt sich indes jeder. Einen besseren Beweggrund für den Schrägstrich mitten auf meinem Cover habe ich nebenbei auch nicht vorzuweisen. Nur das Aushängeschild »Zeitstil«. Um diesen Zeitstil voll und ganz auszureizen mache ich noch 18305 weitere Schrägstriche und baue darauf, dass diese für mein weiteres Gestalterleben reichen und mir ab jetzt vollends überdrüssig sind. Andernfalls weiss ich meinen Gebrauch eines Solchen hoffentlich in seiner Existenz zu begründen. Weit verbreitet ist auch eine weitere, vollkommen eigenständige Kategorie von gestalterischer Schlichheit – Prellerei. Ein dreifach Hurra für all diejenigen, die ihre vermeintlich eigenen gestalterischen Lösungen als die ihren proklamieren. Schlimmer noch: Mit Unbescheidenheit und reinem Ethos. Bisweilen selbst, ohne davon Notiz zu nehmen, dass die Idee beschafft ist. Aber inwiefern wahrlich selbst kreativ sein, wenn plagiieren so viel bequemer ist? Wir klauen mühelos bei wem anders. Bei jemandem ›der‘s halt schon geil gemacht hat‹. Dass wir gelernt bzw. vorgetäuscht haben dieses zu versuchen, nämlich konzeptuell zu gestalten, ist dabei Nebensache. Unbedeutend hierbei, ist die Tatsache, dass unsere Arbeit am Ende in der breiten Masse von Dreiecken, farbigem Papier, multiplizierten Fotos und gesteckter Typo untergeht. Anstatt »Editorial« hätte ich im Übrigen auch das Wort »Vorwort« benutzen können. Aber dann käme ich mir ausgeschlossen vor. Ausgeschlossen aus dem Kreise derer, die, so scheint es mir, vergessen haben, dass die deutsche Sprache die ihre ist. Ich möchte ja bitter an das Gute in jedem Gestalter glauben. Deswegen jage ich unentwegt den Kausalitäten für das Handeln eines solchen nach. In der Folge langen Suchens und Ergründens bin ich unweigerlich auf die einzig wahrhafte Antwort gestoßen. Der Gestalter ist arglos. Die Verantwortung für den Frevel liegt woanders. Ich setzte jetzt meine Hornbrille auf und lege los...

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In der Schule konnte ich nie multiplizieren, deshalb mach ich's jetzt!


Gestalterkrankheiten

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Editorial Kapitel Eins



Kapitel Eins

Ali-Baba-Virus —

Das Ali-Baba-Virus (virus alibabus) ist seither eine der niederträchtigsten Gedankenkreaturen, derer schon eruierten. Triebfeder eines Gebrechen unter Gestaltern, welches Auslöser dafür ist, dass ein Individuum unter rigoroser Ideenarmut leidend und infolgedessen darauf angewiesen ist, seine Ideen von einem oder mehrerer anderer Individuen zu entwenden. Seine Bezeichnung disponiert das Virus über die berühmte Geschichte "Ali Baba und die vierzig Räuber", wobei die Zahl 40, im Arabischen vertreten durch den Begriff "viele", folglich für keine präzise Anzahl steht. Gleichermaßen tritt das Ali-Baba-Virus immer nur in größerer Akkumulation in Erscheinung. Zum Zwecke von autarkem Fortbestehen und individueller Nahrungsaufnahme absorbiert das Virus unter simultaner Bildung eines daraus resultierenden Botenstoffs, alle Substanz aus singulären ideenproduzierenden Zellen des menschlichen Gehirns heraus. Besagter Botenstoff wird seitens des Virus in das Gehirn des betroffenen Individuums sekretiert und diffundiert in die Ethoszellen, wo er das Gewissen des Menschen betäubt und lahm legt. Resultat ist, wie schon zuvor aufgeführt, dass betroffenes Individuum, seiner eigenen Ideen beraubt, unwillkürlich und schamlos bei anderen Individuen Ideen klaut.

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Das Ali-Baba-Virus

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Zufall oder Vorsatz? »SEI ANDERS – SEI DU SELBST!«

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as Unverfrorene am Ideenklau ist nicht das Abschauen selbst. Es ist die Frage nach dem wie. Das wie spezifiziert die Art der Tat. Dabei ist die Tat zu diesem Zeitpunkt weder eine schlechte noch eine weniger schlechte. Erst dadurch, dass man sich auf differente Art und Weise fremde Ideen zu eigen machen kann, wird die Tat als schlecht oder weniger schlecht definiert. Hierzu kann man nun die unterschiedlichen Arten bestimmen, auf die etwas entwendet bzw. benutzt werden kann. Man kann eine Idee klauen. Die Tat ist schlecht. Und stumpfsinnig. Man kann eine Idee klauen und sie als seine eigene ausgeben. Die Tat ist schlechter und ebenso stumpfsinnig. Man kann Ideen benutzen und vorher fragen ob man dieses darf. Das ist weder schlecht noch weniger schlecht, auch nicht geistreich, aber höflich. Man kann Ideen klauen und sich dazu bekennen diese geklaut zu haben. Das ist weder schlecht noch weniger schlecht, auch nicht geistreich, aber ehrlich. Man kann sich anderer Ideen bedienen und diese kultivieren. Das ist unwesentlich, folglich nicht schlecht. Man kann Ideen als Anstoß für eigene Ideen benutzen. Das ist nicht schlecht. Es gibt darüberhinaus noch eine Art von kopierter Idee. Unvermeidbar und irrtümlicher Natur – das Plagiat, welches durch den diabolischen Zufall entstanden ist. Diese Art von Kopie, beruhend auf unbeabsichtigter Ähnlichkeit, ist in keinster Weise verwerflich. Infolgedessen auch nicht in die Auflistung mit anzugliedern. Jetzt kommt es darauf an, was für einen Anspruch man an sich selbst hat: Möchte ich eine Arbeit produzieren, die unabhängig von anderen Arbeiten betrachtet gut ist, dagegen in Relation beurteilt und infolgedessen schlecht, weil ich sie kopiert habe? Hinzu kommt die Missbilligung der Anderen. Unter der Vorraussetzung, begangener Betrug ist publik. Oder

möchte ich eine uneingeschränkt gute Arbeit produzieren, die meinem eigenen Ideenreichtum entsprungen ist? Dies hat letzten Endes wohl Anerkennung zur Folge. Die Wahl zwischen einer schlechten Arbeit, die auf diese Anerkennung verzichtet und einer guten Arbeit, die positive Kritik bekommt, fällt denkbar einfach. Deshalb komme ich nicht umhin mich zu fragen – warum werden fortlaufend so viele Ideen reproduziert? Und das auf so unverschämt offensichtliche Weise? Warum sind Gestalter nicht das, was ihnen der Name selbst auferlegt zu sein? – Prädestiniert, ihren Kopf und ihre Hände zu benutzen, etwas eigenes zu schaffen. Dazu fällt mir ein Bild ein. Besser gesagt ein Foto. Es zeigt katzenähnliche Tiere, eingemauert in eine Wand aus Glasbausteinen. "Finden sie zu diesem Bild eine Überschrift und schreiben sie einen passenden Text", hieß es. Was damals heraus kam genügt heute selbstverständlich nicht annähernd meinen Ansprüchen, aber – im wesentlichen Kern passt die implizierte Aussage doch auch zu diesem jetzigen Thema:

"auf eis gelegt. teil eines großen systems, gefangen im gläsernen käfig. Zusehen, wie sich um einen herum alles bewegt und man selbst ist machtlos. Machtlos, die Mauern zu sprengen und selbst etwas auszurichten. schmilz das eis und zeig was du drauf hast. sei anders – sei du selbst!" Wir sind Gestalter. Wir möchten mit unserer Gestaltung eine breite Masse an Menschen erreichen und etwas kommunizieren. Aber wie soll man das nennen, wenn jemand mit den Mitteln eines anderen kommuniziert? Sind es dann noch wir selbst, die ein Zeichen setzen, oder hat das unlängst schon jemand anders getan und wir bedienen uns bloß an diesem Zeichen?


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–e sh at h alt doc hn ich t ge reic ht!

Zufall oder Vorsatz?

Gestalterkrankheiten

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COPY IT, BABY! — Kapitel Eins



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Sw-Fotografie, Idiotenumbruch, durchgestrichene Typo, Text halb im Bild, Pastellfarbe, der diagonale Strich, riesiger Text, Oldschool-Typo, eckige Klammern, Helvetica ... ich kann auch mehr!

Kapitel Zwei

DAS IST TRE ND!

Das ist Trend!

Gestalterkrankheiten

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路 Das Perfektionsbakterium


Gestalterkrankheiten

[ Der Grund des Perfektionismus ]

  Der Grund des Perfektionismus

Kapitel Drei — 31

Kapitel Drei



Kapitel Eins Vier Gestalterkrankheiten

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Sprachwurm —

Im Allgemeinen wird der so genannte Sprachwurm (wur-

mus verbalis) als ursächlicher Faktor eines temporären Ausfalls singulärer muttersprachlicher Wörter verstanden. Infolgedessen versucht betroffenes Individuum dieses Defizit zu regulieren und substituiert das kontemporär entfallene Wort kurzerhand durch ein adäquates Wort, tunlichst aus der englischen Sprache. Lebensraum besagten Sprachwurms ist das Broca-Areal, befindlich im unteren Teil des Frontallappens. Dieses ist Fabrikant von Sprache und autoritativ für das Präzisieren von Wörtern und Konstituieren von Sätzen. Zwecks Selbsterhaltung frisst bekannter Sprachwurm partikuläre Wörter der gespeicherten Muttersprache, ist allerdings nicht prädestiniert, sich sämtliches Wort zu Eigen zu machen, zumal er seinen Impetus primär durch dessen Klang stillt. Die abkömmlichen Buchstaben werden wieder ausgeschieden. Ergo ist in summa ein absoluter Verlust des Wortes unerreichbar – das Individuum kann sich allein periodisch nicht darauf berufen.

Der Sprachwurm

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Ich werd' nie  fertig!!!!!

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ch brauche eine Idee! Eine winzige, beschissene Idee! Wieso fällt mir keine ein? Was, wenn ich keinen Praktikumsplatz finde?? Scheisse, kann das Format überhaupt gedruckt werden?! Kacke, ich hab ja überhaupt noch keinen Drucktermin!! Man, das is doch alles 08/15, die Sachen von den Anderen sind alle viel geiler! Und wenn der Druck kacke aussieht? Wie muss ich denn die Pdf ausschießen? Das schaff' ich nie bis zum Drucktermin! Ist diesmal wirklich alles in cmyk umgewandelt? Oh gott, Übermorgen ist Drucktermin! Die Sachen von den anderen sehen echt alle viel besser aus! Hoffentlich, hoffentlich, hoffentlich, verschneidet sich der Buchbinder nicht!!! Oh No! Rechtschreibfehler! Mitten auf dem Cover! F*ck! Scheisse, scheisse, scheisse! Der Druck ist seitenverkehrt und die Ausstellung heute!!!

Dass ich multiplizieren kann hab' ich jetzt oft genug bewiesen. Ich habe keine Lust mehr auf Farbe!


  Ich werd' nie fertig!

Gestalterkrankheiten

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!!!!!!!! Kapitel Eins FĂźnf


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