VISIT CHEMNITZ (de)

Page 31

SCHLENDERN DURCHS LEBEN

Chemnitzer Empfehlungen von Isabelle Weh und Uwe Dziuballa Streifzüge beginnen mit dem Wunsch nach der ungeplanten Entdeckung. Und manchmal schlummert dieser Wunsch im Aufbruch, in der Suche nach den kleinen Ungewöhnlichkeiten im Dasein. Er ruht auch im kreativen Impuls, vielleicht völlig gegensätzliche Dinge miteinander in Verbindung zu bringen. Wenn man dann so will, ist Chemnitz geradezu prädestiniert, als eine Big-City der gelebten und angewandten Kreativität zu gelten. Selten ist zu finden, dass eine Stadt ein fast unerschöpfliches Reservoir an Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Das ist hier so, weil die Bedingungen und die Ausgangslagen so unterschiedlich in dieser Stadt nebeneinander stehen und oft nicht auf den ersten Blick ins Auge des Betrachters fallen. Gar nicht so viel anders ist es bei der Begegnung von Isabelle Weh mit Chemnitz geschehen. Und man kann nicht unbedingt feststellen, dass es sofort um sie geschehen war. Mit dem Wunsch im Herzen, ein eigenes Theater leiten zu können, geriet ihr, ein Jahrzehnt ist es jetzt her, eine Anzeige vor die Augen, in der das heutige Fritz Theater damals nach neuen Pächtern suchte. Gerade erst in München angekommen fiel ihr denn auch ein weiterer Artikel in der Süddeutschen Zeitung in den Blick, über einen Herrn Uwe Dziuballa, der in der Stadt mit dem Wunschtheater das jüdische Restaurant „Schalom“ schon viele Jahre führte. Man kannte Chemnitz nicht, aber wenn ein solches Restaurant in dieser Stadt zu den bekannten kulinarischen Adressen gehörte, dann könne es da auch mit einem weiteren Theater funktionieren. Man schrieb ihn also an, diesen Herrn Dziuballa und fragte, wie es denn sei, in dieser Stadt und bekam als Antwort, ganz und gar typisch für die Chemnitzer Art, die nicht ausschließlich euphorisch die eigenen Dinge beschreibt, eine in jeweils zehn Punkten ausgewogene Pro- und Kontra-Liste zur Beschreibung der designierten neuen Heimat.

Der Rest ist Geschichte. Es müssen wohl doch die ProArgumente das stärkere Gewicht gehabt haben, denn heute gehört das unabhängige Fritz-Theater zu den etablierten Spielstätten in Chemnitz. Geleitet in erster Instanz von Isabelle Weh, Alicia Weirauch und Hardy Hoosman, hat es seinen Standort in einem überwiegend von Wohnbebauung geprägten Siedlungsgebiet am nordwestlichen Rand der Stadt. Dabei beginnt hier schon die nächste, die Möglichkeitendichte von Chemnitz aber durchaus bezeichnende, ungewöhnliche Geschichte. Denn dass sich ein solches Theater, im Grunde fernab der kulturelle Angebote bietenden City, etablieren konnte, hat viel mit Kreativität, dem Spielwitz und -vermögen des Ensembles, dem über die Jahre stets gewachsenen Freundeskreis, mit Ausdauer und immer wieder neu erkämpftem Mut zu tun. Denn die Spielstätte befindet sich im ehemaligen Kulturhaus und Kino der früheren Wismut AG. Weiß man heute um das Leben in diesem Haus mit seinen 250 Plätzen, dann leuchtet es wie ein durch eigene Kraft glänzender Solitär nicht nur in diesem eher ruhigen Wohngebiet, sondern auch in der ebenfalls sehr beachtlichen Chemnitzer Kulturlandschaft. Dabei war der Start, wie Isabelle Weh es beschreibt, absolut heftig. „Aber,“ so Weh, „man hat gemerkt, dass es stetig bergauf geht, dass immer mehr Zuspruch kam.“ Man habe eine Hilfsbereitschaft gespürt, die man zum Beispiel in München nicht so erlebt hätte. So viele Menschen hätten Unterstützung nicht nur zugesagt, sondern dazu beigetragen, dass es immer weiter ging und das ohne, wie Isabelle Weh es ausdrückt, gleich die Hand aufzuhalten. „Man hat das Projekt kaum ausgesprochen, schon standen fünf Leute da und hätten gesagt, ja, komm, ok, machen wir´“, beschreibt Weh die Anfangsjahre. Das Repertoire des Theaters bietet nicht erst seit heute unter anderem bekannte Krimi-Klassiker, frech-frische Komödien und viel gelobtes und hochprofessionelles, wie Uwe Dziuballa es bezeichnet, Kinder-Theater. Den Charakter, die Art dieses Hauses, diese Herzlichkeit finde man andernorts nicht ohne Weiteres, schwärmt Dziuballa. Liest man gelegentlich Rezensionen zu den Stücken dieser Bühne, kann man, schon vor einem Besuch, die herrlich fröhliche Leichtigkeit der Inszenierungen spüren, die sich später auch bei einem Besuch erleben lässt. Man erfährt den Wunsch dieser Theatermacher, in perfektionistischer Lebendigkeit Schauspielerlebnisse zu schaffen. Solche, die nicht nur in die Stadt wirken wollen, sondern den Besuchern Aha-Erlebnisse, charmante Erkenntnisse und Begegnungen und einen Abend, vollgepackt mit der Lust auf Theater, bieten können.

UNTERWEGS

30


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.