Das Mädchen auf dem Ei
Von der Ordnung der Welt
2023 • VdOdW
»Jeder fasst eine Beleidigung oder eine Wohltat auf seine eigene Weise auf; und vielleicht haben wir darüber in zwei Augenblicken unseres Lebens nicht dasselbe Urteil.«
Alle Gestalten dieses Buches leben oder haben gelebt.
Aus dem ersten Band Von der Ordnung der Welt mit dem Titel »Der Mann mit den Müllsäcken« ergab sich die Erkenntnis, dass das Sein das Werden des Ganzen ist – und gleichzeitig doch nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Mit dieser hegelschen Dialektik im Rücken begeben sich die Diskutanten Noem und Myop, abermals inspiriert vom französischen Aufklärer Denis Diderot, auf eine Reise durch die Philosophiegeschichte. Sie führt sie trotz oder wegen aller Umwege ebenso in ein europäisches Mittelalter, in dem die Wissenschaft ihren verzweifelten Kampf gegen den Glauben führte, wie in eine außereuropäische Welt, die jenen industrialisierten und militarisierten Weltgegenden, die sich stolz »Europa» nennen, in den wesentlichen Fragen bis heute überlegen ist.
Es sind die Übergänge, die als Lokomotiven der Geschichte wirken – die der Stofflichkeit einerseits wie auch jene der sozialen Haltungen und damit der gesellschaftlichen Formierungen andererseits. Diese Übergänge sind gleichsam Mahlsteine der Geschichte, die Neuem Raum geben und, wie Myops und Noems Lieblingsphilosoph wusste, »durch Erziehung und
6 Prolog
steten Umgang mit der Gesellschaft ihre Prägung einbüßen, wie Geldstücke durch den Umlauf«. So geschieht es auch den beiden Protagonisten, deren Ecken und Kanten sich allerdings weniger durch ihr für diesen Band gewähltes Diderot-Thema »Nichts wird so gesagt, dass es verstanden würde, wie man es gesagt hat« abschleifen als man es bei meinungsstarken Rheinländern vermuten könnte. Denn die Kommunikation ist es nicht, die ihnen zu schaffen macht; zur Not redet man eben gleichzeitig.
Vielmehr sind es die Tücken der Emotion, die dieses Mal einen Strich durch eine Idealismus / Materialismus-Rechnung machen, welche bei dialektisch denkenden Menschen ohnehin kaum auf eine Gleichung hinauslaufen kann. Aber es ist bei aller Neigung zum anderen Geschlecht nicht die Emotion, die die beiden heiteren Herren auch darüber nachdenken lässt, warum die Geschichte den Philosophinnen so wenig Raum ließ – es ist ihr Gerechtigkeitssinn.
Und scheinbar beiläufig geht es für die Menschheit auch im 21. Jahrhundert wieder um alles; abermals deutet viel darauf hin, dass nicht genügend Menschen zusammenkommen, um denen die Hände zerschlagen, die in aller Öffentlichkeit neue Kriege vorbereiten. So sind es die vier kantischen Fragen, die Noem und Myop nicht loslassen, wenn sie Von der Ordnung der Welt sprechen: Was kann ich wissen? Was darf ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Keine davon ist zu groß, um unterschlagen zu werden.
In Zweifelsfällen entscheidet die Wahrheit.
7
Katalog
Kategorien | Modalitäten des Seins | Seiendes 19
Platonische Dialoge | Knecht / Herr-Dialektik 20
E-Bücher 22
Erkenntnisneutralität 23
Freiheit als Abgrenzung 24
Konservative Philosophen 25
Philosophie ∞ Wissenschaft | Arbeitsteilung 27
Kirche ∞ Staat | Staatsleistungen 28
Diskriminierung des Atheismus 29
Mythen 30
Ontologie | Erkenntnisprozess 31
Bestimmte Negation | Willmut 32
Doppelcharakter der Philosophie | Egoismus 33
Selbstbewusstsein ≠ Selbstvertrauen 34
Nichtakademische Philosophen 35
Mehrheitsphilosophie 36
Überschreiben | Philosophie mögen 37
Rückbezug | Euphorie 38
Vernebelung | Bewusstseinsveränderung 39
Rückendeckung 40
Bewusstsein von sich selbst | Zweckrationalität 41
Kulturelle Hegemonie | Politische Aktivität 42
Sozialer Mord 43
Querdenkende ∞ Mitdenkende 44
Sein prägt Bewusstsein | Konkurrenzmodell 45
Individualismus ∞ Desintegration | Auslese 46
8
Schwelle zum Faschismus 47
Ziel- und Orientierungslosigkeit | Sozialistische Redukte 48
Gewerkschaften 49
Bündnispartner | Zivilgesellschaft ∞ Postmoderne 50
Systemunabhängigkeit |
Zivilgesellschaft ≠ Herrschaftsfreiheit 51
Privater Ressourcenzugriff 52
Ressourcenverschwendung 53
Reichtumsbericht | Aneignung gesellschaftlicher Arbeit 54
Klasse an sich ≠ Klasse für sich 56
Sozialismus oder Barbarei | Konstruktivismus 57
Glück | Fridays for Future | Dritter Weg 58
Frackinggas 59
Realpolitik 60
Genremissverständnis | Aktivitäten am Nagel | Placebos 61
Rationalismus∞Irrationalismus | DDR als Gegenmodell 62
Genossenschaften 63
Überführung in den Sozialismus | Gewissheiten 64
Glaskorrosion 65
Liebe als Hauptsache | Alles fließt 67
Wesenhaftigkeit | Materie ∞ Geist 68
Gelschicht 69
Glasgemisch | Sanktionen | Wahrheitsmonopol 70
Abwesenheit einer kausalen Erklärung 71
Stabilität | Materialabrieb 72
Begriffswandlungen 73
Materielle ∞ ideelle Struktur | Aggregatzustand 74
Allegorie | Sedimentation 75
Gesetzmäßigkeit ≠ Gewissheit 76
Schwerkraft | Wirklichkeit = Realität im Prozess |
Schein ∞ Sein 77
9
Nichtseiendes | Sophismus | Nichts 78
Einheit in der Vielfalt 79
Sein als Werden des Ganzen | Logos | Logozentrismus ∞ Biozentrismus 80
Vorurteil | Bilder von der Mondlandung 81
Framing 82
Müllsäcke ohne Müll 83
Dekontextualisierung | Subjektive Lüge 84
Gemälde als Lüge | Unwahrheit 86
Sich mitteilen | Philosophie und Naturwissenschaften 88
Enzyklopädie 89
Magd der Theologie | Unendlicher Wechsel 90
Ordnung der Welt 91
Feinfühligkeit | Übergänge 92
Dasein ∞ Leben und Tod 93
Geradlinigkeit der Geschichte | Altes im Neuen 94
Überdruss des Alten 95
Philophobie 96
Hegemonie 97
Schmelzpunkt ∞ Schmelzbereich | Kulmination 98
Revolution 99
Vereinheitlichung | Formierung | Eutektikum 100
Reformismus | Prozesshaftigkeit 101
Einstecken können 102
Dem Menschen ein Wolf sein 103
Bindeglied Philosophie 104
Metallisches Glas | Kontinuität ∞ Diskontinuität 105
Nichtvorstellbarkeit | Einheit von Denken und Sein 106
Einheit von Theorie und Praxis 107
Dem Herz gehorchen | Urknall 108
Zeit ≠ Ewigkeit | Weltuntergang 109
Erkennbarkeit der Welt | Übergang in China 110
10
Kathedralenbau 111
Dauerbeschäftigung | Taubheit ∞ Blindheit 112
Depressionen 113
Alleinsein≠Einsamkeit | Dauerüberwachung 114
Flucht | Innere Unruhe 115
Mythos Social Media | Ständige Erreichbarkeit 116
Voluntarismus | Gütertausch 117
Mehrwert | Innerer Wert 118
Geldwesen = Geldmythos 119
Geld als Tauschmittel 120
Bargeldlosigkeit | Totalüberwachung 121
Bedingungsloses Grundeinkommen | Ellbogenprinzip 122
Entwertung 123
Rückschritt BGE | Klassenbewusstsein |
Hauptwiderspruch 124
Formelwissen | Universalgelehrte 125
Nichtkommunistische Linke 126
Kampfbegriffe Kultur und Freiheit 127
Aufklärung ∞ Kolonialismus 128
Weltdenken ∞ Menschheitsbegriff | Antideutsche 129
Antimarxismus 130
Zeitenwende | Welt ∞ Frieden 131
Menschheitsstandpunkt | Barbaren 132
Gemeinsamkeit der Völker 133
Internationale Ordnung | Weltbürgerrecht |
Menschsein ∞ Menschenrechte 134
Sklaverei 135
Tierrechte 136
Natürliche Menschenrechte 137
Friedensengagement 138
Homo oeconomicus | Cyborgs 139
Objektive kapitalistische Dynamik | Ware Körper |
Klone 140
11
Unsterblichkeit | Transplantation |
Lebensverlängerung 141
Soziale Lebenserwartung 142
Hoffen müssen | Leben nach Gebärfähigkeit 143
Tierorganisierung | Sterbehilfe | Todessehnsucht 144
Rückgängig machen | Wikipedia | Cui bono? 146
Digitalisierung 147
Weber des 21. Jahrhunderts | Fax 148
Lemminge | Sozialer Anschluss 149
Soziale ∞ Körperliche Schäden 150
Amoklauf | Bauhaus 151
Funktionalität | Typisierung 152
Einheit von Inhalt und Form 153
Volksbedarf statt Luxusbedarf | Vier Fragen Kants 154
Mensch ≠ Tier | Hoffnung 155
Untergang bedauern | Teilchenbeschleuniger 156
Schwarzes Loch 157
Verschwinden von Materie 159
Vor und nach der Ewigkeit | Dilemma | Kontingenz 160
Angst vor dem Tod 161
Gedächtnis – Vernunft – Einbildungskraft 162
Plagiat | geistiges Eigentum 163
Moral ≠ Ethik 164
Deontologie | Gefühlsregungen ∞ Affekte 165
Antagonismus | Irrationales ∞ Hingabe | Stimme und Stimmung 167
Affektiertheit 168
Blitz(ableiter) 169
Allmächtiger 170
Pascals Wette | Atheist Bus Campaign | Utilitarismus 171
Gottesbeweis | Ontologischer Beweis 173
Intoleranz 174
12
Fanatismus 175
Christentum ∞ Islam ∞ Judentum 176
Arabische Philosophie | In der Materie angelegte
Entwicklung 177
Philosophische Religion 178
Philosoph als Freund 179
Faulheit ∞ Langeweile 181
Philophilie | Vernunft ∞ Leidenschaft 182
Sakrileg | Unterbewusstsein 183
Zukunft und Vergangenheit | Inwertsetzung als Subjekt 184
Solidarität im Seitenblick | Gestern ∞ Heute | Längerer Tisch 186
Mehrheitenprojekt Sozialismus | Wahrheit anbieten 187
Jakobiner | Er-innern 188
Fehler | Erfahrungsbasierte Entscheidungen 189
Verkürztes Geschichtsverständnis 190
Ergebnis des Zweiten Weltkriegs 191
Politische Philosophie | Kritik der Urteilskraft 192
Ästhetik 193
Interesseloses Wohlgefallen | Erfahrung ∞ Freiheit ∞ Vernunft 194
Ästhetische ∞ Intellektuelle Anschauung |
Allgemeinverbindlichkeit von Urteilen 195
Beziehungen aus Vielfältigkeit 196
Monopole auflösen 197
Antikommunismus | KP an der Macht 198
Opportunismus | Konterrevolution 199
Französische Revolution | Restauration |
Guter Diktator 200
Spanisch-Amerika 201
Souveränität ∞ Einheit 202
13
Demokratie und Menschenrechte | Einmischung 203
Insel im Land | Verschuldung 204
Prokoloniale Opposition 205
Welterkenntnis ∞ Weltveränderung | Arbeitskräfte- und Rohstoffraub 206
Fuß im Nacken | Resignation 208
Beste Regierungsform 209
US-Kriege | Echte Demokratie 210
Notwendige Entscheidungen ∞ demokratische Rechte | Logikabstinenz ∞ Übermoralisierung 211
Freund des Schwachen | Beste aller Welten |
Prästabilierung 213
π 214
Unbedingtes Wissen | Absolutum | Sichselbstwerden 216
Missbrauch der Religion 218
Unbedingte Unfassbarkeit | Nichtfassbare Wesenheit 219
Ordnung ∞ Systematisierung 220
Tugenden | Philosophisches Rollback 221
Haupt- und Nebenwiderspruch | Philosophinnen 222
Agnosie | Agnostizismus 223
Hexen | Pay Gap 224
Frauenanteil im Parlament 225
Freiheitsrevolution 1848/49 |
Vernunft gebietet Freiheit 226
Zeitgeistphilosophie 227
Neoliberale Variante des Kapitalismus 228
Bachelor-Philosophen | Wirtschaftsphilosophie 229
Religion | Eigentumsfrage 230
Liebe ≠ Besitzgier 231
Biolumineszenz | Aporie = Ausweglosigkeit 232
Leidenschaft | Einheit der Gegensätze |
Determinismus ∞ Willensfreiheit 234
14
Willensfreiheit ≠ Zufall | Zufall ∞ Notwendigkeit 235
Polarität und Kausalität 236
Materialismus ∞ Naturwissenschaftliche Gesetze 237
Nicht belegbare Hypothese 238
Aporetiker | Weglosigkeit 239
Literaturpolitik | Erreichtes verteidigen 240
Mauer 241
Tat und Fehlurteil | Auseinanderdriften 242
Solidarität der Unterdrückten | Stoiker 243
Schicksal annehmen | Apathie | Menschenliebe 244
Beziehung ≠ Partnerschaft 245
Zauber 246
Abspann 247
Literatur ist Weitersagen | Namen tilgen 248
Schemel und Tribünen 249
Zauberberg | Ei auf dem Nachttisch 250
15
Auf dem Tisch steht zwischen mehreren Utensilien ein Gefäß mit einem ausgeblasenen Ei. Auf dem Ei ist eine Zeichnung angebracht. Sie zeigt eine vornehme, schöne Frau. Die Darstellung mutet mittelalterlich an. Myop und Noem reden, so wie sie es schon oft getan haben – meist ein bisschen kreuz und quer, selten stringent, oft gleichzeitig, aber immer zielführend. Gern baumeln ihre Beine in philosophischen Gewässern. Noem zeigt auf das Ei.
16
Prälog
17
M yop : Ja, und? Was willst du hören?
N oe M : Hoppla, so unwirsch? Ich habe doch nur wissen wollen, wer das ist. Hübsch ist sie.
M yop : Das ist es ja gerade. Beziehungsweise nicht nur das.
N oe M : Geht es heute nicht gut? Irgendetwas mit dem Herzen?
M yop : Dann doch eher auf dem Herzen. Fühlt sich jedenfalls so an.
N oe M : Oje … Eigentlich haben wir heute doch etwas zu feiern! Einen Verlag gefunden, der unser Gespräch über das Foto von dem Mann mit den Müllsäcken veröffentlicht hat; viele Leserinnen und Leser, die meisten ganz angetan von uns, demnach auch von dir; und jetzt kann sogar jedes Gespräch zwischen uns zur Vorlage werden! Auf dass wir uns möglichst zwanglos noch einmal ein paar Stunden unterhalten. Mit der Option auf einen zweiten Band also … Das ist doch kaum zu glauben! Willst du dich nicht freuen?
M yop : Na ja, aber wen mögen, wenn nicht uns? Nein, du hast schon recht – das ist klasse! Es ist toll, so ein Buch in der Hand zu halten. Und man muss ja einmal sagen: Wir haben ein Buch gemacht, ohne eine Zeile zu schreiben. Das ist Schriftstellertum leicht gemacht!
18 Dialog
N oe M : Eben deshalb können wir ja stolz sein, aber Schriftsteller sind wir nicht mehr als Philosophen. Schriftsteller ist übrigens der, dem das Schreiben schwerfällt.
M yop : Wie das? Da denke ich doch das Gegenteil!
N oe M : Das hat mit dem Abwägen von Worten zu tun. Weltliteratur plumpst nicht einfach aus der Feder oder der Tastatur. Der kluge Satz ist von Thomas Mann 1 .
M yop : O ja, wie hieß noch das sensationelle Buch mit dem Hans Castorp? Ach, darauf komme ich jetzt nicht. Was für ein Werk … Jedenfalls, unser Buch ist ja auch wirklich so geworden, wie wir es wollten: Hardcover, Leinen, Lesebändchen. Das hat der Verleger richtig gut gemacht. Nur die Sache mit dem E-Book … Aber das hat er ja damals bereits kategorisch festgelegt.
N oe M : Kategorisch, ja … Erinnerst du dich noch an die Kategorien ? Die Kategorien hat Aristoteles 2 festgelegt, das waren seine verschiedenen Möglichkeiten, die Logik und das Seiende auszudrücken. Ursprünglich meint Kategorie im Griechischen die Verbindung aus kata- und agoreúein, das meint in etwa »hinab auf den Marktplatz«; nämlich, um dort eine Rede zu halten. Du erinnerst dich ja sicher noch daran, dass wir kürzlich die später definierten Kategorien als Modalitäten des Seins bezeichnet haben. Und daran siehst du wiederum …
M yop : Langsam, mir platzt jetzt schon der Kopf!
N oe M : … dass es der Begriff der Kategorie mit Aristoteles' Denken von einer Art zu sprechen zu einer Art des Seins gebracht hat. Indem nämlich Urteile über das Seiende, wie er es nannte, abgegeben werden.
19 Kategorien | Modalitäten des Seins | Seiendes 1 1875 – 1955
2 384 –322
M yop : Ich gratuliere.
N oe M : Aristoteles führte zehn Kategorien ein, von denen sich am Ende auch bei ihm selbst nur vier als sinnvolle Unterscheidungen durchgesetzt haben: Das sind …
M yop : Ich höre, Meister …
N oe M : Es sind dies Qualität, Quantität, Beziehung –also Verhältnis – und als wichtigste Kategorie die Substanz … Hör' zu, wenn du hier jetzt nur noch Frust schieben willst, dann wird das, was wir gerade fabulieren, gewiss kein zweiter Band. Zumindest nicht in Dialogform. Dann mache ich das allein, als Monolog.
M yop : Mach mal; du kriegst das schon hin. Alle anderen Bücher sind doch auch Monologe. Nichts Besonderes also.
N oe M : Gerade das unterscheidet uns ja. Hat Diderot 3 mit »Jacques« in den 1770ern gemacht, hat Brecht 4 1950 mit »Puntila und Matti« gemacht oder auch Volker Braun 5 1985 im »Hinze-Kunze-Roman« – und jetzt wir.
M yop : Genau, immer ein Depp und ein Könner. Auf meine Kosten das Prinzip Platons 6, der seine Dialoge mit meist längst Verstorbenen eben so aufgebaut hat, dass man dadurch das Thema am Ende doch begriff, dass einer blöd nachfragt. Ach, was rede ich groß. Du weißt eh' alles.
N oe M : Richtig daran ist, dass es gut ist, wenn nachgefragt wird. Nicht richtig ist, dass du der Depp bist. Bei Brecht, Diderot und Braun sind die Knechte Matti und Jacques beziehungsweise der Fahrer Hinze – die DDR kannte keine Knechte, aber selbsternannte Wichtige wie auch schicksalsergebene Unwichtige.
3 1713 – 1784
4 1898 – 1956
5 geboren 1939
6 etwa 427 – 348
20
Platonische Dialoge | Knecht / Herr-Dialektik
Jedenfalls, bei allen diesen Werken sind sie doch unbestreitbar jeweils der sympathischere Part gewesen. Und zwar genau auch deshalb, weil der »Unwichtige« zeigte, dass der Herr ohne ihn nicht viel taugte. Soweit ich gehört habe, hast gerade du dank dieser Dialektik bei unserer Zuhörerschaft die besseren Noten bekommen.
M yop : Bei den Frauen auch? Wir wissen von Tennessee Williams 7, dass sie angeblich die Verlierer lieben – sie aber dann mit den Siegern betrügen. Gerade fühlt sich das bei mir nicht so nach Geliebtwerden an. Außerdem schaffst du es, nach kaum einer Minute schon von Dialektik zu reden. Hast du eigentlich sonst keine Freunde?
N oe M : Bei unseren Lesungen hast du viel Sympathie geerntet. Aber ich sage dir etwas. Im Roman von Volker Braun meint Kunze, der Herr, zu Hinze, seinem Fahrer, dass »wir schlecht mit den Frauen umgehen«.
M yop : Ich hab's gelesen. Hinze antwortet für mich: »Wir sollten sie besser umgehen.«
N oe M : Genau! Ist doch schön. Oder? Dieser kleine Einwurf meinerseits sollte dir eigentlich zu etwas Freude Anlass geben. Vielleicht beschäftigst du dich irgendwann einmal mit Demokrit 8, dem fröhlichen vorsokratischen Philosophen. Er pflegte die Seele durch Betrachtung des Inhalts der Dinge – was offenbar besser ist, als deren Erscheinung in den Vordergrund zu stellen. Ich fand Hinzes Antwort jedenfalls witzig.
M yop : Ist schon gut. Jetzt kann's losgehen, das davor wird geschnitten. Band 2 beginnt hier. Es geht nicht um meinen Nachttisch, sondern du startest mit deiner
8 etwa 460 - etwa 370
21 7
– 1983
1911
Philosophiestunde. Hast du dieses Mal gar kein Foto dabei?
N oe M : Nein.
M yop : So. Was ist also das Thema heute?
N oe M : Denis Diderot legte Jacques die feinsinnige Bemerkung in den Mund, wonach es noch etwas Schlimmeres gebe als dass »in dieser Welt fast nichts gesagt wird, das so verstanden wird, wie man es sagt«. Nämlich, dass »man fast nichts tut, das so beurteilt wird, wie man es getan hat«.
M yop : Du zitierst Seite 249 des ersten Bandes. Und danach sagtest du: »Der Widerspruch von Wort und Tat« oder etwas Derartiges. Und etwas von Urteil oder so. Ich erinnere mich, du zitierst dich perfekt. Wie machst du das?
N oe M : Es war die »Kritik der Urteilskraft« 9, von der ich redete. Außerdem lese ich uns hin und wieder, seit das Buch erschienen ist.
M yop : Im Ernst jetzt?
N oe M : Soll ich mir alles merken können, was ich so rede? Also, deine Kritik am E-Book. Wie du sagtest: Wir haben einen festen Einband bekommen, es greift sich gut, es gibt das gewünschte Lesebändchen, ein liebevoll gemachtes Werk. Dich stört, dass es zusätzlich ein Buch gibt, das auch Menschen studieren können, die nicht mehr zum Papierberg beitragen wollen?
M yop : Moment: Wenn es etwas gibt, was die Menschheit richtig gemacht hat, dann doch wohl den Buchdruck. Die Verbreitung der Ideen wurde möglich, auch ohne verfälschende oder wenigstens subjektiv gefärbte, mündliche Weitergabe der Gedanken
22 9 1790 erschienen
E-Bücher
der Schreibenden. Und du willst doch nicht etwa sagen, dass dieser ganze Elektrokram der Umwelt mehr dient als ein gedrucktes Buch? Jetzt auch noch zum Bücherlesen Energie verbrauchen …
N oe M : Ja, meins ist es auch nicht, aber ein alter Freund wollte es mit auf eine zehnwöchige Motorrad-Ostseeumrundung nehmen.
Hier endet die Lesepreobe.
M yop : Ich erinnere mich … Er hat es dann aber doch als Papierbuch gekauft! Vielleicht hat der Verleger ja seinen Willen durchgesetzt und inzwischen auch schon einige Elektrobücher verkauft.
»Das Mädchen auf dem Ei« von Günter Pohl können Sie zum Preis von 24,– € (D) per E-Mail und auf Rechnung beziehen:
N oe M : Wer weiß. Aber so sehr du auch ablenkst –irgendwann wirst du schon auf das Mädchen auf dem Ei zurückkommen. Aber falls das gerade nicht geht, komme ich deinem Seelchen jetzt mal entgegen und nutze die Zeit, mit dir über die Philosophie, wie sie heute betrieben wird, zu sprechen. Als Einstieg für uns jetzt.
vdodw@yahoo.com
Wir springen jetzt an das Ende des Buches …
M yop : Also mal nicht aus der Geschichte heraus, sondern aktuell?
N oe M : Es geht natürlich nie ohne »aus der Geschichte heraus«, wie du weißt. Philosophie baut bekanntlich auf Erkenntnissen auf, die wir – in Europa – zunächst von den Griechen bekamen und die sich fortlaufend weiterentwickelten. Also, ich sehe bei den meisten heutigen Philosophen – männlich wie weiblich –eine Tendenz der erkenntnisneutralen Weltbeschauung, die sich auffallend gleichgerichtet auch in der Gesellschaft verbreitet. Und die Frage ist für uns, ob diese Sorte Philosophen Abbild dieser Gesellschaft ist oder – was ihnen gewiss besser gefallen würde – ob sie die Avantgarde des heutigen Denkens sind.
23 Erkenntnisneutralität
NOMOLog
Abaelard 55, 56, 67, 68, 79, 107, 108, 223
Achilles 105
Adorno 57, 58, 126, 128, 130
Aischylos 188
Albertus Magnus 68
d'Alembert 66
Amor 38, 233
Anneke, Fritz 225
Anneke, Mathilde 225, 226
Anselm von
Canterbury 173, 219, 250
Arendt 222
Aristoteles 19, 20, 31, 46, 177, 178, 229
Armstrong 82
Arouet (Voltaire) 214
Augustinus 70, 183, 250
Bacon 96, 137
Berlin 135
Bernstein 64, 98, 101
Boethius 26
Bolívar 201
Braun 20, 147, 240, 247
Brecht 20, 41, 73, 107, 144, 147, 187
de la Bruyère 91
Castro 190
Churchill 36
Cook 133
Cusanus 234
Danton 189
Degenhardt 40
Demokrit 21
Descartes 137
Diderot 6, 7, 20, 22, 24, 41, 55, 69, 79, 80, 85, 86, 89, 93, 134, 138, 147, 158, 162, 163, 164, 168, 176, 179, 180, 182, 183, 188, 193, 195, 196, 209, 216, 217, 218, 219, 242, 247, 248
Duck 181
Einstein 72
Engels 45, 46, 52, 79, 89
Fichte 40, 195, 249
Foucault 57, 129
Franklin 170, 172
Freud 183, 249
252
Frisch 221
Gagarin 82
Galilei 215
Gandhi 54
Gorbatschow 199
Gramsci 51
Gropius 151, 152, 153, 154
Guevara 117
Habeck 59, 213
Habermas 25, 39, 51, 130
Haug 222
Hegel 6, 25, 40, 79, 115, 147, 192, 195, 212, 216, 219, 234, 247
Heine 171
Heinen 19, 87
Heloise 55, 107, 108, 169, 222, 223
Heraklit 78, 79, 80, 81, 233
Herder 135, 137
Hobbes 103, 137, 238
Horkheimer 57, 126, 128, 130
Hörz, Helga 33, 35, 222
Hörz, Herbert 30, 33, 35, 222
Huxley 122
Jaspers 127
Joubert 65, 73
Kant, Immanuel 7, 129, 133, 134, 135, 137, 154, 155, 161, 192, 193, 194, 196, 221, 223, 246, 247
Kant, Hermann 235, 236, 247, 248
Kepler 215
Kierkegaard 39
Köster 246
Kolumbus 185
Konfuzius 125
Kraus 84
Leibniz 138, 213, 214, 215
Lessing 176, 177
Lichtenberg 66, 172
Liebermann 71
Locke 137, 238
van Loo 85, 86
Louverture 201
Lucretius 90, 221, 243
Luxemburg 57
Maimonides 178
Mann 19, 250
Mao 101, 102
Marcus Aurelius 244
Marcuse 127
Marie-Antoinette 188, 189
Martí 202
Marx 45, 46, 52, 64, 79, 102, 226, 229
Merkel 131
Meyer, Hannes 153, 154
253
Meyer, Hans 154
Mies van der Rohe 151, 153
de Montaigne 93
Musk 53
Myop 6, 76, 157
Napoleon 28, 65, 200
Newton 77, 107
Noem 6, 71, 157
Noske 59, 213
Nyerere 208
Parmenides 78, 80, 81, 105, 106
Pascal 171
Platon 20, 77, 78, 117, 208
Putin 131
Raynal 134
Roa 169, 204
Rodríguez de Francia 201, 203
Rousseau 24, 55, 135, 188
Ibn Ruschd 177, 178
Russell 127
Sartre 229
Schelling 195
Schiller 194, 213
Ibn Sina 177, 178
Sloterdijk 39
Sokrates 220
Spinoza 137, 138, 166, 182, 234, 238
Thomas von Aquin 67, 68, 173, 219, 220
Trump 209
Tucholsky 67, 71
Victor 231
Voltaire 135, 214
Williams 21
Zenon von Kition 90, 243
Zweig 104, 144
254