Leseprobe: Das Mädchen auf dem Ei

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Günter Pohl Das Mädchen auf dem Ei

Ord Welt

geboren 1965 erwartbar und richtigerweise am Niederrhein, nahm nur einen Umweg zu seinem Beruf im gestalterischen und restaurierenden Glashandwerk, den er seit mehr als dreißig Jahren ausübt. Er lernte und spürte, dass eine Einheit von »Hand und Hirn und Herz« auch ihm sinngebend sein würde. So sind in den vergangenen Jahrzehnten neben vielen Glasmalereien auch annähernd tausend Zeitungsartikel und -kommentare zu Aktualität und Geschichte in Lateinamerika und Europa entstanden, in denen er sich dergestalt mit dem Zeitgeschehen auseinandersetzt, dass für ihn der einfache Vergleich zur wirkungsvollsten journalistischen Waffe wurde. In seinen Veranstaltungen zu internationalen Themen begibt er sich im Dialog mit kritisch gesinnter Zuhörerschaft in Richtung weiterführender Erkenntnisse. Die Idee, dass Philosophie ohne solchen Dialog weder aus- noch vorwärtskommt, brachte ihn dazu, »Der Mann mit den Müllsäcken« und »Das Mädchen auf dem Ei« als die beiden ersten Bände »Von der Ordnung der Welt« zu schreiben.

Das Mädchen auf dem Ei

Von der Ordnung der Welt

2023 • VdOdW

»Jeder fasst eine Beleidigung oder eine Wohltat auf seine eigene Weise auf; und vielleicht haben wir darüber in zwei Augenblicken unseres Lebens nicht dasselbe Urteil.«

Alle Gestalten dieses Buches leben oder haben gelebt.

Aus dem ersten Band Von der Ordnung der Welt mit dem Titel »Der Mann mit den Müllsäcken« ergab sich die Erkenntnis, dass das Sein das Werden des Ganzen ist – und gleichzeitig doch nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Mit dieser hegelschen Dialektik im Rücken begeben sich die Diskutanten Noem und Myop, abermals inspiriert vom französischen Aufklärer Denis Diderot, auf eine Reise durch die Philosophiegeschichte. Sie führt sie trotz oder wegen aller Umwege ebenso in ein europäisches Mittelalter, in dem die Wissenschaft ihren verzweifelten Kampf gegen den Glauben führte, wie in eine außereuropäische Welt, die jenen industrialisierten und militarisierten Weltgegenden, die sich stolz »Europa» nennen, in den wesentlichen Fragen bis heute überlegen ist.

Es sind die Übergänge, die als Lokomotiven der Geschichte wirken – die der Stofflichkeit einerseits wie auch jene der sozialen Haltungen und damit der gesellschaftlichen Formierungen andererseits. Diese Übergänge sind gleichsam Mahlsteine der Geschichte, die Neuem Raum geben und, wie Myops und Noems Lieblingsphilosoph wusste, »durch Erziehung und

6 Prolog

steten Umgang mit der Gesellschaft ihre Prägung einbüßen, wie Geldstücke durch den Umlauf«. So geschieht es auch den beiden Protagonisten, deren Ecken und Kanten sich allerdings weniger durch ihr für diesen Band gewähltes Diderot-Thema »Nichts wird so gesagt, dass es verstanden würde, wie man es gesagt hat« abschleifen als man es bei meinungsstarken Rheinländern vermuten könnte. Denn die Kommunikation ist es nicht, die ihnen zu schaffen macht; zur Not redet man eben gleichzeitig.

Vielmehr sind es die Tücken der Emotion, die dieses Mal einen Strich durch eine Idealismus / Materialismus-Rechnung machen, welche bei dialektisch denkenden Menschen ohnehin kaum auf eine Gleichung hinauslaufen kann. Aber es ist bei aller Neigung zum anderen Geschlecht nicht die Emotion, die die beiden heiteren Herren auch darüber nachdenken lässt, warum die Geschichte den Philosophinnen so wenig Raum ließ – es ist ihr Gerechtigkeitssinn.

Und scheinbar beiläufig geht es für die Menschheit auch im 21. Jahrhundert wieder um alles; abermals deutet viel darauf hin, dass nicht genügend Menschen zusammenkommen, um denen die Hände zerschlagen, die in aller Öffentlichkeit neue Kriege vorbereiten. So sind es die vier kantischen Fragen, die Noem und Myop nicht loslassen, wenn sie Von der Ordnung der Welt sprechen: Was kann ich wissen? Was darf ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Keine davon ist zu groß, um unterschlagen zu werden.

In Zweifelsfällen entscheidet die Wahrheit.

7

Katalog

Kategorien | Modalitäten des Seins | Seiendes 19

Platonische Dialoge | Knecht / Herr-Dialektik 20

E-Bücher 22

Erkenntnisneutralität 23

Freiheit als Abgrenzung 24

Konservative Philosophen 25

Philosophie ∞ Wissenschaft | Arbeitsteilung 27

Kirche ∞ Staat | Staatsleistungen 28

Diskriminierung des Atheismus 29

Mythen 30

Ontologie | Erkenntnisprozess 31

Bestimmte Negation | Willmut 32

Doppelcharakter der Philosophie | Egoismus 33

Selbstbewusstsein ≠ Selbstvertrauen 34

Nichtakademische Philosophen 35

Mehrheitsphilosophie 36

Überschreiben | Philosophie mögen 37

Rückbezug | Euphorie 38

Vernebelung | Bewusstseinsveränderung 39

Rückendeckung 40

Bewusstsein von sich selbst | Zweckrationalität 41

Kulturelle Hegemonie | Politische Aktivität 42

Sozialer Mord 43

Querdenkende ∞ Mitdenkende 44

Sein prägt Bewusstsein | Konkurrenzmodell 45

Individualismus ∞ Desintegration | Auslese 46

8

Schwelle zum Faschismus 47

Ziel- und Orientierungslosigkeit | Sozialistische Redukte 48

Gewerkschaften 49

Bündnispartner | Zivilgesellschaft ∞ Postmoderne 50

Systemunabhängigkeit |

Zivilgesellschaft ≠ Herrschaftsfreiheit 51

Privater Ressourcenzugriff 52

Ressourcenverschwendung 53

Reichtumsbericht | Aneignung gesellschaftlicher Arbeit 54

Klasse an sich ≠ Klasse für sich 56

Sozialismus oder Barbarei | Konstruktivismus 57

Glück | Fridays for Future | Dritter Weg 58

Frackinggas 59

Realpolitik 60

Genremissverständnis | Aktivitäten am Nagel | Placebos 61

Rationalismus∞Irrationalismus | DDR als Gegenmodell 62

Genossenschaften 63

Überführung in den Sozialismus | Gewissheiten 64

Glaskorrosion 65

Liebe als Hauptsache | Alles fließt 67

Wesenhaftigkeit | Materie ∞ Geist 68

Gelschicht 69

Glasgemisch | Sanktionen | Wahrheitsmonopol 70

Abwesenheit einer kausalen Erklärung 71

Stabilität | Materialabrieb 72

Begriffswandlungen 73

Materielle ∞ ideelle Struktur | Aggregatzustand 74

Allegorie | Sedimentation 75

Gesetzmäßigkeit ≠ Gewissheit 76

Schwerkraft | Wirklichkeit = Realität im Prozess |

Schein ∞ Sein 77

9

Nichtseiendes | Sophismus | Nichts 78

Einheit in der Vielfalt 79

Sein als Werden des Ganzen | Logos | Logozentrismus ∞ Biozentrismus 80

Vorurteil | Bilder von der Mondlandung 81

Framing 82

Müllsäcke ohne Müll 83

Dekontextualisierung | Subjektive Lüge 84

Gemälde als Lüge | Unwahrheit 86

Sich mitteilen | Philosophie und Naturwissenschaften 88

Enzyklopädie 89

Magd der Theologie | Unendlicher Wechsel 90

Ordnung der Welt 91

Feinfühligkeit | Übergänge 92

Dasein ∞ Leben und Tod 93

Geradlinigkeit der Geschichte | Altes im Neuen 94

Überdruss des Alten 95

Philophobie 96

Hegemonie 97

Schmelzpunkt ∞ Schmelzbereich | Kulmination 98

Revolution 99

Vereinheitlichung | Formierung | Eutektikum 100

Reformismus | Prozesshaftigkeit 101

Einstecken können 102

Dem Menschen ein Wolf sein 103

Bindeglied Philosophie 104

Metallisches Glas | Kontinuität ∞ Diskontinuität 105

Nichtvorstellbarkeit | Einheit von Denken und Sein 106

Einheit von Theorie und Praxis 107

Dem Herz gehorchen | Urknall 108

Zeit ≠ Ewigkeit | Weltuntergang 109

Erkennbarkeit der Welt | Übergang in China 110

10

Kathedralenbau 111

Dauerbeschäftigung | Taubheit ∞ Blindheit 112

Depressionen 113

Alleinsein≠Einsamkeit | Dauerüberwachung 114

Flucht | Innere Unruhe 115

Mythos Social Media | Ständige Erreichbarkeit 116

Voluntarismus | Gütertausch 117

Mehrwert | Innerer Wert 118

Geldwesen = Geldmythos 119

Geld als Tauschmittel 120

Bargeldlosigkeit | Totalüberwachung 121

Bedingungsloses Grundeinkommen | Ellbogenprinzip 122

Entwertung 123

Rückschritt BGE | Klassenbewusstsein |

Hauptwiderspruch 124

Formelwissen | Universalgelehrte 125

Nichtkommunistische Linke 126

Kampfbegriffe Kultur und Freiheit 127

Aufklärung ∞ Kolonialismus 128

Weltdenken ∞ Menschheitsbegriff | Antideutsche 129

Antimarxismus 130

Zeitenwende | Welt ∞ Frieden 131

Menschheitsstandpunkt | Barbaren 132

Gemeinsamkeit der Völker 133

Internationale Ordnung | Weltbürgerrecht |

Menschsein ∞ Menschenrechte 134

Sklaverei 135

Tierrechte 136

Natürliche Menschenrechte 137

Friedensengagement 138

Homo oeconomicus | Cyborgs 139

Objektive kapitalistische Dynamik | Ware Körper |

Klone 140

11

Unsterblichkeit | Transplantation |

Lebensverlängerung 141

Soziale Lebenserwartung 142

Hoffen müssen | Leben nach Gebärfähigkeit 143

Tierorganisierung | Sterbehilfe | Todessehnsucht 144

Rückgängig machen | Wikipedia | Cui bono? 146

Digitalisierung 147

Weber des 21. Jahrhunderts | Fax 148

Lemminge | Sozialer Anschluss 149

Soziale ∞ Körperliche Schäden 150

Amoklauf | Bauhaus 151

Funktionalität | Typisierung 152

Einheit von Inhalt und Form 153

Volksbedarf statt Luxusbedarf | Vier Fragen Kants 154

Mensch ≠ Tier | Hoffnung 155

Untergang bedauern | Teilchenbeschleuniger 156

Schwarzes Loch 157

Verschwinden von Materie 159

Vor und nach der Ewigkeit | Dilemma | Kontingenz 160

Angst vor dem Tod 161

Gedächtnis – Vernunft – Einbildungskraft 162

Plagiat | geistiges Eigentum 163

Moral ≠ Ethik 164

Deontologie | Gefühlsregungen ∞ Affekte 165

Antagonismus | Irrationales ∞ Hingabe | Stimme und Stimmung 167

Affektiertheit 168

Blitz(ableiter) 169

Allmächtiger 170

Pascals Wette | Atheist Bus Campaign | Utilitarismus 171

Gottesbeweis | Ontologischer Beweis 173

Intoleranz 174

12

Fanatismus 175

Christentum ∞ Islam ∞ Judentum 176

Arabische Philosophie | In der Materie angelegte

Entwicklung 177

Philosophische Religion 178

Philosoph als Freund 179

Faulheit ∞ Langeweile 181

Philophilie | Vernunft ∞ Leidenschaft 182

Sakrileg | Unterbewusstsein 183

Zukunft und Vergangenheit | Inwertsetzung als Subjekt 184

Solidarität im Seitenblick | Gestern ∞ Heute | Längerer Tisch 186

Mehrheitenprojekt Sozialismus | Wahrheit anbieten 187

Jakobiner | Er-innern 188

Fehler | Erfahrungsbasierte Entscheidungen 189

Verkürztes Geschichtsverständnis 190

Ergebnis des Zweiten Weltkriegs 191

Politische Philosophie | Kritik der Urteilskraft 192

Ästhetik 193

Interesseloses Wohlgefallen | Erfahrung ∞ Freiheit ∞ Vernunft 194

Ästhetische ∞ Intellektuelle Anschauung |

Allgemeinverbindlichkeit von Urteilen 195

Beziehungen aus Vielfältigkeit 196

Monopole auflösen 197

Antikommunismus | KP an der Macht 198

Opportunismus | Konterrevolution 199

Französische Revolution | Restauration |

Guter Diktator 200

Spanisch-Amerika 201

Souveränität ∞ Einheit 202

13

Demokratie und Menschenrechte | Einmischung 203

Insel im Land | Verschuldung 204

Prokoloniale Opposition 205

Welterkenntnis ∞ Weltveränderung | Arbeitskräfte- und Rohstoffraub 206

Fuß im Nacken | Resignation 208

Beste Regierungsform 209

US-Kriege | Echte Demokratie 210

Notwendige Entscheidungen ∞ demokratische Rechte | Logikabstinenz ∞ Übermoralisierung 211

Freund des Schwachen | Beste aller Welten |

Prästabilierung 213

π 214

Unbedingtes Wissen | Absolutum | Sichselbstwerden 216

Missbrauch der Religion 218

Unbedingte Unfassbarkeit | Nichtfassbare Wesenheit 219

Ordnung ∞ Systematisierung 220

Tugenden | Philosophisches Rollback 221

Haupt- und Nebenwiderspruch | Philosophinnen 222

Agnosie | Agnostizismus 223

Hexen | Pay Gap 224

Frauenanteil im Parlament 225

Freiheitsrevolution 1848/49 |

Vernunft gebietet Freiheit 226

Zeitgeistphilosophie 227

Neoliberale Variante des Kapitalismus 228

Bachelor-Philosophen | Wirtschaftsphilosophie 229

Religion | Eigentumsfrage 230

Liebe ≠ Besitzgier 231

Biolumineszenz | Aporie = Ausweglosigkeit 232

Leidenschaft | Einheit der Gegensätze |

Determinismus ∞ Willensfreiheit 234

14

Willensfreiheit ≠ Zufall | Zufall ∞ Notwendigkeit 235

Polarität und Kausalität 236

Materialismus ∞ Naturwissenschaftliche Gesetze 237

Nicht belegbare Hypothese 238

Aporetiker | Weglosigkeit 239

Literaturpolitik | Erreichtes verteidigen 240

Mauer 241

Tat und Fehlurteil | Auseinanderdriften 242

Solidarität der Unterdrückten | Stoiker 243

Schicksal annehmen | Apathie | Menschenliebe 244

Beziehung ≠ Partnerschaft 245

Zauber 246

Abspann 247

Literatur ist Weitersagen | Namen tilgen 248

Schemel und Tribünen 249

Zauberberg | Ei auf dem Nachttisch 250

15

Auf dem Tisch steht zwischen mehreren Utensilien ein Gefäß mit einem ausgeblasenen Ei. Auf dem Ei ist eine Zeichnung angebracht. Sie zeigt eine vornehme, schöne Frau. Die Darstellung mutet mittelalterlich an. Myop und Noem reden, so wie sie es schon oft getan haben – meist ein bisschen kreuz und quer, selten stringent, oft gleichzeitig, aber immer zielführend. Gern baumeln ihre Beine in philosophischen Gewässern. Noem zeigt auf das Ei.

16
Prälog
17

M yop : Ja, und? Was willst du hören?

N oe M : Hoppla, so unwirsch? Ich habe doch nur wissen wollen, wer das ist. Hübsch ist sie.

M yop : Das ist es ja gerade. Beziehungsweise nicht nur das.

N oe M : Geht es heute nicht gut? Irgendetwas mit dem Herzen?

M yop : Dann doch eher auf dem Herzen. Fühlt sich jedenfalls so an.

N oe M : Oje … Eigentlich haben wir heute doch etwas zu feiern! Einen Verlag gefunden, der unser Gespräch über das Foto von dem Mann mit den Müllsäcken veröffentlicht hat; viele Leserinnen und Leser, die meisten ganz angetan von uns, demnach auch von dir; und jetzt kann sogar jedes Gespräch zwischen uns zur Vorlage werden! Auf dass wir uns möglichst zwanglos noch einmal ein paar Stunden unterhalten. Mit der Option auf einen zweiten Band also … Das ist doch kaum zu glauben! Willst du dich nicht freuen?

M yop : Na ja, aber wen mögen, wenn nicht uns? Nein, du hast schon recht – das ist klasse! Es ist toll, so ein Buch in der Hand zu halten. Und man muss ja einmal sagen: Wir haben ein Buch gemacht, ohne eine Zeile zu schreiben. Das ist Schriftstellertum leicht gemacht!

18 Dialog

N oe M : Eben deshalb können wir ja stolz sein, aber Schriftsteller sind wir nicht mehr als Philosophen. Schriftsteller ist übrigens der, dem das Schreiben schwerfällt.

M yop : Wie das? Da denke ich doch das Gegenteil!

N oe M : Das hat mit dem Abwägen von Worten zu tun. Weltliteratur plumpst nicht einfach aus der Feder oder der Tastatur. Der kluge Satz ist von Thomas Mann 1 .

M yop : O ja, wie hieß noch das sensationelle Buch mit dem Hans Castorp? Ach, darauf komme ich jetzt nicht. Was für ein Werk … Jedenfalls, unser Buch ist ja auch wirklich so geworden, wie wir es wollten: Hardcover, Leinen, Lesebändchen. Das hat der Verleger richtig gut gemacht. Nur die Sache mit dem E-Book … Aber das hat er ja damals bereits kategorisch festgelegt.

N oe M : Kategorisch, ja … Erinnerst du dich noch an die Kategorien ? Die Kategorien hat Aristoteles 2 festgelegt, das waren seine verschiedenen Möglichkeiten, die Logik und das Seiende auszudrücken. Ursprünglich meint Kategorie im Griechischen die Verbindung aus kata- und agoreúein, das meint in etwa »hinab auf den Marktplatz«; nämlich, um dort eine Rede zu halten. Du erinnerst dich ja sicher noch daran, dass wir kürzlich die später definierten Kategorien als Modalitäten des Seins bezeichnet haben. Und daran siehst du wiederum …

M yop : Langsam, mir platzt jetzt schon der Kopf!

N oe M : … dass es der Begriff der Kategorie mit Aristoteles' Denken von einer Art zu sprechen zu einer Art des Seins gebracht hat. Indem nämlich Urteile über das Seiende, wie er es nannte, abgegeben werden.

19 Kategorien | Modalitäten des Seins | Seiendes 1 1875 – 1955
2 384 –322

M yop : Ich gratuliere.

N oe M : Aristoteles führte zehn Kategorien ein, von denen sich am Ende auch bei ihm selbst nur vier als sinnvolle Unterscheidungen durchgesetzt haben: Das sind …

M yop : Ich höre, Meister …

N oe M : Es sind dies Qualität, Quantität, Beziehung –also Verhältnis – und als wichtigste Kategorie die Substanz … Hör' zu, wenn du hier jetzt nur noch Frust schieben willst, dann wird das, was wir gerade fabulieren, gewiss kein zweiter Band. Zumindest nicht in Dialogform. Dann mache ich das allein, als Monolog.

M yop : Mach mal; du kriegst das schon hin. Alle anderen Bücher sind doch auch Monologe. Nichts Besonderes also.

N oe M : Gerade das unterscheidet uns ja. Hat Diderot 3 mit »Jacques« in den 1770ern gemacht, hat Brecht 4 1950 mit »Puntila und Matti« gemacht oder auch Volker Braun 5 1985 im »Hinze-Kunze-Roman« – und jetzt wir.

M yop : Genau, immer ein Depp und ein Könner. Auf meine Kosten das Prinzip Platons 6, der seine Dialoge mit meist längst Verstorbenen eben so aufgebaut hat, dass man dadurch das Thema am Ende doch begriff, dass einer blöd nachfragt. Ach, was rede ich groß. Du weißt eh' alles.

N oe M : Richtig daran ist, dass es gut ist, wenn nachgefragt wird. Nicht richtig ist, dass du der Depp bist. Bei Brecht, Diderot und Braun sind die Knechte Matti und Jacques beziehungsweise der Fahrer Hinze – die DDR kannte keine Knechte, aber selbsternannte Wichtige wie auch schicksalsergebene Unwichtige.

3 1713 – 1784

4 1898 – 1956

5 geboren 1939

6 etwa 427 – 348

20
Platonische Dialoge | Knecht / Herr-Dialektik

Jedenfalls, bei allen diesen Werken sind sie doch unbestreitbar jeweils der sympathischere Part gewesen. Und zwar genau auch deshalb, weil der »Unwichtige« zeigte, dass der Herr ohne ihn nicht viel taugte. Soweit ich gehört habe, hast gerade du dank dieser Dialektik bei unserer Zuhörerschaft die besseren Noten bekommen.

M yop : Bei den Frauen auch? Wir wissen von Tennessee Williams 7, dass sie angeblich die Verlierer lieben – sie aber dann mit den Siegern betrügen. Gerade fühlt sich das bei mir nicht so nach Geliebtwerden an. Außerdem schaffst du es, nach kaum einer Minute schon von Dialektik zu reden. Hast du eigentlich sonst keine Freunde?

N oe M : Bei unseren Lesungen hast du viel Sympathie geerntet. Aber ich sage dir etwas. Im Roman von Volker Braun meint Kunze, der Herr, zu Hinze, seinem Fahrer, dass »wir schlecht mit den Frauen umgehen«.

M yop : Ich hab's gelesen. Hinze antwortet für mich: »Wir sollten sie besser umgehen.«

N oe M : Genau! Ist doch schön. Oder? Dieser kleine Einwurf meinerseits sollte dir eigentlich zu etwas Freude Anlass geben. Vielleicht beschäftigst du dich irgendwann einmal mit Demokrit 8, dem fröhlichen vorsokratischen Philosophen. Er pflegte die Seele durch Betrachtung des Inhalts der Dinge – was offenbar besser ist, als deren Erscheinung in den Vordergrund zu stellen. Ich fand Hinzes Antwort jedenfalls witzig.

M yop : Ist schon gut. Jetzt kann's losgehen, das davor wird geschnitten. Band 2 beginnt hier. Es geht nicht um meinen Nachttisch, sondern du startest mit deiner

8 etwa 460 - etwa 370

21 7
– 1983
1911

Philosophiestunde. Hast du dieses Mal gar kein Foto dabei?

N oe M : Nein.

M yop : So. Was ist also das Thema heute?

N oe M : Denis Diderot legte Jacques die feinsinnige Bemerkung in den Mund, wonach es noch etwas Schlimmeres gebe als dass »in dieser Welt fast nichts gesagt wird, das so verstanden wird, wie man es sagt«. Nämlich, dass »man fast nichts tut, das so beurteilt wird, wie man es getan hat«.

M yop : Du zitierst Seite 249 des ersten Bandes. Und danach sagtest du: »Der Widerspruch von Wort und Tat« oder etwas Derartiges. Und etwas von Urteil oder so. Ich erinnere mich, du zitierst dich perfekt. Wie machst du das?

N oe M : Es war die »Kritik der Urteilskraft« 9, von der ich redete. Außerdem lese ich uns hin und wieder, seit das Buch erschienen ist.

M yop : Im Ernst jetzt?

N oe M : Soll ich mir alles merken können, was ich so rede? Also, deine Kritik am E-Book. Wie du sagtest: Wir haben einen festen Einband bekommen, es greift sich gut, es gibt das gewünschte Lesebändchen, ein liebevoll gemachtes Werk. Dich stört, dass es zusätzlich ein Buch gibt, das auch Menschen studieren können, die nicht mehr zum Papierberg beitragen wollen?

M yop : Moment: Wenn es etwas gibt, was die Menschheit richtig gemacht hat, dann doch wohl den Buchdruck. Die Verbreitung der Ideen wurde möglich, auch ohne verfälschende oder wenigstens subjektiv gefärbte, mündliche Weitergabe der Gedanken

22 9 1790 erschienen
E-Bücher

der Schreibenden. Und du willst doch nicht etwa sagen, dass dieser ganze Elektrokram der Umwelt mehr dient als ein gedrucktes Buch? Jetzt auch noch zum Bücherlesen Energie verbrauchen …

N oe M : Ja, meins ist es auch nicht, aber ein alter Freund wollte es mit auf eine zehnwöchige Motorrad-Ostseeumrundung nehmen.

Hier endet die Lesepreobe.

M yop : Ich erinnere mich … Er hat es dann aber doch als Papierbuch gekauft! Vielleicht hat der Verleger ja seinen Willen durchgesetzt und inzwischen auch schon einige Elektrobücher verkauft.

»Das Mädchen auf dem Ei« von Günter Pohl können Sie zum Preis von 24,– € (D) per E-Mail und auf Rechnung beziehen:

N oe M : Wer weiß. Aber so sehr du auch ablenkst –irgendwann wirst du schon auf das Mädchen auf dem Ei zurückkommen. Aber falls das gerade nicht geht, komme ich deinem Seelchen jetzt mal entgegen und nutze die Zeit, mit dir über die Philosophie, wie sie heute betrieben wird, zu sprechen. Als Einstieg für uns jetzt.

vdodw@yahoo.com

Wir springen jetzt an das Ende des Buches …

M yop : Also mal nicht aus der Geschichte heraus, sondern aktuell?

N oe M : Es geht natürlich nie ohne »aus der Geschichte heraus«, wie du weißt. Philosophie baut bekanntlich auf Erkenntnissen auf, die wir – in Europa – zunächst von den Griechen bekamen und die sich fortlaufend weiterentwickelten. Also, ich sehe bei den meisten heutigen Philosophen – männlich wie weiblich –eine Tendenz der erkenntnisneutralen Weltbeschauung, die sich auffallend gleichgerichtet auch in der Gesellschaft verbreitet. Und die Frage ist für uns, ob diese Sorte Philosophen Abbild dieser Gesellschaft ist oder – was ihnen gewiss besser gefallen würde – ob sie die Avantgarde des heutigen Denkens sind.

23 Erkenntnisneutralität

Epilog

N oe M : Es war offenbar nicht alles umsonst.

D e N is : Wir wollten nicht einem Menschen gleichen, der bei jedem Schritt auf einer Landstraße Wegweiser aufstellen lässt, weil er fürchtet, die Wanderer könnten von ihr abweichen. Es genügt doch, wenn Wegweiser überall dort stehen, wo die Wanderer in Gefahr kommen könnten, sich zu verirren.

N oe M : Sage ich ja.

251

NOMOLog

Abaelard 55, 56, 67, 68, 79, 107, 108, 223

Achilles 105

Adorno 57, 58, 126, 128, 130

Aischylos 188

Albertus Magnus 68

d'Alembert 66

Amor 38, 233

Anneke, Fritz 225

Anneke, Mathilde 225, 226

Anselm von

Canterbury 173, 219, 250

Arendt 222

Aristoteles 19, 20, 31, 46, 177, 178, 229

Armstrong 82

Arouet (Voltaire) 214

Augustinus 70, 183, 250

Bacon 96, 137

Berlin 135

Bernstein 64, 98, 101

Boethius 26

Bolívar 201

Braun 20, 147, 240, 247

Brecht 20, 41, 73, 107, 144, 147, 187

de la Bruyère 91

Castro 190

Churchill 36

Cook 133

Cusanus 234

Danton 189

Degenhardt 40

Demokrit 21

Descartes 137

Diderot 6, 7, 20, 22, 24, 41, 55, 69, 79, 80, 85, 86, 89, 93, 134, 138, 147, 158, 162, 163, 164, 168, 176, 179, 180, 182, 183, 188, 193, 195, 196, 209, 216, 217, 218, 219, 242, 247, 248

Duck 181

Einstein 72

Engels 45, 46, 52, 79, 89

Fichte 40, 195, 249

Foucault 57, 129

Franklin 170, 172

Freud 183, 249

252

Frisch 221

Gagarin 82

Galilei 215

Gandhi 54

Gorbatschow 199

Gramsci 51

Gropius 151, 152, 153, 154

Guevara 117

Habeck 59, 213

Habermas 25, 39, 51, 130

Haug 222

Hegel 6, 25, 40, 79, 115, 147, 192, 195, 212, 216, 219, 234, 247

Heine 171

Heinen 19, 87

Heloise 55, 107, 108, 169, 222, 223

Heraklit 78, 79, 80, 81, 233

Herder 135, 137

Hobbes 103, 137, 238

Horkheimer 57, 126, 128, 130

Hörz, Helga 33, 35, 222

Hörz, Herbert 30, 33, 35, 222

Huxley 122

Jaspers 127

Joubert 65, 73

Kant, Immanuel 7, 129, 133, 134, 135, 137, 154, 155, 161, 192, 193, 194, 196, 221, 223, 246, 247

Kant, Hermann 235, 236, 247, 248

Kepler 215

Kierkegaard 39

Köster 246

Kolumbus 185

Konfuzius 125

Kraus 84

Leibniz 138, 213, 214, 215

Lessing 176, 177

Lichtenberg 66, 172

Liebermann 71

Locke 137, 238

van Loo 85, 86

Louverture 201

Lucretius 90, 221, 243

Luxemburg 57

Maimonides 178

Mann 19, 250

Mao 101, 102

Marcus Aurelius 244

Marcuse 127

Marie-Antoinette 188, 189

Martí 202

Marx 45, 46, 52, 64, 79, 102, 226, 229

Merkel 131

Meyer, Hannes 153, 154

253

Meyer, Hans 154

Mies van der Rohe 151, 153

de Montaigne 93

Musk 53

Myop 6, 76, 157

Napoleon 28, 65, 200

Newton 77, 107

Noem 6, 71, 157

Noske 59, 213

Nyerere 208

Parmenides 78, 80, 81, 105, 106

Pascal 171

Platon 20, 77, 78, 117, 208

Putin 131

Raynal 134

Roa 169, 204

Rodríguez de Francia 201, 203

Rousseau 24, 55, 135, 188

Ibn Ruschd 177, 178

Russell 127

Sartre 229

Schelling 195

Schiller 194, 213

Ibn Sina 177, 178

Sloterdijk 39

Sokrates 220

Spinoza 137, 138, 166, 182, 234, 238

Thomas von Aquin 67, 68, 173, 219, 220

Trump 209

Tucholsky 67, 71

Victor 231

Voltaire 135, 214

Williams 21

Zenon von Kition 90, 243

Zweig 104, 144

254

Limitierte leinengebundene Erstausgabe

Autor und VdOdW danken dem Mädchen auf dem Ei für das die Wirklichkeit herausfordernde Selbstportrait, mit dem sie sich aus der reinen Vorstellung über die Entwicklung zu ihrem Wesen vollendet.

© 2023 Günter Pohl

© 2023 VdOdW Alle Rechte vorbehalten.

VdOdW

Bochumer Straße 61

45549 Sprockhövel

Gestaltung und Typografie: W. Heinen, www.wiljo.de

Gesetzt aus der Stempel Garamond, der Minion Pro (Fußnoten, Kolumnentitel) und der Posterama 1913 (Überschriften).

Druck und Weiterverarbeitung: PBtisk a.s., Tschechische Republik

Printed in the EU.

»Das Mädchen auf dem Ei« hat die

ISBN 978-3-00-074931-5

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.info/ abrufbar.

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Von der Ordnung der Welt : Band I

Günter Pohl

Der Mann mit den Müllsäcken

Von der Ordnung der Welt

Irrationalität, Verschwörungsmythen, Obskurantismus blühen in der »öffentlichen Debatte«. Ihre Grundlagen liegen in der bürgerlichen Weltanschauung. Dagegen hilft Aufklärung.

Limitierte leinengebundene Erstausgabe, erschienen im Verlag Wiljo Heinen

Hardcover, 253 S. | Leinen, Fadenbindung

ISBN 978-3-95514-048-9 26,– € (D)

gutes-lesen.de/VdOdW

Von der Ordnung der Welt

Ein Teil der Irrationalität liegt in der Emotion begründet, einer Wesensart des Menschen. Sie ist von der gesellschaftlich motivierten (Ir)rationalität zu trennen. Günter Pohl bringt mit rheinischer Mäandrierung durch die Philosophie abermals die Gehirnzellen in Bewegung.

ISBN 978-3-00-074931-5

Preis: 24,– € ( D ) / 26,– € ( Österr. )

Von nung
VdOdW

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