Pumpkin halloween

Nr. 32 • 48. Jg. • 7. August 2017

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Das unabhängige Nachrichtenmagazin Österreichs

Warum Menschen lügen Von Trump bis zum Durchschnittsbürger – ohne Unwahrheit geht es nicht (mit aber auch nicht)

Kern-Interview

„Die Gesellschat steht an der Kippe“

Das Weltbild der FPÖ-Abgeordneten Christian Rainer

„Diesel-Dummheit“ www.profil.at

48. JAHRGANG MICHAEL ZWAHLEN/ EYEEM/GETTY IMAGES

NR. 32 • 7. AUGUST 2017

Tarnen, täuschen, tricksen

Titel. Die Lüge durchdringt alles: Politik und Privatleben, Sport, Wirtschaft, Justiz, Kultur und Wissenschaft.

Warum tut der Mensch sich oft so schwer mit der Wahrheit? Weil es bequemer ist – und sozialer.

68

ÖSTERREICH Umfrage. Filzmaiers schlechtes Timing. Eifrige Zweitwohnsitzer. Glosse.

22

30

APA/ROLAND SCHLAGER; APA/HANS PUNZ(2); TILO ARNHOLD/ IDIV; ULF ANDERSEN/GETTY

56

60

10

Christian Kern. Der Kanzler im Interview zum Thema Gerechtigkeit.

12

Zugehört. Menschen, die selten zu Wort kommen. Eine Serie zur Wahl.

16

Heimfahrt. profil-Redakteure reisen in die Bundesländer. Erster Halt: Niederösterreich.

18

FPÖ. Mit welchen Parlamentariern müssten Kurz oder Kern bei einer Koalition rechnen?

22

Spekulation. Bürgermeister Heinz Schaden soll ein Jahr ins Gefängnis. Ist das gerecht?

24

WIRTSCHAFT Zulassungsentzug für VW-Fahrer. Die Nachfolge bei den EVN.

27

gutes geld. Altersvorsorge per Facebook-Test. Österreicherin im Ergo-Direkt-Vorstand.

28

Affäre. Eine US-Lobby setzt Iran-Exporteure unter Druck – ihr Berater: Wolfgang Schüssel.

30

Österreich, deine Produkte. profil-Serie: Reden wir über … Heftklammermaschinen.

34

AUSLAND Rechtsextreme in Seenot. Dunkle Mächte in Potsdam. Trumps Tweet der Woche.

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Nordkorea. Wie gefährlich ist das Atomprogramm von Kim Jong-un?

38

Syrien. Augenzeugen berichten aus einer russischen „Schutzzone“.

44

GESELLSCHAFT Ein paar Worte zum Diesel. Kubikov.

49

Reisen. Autor Matthias Politycki hat 96 Länder bereist.

Ein Gespräch über das Unterwegssein.

50

eatdrink.schöner trinken. Ein Jahr nach dem Erdbeben in Amatrice: Weltkulturerbe kochen.

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Sport. Frauenfußball in Österreich – fünf Highlights.

56

#brodnig. Tom Turbo auf Facebook & Twitter.

Halbwahrheiten versetzen User in Rage.

58

WISSENSCHAFT Zwillinge mit zwei Vätern?

59

MEINUNGEN Christian Rainer.

Diesel-Dummheit.

9

Elfriede Hammerl.

Paradies adieu.

21

Georg Hoffmann-Ostenhof. 43 Washingtoner Scharmützel.

David Staretz.

Erstunken und belegt.

55

Rainer Nikowitz.

So bleiben, wie ich bin!

82

Ökosysteme. Die Suche nach einer „Weltformel“.

60

KULTUR Jeanne Moreau. Philippe Jordan. „Kärntner Ecke Ring“.

64

Theater. Immer mehr Laienschauspieler erobern die Bühnen.

78

Stephen King. Das Magnum Opus des Horror-Königs im Kino.

81

RUBRIKEN 81

Briefe an profil. Impressum.

6

profile. profil vor 25 Jahren.

8

7. August 2017 • profil 32 3

inhalt2 redaktion@profil.at

Spitzenkandidat Der profil-Talk mit Christian Kern am Dienstag live auf Facebook.

Spielmacher Kompetitives Computerspielen begeistert immer mehr Menschen.

Publikumsliebling Umjubelte „Lady Macbeth von Mzensk“-Premiere in Salzburg.

Hoffnungsträger Die Beatsteaks über ihr neues Album, Terror und Schmusesänger.

Lügenbaron

APA/GEORG HOCHMUTH; SHUTTERSTOCK.COM; SALZBURGER FESTSPIELE/THOMAS AURIN; MARTIN GAMPER

Quiz: Durchschauen Sie die Lügen der Geschichte?

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D

ie Lüge genießt in ethisch korrekten Kreisen einen denkbar schlechten Ruf. Man müsste sich allerdings vorsätzlich selbst täuschen (um nicht zu sagen: belügen), wenn man den vielfältigen Ausprägungen des Täuschens, Schummelns und Flunkerns abspräche, ein eminent wichtiges soziales Schmiermittel zu sein. In der aktuellen Titelgeschichte zeigen Sebastian Hofer, Wolfgang Paterno und Julia Schwaiger, wie nachhaltig das Prinzip Lüge unseren Alltag prägt. Paterno führte ein langes Gespräch mit der deutschen Philosophin Bettina Stangneth, die das Thema seit Jahrzehnten erforscht, zuletzt in ihrem neuen Buch „Lügen lesen“. Im profil-Gespräch sinniert Stangneth über Fake News, Dopingskandale, erschwindelte Doktortitel und Donald Trumps alternative Realitäten.

Auch einer besonders delikaten Frage verweigert sie sich nicht: Hat Bill Clinton wirklich gelogen, als er behauptete, keine sexuelle Beziehung mit Monica Lewinsky unterhalten zu haben?

N

ach dem großen Erfolg der profil-Gespräche anlässlich der Bundespräsidentenwahl wird die Serie nun aus gegebenem Anlass fortgesetzt. Zum Auftakt baten Eva Linsinger und Rosemarie Schwaiger den NEOS-Vorsitzenden Matthias Strolz aufs Podium. Er ließ sich weder von meteorologischen Auffälligkeiten (in Wien hatte es zum Zeitpunkt des Gesprächs wohlige 37 Grad) noch vom Wahlkampfstress bremsen. Vor vollem Haus im Hotel Intercontinental Wien referierte er gewohnt temperamentvoll über seine Ideen zu der Bewältigung der Flüchtlingskrise, der Entbürokrati- Matthias Strolz im Gespräch mit Eva sierung der Wirtschaft, der Siche- Linsinger und Rosemarie Schwaiger rung der Pensionen und der Europäischen Union. Angesprochen auf sein überschäumendes Naturell, erklärte Strolz, dass er keine Aufputschmittel nehme. „Aber wenn ich welche hätte, würde ich sie mit Alexander Van der Bellen teilen.“ Der Bundespräsident wirke auf ihn gelegentlich doch etwas müde.

KATHARINA SCHIFFL

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meinabo.at/profil 7. August 2017 • profil 32 5

briefe an profil redaktion@profil.at

profil-Cover 31/2017

Ist die Wahl schon entschieden?

Die ÖVP liegt in der profil-Umfrage deutlich voran.

D profil 31/2017

Was unsere Kinder über Wirtschaft lernen Kolumne von Franz Schellhorn.

Erschreckend, wie ideologisch indoktriniert sich die Inhalte offizieller Lehrbücher an höheren Schulen in Österreich präsentieren. Offenbar frei nach Christian Morgenstern: „Weil nicht sein

kann, was nicht sein darf!“ Christian Boeger Brunn am Gebirge, via E-Mail

impressum HERAUSGEBER Chefredaktion REDAKTION Art-Direktor Chef v. Dienst Österreich

D

er Kandidat, für den Industrielle ihre Türkisgeldkassa öffnen, hat zwar Deutsch als Lieblingsfach in der Schule genannt, aber wohl einen schlechten Lehrer in dem Fach gehabt. profil: „Wer sind Minderleister?“ Kurz: „Minderleister?

Eine neue Wortkreation.“ Dabei läuft seit den 1980erJahren das Stück „Die Minderleister“ von Peter Turrini auf den Bühnen!

Dr. Erich Demmer Wien, via E-Mail

ANSCHRIFT von Herausgeber und Redaktion, Verlagsort/Sitz Profil Redaktion GmbH: A-1020 Wien, Taborstraße 1–3 Tel.: 01/534 70-0, Fax: 01/534 70-3500, E-Mail-Adresse: redaktion@profil.at, Homepage: www.profil.at

Dr. Christian Rainer Sven Gächter, Dr. Christian Rainer

Erich Schillinger Mag. Stephan Graschitz, MA Mag. Eva Linsinger (Leitung), Mag. Gernot Bauer, Otmar Lahodynsky (Europa-Koordination), Mag. Edith Meinhart, Mag. Clemens Neuhold, Rainer Nikowitz, Christina Pausackl, BA (FH), Rosemarie Schwaiger, Jakob Winter, Christa Zöchling Wirtschaft Michael Nikbakhsh (Leitung), Mag. (FH) Joseph Gepp, Mag. Christina Hiptmayr Außenpolitik Mag. Martin Staudinger (Leitung), Mag. Robert Treichler (Leitung), Mag. (FH) Christoph Zotter Gesellschaft Angelika Hager (Leitung), Mag. Sebastian Hofer Wissenschaft Alwin Schönberger (Leitung) Kultur Stefan Grissemann (Leitung), Dr. Wolfgang Paterno Medien Mag. (FH) Ingrid Brodnig Fotoredaktion Alexandra Unger Grafik Judith Illmer, Manfred Tesch Redaktionsmanagement Dr. Eva Streng (Leitung), Beate Maisner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Dr. Robert Buchacher, Mag. Karin Cerny, Noa Croitoru-Weissman, Mag. Philip Dulle (Online), Dr. Franziska Dzugan, Mag. Marie-Therese Eberle, Heinz Engelhart, Mag. Clemens Engert (Online), Dr. Marianne Enigl, Elfriede Hammerl, Georg Hoffmann-Ostenhof, Ines Holzmüller, MA (Online), Andrej Iwanowski (Moskau), Klaus Kamolz, Ruud Klein, Doris Klimek, Dr. Herbert Lackner, Dr. Gregor Mayer (Belgrad), Thomas Migge (Rom), Elfi Puchwein, Dr. Nina Schedlmayer, Dr. Nicole Schmidt, Laura Schrettl, MA (Online), David Staretz, Dr. Tessa Szyszkowitz (London), Stephan Wabl, MA, MSc (Online), Walter Wobrazek Art-Copyright ©Bildrecht, Wien Copyright Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs 1 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten.

6 profil 32 • 7. August 2017

ie Würfel sind bereits gefallen, und Sebastian Kurz wird gewinnen. Obzwar Christian Kern sehr überzeugend spricht, spürt man die desaströse Organisation der SPÖ im Hintergrund, die im Gegensatz zur ÖVP keine einheitlich nach außen transferierte Meinung mehr zulässt und Querschießern freien Lauf lässt. Die pathologische Zersetzungsschwäche der einst tragenden Wiener SPÖ, die nicht einmal mehr Widerstand gegen interne Verfallserscheinungen schafft, gibt der Gesamtpartei den Rest.

Wien hat mittlerweile ein derartiges Negativimage im Land, da kann auch ein smarter Kanzler Kern nicht mehr helfen.

Martin Krämer, BA, MA Bad Vöslau, via E-Mail

GESCHÄFTSFÜHRUNG

Mag. Thomas Kralinger, Profil Redaktion GmbH, 1190 Wien, Leopold-Ungar-Platz 1 MEDIENINHABERIN, EIGENTÜMERIN, VERLEGERIN, PRODUKTION Verlagsgruppe NEWS Gesellschaft m.b.H. FN 183971 HG Wien, A-1020 Wien, Taborstraße 1–3, Tel.: 01/213 12-0 Geschäftsführung Dr. Horst Pirker (CEO & Vorsitz), Mag. Claudia Gradwohl (CHRO), Susanne Herczeg (CFO & Prok.), Dr. Markus Fallenböck (CSO), Mag. Helmut Schoba (COO), Dietmar Zikulnig (CSO) Generalbevollmächtigter Dkfm. Helmut Hanusch Managing Director Mag. Markus Posset, MBA, MSc Assistant to MD Kimberley Tennant (DW 6175) Anzeigenverkauf Mag. Engelbert Haidinger (DW 6214), Christoph Maizner (DW 6310), Daniela Sandtner (DW 6457) International Sales Mag. Evelyn Strohriegel (Ltg.) Mediaservice & Marktforschung Andrea Peter (Ltg.) Anzeigenverrechnung Andrea Peter (Ltg.), Claudia Fabian Derzeit gilt Anzeigenpreisliste 2017 Controlling & Rechnungswesen Christine Glaser (Ltg. RW) Produktion Sabine Stumvoll (Ltg.), Martina Höttinger Anzeigenproduktion Günter Tschernitz (Ltg.) Vertrieb Dr. Markus Fallenböck (Ltg.), Cornelia Wolf (EV) VGN Brand & Business Development: Maria Oppitz (Ltg.), Natascha Bergmann (Event), Antje Lehnert-Jaich (Ad-Marketing), Melanie Pesek, MA (Leserinnen- und Leser-Marketing) Reproduktion Neue Medientechnologie Ges.m.b.H. 1020 Wien, Taborstraße 1–3 Druck Leykam Druck GmbH & Co KG, Werk: 7201 Neudörfl, Bickfordstraße 21 Vertrieb Morawa Pressevertrieb GmbH & Co KG, Hackinger Straße 52, 1140 Wien ABO-SERVICE Tel.: 01/95 55-100, Fax: 01/95 55-200, E-Mail: abo@profil.at Abobetreuung: DPV Deutscher Pressevertrieb GmbH, www.dpv.de Abonnementpreis Jahresabo: 149,95 Euro Der Offenlegungstext gem. § 25 MedG ist unter www.profil.at/offenlegung abrufbar. www.leseranwalt.at Druckauflage (1. Halbjahr 2016): 83.577 – ÖAK geprüft

profil 31/2017

Peter Pilz, ein Verräter Leitartikel von Christian Rainer.

S

ie sprechen mir mit Ihrer Analyse aus der Seele. Sowohl mit den bis dato auch für mich maßgeblichen Gründen, die Grünen zu wählen, als auch mit dem Grausen ob der Pilz’schen Vorgänge der letzten Wochen. Nichtsdestotrotz wäre ich Ihnen statt der abschließenden Fragen für ein klares Votum für die Grünen dankbar gewesen.

Die Partei hat im Gegensatz zu Beispielen in anderen Parteien eben doch an ihren Werten festgehalten und die genannten Personen als das behandelt, was sie auch in meinen Augen sind: Egoisten. Demokratie funktioniert bei den Grünen.

DI Christian Mlinar Steyrling, via E-Mail

S

ie sprechen mir wirklich aus der Seele. Treffender hätte man das kaum formulieren können!

Marion Huber via E-Mail

S

o sehr ich die pointierten Leitartikel von Christian Rainer in der Regel zu schätzen weiß – hier komme ich beim besten Willen nicht mit: Was es mit „Verrat“ zu tun haben soll, so eine Entscheidung zu treffen, wie Peter Pilz sie traf und ausführt, erschließt sich für mich nicht. Ich kann hier auch keine objektive Beobachtung und Analyse entdecken, für mich liest sich der Artikel ein bisschen wie ein Wutbrief eines Grün-Abgeordneten, der sich von einem Kollegen ungerechtfertigt verlassen fühlt. Ich plädiere dafür,

das alles so locker wie möglich zu sehen: Wenn ein Musiker, der einer Band oder einem Projekt angehört, sich von seinen Mitmusikern oder diesem Projekt entfremdet oder sogenannte musikalische Differenzen im Spiel sind und er daher etwas anderes sucht und dann eine eigene Band gründet oder ein eigenes Projekt aufmacht oder eine Solokarriere beginnt, dann ist das wohl sein gutes Recht. Ob er dadurch dann das Gesuchte findet und Erfolg hat, ist sein Risiko. Was hier für einen Musiker gilt, darf wohl genauso für einen österreichischen Parlamentspolitiker gelten, und erst recht für einen, der schon seit Jahrzehnten aktiv und populär ist.

Mag. Robert Ganser Apetlon, via E-Mail profil 30/2017

Starke Urteile, ohne Filter Wie konzernfreundlich entscheiden die Schiedsgerichte?

R

obert Treichler erklärt in seinem Artikel, dass Konzerne „nur“ 27 Prozent der Klagen gegen Staaten gewinnen und 37 Prozent verlieren. Er verschweigt den Lesern, dass auch eine „Einigung“ oftmals Zugeständnisse an den Konzern beinhaltet. Bestes Beispiel: Nachdem Hamburg strengere Umweltauflagen für das geplante Kraftwerk Moorburg beschlossen hatte, klagte der schwedische Konzern Vattenfall vor einem privaten Schiedsgericht. Die Einigung bestand darin, dass Hamburg die Umweltauflagen lockerte (und pikanterweise selbst von der EU-Kommission wegen Verstoßes gegen

europäisches Umweltrecht verklagt wurde). Nicht berücksichtigt sind jene Fälle, in denen schon die Androhung einer Klage dazu führt, dass geplante Gesetze, die den Profit des Konzerns schmälern könnten, gar nicht beschlossen werden.

Staaten können in diesem System höchstens nicht verlieren, niemals aber selbst klagen und „gewinnen“. Die Verfahrenskosten werden nur im besten Fall rückerstattet. Die Philippinen etwa mussten 58 Millionen Dollar aufwenden – das Jahresgehalt von 12.500 Lehrern –, um eine Klage gegen den deutschen Kon-

zern Fraport zu „gewinnen“.

Der Kern wird in Treichlers Artikel nicht einmal angesprochen: In den Worten von 101 europäischen Rechtsprofessoren etablieren die Klagerechte ein „unnötiges, paralleles Rechts- und Justizsystem für ausländische Investoren“ und somit „Sonderrechte gegenüber allen anderen Akteuren in einer Gesellschaft“. Indien, Südafrika und Indonesien haben entsprechende Abkommen bereits gekündigt. Es wird Zeit, dass sich auch die EU davon verabschiedet.

Alexandra Strickner Attac Österreich Wien, via E-Mail

profile Stop!

D

er Champion hat vergangenen Donnerstag das Ende seiner Karriere bekannt gegeben – der Rückkampf gegen Anthony Joshua wird nicht mehr stattfinden. „Jetzt ist es an der Zeit für eine spannende Karriere nach der Karriere“, sagte Klitschko bei seinem Abschied. Der Boxer war Weltmeister im Schwergewicht in den Jahren 2000 bis 2003 und von 2006 bis 2015; gemeinsam mit seinem Bruder Vitali hielt er vier Jahre lang alle verfügbaren WM-Titel.

Wladimirs Profirekord steht bei 69 Kämpfen, von denen er 64 gewann, 54 davon vorzeitig.

Schuldig

T

CHRISTOPHE GATEAU/DPA ; AFP PHOTO / VASILY MAXIMOV; AFP PHOTO / TOBIAS SCHWARZ; CHRISTIAN CHARISIUS/DPA

8 profil 32 • 7. August 2017

Game of Thrones

H

acker haben die Hit-Serie „Game of Thrones“ gekapert. Eine Episode erschien vor Veröffentlichung im Netz. Fans fiebern seit Mitte Juli mit dem Schicksal der Targaryens, Starks und Lannisters, die Folgen sind im Internet heiß begehrt. Das gesamte Ausmaß des Hacks auf den US-Sender HBO ist groß: Insgesamt wurden 1,5 Terabyte Datenmaterial gestohlen, darunter auch die Serien „Ballers“ und „Room 104“.

Schlafenszeit

Oskar Gröning, 96

rotz seines hohen Alters wurde der frühere SS-Mann nun für haftfähig erklärt. Gröning war im Juli 2015 vom Landesgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord im Vernichtungslager Auschwitz in mindestens 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte gestanden, dort Geld aus dem Gepäck der Gefangenen gezählt und weitergleitet zu haben. Der erbetene Strafaufschub wurde Gröning nicht genehmigt – Voraussetzung ist medizinische Betreuung im Gefängnis.

Spoileralarm

Sensibler Headbanger

E

in Besucher des Wacken Open Air Festivals hat sich offensichtlich in der Veranstaltung geirrt: Die dröhnenden Klänge am Campingplatz waren ihm zu laut. Die angerückte Polizei empfahl dem zartbesaiteten Rocker Ohrenstöpsel. Anfang August zieht es jährlich zahlreiche Liebhaber der härteren musikalischen Gangart nach Schleswig-Holstein in das beschauliche Dorf Wacken. Das zugkräftigste Metal-Festival der Welt ist dank Kapellen wie Accept, Volbeat und Kreator nicht gerade für leise Töne bekannt.

profil vor 25 Jahren B

iologen würden nicht mehr an Darwin glauben, Mediziner bald Ersatzteile fürs menschliche Immunsystem bauen, berichtete profil in der Ausgabe vom 3. August 1992 über die Folgen der Entzifferung des menschlichen Erbgutes – und schloss aus der Tatsache, dass Genforscher das „Paradies“ der biblischen Eva in Afrika verortet hatten: „Sollte Gott die Menschen wirklich nach seinem Ebenbild erschaffen haben, muss er ein Schwarzer sein.“ Ein Grüner überraschte inzwischen mit der Aussage, er könne sich eine „Operation Balkanstorm“, also einen militärischen Schlag in Bosnien nach dem Muster des Golfkrieges, vorstellen. Sein Name: Peter Pilz, Fraktionsobmann der Grünen im Wiener Rathaus. Dass ausgerechnet der „Friedensmarschierer“ und „Gottseibeiuns der Waffenschieber“, der in Österreichs Überfluggenehmigungen für alliierte Waffen- und Truppentransporte in die Golfregion „einen himmelschreienden Verrat an Neutralität und Pazifismus“ gesehen hatte, jetzt an die UNO appelliere, Kampftruppen nach Bosnien zu entsenden, verwunderte nicht nur profil, schließlich widerspreche dies „fundamentalen grünen Positionen“ wie Neutralität und Gewaltfreiheit. „Das oberste Gebot der Grünen ist nicht ,Schützt die Bäume‘, sondern ,Schützt die Menschen‘“, argumentierte Pilz: „Wenn amerikanische Jagdflugzeuge Menschen schützen können, dann werde ich das zwar mit großem Bauchweh zur Kenntnis nehmen, aber befürworten.“ nic

Leitartikel Christian Rainer christian.rainer@profil.at Twitter: @chr_rai

Diesel-Dummheit

Sind deutsche Manager ein Sonderfall?

Und was sagt uns das über Politiker allgemein und Sebastian Kurz wie auch Christian Kern im Besonderen?

D

eutschland kämpft sich aktuell durch den wuchtigsten Wirtschaftsskandal seiner Nachkriegsgeschichte.

Mehrere Autoproduzenten haben ihre Abgaswerte manipuliert und damit Käufer (zigtausendfach auch österreichische), die deutsche und die internationale Öffentlichkeit sowie die Konkurrenz getäuscht. Zeitgleich wird bekannt, dass es diskreten Informationsaustausch, möglicherweise auch kartellhaftes Verhalten, zwischen deutschen Autoproduzenten über Zulieferpreise und Ähnliches gab. Es wird zu strafrechtlichen Verurteilungen kommen – für welche Delikte und bis zu welchem Level im Management-Organigramm, muss sich zeigen.

Der Skandal trifft Deutschlands prominenteste Industriegruppe, einen großen Arbeitgeber und den Stolz einer Wirtschaftsnation, die ihre Strahlkraft in den meisten Bereichen an die USA und an Asien verloren hat. Entsprechend hilflos reagiert die Politik. Die Ergebnisse des „Diesel-Gipfels“ der vergangenen Woche sind peinlich. Die Produzenten wurden aufgefordert, Software-Updates durchzuführen. Das kostet fast nichts und bringt ebenso wenig.

Wie konnte es dazu kommen? Warum bricht die Elite der Elite der deutschen Gesellschaft mit Vorsatz oder grob fahrlässig Gesetze? Wie ist es um die moralische Verlässlichkeit der Manager und Unternehmer bestellt, die ja nicht nur in Deutschland das Rückgrat des Staates bilden – als Träger des Wohlstands der Bürger und als Führungsschicht? Was unterscheidet sie von jener anderen Elite, den Politikern, mit der sie gemeinsam für das Fortkommen jedes Einzelnen und der ganzen Welt verantwortlich sind?

D

ie Wirtschaft kennt keine Moral“, schrieb ich an dieser Stelle im Jänner dieses Jahres. Damals war mir daran gelegen, zu begründen, warum einerseits Unternehmen keine Vorbehalte gegenüber Geschäften mit einem Russland haben, das sich von unserer Wertewelt verabschiedet hat (beziehungsweise niemals dorthin gekommen war), warum andererseits die Finanzmärkte auf die Wahl von Donald Trump mit Euphorie reagiert hatten. Damals argumentierte ich, ein „komplexes Motivmuster“ bei der Führung ihrer Betriebe „würde Manager und Entrepreneure in unverdienter Weise adeln“. Es gehe „immer um Profitmaximierung“. Und: „Als Rückgrat zur Stabilisierung der demokratischen Weltkonstitution ist die Wirtschaft eine Fehlkonstruktion.“ Sieben Monate später sind wir einen Schritt weiter. Bei

der Betrachtung des deutschen Autoskandals zeigt sich exemplarisch, dass die Wirtschaft nicht nur als demokratische Ordnungsmacht untauglich ist, sondern bis hinauf in die höchsten Zirkel bereit scheint, die gesetzliche Ordnung zu brechen, um Profit und Macht zu maximieren.

Drei Beispiele für diese andere Welt der Eliten: Vor einigen Jahren fragte ich einen der bekanntesten Unternehmer des Landes, ob er bereit wäre, uns ein Interview über Politik zu geben. Er lehnte ab, und die Begründung war in ihrer Offenheit erschreckend wie auch entwaffnend. Er sei prinzipiell gegen demokratische Wahlen.

Stattdessen sollten Politiker „über Headhunter ausgesucht werden“. Wenn er das öffentlich sagte, würde er sich und seinem Konzern möglicherweise keinen Gefallen tun, meinte der Mann ironisch.

Ebenso wenig Verständnis für die Überlegenheit der Demokratie gegenüber anderen Systemen hat Frank Stronach gezeigt. Er erklärte den Österreichern gebetsmühlenartig, dass die bei Magna gelebten „Werte“ das Programm dieser Republik sein sollten. Entsprechend das Verhältnis zu seiner Partei: mit uneingeschränkten Durchgriffsrechten gemanagt und gekauft mit seinem Vermögen.

Und schließlich eben Trump. Inzwischen sehen wir nicht nur, wie die Wirtschaft auf ihn reagiert, sondern auch, wie dieser Mann der Wirtschaft agiert – nicht im politischen Diskurs, vielmehr mit ständigem Überdruck.

D

ie ökonomische Elite lebt also in einer Parallelwelt zur politischen. Das Mindset ist ein anderes, und daher sind es auch die Führungsinstrumente. Auf den laufenden Wahlkampf in Österreich angewendet: Erstens sollten wir dort skeptisch sein, wo sich Industrielle als Großspender mit ihrem Geld engagieren. Wenn KTM-Chef Stefan Pierer Sebastian Kurz mit einer halben Million Euro unterstützt und wenn Strabag-Eigentümer Hans Peter Haselsteiner die NEOS finanziert, dann erwarten die beiden keine unmittelbaren Gegenleistungen. Aber natürlich sollen die Spenden dazu beitragen, das Gedankengut der beiden im Staat fester zu verankern. Zweitens: In politischen Funktionen finden sich zum Glück fast nie lupenreine Quereinsteiger aus Großkonzernen. Auch Christian Kern ist kein Manager, er hatte zuletzt bloß einen recht großen Teil des öffentlichen Verkehrs der Republik organisiert. Für diese Abweichung von der Selbstdarstellung des Bundeskanzlers als Mann der Wirtschaft sollten wir ausnahmsweise dankbar sein.

■ 7. August 2017 • profil 32 9

Rainer Nikowitz

Vorzüglich

PETER HAJEK

Das an sich Undenkbare ist geschehen: Josef Cap hat nach 34 Jahren im Parlament keinen sicheren Listenplatz mehr. Er braucht – wieder – Vorzugsstimmen. Viele.

Freund und Helfer

Cap: Grüsssie, mein Name ist …

Passant: I kenn Ihna eh. I bin nämlich

D

schuld.

Cap: Woran denn?

Passant: Dass Sie im Parlament san. I hab Ihna gwählt, im 83er-Jahr.

Cap: So wie 62.456 andere progressive Österreicher auch. Wer hätte damals ahnen können, dass …

Passant: Sie sagen es. Wenn ma des nur gwusst hätt!

Cap: … dass daraus ane der glanzvollsten Parlamentarierkarrieren wird, die des Land jemals gsehen hat.

Passant: Ah so. Des wollten S’ sagen.

Cap: Die Gschicht warat jetzt die: I brauchert wieder ordentlich Vorzugsstimmen, damit i ins Parlament kumm. Derf i mit Ihrer rechnen?

Passant: Mein Gott, was war i damals jung!

Cap: Jaja, de Zeit vergeht. I kann mi no guat erinnern, wie i damals …

Passant: Und deppert!

Cap: Äh … na ja, natürlich lernt ma des eine oder andere dazu.

Passant: Wenn S’ des eh wissen, warum fragen S’ mi dann nach meiner Stimm?

Cap: Aber, haben Sie denn meine berühmten drei Fragen vergessen?

Passant: Vor ungefähr 33 Jahr’, glaub i.

Also eh so wie Sie. Cap: I hätt aber jetzt drei neue, die meine momentane Situation ziemlich exakt abbilden und meine vielen Fans zweifellos dazu bewegen werden, mi zu unterstützen.

Passant: Na dann lassen S’ amoi hören.

Cap: Erstens: Wie kumm i dazua?

Passant: Aha. Cap: Zweitens: Was soll i bitte sonst machen?

Passant: Ja. Schwierig.

Cap: Und drittens: Wer zahlt ma dann den 95er-Brunello?

Passant: Sie ham mi überzeugt.

Cap: Echt? Sie wählen also …

Passant: … den Strache.

10 profil 32 • 7. August 2017

as Thema Sicherheit in all seinen Facetten bestimmt den Wahlkampf, und so wurde auch die Polizei zum Thema. Kanzler Christian Kern kritisierte Innenminister Wolfgang Sobotka für die personelle Unterbesetzung und die vielen Überstunden bei der Polizei. Dass Personal bei der Exekutive benötigt wird, ist korrekt, aber auch nicht brandneu. Das Vertrauen in die Polizei ist in Österreich traditionell hoch. Die Politik aller Couleurs sollte dieses Vertrauen nicht torpedieren. In Österreich ist man noch weit davon entfernt, aber kippt das Vertrauen in die öffentliche Sicherheit, sind politischen Extremen Tür und Tor geöffnet.

Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der österreichischen Polizei?

6% gar nicht zufrieden 13% weniger zufrieden

21% sehr zufrieden

56% eher zufrieden

Rest auf 100%: k. A. Methode: Online-Befragung, Zielgruppe: Österr.

Bevölkerung ab 16 J., Max. Schwankungsbreite der Ergebnisse: +/- 4,4 Prozentpunkte, Sample: n=500 Befragte, Feldarbeit: 31. Juli bis 3. Aug. 2017

I

rz 2010 m ete profil erstmals über seltsame Vorgänge bei Gemeinderats- und Landtagswahlen in Niederösterreich, das als einziges Bundesland neben dem Burgenland Zweitwohnsitzern das Wahlrecht einräumt. Der Effekt: In zahlreichen – ÖVP-geführten – Gemeinden kam es zu überraschenden Wählervermehrungen. Im Haus eines schwarzen Bürgermeisters im Industrieviertel waren vor der Gemeinderatswahl 2010 elf Bewohner gemeldet, obwohl dort nur drei Personen effektiv wohnten. Nach jahrelanger Untätigkeit beschloss der niederösterreichische Landtag am 22. Juni 2017 nun ein neues Landesbürgerevidenzgesetz. Wer als Zweitwohnsitzer weiterhin in Niederösterreich wählen will, muss ein Wählerevidenzblatt seiner Zweitwohnsitz-Gemeinde ausfüllen und detailliert Auskünfte erteilen: ob in der Unterkunft eine Schlafmöglichkeit besteht; wie lange man sich im Laufe des Jahres in der Unterkunft aufhält; welche wirtschaftlichen, beruflichen oder gesellschaftlichen Kriterien für die Wohnsitzwahl vorliegen. Dass ein Zweitwohnsitzer überdies Auskunft erteilen soll, ob weitere Personen an dieser Adresse gemeldet sind, könnte durchaus „als Aufruf zum Bespitzeln und Vernadern verstanden werden“, kritisiert der Fraktionsobmann der Unabhängigen Bürgerliste in Hinterbrühl, Ferdinand Szuppin. Welcher Zweitwohnsitzer nach Ausfüllen des Wählerevidenzblattes ein Wahlrecht erhält, entscheidet der jeweilige Bürgermeister als Leiter der Gemeindewahlbehörde nach eigenem Ermessen. Von der Neuregelung sind etwa 120.000 Zweitwohnsitzer in Niederösterreich betroffen, darunter vor allem Wiener.

GB

KATHARINA SCHIFFL; NETFLIX / EVERETT COLLECTION / PICTUREDESK.COM

Multitasker m Wahlkampf steht neben den Spitzenkandidaten au der Politologe Peter Filzmaier im Dauereinsatz. Seit 2010 hat der 49-Jährige einen Exklusivm g ganst abend war Filzmaier ausnahmsweise nicht im TV-Studio, sondern auf der Bühne in der Werfthalle in Korneuburg zu sehen. Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) stellte dort einen „Masterplan für den ländlichen Raum“ vor. Filzmaier hatte das Strategiepapier gemeinsam mit dem Ökonomen Gottfried Haber von der Donau-Uni Krems wissenschaftlich begleitet. Dass der Haus- und Hofpolitologe des ORF in Wahlkampfzeiten am Projekt eines ÖVP-Ministeriums mitarbeitet und dafür ein Honorar bezieht, erzeugt ein fragwürdiges Bild, auch wenn Filzmaier sich im Rahmen des ORF-Werkvertrags bewegt.

Dieser untersagt ihm, für politische Parteien zu arbeiten, nicht aber für Ministerien und andere öffentliche Institutionen. „Ich bin meines Wissens der einzige Politikwissenschafter mit einer solchen vertraglichen Ausschlussklausel“, sagt Filzmaier gegenüber profil.

Zum ländlichen Raum forsche er an der Donau-Uni Krems. „Bei einer Nichtteilnahme am Masterplan würde ich streng genommen meine Arbeit als Wissenschafter ad absurdum führen“, meint er, räumt aber ein, dass der Zeitpunkt nicht ideal sei. Zu Beginn des Projekts sei nicht zu erwarten gewesen, dass die Präsentation in den Wahlkampf falle. CP

ramatische Musik, Licht-und-SchattenSpiele, ein Sitzungstisch, eine Stimme aus em Off: „Es sieht sehr gut aus.“ Zahlen üb die rosige Konjunkturlage werden refeKanzler Christian Kern schaut ernst.

KEVIN SPACEY (re.). Neues Kanzler-Video Auftritt SPÖ-Ministerin Pamela Rendi-Wagnimmt Anleihen bei der US-Politserie. ner, die der Runde ihre Freude über den Mindestlohn mitteilt. Kern lauscht mit steinernem Gesicht. Auftritt SPÖ-KanzleramtsLeichen geht – und zwar nicht nur im überminister Thomas Drozda, der den Wirttragenen Sinn. In der neuen Staffel von schaftsaufschwung begrüßt. Auftritt Kern: Er „House of Cards“ versucht der sinistre Frank wendet sich von der Runde ab, schaut direkt Underwood übrigens sein Amt als US-Präsiin die Kamera und zu den Zusehern und fordent zu verteidigen – gerät im Wahlkampf dert, dass ihnen ein Teil vom Aufschwung zu- aber gegen den Konkurrenten, einen jungen stehe. So der Plot des neuen SPÖ-Facebookvi- Strahlemann, hoffnungslos ins Hintertreffen. deos – angelehnt an den Stil der US-PoliterDa drängen sich Analogien und Kalauer zum folgsserie „House of Cards“. Auch dort SPÖ-Wahlkampf nachgerade auf, zumindest durchbricht der Politiker Frank Underwood für Serienjunkies.

Das Video ist Teil der neuen Kampagne. Mit (fantastisch gespielt von Kevin Spacey) häudem Mut der Verzweiflung versuchte die SPÖ fig die sogenannte vierte Wand und richtet vergangene Woche den Rollenwechsel, auf seine – oft sarkastischen oder zynischen – dem Parteirat wurde der neue WahlkampfBemerkungen direkt an die Zuschauer. „House of Cards“ ist fraglos cool, aber wofür sound erprobt. Schluss mit Manager, Schluss genau sollte Frank Underwood im österreimit Macron. Christian Kern gibt nun den chischen Wahlkampf als Vorbild taugen? Er Klassenkämpfer, stellenweise noch etwas hölverkörpert den eiskalten Machtmenschen, zern – kein Wunder, die Rolle ist für ihn neu. niederträchtigen Intriganten, skrupellosen Und von Frank Underwood kann er sich daKorruptionisten, der für seinen Aufstieg über für auch nichts abschauen.

Eva Linsinger

profil-Gespräch

raum solle man „neu aufsetzen“, meinte Strolz und skizzierte seine Vision: „Wir sichern die Auie schon bei der Bundespräsidentschafts- ßengrenze gemeinsam, registrieren jeden, der wahl lädt profil auch dieses Mal die Spit- kommt, mit seinem Zeigefinger, organisieren zenkandidaten ins Wiener Hotel Intercontinen- gemeinsam Registrierzentren und verteilen tal. Den Auftakt machte Matthias Strolz, Spit- auch gemeinsam.“ Osteuropäische Staaten, die zenkandidat der NEOS. Im Gespräch mit Eva dabei nicht mitmachen wollen, müssten zahLinsinger und Rosemarie Schwaiger zog Strolz len. Zum Flüchtlingsthema sagte Strolz weiter: einen Bogen von Europa, „Zu viele im Land wollen die STROLZ. „Zu viele wollen die Probleme über Flüchtlinge bis zu Pen- groß machen, nicht die Lösungen.“ Probleme groß machen, sionen und seiner Motivanicht die Lösungen, sie protion im Wahlkampf. „Die fitieren von großen ProbleDschihadisten kommen aus men, das finde ich zynisch.“ 77 Staaten der Erde“, so der Angesprochen auf sein NEOS-Chef. Wer darauf mit überschäumendes Wesen, einer „nationalen Sichermeinte Strolz, Aufputschheitspolitik“ antworte, wolmittel nehme er keine, aber le „uns Sand in die Augen wenn, würde er sie mit Van streuen“. Den Schengender Bellen teilen.

EM

W

7. August 2017 • profil 32 11

DANIEL NOVOTNY FÜR PROFIL

Noch –10– Wochen

12 profil 32 • 7. August 2017

„Die Gesellschaft steht an der Kippe“ Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzender Christian Kern über Gewinner der Finanzkrise, gefühlte Ungerechtigkeiten, Problemschulen, faktenbefreite Medien und das Gehalt von Fußballer Messi.

p

rofil: Die SPÖ führt den x-ten Wahlkampf mit dem Thema Gerechtigkeit.

Warum hat es die SPÖ als langjährige Kanzlerpartei nicht geschafft, Gerechtigkeit herzustellen?

Christian Kern: Wir liegen im europäischen Vergleich deutlich besser als viele andere Länder, gemeinsam mit Skandinavien.

Was aber in den vergangenen sechs Jahren in der Finanzkrise passiert ist, war eine massive Beschleunigung der Umverteilung, und zwar im globalen Maßstab.

Digitalisierung und Roboterisierung werden diese Dynamik weiter befeuern. Es kann ein paar wenige Extremgewinner und ein Heer von Verlierern geben, wenn diese Entwicklung ungestaltet abläuft.

Auch deshalb bleibt Gerechtigkeit unser wichtigstes Thema. profil: Wie definieren Sie Gerechtigkeit?

Kern: Es geht mir um den Respekt vor dem Individuum. Als Maßstab und Ausgangspunkt ist der erste Artikel der Menschenrechtsdeklaration ganz wesentlich: dass alle Menschen gleich sind und sich in Solidarität begegnen müssen. Jeder in unserem Land soll die Chance auf ein geglücktes Leben bekommen. Ich halte nichts von Menschen, die glauben, sie haben kraft ihrer Herkunft etwas Besseres verdient als andere. profil: Was als ungerecht empfunden wird, ist subjektiv. Rudolf Taschner hat seinem Buch den Titel „Gerechtigkeit siegt – aber nur im Film“ gegeben. Ist es nicht populistisch, mit diesem Thema Wahlkampf zu machen?

Kern: Wir Sozialdemokraten tun das seit 128 Jahren. Wir behaupten auch nicht wie andere, dass wir neu sind. Wir sind überhaupt nicht neu, wir sind aus einer Tradition gewachsen. Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität müssen permanent praktisch interpretiert werden. Wir haben vor 100 Jahren für das Frauenwahlrecht gekämpft und kämpfen jetzt für gleiche Entlohnung von Männern und Frauen. Bruno Kreisky sagte: „Der Sinn des Lebens ist das Unvollendete.“ Das muss einen nicht in Depressionen stürzen. Wir versuchen, auf der Tradition, in der wir stehen, die Grundidee weiterzutragen. profil: Ein paar Beispiele: Ist es gerecht, dass eine Kindergärtnerin 1900 Euro verdient und ein Angestellter des Gewerkschaftsbundes 3000 Euro?

Kern: Ich sehe tatsächlich erhebliche Verzerrungen, aber die wirklich großen Verzerrungen liegen woanders. Im Jahr 2000 hat ein ATX-Vorstand 20 Mal so viel verdient wie der Durchschnitt der Angestellten. Heute ist es 51 Mal so viel. Oder: Warum verdient ein Lionel Messi rund 1,4 Millionen Euro pro Woche und die beste Frauenfußballerin in etwa 150.000 Euro im Jahr? profil: Messis Gehalt wird nicht vom österreichischen Bundeskanzler bestimmt.

Kern: Ich lege auch nicht die Gehälter beim ÖGB fest – oder die Gehälter in privaten Kindergärten. Dafür gibt es Kollektivverträge. Aber wir können Rahmenbedingungen dahingehend schaffen, dass die Balance gewahrt bleibt. profil: Kindergärtnerinnen, Altenpflegerinnen oder Volksschullehrerinnen: Viele Berufe, in denen vorwiegend Frauen tätig sind, weisen besonders niedrige Gehälter auf. Muss die Politik neue Gerechtigkeitsvorstellungen schaffen?

Kern: Absolut, Politik muss Lebensverhältnisse von Menschen verändern. Nehmen wir die Diskussion über 1500 Euro Mindestlohn. Ich bin über den Verlauf sehr zufrieden: Wir haben Druck gemacht, in vielen Branchen ging etwas weiter, vor allem in Frauenberufen. Der nächste Schritt ist die steuerliche Entlastung dieser Einkommen. Als Kanzler kann ich keine KV-Verhandlungen führen, ich kann kein Unternehmen anweisen, mehr zu zahlen, aber ich kann für bessere Rahmenbedingungen sorgen. Nehmen wir die „Aktion 20.000“, mit der wir Jobs für Menschen

Wann ist ein Interview geglückt? Aus Sicht des Interviewers, wenn er die richtigen Antworten auf seine vorgefertigten Fragen bekommt. Aus Sicht des Interviewten, wenn er die richtigen Fragen zu seinen vorgefertigten Antworten bekommt.

Aus Sicht des Lesers, wenn weder Fragen noch Antworten vorgefertigt sind. profil wählt daher eine neue Form und befragt in den kommenden Wochen die drei Kandidaten für das Bundeskanzleramt zu einem zentralen Thema, welches das Wesen der jeweiligen Partei ausmacht und in deren Wertekanon ganz oben steht.

Diese Woche: Bundeskanzler Christian Kern zum Thema „Gerechtigkeit“.

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Noch –10– Wochen

schaffen, die schon lange arbeitslos sind, oder die Neuregelung des Privatkonkurses: All das war unser Beitrag, Schritt für Schritt das Leben zu verbessern. profil: Im geschützten Bereich – öffentlicher Dienst, Kammern, Energiewirtschaft etc. – gibt es höhere Einkommen, Arbeitsplatzsicherheit und höhere Pensionen als im ungeschützten Bereich. Ist das gerecht?

Kern: Nein, da muss etwas passieren. Wir schlagen vor, bei den hohen Sonderpensionen etwas zu ändern. Angesichts dessen, dass die Hälfte der Pensionisten unter 1000 Euro bekommt, ist das gerecht. profil: Das träfe auch ihre Genossen, ehemalige Spitzenpolitiker der SPÖ.

Kern: Derart überhöhte Pensionen sind einfach ungerecht. Das ist ein zunehmender Konflikt, der sich durch unsere Gesellschaft zieht, weil es heute viele Junge gibt, die prekär beschäftigt sind und gar nicht die Möglichkeit haben, in das klassische Erwerbsleben einzusteigen. Die Spielregeln durch die Globalisierung des Kapitals, die Konkurrenz, die Technologie-Entwicklung verändern sich permanent. Diese Konflikte werden immer schärfer. Das erleben wir gerade – und dagegen wollen wir ankämpfen. profil: Bei der Abschaffung des Pflegeregresses stellen sich auch Gerechtigkeitsfragen. Ist es nicht ungerecht, dass Vermögende jetzt ihr Vermögen behalten können und ihr Pflegeheim die vielzitierte Billa-Kassiererin mitzahlen muss?

Kern: Für uns war das eine geschlossene Kette: Der Pflegeregress wird abgeschafft, die Erbschaftssteuer für Millionäre eingeführt. Das bleibt unser Ziel. Die Reform des Pflegesektors ist noch lange nicht erledigt. Angehörige, die zu Hause pflegen, können hohe Kosten haben, die Pflegegeld und Pension übersteigen. Auch da-

„Ich war vor Kurzem bei Voest-Arbeitern.

Als Hackler fühlt sich dort kaum einer.“

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für wollen wir jene heranziehen, die höhere Beiträge leisten können. Hinter der Abschaffung des Pflegeregresses stand kein populistisches Manöver, sondern ein Konzept. profil: Die Erbschaftssteuer haben Sie aber nicht durchgebracht.

Kern: Mit Verlaub: Ich bin seit 13 Monaten im Amt. Sie überschätzen meine Möglichkeiten, mit der ÖVP geht das nicht.

Das geht nur durch die Entscheidung der Wähler. profil: Warum ist die SPÖ nicht mutiger – warum eine Erbschaftssteuer nur für Millionäre?

Kern: Mein Herzensanliegen ist nicht die Erbschaftssteuer, sondern die Entlastung mittlerer und kleiner Einkommen, zum Einstieg um 500 Euro pro Jahr. Insgesamt wollen wir die Lohnnebenkosten um drei Milliarden Euro reduzieren, damit der Faktor Arbeit entlastet wird. Mindestens ebenso wichtig: Wir müssen in Bildung, Innovation und Infrastruktur investieren.

Wenn wir all das stemmen wollen, muss das Geld irgendwo herkommen: durch Einsparungen an anderer Stelle, aber auch durch gerechtere Verteilung. profil: Dazu gehört, auch Vermögen zu besteuern?

Kern: Wir sind schon zufrieden, wenn wir die Erbschaftssteuer für Millionäre durchsetzen. Es gibt dafür wenige Bündnispartner. Das hat uns nicht überrascht, es geht in der Politik um handfeste Interessen. Wer soll vom Reichtum, den wir gemeinsam erarbeiten, profitieren? Da ist es klar, auf welcher Seite wir stehen. Und die anderen stehen eben auf der Seite der Großgrundbesitzer und Hausherren. Wer Milliardäre schützen will, sollte besser nicht SPÖ wählen: Damit können wir nicht aufwarten. profil: Ihre Kinder werden es mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit an die Universität schaffen, die Kinder einer Putzfrau nicht. Ist das die größte Ungerechtigkeit, die es in Österreich gibt?

Kern: Es war auch in meinem Schicksal nicht vorgesehen, dass ich es auf die Uni schaffe. Meine Volksschullehrerin wollte mich nicht einmal ans Gymnasium lassen. Ich war der Erste in meiner Familie und habe es der Politik von Bruno Kreisky zu verdanken.

profil: Bildung wird in Österreich vererbt.

Daran hat sich seit Kreisky wenig geändert.

Kern: Das ist unser größtes Problem: Wir sind eines der OECD-Länder mit dem höchsten Anteil an vererbter Bildung. Ich wehre mich vehement dagegen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Grundbedürfnisse käuflich erwerbbar sind. In der die Frage, ob jemand eine Hüftoperation bekommt, davon abhängt, wie viel er sich leisten kann. In der es darauf ankommt, wer sich die besten Schulen leisten kann. Wir dürfen nicht für alle gesellschaftlichen Bedürfnisse Rechnungen ausstellen. Deshalb brauchen wir einen starken Staat und müssen dafür sorgen, dass alle Kinder dieselben Chancen bekommen. Die Probleme im Bildungswesen sind nur zu lösen, wenn wir mehr Geld in die Hand nehmen. Wir brauchen mehr Lehrer und Pädagogen, wenn in Klassen 70 bis 80 Prozent Kinder nicht Deutsch als Muttersprache haben. Wir dürfen keine Problemschulen zulassen.

Sonst bleiben die übrig, die sich keine Privatschulen leisten können. profil: Inzwischen schicken immer mehr linke, liberale Eltern ihre Kinder in private Schulen. Wie wollen Sie diesen Trend stoppen?

Kern: Wir haben viele exzellente Schulen und Lehrer, aber wir müssen massiv in die Qualität investieren. Dann werden die Leute ihre Kinder auch wieder woanders hinschicken. profil: Das alles klingt ein bisschen nach Klassenkampf, nach Bernie Sanders und Jeremy Corbyn. Wird das Ihre Wahlkampflinie?

Kern: Ja, aber das ist nicht Klassenkampf.

Es geht um unsere Zukunft, von der viele profitieren sollen, und nicht einige wenige. Die Gesellschaft steht derart an der Kippe, dass alle, die meinen, es darf sich nichts ändern, einer Illusion anhängen.

Klimawandel, Technologisierung – die Veränderungen treten mit Wucht auf. Wir müssen sie gestalten. profil: „Hillbilly-Elegie“, „Rückkehr nach Reims“: zwei aktuelle Bestseller, die beschreiben, wie linke Parteien ihre Klientel vernachlässigen. Besteht dieses Gefühl zu Recht?

DANIEL NOVOTNY FÜR PROFIL

Kern: Nein, die SPÖ hat sich immer auf die Seite derer gestellt, die Unterstützung brauchten. Schauen Sie sich nur einige der Beschlüsse im vergangenen Jahr an: Stipendienerhöhungen, Erleichterung beim Privatkonkurs, 20.000 Jobs für ältere Arbeitslose, Mindestlohn. Das ist ein klassisches soziales Gerechtigkeitsprogramm, kombiniert mit der Frage: Wie schaffen wir Wohlstand unter sich verändernden Bedingungen? profil: Die amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild illustriert die Lage mit dem Bild einer Menschenschlange, die den Berg hinaufzieht, sich selbst behindert, ins Stocken gerät und schließlich von einer Gruppe überholt wird: Migranten, Frauen, kulturelle Minderheiten, die vom Staat gefördert werden. Können Sie das nachvollziehen?

Kern: Es gibt politische Strömungen, die ihr Geschäft damit machen, die Ärmsten gegen die Allerärmsten auszuspielen. Ich will nicht, dass es den anderen schlechter geht, ich will, dass es allen besser geht.

Deshalb akzeptiere ich dieses Bild nicht.

Manche geben grundsätzlich immer Ausländern an allem die Schuld. profil: Hannes Swoboda sagte einmal: Migranten sind das neue Proletariat.

Stimmt das?

Kern: Mit dieser Einschätzung fange ich nichts an. Die Milieus haben sich extrem aufgefächert. Ich war vor Kurzem bei Voest-Arbeitern. Als Hackler fühlt sich dort kaum einer. Die sind top ausgebildet, verdienen gut. Die alten Einordnungen haben keine Erklärungskraft mehr. profil: Aber viele fühlen sich benachteiligt und stimmen dem FPÖ-Slogan „Unser Geld für unsere Leut“ insgeheim zu.

„Wer Milliardäre schützen will, sollte besser nicht SPÖ wählen. Damit können wir nicht aufwarten.“ Kern: FPÖ und ÖVP verstärken das, während wir nicht bereit sind, hier auf einfache Rezepte zu setzen. Niemand kann ein Interesse daran haben, dass Pflegerinnen aus der Slowakei nicht mehr nach Österreich kommen und wir nicht mehr wissen, wie wir unsere Alten pflegen sollen.

Ohne Zuwanderung aus osteuropäischen Ländern würde der Tourismus zusammenbrechen. Unfaire Praktiken wie Lohndumping sind aber auch nicht zu tolerieren. Das ist komplexer, als zu sagen: Grenzen zu, alles dicht. Wir als westliche Gemeinschaft sind am Krieg in Syrien alles andere als unschuldig. Die Überfischung der Weltmeere hat mit der EU zu tun, die Zerstörung der Lebensgrundlagen im Agrarsektor auch. Wenn wir über Fluchtursachen reden, werden wir auch über die ungerechten Handelsverträge für Afrika reden müssen. Die gesamte EU-Agrarpolitik ist fehldimensioniert. profil: Die SPÖ fährt beim Thema Migration einen Zickzack-Kurs. Warum ist das Thema so schwierig für Sie? Kern: Das ist nur in der medialen Darstellung ein schwieriges Thema. Ich erzähle seit 13 Monaten ein und dieselbe Geschichte: Ich will keine illegalen Immigranten in Österreich haben. Das habe ich schon im Jänner gesagt, aber keine einzige Zeitung hat das berichtet, weil die SPÖ anders zugeordnet wird. Man be-

hauptet immer, die SPÖ sei hier zerrissen.

Ich sehe das überhaupt nicht. profil: Aber die SPÖ Burgenland etwa vertritt eine völlig andere Linie beim Thema Migration als die Wiener SPÖ.

Kern: Nein. Helfen, so weit als möglich, aber nicht über die Möglichkeiten hinaus. profil: Im Wahlkampf läuft nichts schief?

Kern: Die inhaltlichen Konflikte, die da imaginiert werden, finden so nicht statt.

Ein Beispiel: Ich habe mit Interesse in Ihrer Zeitung gelesen, dass Thomas Drozda ein Wahlkampfvideo gestoppt habe, in dem ich im Anzug in die Alte Donau hätte springen sollen. Das fand ich sehr lustig. Aber es stimmt nicht. profil: Sie sagen im Ernst, dass Ihr Wahlkampf super läuft?

Kern: Der Wahlkampf hat noch gar nicht begonnen. Im September wird es erst richtig losgehen. Fragen Sie mich dann nochmal. profil: Fühlen Sie sich ungerecht behandelt, weil die Wählerherzen offenbar Sebastian Kurz zufliegen?

Kern: Nein, das tue ich nicht. Ich sehe dem 15. Oktober voller Optimismus entgegen. profil: Sie beklagen öfter, dass die Medien kein gerechtes Bild zeichnen. Worin besteht die ungerechte Behandlung?

Kern: Nicht ungerecht – das Bild ist schlicht falsch. Die österreichischen Medien agieren oft faktenbefreit. Ich bin Abonnent von deutschen, schweizerischen und britischen Zeitungen und sehe dort eine ganz andere Debattenkultur. Das hat vielleicht mit der Kleinheit des Landes zu tun. Bei uns dominiert die personenfixierte Schlüssellochperspektive. Drei, vier Schlagzeilen werden immer wieder diskutiert, bar jedes Lösungsanspruchs.

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Noch –10– Wochen

DANIEL NOVOTNY FÜR PROFIL

ZUGEHÖRT

Jede Stimme zählt.

Hier reden ganz normale Menschen, die sonst selten zu Wort kommen. Eine Serie zur Nationalratswahl.

Lukas Saurer, 24

„Angela Merkel ist sozialdemokratischer, als es je ein CDU-Kanzler vor ihr war.“

profil: Wenn Sie Sebastian Kurz gerecht beurteilen wollen, wie fällt Ihr Urteil über ihn aus?

Kern: Politischer Vollprofi, längstdienendes ÖVP-Regierungsmitglied, beliebter Außenminister. profil: Die SPÖ hat ihre Wähler jahrzehntelang darauf getrimmt, gegen die Freiheitlichen zu sein. Jetzt ist alles offen. Haben sich die Freiheitlichen geändert?

Kern: Kaum. Wir müssen bei Folgendem aufpassen: Die Gesellschaft verändert sich rasant, die SPÖ war nicht mehr in der Lage, Antworten darauf zu geben. Stattdessen haben wir uns darauf zurückgezogen, zu sagen: Mit der FPÖ geht es auf keinen Fall, wählt uns bitte dafür! Ich habe einen anderen Zugang: Wir erklären, wie wir die Zukunft gestalten wollen: Arbeit der Zukunft, Digitalisierung, Zusammenleben in Vielfalt, Erhalt des Sozialstaats. Darauf haben wir uns konzentriert. Das heißt nicht, dass wir irgendeine Vorbereitungshandlung gesetzt haben, was die FPÖ betrifft. profil: Vielleicht würden die Menschen gern wissen, was mit ihrer Stimme nach der Wahl passiert.

Kern: Wahlergebnisse suchen sich ihre Koalitionen. Im Übrigen hat die FPÖ uns ohnehin ausgerichtet, dass sie mit uns nicht will. Die FPÖ kann 16 profil 32 • 7. August 2017

weiter Vermögende, Hausherren, Grundbesitzer verteidigen. Es ist kein Zufall, dass sich ein paar stockkonservative Industrielle gefunden haben und ein paar Zeitungsherausgeber, die versuchen, eine schwarzblaue Regierung herbeizuschreiben – weil es ihnen um ihre eigenen Vermögensverhältnisse geht. profil: Die Sozialdemokratie hat in ganz Europa Probleme. Ist, frei nach Ralf Dahrendorf, das sozialdemokratische Jahrhundert zu Ende?

Kern: Dahrendorfs These lautet, dass die Sozialdemokratie sich auf allen Ebenen durchgesetzt hat. Das stimmt ein bisschen: Angela Merkel ist sozialdemokratischer, als es je ein CDUKanzler vor ihr war. Der springende Punkt ist: Die Konflikte, die seit Jahrzehnten unsere Gesellschaften bestimmen, tauchen immer wieder in neuer Form auf und beschleunigen sich. Was wir jetzt erleben, braucht dringend sozialdemokratische Antworten. profil: Was ist das Ungerechteste, was Ihnen jemals widerfahren ist?

Kern: Ich fühle mich nicht von Schicksal verfolgt. Ich könnte eher sagen, welches Glück mir widerfuhr: meine Frau, meine Kinder. Ich bin gesund und Optimist aus Überzeugung.

Interview: Eva Linsinger, Christa Zöchling

Protokolliert von Christina Pausackl

I

ch bin in Eichberg, einem kleinen Dorf in der Oststeiermark, aufgewachsen. Wenn ich vor die Haustür ging, stand ich vor einem Wald.

Meine Eltern haben einen Bauernhof, ein paar Felder und Milchkühe. Sie machen das nebenberuflich und mehr aus Leidenschaft. Ich möchte den Betrieb einmal weiterführen. Nach der Matura bin ich nach Wien gezogen und habe Agrar- und Umweltpädagogik studiert. Seit diesem Sommer lebe ich wieder in meinem Elternhaus. Ich habe in der Gegend eine Stelle als Lehrer gefunden. Ich wäre für einen Job auch in der Stadt geblieben, aber nach den paar Jahren in Wien schätze ich das Landleben mehr als davor. Es ist ein gutes Gefühl, sein eigenes Gemüse zu ernten.

Die ländliche Bevölkerung selbst ist etwas weniger offen als die städtische, vor allem, wenn es um Veränderungen geht. Ich höre oft: „Früher war alles besser.“ Aber was war denn besser? Allein wenn man an den Wohlstand denkt, den wir jetzt haben, an die Freiheiten, von denen unsere Großeltern nur träumen konnten. Ich bin froh, dass ich heute lebe, in einer Europäischen Union.

Am meisten stört mich, dass dem Populismus in der Politik zur Zeit so viel Platz eingeräumt wird – egal ob links oder rechts. Auch in den Medien zählt oft nur noch die Headline. Die Menschen werden permanent aufge-

hetzt. Ich habe mir das zuletzt wieder bei der Diskussion um die Homo-Ehe gedacht. Wem tut das weh, wenn homosexuelle Paare heiraten dürfen?

Ich weiß jetzt schon, wen ich im Herbst wählen werde. Man wird nie in allen Punkten zu 100 Prozent von einer Partei vertreten, aber für mich gibt es ein gutes Angebot. Es wird auf jeden Fall spannend, weil auch die SPÖ und ÖVP mit Christian Kern und Sebastian Kurz zwei starke Spitzenkandidaten stellen. Vor allem Kurz weiß sich zu verkaufen. Ich glaube, er wird auch viele bisherige FPÖ-Wähler für sich gewinnen können. Bei den letzten Wahlen war die FPÖ vor allem in ländlichen Regionen sehr stark. Was ich interessant finde: Die Gründe, aus

CHRISTINA PAUSACKL

„Ich höre oft: ‚Früher war alles besser.‘ Aber was war denn besser? Ich bin froh, dass ich heute lebe, in einer Europäischen Union.“

denen viele rechts gewählt haben, betreffen eigentlich die wenigsten Menschen hier. Auf dem Land zum Beispiel von einem Asylchaos zu sprechen, ist fernab von jeglicher Realität. Aber es wurde geschafft, Angst zu erzeugen. Und Angst ist ein Mittel zur Macht.

Dem Populismus, glaube ich, kann man am besten mit Bildung entgegentreten. Aber gerade dort wird gespart.

Das verstehe ich nicht. Mir ist auch das Thema Umwelt und erneuerbare Energien sehr wichtig. Da habe ich oft ein Problem mit den Grünen. Sie haben zwar gute Ideen, aber bieten kaum praktikable Lösungen an. Die Grünen haben aber zur Zeit selbst ein ernsthaftes Problem.

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ÖSTERREICH

Noch –10– Wochen

Heimfahrt Niederösterreich

Rückkehr nach Grub Niederösterreich ist politisch schwer zu fassen und für Nationalratswahlen dennoch entscheidend. Ein persönlicher Stimmungstest.

Von Clemens Neuhold

W

er im niederösterreichischen „Speckgürtel“ rund um Wien aufwächst, startet im Bundesländerrennen um den ausgeprägtesten Regionalstolz vom letzten Platz. Ein Straßendorf; die halbe Familienhistorie in der mächtigen Hauptstadt über den sieben Hügeln; die „Zuagrasten“ und Zweithäusler, die mit ihren protzigen Autos und Waffenrädern am Wochenende verwienern. Was verbindet mich als gebürtigen Niederösterreicher aus Gaaden im Wienerwald mit einem Retzer, Amstettner oder Pottendorfer? Am ehesten die Tatsache, dass wir weder Steirer noch Oberösterreicher noch Kärntner sind und um den Fixstern Wien kreisen. „Das Leben der Niederösterreicher spielt sich zu einem gewissen Teil in Wien ab“, sagt der Wahlforscher Günther Ogris. Die offizielle niederösterreichische Hauptstadt St. Pölten nennt er „eine Fiktion“.

Durch Globalisierung, Rekordzuwanderung und das Ende der Arbeitsplatzsicherheit können Region, Kultur und Werte wieder Wahlkämpfe entscheiden. All die Debatten über Islam, Mittelmeerroute, Mindestsicherung drehen sich im Kern um die Frage, was Österreich ausmacht und zusammenhält. Für welche Botschaften sind meine niederösterreichischen Landsleute am empfänglichsten – mit ihrer ambivalenten Identität zwischen linksliberalem Wien und schwarz-blauem Raiffeisen-Dorf?

Die Wahlergebnisse zeichnen ein gemischtes Bild: Bei der Bundespräsidentenwahl gewann der weltoffene Alexan-

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der Van der Bellen. Bei der Landtagswahl im März 2013 errang der schwarze Landesfürst Erwin Pröll eine absolute Mehrheit. Bei der Nationalratswahl im September 2013 landete die ÖVP knapp vor der SPÖ – zugleich holten SPÖ und FPÖ in absoluten Zahlen jeweils mehr Stimmen als in Wien.

Denn bei den Wahlberechtigten hat Niederösterreich gegenüber der Hauptstadt klar die Nase vorn (siehe Grafik).

G

erhard blieb. Er war aus Grub im tieferen Wienerwald.

In der Volksschule war er ein bisschen mein Held, weil er schon mit acht Jahren nach Schulschluss den Traktor lenkte, während wir uns höchstens aufs BMX-Rad schwangen. „Das war damals ganz normal. Heute geht das nicht mehr.“ Beim Treffen auf seinem Hof in Grub im Wienerwald tuckert sein 13-jähriger Sohn im Traktor vorbei, am Steuer sitzt der Großvater.

Hier könnte eine niederösterreichische Version des Romans „Rückkehr nach Reims“ des französischen Soziologen Didier Eribon beginnen. Der Autor beschreibt die Distanz der Pariser Elite zum „abgehängten“ Volk in der Peripherie; die kulturelle Kluft zwischen linken Wählern in der boomenden Stadt und den rechten Wählern auf dem stagnierenden Land.

Nach dieser Lesart wäre Gerhard der Abgehängte. Ökonomisch wirkt GERHARD BLIEB es umgekehrt. Zuchtrinder, PferdeLandwirt in Grub, farm für 30 Tiere, 120 Hektar Land. ÖVP-Wähler, Der „Speckgürtel“ braucht sich Feuerwehrmann. wirtschaftlich nicht hinter Wien zu „Die eigene Kultur schläft ein.“ verstecken. In der Gemeinde Wienerwald sind 88 der 2700 Einwohner arbeitslos. Gerhard, der einst die Milchkühe mit dem Pferd ohne Sattel auf die Alm trieb, sattelte um. Nun stehen die Pferde der wohlhabenden Wiener und Speckgürtler auf seinen Weidewiesen. Auch politisch ist die Region längst Wien-infiziert. Bei der Bundespräsidentenwahl verhalfen die Pendler dem urbanen Kandidaten Van der Bellen mit 54 Prozent zu einem klaren Sieg.

Niederösterreich

Gerhard ist treuer ÖVP-Wähler und „natürlich“ bei der Feuerwehr. Er hat sich angepasst an die neue Welt der Dorf-Städter, vermisst aber die alte: „Höchstens zehn Prozent grüßen sich noch im Ort. Der Zusammenhalt ist verloren gegangen. Man redet lieber mit dem Hund als mit dem Nachbarn.“ Die Probleme erinnern an so manche Integrationsdebatte im Schmelztiegel Wien. „Ich bekomme Anzeigen, wenn ich am Sonntag Heu führe, und ein Nachbar hat sich sogar aufgeregt, weil der Hahn kräht.“ Am meisten Troubles hat er mit Hundebesitzern, die Stöcke in die Futterwiesen werfen oder diese als erweiterte Gassi-Zone nutzen. „Hundekot verunreinigt das Futter, und die Stöcke können die Erntemaschinen beschädigen. Veganes Hundefutter, aber kein Respekt für den Landwirt, das geht nicht.“ Von meinem Multikulti-Viertel Ottakring nach Grub sind es 30 Autominuten. Während ich sein Almenpanorama bestaune, hat Gerhard das Gefühl, dass „die eigene Kultur einschläft“ und andere Kulturen „bereits im Vordergrund stehen“. Kontakt mit Flüchtlingen hat Gerhard kaum; was er hört und liest, reicht ihm für die Feststellung: „Wer wie ich zwölf Stunden pro Tag arbeitet und volle Wäsch’ einzahlt, ist der Trottel. Das Geld wird falsch verteilt. Wir müssen mehr auf unsere Leut’ schauen.“ Der Besuch beim Klassenkollegen zeigt: Je tiefer Menschen in der ländlichen Kultur verankert sind, umso größer wird die Angst, sie zu verlieren – und umso kleiner das Vertrauen, dass Zuwanderer, die ebenso traditionell aufgewachsen sind, sich in eine neue Kultur einfügen. In dieser Hinsicht kann Gerhard einen jungen Bauernbuben aus Afghanistan vielleicht besser verstehen als ein Wiener.

Auf Gerhard kann ÖVP-Kandidat Sebastian Kurz zählen. Viele Ortsbewohner werden den schwarzen Hoffnungsträger aber nicht wählen, weil sie auf ihrer Stadtflucht nicht nur fette Autos und Hunde, sondern auch ein linksliberales Weltbild mitnahmen.

„J

e weiter entfernt von Wien, desto konservativer“, sagt Ogris. Also fahre ich ins Weinviertel, nahe zur tschechischen Grenze, 80 PROZENT nach Herrnbaumgarten bei Poys- holte ÖVP-Bürgerdorf. Hier wählten 80 Prozent ÖVP- meister Christian Frank. „FPÖ wählt Bürgermeister Christian Frank, 60 die Jugend, weil es Prozent den blauen Präsident- trendig ist.“ schaftskandidaten Norbert Hofer.

Bei der Nationalratswahl 2013 stimmten 49 Prozent für die ÖVP und 21 Prozent für die FPÖ. Schwarz-Blau hätte hier eine erdrückende Mehrheit. „Bei uns sind sogar die Arbeiter schwarz“, sagt Frank: „FPÖ wählt die Jugend, weil es trendig und ein Zeichen der Auflehnung ist.“ Die Zahl der Weinkeller in der 1000-Seelen-Gemeinde

> 50% Hofer Van der Bellen 1.300.000

1.200.000

1995

Quelle: ORF-NÖ

1.278.675 Wahlberechtigte NÖ

1.156.888 Wahlberechtigte Wien

2013

Buntes Land Bei der Bundespräsidentenwahl gewann der Grüne Alexander Van der Bellen dank des Wiener Umlandes. Je weiter weg von Wien, desto konservativer (und in diesem Fall blauer). Bei der Zahl der Wahlberechtigten liegt NÖ schon deutlich vor Wien.

In absoluten Zahlen wählen im schwarzen Bundesland sogar mehr Menschen SPÖ als in der Hauptstadt.

ist massiv geschrumpft, aber ein großes Kabelwerk im Nachbarort sorgt für Jobs. Mit 31 Arbeitslosen kann auch hier keine Rede von abgehängter Provinz sein. Montagabend im täglich „offenen Keller“. Hier treffen sich 40 Herrnbaumgartner zur Weinverkostung. Angesprochen auf die Politik, erweist sich der große Pensionistentisch mit Durchschnittsalter 80 als Kurz-Fanclub: „eloquent“, „intelligent“, „gutes Auftreten“. Ist er ihnen nicht zu jung? „Er lernt das schon, unser Bürgermeister hat auch mit 33 begonnen.“ Es sind gebürtige Herrnbaumgartner, die einst vor der Arbeitslosigkeit nach Wien flüchteten und nun den Lebensabend daheim verbringen, oder Wiener mit Zweitwohnsitz. Ein pensionierter Autobusfahrer der Wiener Linien wählte in der Stadt wie fast alle Kollegen rot. „Hier draußen ist das anders. Ich wähle den Menschen, und der heißt diesmal Kurz.“ Der große Flüchtlingsstrom trieb gerade mal eine syrische Flüchtlingsfamilie nach Herrnbaumgarten, die kaum sichtbar ist.

Die Frau sitzt daheim bei den Kindern, und der Mann verbringt den Tag in Wien beim Sprachkurs.

Bürgermeister Frank beschreibt die Stimmungslage so: „Die Leut’ spüren, dass zu viele Menschen ins Sozialsystem kommen, die nicht arbeiten und einzahlen.“ Und er erzählt von der Angst, dass sich am Ende nicht Zuwanderer, sondern Österreicher anpassen müssen. „Wenn ich meinen Glauben und meine Bräuche nicht lebe, darf ich mich nicht wundern, wenn andere Bräuche überhandnehmen. Das Kreuz gehört ins Klassenzimmer.“ Der Islam mit seinem Alkoholverbot ist in der Region ein besonders sensibles Thema. Sie lebt wirtschaftlich und kulturell seit Jahrhunderten vom Wein. „Wir trinken unseren Wein und essen unser Schnitzel!“ Das habe sich der syrische Vater in den ersten Tagen gleich anhören müssen,

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ÖSTERREICH

Noch –10– Wochen

erinnert sich Frank schmunzelnd an die Herrnbaumgartner-Version des Wertekurses. Dann wird er wieder ernst: „Eine Familie macht vielleicht in unseren Vereinen mit, so wie eine andere zugewanderte Familie im Ort. Die ist voll integriert und fällt gar nicht mehr auf. Aber wenn es sieben Familien sind, feiern sie nur noch muslimische Feste.“ Diese Stimmungslage hat die FPÖ über Jahrzehnte genährt. „Der Strache wird in der Versenkung verschwinden“, sagt eine Frau am Pensionistentisch. Nur die Älteste in der Runde mit Hauptwohnsitz in Wien-Favoriten scheint am FPÖ-Chef festzuhalten, weil sie sich im Gemeindebau nicht mehr wohlfühlt.

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ehr zu holen für die FPÖ gibt es in den Arbeiterbastionen des bäuerlich geprägten Bundeslands. Sie erstrecken sich im Süden Richtung Steiermark und entlang der Donau. Berndorf bei Baden, Triestingtal, knapp 10.000 Einwohner. Hier wählten in der Nachkriegszeit bis zu 80 Prozent SPÖ. Heute tendieren viele seiner Arbeiter zur FPÖ, vermutet Norbert Zimmermann, Chef des traditionellen Besteckerzeugers und Metall-Spezialisten Berndorf AG. Er erklärt sich den Schwenk so: „Das gesamte Arbeiterleben war in der Hand der SPÖ, von der Wohnung bis zur Schule. Durch die Privatisierung der Verstaatlichten begann das alte Lied vom bösen Kapitalisten für die Arbeiter hohl zu klingen, gleichzeitig stieg die Angst vor ausländischer Konkurrenz.“ Bei der Nationalratswahl 2013 lag die FPÖ mit 24 Prozent deutlich vor der ÖVP mit 16 Prozent. Die SPÖ erreichte mit 36 Prozent dank der älteren Arbeiter, Pensionisten und Migranten noch immer Wiener Dimensionen. 16 Prozent der Bevölkerung sind Arbeiterfamilien aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei mit österreichischem Pass.

14 Uhr, Schichtwechsel. Hunderte Autos fahren über das Gelände Richtung Ausgang. Kein Tratsch, keine Kantine. Im Arbeiter-Gasthaus frage ich die einzigen beiden Gäste, ob sie einen einschlägigen Hintergrund haben.

Der eine outet sich als Polizist, der andere als Bürgermeister. Der 63-jährige Hermann Kozlik ist seit 15 Jahren Stadtchef und wurde zuletzt von 56 Prozent der Berndorfer gewählt. Von seiner SPÖ hat er sich innerlich immer mehr distanziert, erzählt er bei einem Puntigamer Bier.

Auf den eigenen Wahlplakaten stehe das Logo nur noch in Lupengröße. „Dieses ewige ,Gegen Rechts‘ kann ich nicht mehr hören.

Mit den Blauen verstehe ich mich in Berndorf bestens. Wir waren mit der Chefin auf Urlaub.“ Der Polizist nickt zustimmend. Den Bürgermeister ärgert die zu zögerliche Öffnung der SPÖ zu den Freiheitlichen: „Halbschwanger geht nicht.“ Deswegen wird er für SPÖ-Chef Christian Kern nicht die Werbetrommel rühren. „Man kann nur für etwas mobilisie-

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ren, von dem man überzeugt ist. Kern ist ein armer Hund, der von den eigenen Leuten schlechtgemacht wird.“ Seine Argumente klingen wie ein Echo aus Grub und Herrnbaumgarten. „Die Österreicher können von ihren Teilzeitjobs oder Pensionen nach 40 Jahren Arbeit nicht g’scheit leben, und wir zahlen an einen Flüchtling 860 Euro.“ Wenn Kozlik nur ansatzweise die Stimmungslage unter Niederösterreichs Arbeitern trifft, darf die FPÖ aufatmen und die SPÖ weitere Verluste im so wichtigen Bundesland befürchten.

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urkersdorf, Wien-West, 20 Minuten von Grub. Das Tal ist dunkler und enger als im südlichen Wienerwald. Der ehemalige rote Innenminister und Langzeit-Bürgermeister Karl Schlögl hatte nie Berührungsängste gegenüber der FPÖ und regiert doch eine andere Welt. 70 Prozent pendeln nach Wien, 50 Prozent sind Akademiker oder haben eine höhere Schule abgeschlossen. Van der Bellen holte hier 65 Prozent.

Auf dem Hauptplatz steht ein Kebab-Stand. Im schmucken Salettl, das ein Ägypter betreibt, haben sich Flüchtlingshelfer zum Jour fixe versammelt. „Die Mehrheit im Ort will, dass man Flüchtlingen hilft“, schwärmt der parteilose Vizebürgermeister und Historiker Christian Matzka von der „tollen Helferszene“. Nicht einmal der „Purkersdorfer Fenstersturz“ habe die Stimmung zum Kippen gebracht. In einem Quartier des Innenministeriums für unbegleitete Minderjährige war ein Somalier beim Streit mit Afghanen aus dem Fenster gestürzt – nur einer von mehreren Zwischenfällen.

Schlögl ließ 20 Burschen absiedeln. „Das externe Quartier macht Probleme. In den privaten Unterkünften läuft es viel besser. Offenheit muss man sich aber auch leisten können“, spielt Matzka auf den hohen Akademikeranteil an. In diesen Kreisen spürt er keine Kurz-Euphorie. „Erstens hat er nicht fertig studiert. Und zweitens muss er in seiner harten Haltung zwischen Zuwanderern aus dem Nahen Osten und EU-Bürgern, die einen Teil der Purkersdorfer ausmachen, stärker unterscheiden.“ Als Historiker für politische Bildung weiß Matza, wie gut Feindbilder in ISLAMOPHOBIE Österreich ziehen – besonders der Mitten im Islam. „Pummerin statt Muezzin, Wienerwald. Das das lernt man in der Volksschule.“ „Fuck“ wurde Er ist überzeugt, dass die Türakribisch durchgestrichen. ken-Belagerung von 1683 im kollektiven Gedächtnis bis heute nachwirkt.

Auf dem hügeligen Weg von Purkersdorf, Richtung Grub und Gaaden, steht ein weißes Stromleitungsgebäude mitten in den saftigen Hügelwiesen. „Islam“ prangert darauf in grüner Schrift. Surreal, dieses Religionsbekenntnis mitten im Wienerwald. Dann entdecke ich das akribisch durchgestrichene „Fuck“ darüber.

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Elfriede Hammerl elfriede.hammerl@profil.at www.elfriedehammerl.com

Paradies adieu

Unser Ferienort wurde yuppisiert. Wir passen nicht mehr hin.

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ahrelang war mein Ferienparadies ein etwas heruntergekommenes kleines Schlösschen auf einer etwas heruntergekommenen kleinen Insel in einer istrischen Bucht.

Das Gebäude herrschaftlich, die Räume eigenwillig in Appartements aufgeteilt und von eher schäbiger Ausstattung.

Rundherum ein alter Park, stellenweise nachlässig, stellenweise gar nicht gepflegt, das Meer von fast jedem Punkt der Insel aus in ein paar Minuten erreichbar. Klares Wasser. Unter den hohen Bäumen Pfaue und Kaninchen. Vor dem schiachen Hotelkasten, in dem es Frühstück gab, eine Anlegestelle für die Fähre, mit der man in fünf Minuten in der wunderbaren Altstadt gegenüber war.

Dort komprimierte Geschichte. Überreste römischer Tempel, eine mittelalterliche Stadtmauer, enge Gässchen mit romanischen und gotischen Häusern, Palazzi aus der Zeit der venezianischen Herrschaft und der Regentschaft der Donaumonarchie. Das Pflaster spiegelglatt, durch Jahrhunderte hindurch poliert von darübereilenden oder -schlendernden Füßen. In der Basilika immer wieder großartige Klassik-Konzerte hochkarätiger Kammermusik-Ensembles. Ja, und Touristenmassen, Ramsch, Trubel, Kirtagstimmung, das auch. Na und, es war Sommer!

Wenn wir genug hatten vom Jahrmarktsrummel, flüchteten wir zurück auf die Insel. Die wurde nicht selten von einer Kakofonie unterschiedlicher Discosounds aus diversen Hotelburgen im Umland überflutet, das Paradies war nicht perfekt. Aber irgendwann kehrte Stille ein. Schläfrig schlugen die Wellen ans Ufer, und dann und wann hoppelte ein verwirrtes Kaninchen durch die Nacht.

Wenn die anderen gematschkert haben über zerschlissene Sofas, Gestrüpp an den Wegen und einen Service, den man wohlwollend gerade noch als lässig bezeichnen konnte, dann sagte ich: Seid froh, solange es so aussieht. Wenn es sich ändert, können wir es uns nicht mehr leisten.

Dass dieser Tag kommen würde, war klar.

Und jetzt ist es passiert.

Alles neu, alles anders. Wir haben es uns angeschaut.

Was nicht alles Platz gefunden hat auf dem Inselchen!

Zwei Hotels statt einem, dazu das Schlösschen (einheitlich billigbeige überhiaselt samt den ehemals grünen Fensterläden) und viele Bungalows, die Villas heißen und in speziellen VIP-Zonen liegen, wohin sich der gewöhnliche Besucher nicht verirren soll. (Deswegen stößt er allerorten an Tafeln, auf denen ihm gedankt wird, dass er die Privacy der Erste-Klasse-Gäste respektiert. Klartext: Troll dich!)

Weiters Restaurants, Beach Bars, Pool-Landschaften, Sportplätze, Strände. Die Wege sind betoniert oder geschottert und haben hochtrabende Namen wie Natural Trail, auch wenn sie gerade einmal 400 Meter lang sind. Je nach Ho-

tel werden den Gästen einzelne Strand-Reservate zugewiesen. Dort bekommen sie eine Liege und ein Badetuch. Wer woanders liegen will, muss extra zahlen, aber es ist eh überall überfüllt. Die schönsten Strandabschnitte sind für die BewohnerInnen der Luxusbungalows reserviert und dem Pöbel nicht mehr zugänglich.

Unser Freiluftkäfig (die nunmehr horrenden Preise auf der Insel waren uns zu hoch, aber ein paar Tage in einem dazugehörigen Stadthotel, mit Bademöglichkeit auf der Insel, gingen sich aus) besteht aus zwei Teilen. Der gepflegte ist kleiner und schon in der Früh usurpiert. Der Wir kriegen was für andere ist, wenn man unser Geld, ein Danke ein bisschen genauer schaut, eine brutal ab- fürs Frühstücken und geholzte Gstätten. Vor- den Anblick tadelloser her war hier dicht ver- Gestalten. wachsenes Unterholz, auch nicht lieblich, aber ehrlich. Hat ja auch niemand Riviera-Beach dazu gesagt wie jetzt, und man lagerte nicht hier, sondern auf der Wiese, die nun ein Infinity-Pool ist und zur Privacy der finanziellen Oberschicht gehört.

(Die modischen Liegen sind übrigens verdammt unbequem. Bloß Krempel oder Absicht? Vielleicht sollen wir ja nicht zu lang darauf herumlungern, sondern irgendwo anders irgendwas konsumieren?)

Die Stadt gegenüber ist immer noch eindrucksvolles Kulturerbe und pulsierender Ferientrubelplatz, nur kommt sie uns lauter und stressiger vor, wahrscheinlich, weil wir kein Leo mehr haben, in das wir flüchten können. Rundum breitet sich wie ein Krake der Hotelkonzern aus, der unserer Insel die Seele ausgetrieben hat, und nimmt Bucht um Bucht in seinen Besitz. Überall Behübschung, Bespaßung, Gewinnstreben. Jeder Quadratzentimeter Boden genützt und zu Geld gemacht. So geht Yuppisierung.

Thank you so much, sagt das hübsche junge Mädchen in der schmucken Uniform, das den Eingang zum Frühstücksbuffet bewacht. In der neuen Vier- bis Fünf-Sterne-Welt arbeiten lauter schöne junge Menschen, zumindest an sichtbarer Stelle. Wohin wurden die drallen älteren Frauen und Männer im Styling der werktätigen Massen verräumt, die früher hier zugange waren?

Thank you so much. Wir kriegen was für unser Geld, ein Danke fürs Frühstücken und den Anblick tadelloser Gestalten. Na bitte.

Nein, Sanierung ist nichts Böses, und dass Investitionen sich lohnen sollen, versteht man. Aber was ist Sanierung, und was ist, im Gegenteil, gnadenloser Ressourcenverschleiß? Die Antwort gibt wieder einmal der Gierfaktor. ■ 7. August 2017 • profil 32 21

ÖSTERREICH

Noch –10– Wochen

Der blaue Sektor Die FPÖ will gesellschaftsfähig werden. Doch wer sind die freiheitlichen Parlamentarier hinter Heinz-Christian Strache & Co, mit denen Sebastian Kurz oder Christian Kern bei einer Koalition zu rechnen hätten?

Von Christa Zöchling

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ls Erstes fallen einem die dunklen, gedeckten Farben auf und dass es wenig Frauen gibt. Die freiheitlichen Abgeordneten bilden im Hohen Haus ein kulturelles Biotop. Einige Männer tragen Narben im Gesicht. Und nirgendwo gibt es so hitzige Zwischenrufer, die sich an ihren Opfern verbeißen und nicht aufhören können. Das alles vermittelt den Eindruck von Bierstubendunst.

Obenauf schwimmt eine aggressive Grundstimmung gegen die Regierungsbank, gegen die Redner anderer Parteien, vor allem gegen Rednerinnen. Das wird sich ändern müssen, wenn die FPÖ nach den Wahlen am 15. Oktober in Regierungsverhandlungen eintreten möchte.

Ob das auch gelingen wird?

Von derzeit 38 Nationalratsabgeordneten der FPÖ sind mehr als ein Drittel Mitglied in einer deutschnationalen Burschenschaft oder Verbindung. Seit HeinzChristian Strache im Jahr 2005 die FPÖ übernommen hat, geben sie dort den Ton an. Sie sind ideologischer Unterbau und Reservoir für Spitzenpositionen. Zu Beginn der Jahrtausendwende, in den ersten schwarz-blauen Jahren, kamen viele von ihnen in Ämter und Würden in staatsnahen Gesellschaften und Ministerbüros. Und als das zu Ende war, kamen sie in den Nationalrat.

Ist das heute noch relevant, nicht ohnehin ein Auslaufmodell, ein Mummenschanz mit Fechtritualen und Schmissen im Gesicht? Schwenkt man die Nazi-Keule, wenn man darauf zu sprechen kommt?

Einer aus diesem Kreis, der Anwalt Johannes Hübner, der unter anderem die berüchtigte Burschenschaft „Olympia“ vertrat und immer wieder bei einschlägigen Veranstaltungen zu sehen war, wird nicht mehr kandidieren. Es ist ein Tonbandprotokoll aufgetaucht, aus dem hervorgeht, dass Hübner mit antisemitischem Unterschleif ein rechtes Publikum vergnügte.

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Es hat ihn spät ereilt, und Hübner mag sich zu Recht als Bauernopfer fühlen. An seiner statt soll der umstrittene ehemalige Nationalratspräsident Martin Graf ins Parlament einziehen.

Als junges Mitglied der „Olympia“ hatte Graf auf der Wiener Universität für einen amtsbekannten Neonazi und Antisemiten den Saalschutz gemacht. Der Vortragende Reinhold Oberlercher hatte über Herren- und Sklavenvölker schwadroniert und von Juden als „bakteriellen Krankheitserregern“ gesprochen. Moderiert wurde die Veranstaltung damals von Harald Stefan, heute Nationalratsabgeordneter. Er war schon einmal als FPÖ-Justizminister im Gespräch.

Laut Website ist die „Olympia“ stolz darauf, die „schärfste“ Burschenschaft zu sein. Seit Jahren pflegt sie Kontakte zu amtsbekannten Holocaust-Leugnern und Neonazis und einen seltsamen Humor.

Mittels Flugblatt warb sie einmal für ein Krampuskränzchen mit den Worten: „Bist du hässlich, fett, krank oder fremd im Lande (…) oder hast du eine Freundin mit, die weder schön noch still ist, dann bleib lieber zu Hause.“ Weder Stefan noch Graf haben jemals der „Olympia“ den Rücken gekehrt.

Revanchismus, Frauenverachtung, blinder Hass gegen Andersdenkende und Kampf gegen die sogenannte „Überfremdung“ finden sich freilich auch in den anderen deutschnationalen Verbindungen.

Der FPÖ-Abgeordnete Roman Haider setzte mit Drohungen und Einschüchterungen durch, dass ein Rechtsextremismus-Experte, der auch bei den Grünen aktiv ist, ein Referat in einer Linzer Schulklasse abbrechen musste. Der Referent hatte gesagt, deutschnationale Burschenschaften hätten starken Einfluss in der FPÖ. Seitdem gibt es eine mit der FPÖOberösterreich verlinkte Site, wo man Lehrer vernadern kann, die etwas Missliebiges sagen. Haider, der selbst im Landesschulrat sitzt, ist Mitglied bei der pennalen Burschenschaft Donauhort zu

Aschach. Sein Sohn, der aus dem Klassenzimmer heraus den Vater informiert hatte, ist ebenfalls Mitglied dieser Verbindung.

Der Abgeordnete Christian Hafenecker, Burschenschafter, wurde weniger durch die parlamentarische Arbeit als durch ein rassistisches Posting bekannt: Es zeigte eine faule, schwarze und eine strotzend, gelbe Banane. Der Spruch darunter: Menschen sind wie Bananen, die schwarzen mag keiner.

Der Abgeordnete Wolfgang Zanger, Burschenschafter, meinte einmal, der Nationalsozialismus habe auch „gute Seiten“ gehabt.

In einer Ausgabe von „Zur Zeit“, die der FPÖ-Abgeordnete Wendelin Mölzer, Burschenschafter, herausgibt, wurden Kinder in Wiener Kindergärten als „rassisch durchmischt“ verhöhnt. Vor vier Jahren meinte Mölzer, es gäbe einen Plan, die Kärntner Täler „mit Ausländern zu fluten“, und das sei „Heimatverrat“.

Philipp Schrangl, mit seinen 32 Jahren derzeit der jüngste männliche Abgeordnete der FPÖ, ist stolz darauf, bereits fünf Mensuren gefochten und trotzdem keinen „Schmiss“ davongetragen zuhaben.

Der Abgeordnete Christian Höbart, Burschenschafter, bezeichnete die in Traiskirchen untergebrachten Asylwerber als „Erd- und Höhlenmenschen“. Unter dem Foto eines Flüchtlingsboots postete er: „Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön.“ Der Abgeordnete Werner Neubauer, Mitglied einer Schülerverbindung, schreibt für die rechtsextreme Zeitschrift „Die Aula“ und für „unzensuriert.at“. Neubauer kam einmal in einem deutschen Verfassungsschutzbericht zu Ehren. Bei einem Auftritt in Köln hatte er homosexuelle Politiker aufs Gemeinste verhöhnt.

Den verstorbenen Liedermacher Sigi Maron bezeichnete er als „linken Zecken.“ Nazi-affine Sprache scheint in der FPÖ niemanden zu stören.

In einem gewissen Sinn typisch, wenn auch kein Burschenschafter, ist der Abge-

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APA/HERBERT PFARRHOFER

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ordnete Josef Riemer.

Der 67-Jährige betreibt einen Gasthof an der südsteirischen Weinstraße. Einem Redakteur der „Kleinen Zeitung“ waren Facebook-Fotos aus Riemers Weinkeller aufgefallen, mit denen er Werbung für seinen so genannten „Tempelwein“ machte.

Riemer ist nämlich auch noch Obmann eines Vereins namens „Isis Noreia“, benannt nach einer keltischen Muttergöttin. Eines der Fotos zeigte das schmiedeeiserne Tor seines Weinkellers in Gestalt einer sogenannten „schwarzen Sonne“, die sich aus mehreren Siegrunen zusammensetzt. Riemer tat bass erstaunt.

Er habe das Haus von seinen Eltern geerbt, nicht gewusst, dass dies ein NS-Symbol sei. „Soll ich jetzt auch alle alten Bücher wegwerfen?“, fragte er kokett. Man wüsste jetzt natürlich gern, welche Bücher das sind.

Das Foto ist von Facebook verschwunden, sein Gasthof, den er „Kristallhaus“ nennt, wird weiter beworben. Der Ort sei magisch und geomantisch vermessen, erfährt man. Geomantisch – das hat mit Kraftfeldern, Strahlen und Hellseherei zu tun. Riemer heißt denn auch alle „Sinnsuchenden, Kraft und Mysterien Verschworenen“ willkommen. Er bietet Seminare für Führungskräfte an mit: „Feuerspucken, Sonnenanbeten, Runendeuten und Sprachpflege“ – jederzeit auch „Feuerlauf als ein Faktor wider jeglicher Logik“.

Riemer ist auch Dichter. „Dunkles Blut entlang der Mauer/ehrt den Helden seiner Trauer/Totenbuch im Pulverdampf.“ So hört sich diese Lyrik an, die unter anderem von Hans Jakob Rosenkranz, dem rechtsextremen Ehemann der ebenfalls

FREIHEITLICHE KLUBFÜHRUNG KICKL, STRACHE Heute gibt man sich israelfreundlich, und Antisemitismus hat man nie gekannt.

weit rechts stehenden FPÖ-Abgeordneten Barbara Rosenkranz beworben wird. Als Präsident des freiheitlichen Seniorenbundes wird Riemer sicher wieder einen Sitz im Parlament ergattern.

Es gibt auch etliche rechtskonservative, pragmatische Abgeordnete der FPÖ.

Doch insgesamt wirkt die Geisteswelt der Freiheitlichen wie ein wildes Sammelsurium. Der traditionelle nationalsozialistische Unterschleif ist glühendem Ausländerhass und sogenanntem Kulturkampf gegen den Islam gewichen. Bekämpft wird im Grunde aber jeder, der nicht dem Biedersinn entspricht: etwa Homosexu-

elle, Frauen, die auf Gleichberechtigung pochen.

Die Frauensprecherin der FPÖ, Carmen Schimanek, rief 2016 zum „genderfreien“ Jahr aus. Ihre Leidenschaft: die Abschaffung des sogenannten Binnen-I in Bundesgesetzen und die Wiederherstellung der österreichischen Bundeshymne „in ursprünglicher Form“.

Anneliese Kitzmüller, in einer Damenverbindung aktiv und im Vorstand der rechtsextremen Österreichischen Landsmannschaft, die sie für „untadelig“ hält, ist gegen Väterkarenz, weil „echte Männer“ nicht daheim bleiben würden.

Der steirische Spitzenkandidat für den Nationalrat, Hannes Amesbauer, hatte früher, als er noch den „Ring Freiheitlicher Jugend“ in der Steiermark anführte, dort allerlei rechtsextremistische Aktivitäten zugelassen. Er sagte einmal, er halte es für richtig, Asylwerber „abzuschotten“ und zu „kasernieren“. Wie es einst Jörg Haider mit der „Saualm“ gemacht hat, das fand er „ganz reizvoll“. (Das Asylheim auf der Saualm wurde wegen unzumutbarer Zustände geschlossen.)

Fixstarter ist auch der Abgeordnete David Lasar, als freiheitlicher Vorzeigejude besonders gehätschelter Mandatar. Dass Lasar einst die „Gelder für die jüdische Gemeinde einfrieren“ wollte – ist heute vergessen. Ebenso Jörg Haiders antisemitische Attacken auf den Präsidenten der IKG, Ariel Muzicant, an denen weder Lasar noch Strache damals etwas auszusetzen hatten.

Heute gibt man sich israelfreundlich, und Antisemitismus hat man nie ge■ kannt.

7. August 2017 • profil 32 23

SCHULD UND SCHULDEN Der Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden wurde wegen einer Finanztransaktion vor zehn Jahren zu einer Haftstrafe verurteilt. Ist das gerecht?

Mit Steuergeld spekuliert wurde damals in vielen Gemeinden.

Wer es nicht tat, galt als übervorsichtig.

24 profil 32 • 7. August 2017

ÖSTERREICH

Von Rosemarie Schwaiger

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APA/BARBARA GINDL(2)

HEINZ SCHADEN Ein Gerichtsurteil beendete die Karriere des Salzburger Bürgermeisters.

einz Schaden kämpfte mit den Tränen, als er das bevorstehende Ende seiner politischen Karriere bekanntgab. Am 20. September wird der Salzburger Bürgermeister nach 18 Jahren im Amt zurücktreten. Schaden wäre gerne noch geblieben, aber das sei nun nicht mehr möglich, erklärte er am Montag vergangener Woche im Marmorsaal des Schlosses Mirabell. „Ich verstehe, wieso ich besonders hart beurteilt werde. Ich meine das überhaupt nicht wehleidig, sondern das ist mit dieser Funktion schlichtweg so verbunden.“ Drei Tage vorher, am 28. Juli, war Heinz Schaden wegen Beihilfe zur Untreue zu drei Jahren Haft, davon ein Jahr unbedingt, verurteilt worden. Der Richterspruch ist nicht rechtskräftig. Aber natürlich reicht schon dieses Urteil der ersten Instanz, um eine Politikerlaufbahn zu beenden. Im Prozess ging es um einen Nebenschauplatz des Salzburger Finanzskandals: Im September 2007 hatte die Stadt Salzburg dem Land sechs negativ bewertete Swaps übertragen – ohne erkennbare Gegenleistung. Dem Land soll

dadurch ein Schaden von mindestens drei Millionen Euro entstanden sein. Mit Heinz Schaden verurteilt wurden auch der ehemalige Landeshauptmannstellvertreter Othmar Raus sowie fünf weitere Angeklagte.

Justizexperten sind sich nicht einig, ob sie die Strafe für den Salzburger Bürgermeister zu hoch, zu niedrig oder genau richtig finden sollen. Auf die meisten Laien wird das Urteil ziemlich hart wirken – vor allem im Vergleich zu anderen Fällen.

Für drei Jahre Haft, davon ein Jahr unbedingt, muss man in Österreich für gewöhnlich doch einiges verbrochen haben.

Dieselbe Strafe bekam vor Kurzem ein 33-jähriger Türke, der bei einem Streit seinem Widersacher eine acht Zentimeter lange Messerklinge in den Bauch gerammt hatte. Einen zweiten Stich konnte das Opfer gerade noch abwehren. Ebenfalls ein Jahr unbedingte Haft setzte es für einen Kärntner Anwalt, der seine Klienten um insgesamt 725.000 Euro betrogen hatte sowie für einen jungen Niederösterreicher wegen jahrelangen sexuellen Missbrauchs seines kleinen Bruders.

Heinz Schaden hat sich nicht persönlich bereichert, und er hatte wohl auch nicht vor, das Land Salzburg in Schwierigkeiten zu bringen – umso weniger, als im Jahr 2007 seine Parteifreunde von der SPÖ regierten. Ob der Swap tatsächlich drei Millionen Euro Verlust verursachte, wie das Gericht befand, ist strittig; der Gutachter schwankte in seinen Angaben, und die Anwälte der Angeklagten kamen bei ihren Berechnungen auf höchstens 300.000 Euro. Selbst wenn man von der Höchstsumme ausgeht, hätte Heinz Schaden keinen Grund gehabt, Gesetze zu brechen. Der Bürgermeister hat das Budget seiner Stadt so nachhaltig saniert, dass zuletzt Überschüsse von 40 Millionen Euro pro Jahr anfielen. Drei Millionen könnte Salzburg quasi aus der Portokasse zahlen.

Das Urteil gegen Heinz Schaden löste in den Rathäusern und Gemeindeämtern der Republik eine Mischung aus Entsetzen und Mitleid aus – und zwar unabhängig von der politischen Präferenz. Was dem Salzburger SPÖ-Mann jüngst passiert ist, hätte nicht wenigen Kollegen in österreichischen Städten und Dörfern auch passieren können. Hochriskante Finanzprodukte, kreative Zinsoptimierungen und Fremdwährungskredite hatten vor zehn Jahren ziemlich viele Kommunen in ihren Büchern. Es war die Zeit vor dem großen Crash, als jeder für ein naives Dummerchen gehalten wurde, der sein Geld aufs Sparbuch legte und Kredite in Euro aufnahm. Spekulation galt als Breitensport.

7. August 2017 • profil 32 25

ÖSTERREICH

Schaden wurde zwar nicht für den Swap verurteilt, sondern für dessen Weiterleitung an das Land. Aber falls der Bürgermeister wirklich ins Gefängnis muss, liegt das im Prinzip an Geschäftspraktiken, die lange gang und gäbe waren.

Walter Roisz, Bürgermeister der burgenländischen Gemeinde Ritzing, hält das Urteil gegen den Amtskollegen für ein schlimmes Signal. „Ich frage mich, ob man die Politik kaputtmachen will. Als Bürgermeister stehst du eh schon dauernd mit einem Fuß im Kriminal. Und jetzt kommt das noch dazu.“ Auch Alfred Riedl, Präsident des österreichischen Gemeindebunds, macht sich Gedanken: „Natürlich wird dieser Fall Auswirkungen auf die Bereitschaft der Leute haben, sich so ein Amt anzutun.“ Amtsmissbrauch und Korruption sollten mit aller Härte verfolgt werden, meint Riedl. Etwas anderes seien aber politische Entscheidungen, die sich später als falsch herausstellen.

In den Jahren 2008 und 2009 häuften sich Medienberichte über Bürgermeister und kommunale Finanzreferenten, die – in bester Absicht oder aus Übermut, beides kam vor – auf den Finanzmärkten aktiv geworden waren. Besonders bekannt wurden die steirische Gemeinde Hartberg und ihr damaliger Bürgermeister Karl Pack. Sogar das ZDF rückte an, um die Spekulationshochburg in der österreichischen Provinz zu besichtigen. Was war passiert? Die Gemeinde hatte 2005 ihre Sparkasse verkauft. Der Käufer, die Steiermärkische, zahlte 62,5 Millionen Euro.

Den Grünen in der Stadt kam das zu wenig vor, aber viel Geld war es trotzdem.

Hartberg investierte einige Millionen in Grundstücke, zahlte Schulden zurück, hatte aber immer noch 40 Millionen herumliegen. Veranlagt wurde dann, auch mithilfe von Beratern, leider nicht sehr geschickt – unter anderem in Aktien von Meinl European Land und in eine Investmentfirma auf den Virgin Islands, die sich mehr oder weniger in Luft auflöste. Auf über drei Millionen Euro hatten sich die Verluste bis Ende 2008 summiert.

In der Zwischenzeit wechselte die politische Führung. Marcus Martschitsch, der neue Bürgermeister, kann eine Art Happy End vermelden. „Nur zwei unserer vielen Veranlagungen haben Verluste gebracht. Insgesamt gibt es einen Gewinn von 2,7 Millionen Euro.“ Das sei für die veranlagten 40 Millionen in über zehn Jahren zwar nicht berauschend, aber immerhin besser, als seinerzeit zu befürchten stand.

In deutlich mehr Kommunen ging es einst nicht darum, Geld zu veranlagen, 26 profil 32 • 7. August 2017

„Als Bürgermeister stehst du eh schon dauernd mit einem Fuß im Kriminal.

Und jetzt kommt das Urteil noch dazu.“ Walter Roisz, Bürgermeister

sondern möglichst günstig einen Kredit zu bedienen. Die 900-Einwohner-Gemeinde Ritzing versuchte das auf Anraten der Hausbank mit einem Devisenoptionsgeschäft. Bürgermeister Walter Roisz hatte das Arrangement von seinem Vorgänger im Amt geerbt, war aber schon selbst am Steuer, als die Sache anfing, schiefzulaufen. Im Frühling 2008 lag der Verlust über 160.000 Euro, und Roisz startete seine Tage damit, nervös die internationalen Börsenachrichten zu lesen. „Mittlerweile wären wir wahrscheinlich bei einer halben Million“, meint Roisz. Zum Glück sei es gelungen, mit der Bank einen Vergleich zu erzielen. Wie viel Geld Ritzing insgesamt verloren hat, darf der Bürgermeister nicht sagen. „Wir wurden zu Stillschweigen verpflichtet. Ich kann nur sagen, wir sind ganz gut ausgestiegen.“ Mit dem Abstand von zehn Jahren ist es leicht, sich über Provinzkaiser lustig zu machen, die ernsthaft dachten, sie hätten ein Zaubermittel gegen die chronische Geldknappheit der öffentlichen Kassen gefunden. Aber die Bürgermeister waren in bester Gesellschaft; hochbezahlte Experten erlagen derselben Versuchung. Sogar der Rechnungshof zeigte Verständnis. „Selbst unter Einrechnung der Absicherungskosten gegen das Währungsrisiko in Form eines Devisentermingeschäfts erschien diese Finanzierung (gemeint war: in Fremdwährung, Anm.) günstiger als die Inlandsfinanzierung“, heißt es etwa in einem RH-Bericht aus dem Jahr 2000.

Für die meisten Kommunen dürften die einschlägigen Abenteuer halbwegs glimpflich ausgegangen sein, meint der Wiener Anwalt Lukas Aigner, dessen Kanzlei deutlich über 50 Gemeinden bei ihren Auseinandersetzungen mit den

Banken betreute. „In all diesen Fällen haben wir erreicht, dass die Banken einen großen Teil des Schadens übernommen haben“, sagt Aigner. Mangelhafte Beratung habe sich so gut wie immer nachweisen lassen. Mitunter habe sich herausgestellt, dass der Bankberater selber nicht gewusst hatte, was er da vertickte.

Bruck an der Leitha, Alkoven, Hofamt Priel, Oberschützen, Karlstetten: Die Liste der spekulationsgeschädigten Gemeinden ist lang. Und selbstverständlich mischten auch deutlich größere Städte mit; Salzburg war als Landeshauptstadt nicht alleine beim Zocken. Die Stadt Wien hielt es noch 2010 für eine gute Idee, das Volumen ihrer Fremdwährungskredite in Schweizer Franken zu erhöhen. Dann wurde jahrelang „rolliert“, wie Finanzstadträtin Renate Brauner die Verlängerung der Laufzeit nannte. Erst seit dem Vorjahr werden die Schulden nach und nach in Euro umgewandelt. Wie teuer der Spaß ingesamt gewesen sein wird, steht noch nicht fest.

Deutlich größer sind die Probleme in Linz. Der Zinsswap 4175, einst abgeschlossen mit der BAWAG, könnte die Stadt eines Tages im Extremfall um 600 Millionen Euro ärmer machen. Das ist jedenfalls die Summe, die von der Bank geltend gemacht wird. Seit 2011 befinden sich Stadt und Bank in einem Rechtsstreit, der ebenfalls um die Frage kreist, ob die BAWAG ihr Produkt richtig erklärt hat und der zuständige Finanzreferent wissen konnte, worauf er sich mit Steuergeldern einließ. Anders als in Salzburg wird in Linz aber niemand ins Gefängnis gehen.

Der zuständige Stadtrat und der Finanzdirektor wurden in einem Strafprozess bereits freigesprochen.

Für den seit 2004 amtierenden St. Pöltener Bürgermeister Matthias Stadler könnte es indes noch eng werden. Seit Ende Mai ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen ihn und ein ehemaliges Mitglied der städtischen Finanzverwaltung. Es geht um den Verdacht auf Untreue und Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit einer Reihe von Derivatgeschäften. Fest steht bisher nur, dass die Transaktionen der Stadt nicht wirklich gut getan haben. Ein Vergleich mit der Bank soll St. Pölten über 43 Millionen Euro gekostet haben.

Die Anwälte von Heinz Schaden und fünf seiner Mitangeklagten legten mittlerweile Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen die Urteile ein. Auch die Staatsanwaltschaft beruft. Aus ihrer Sicht ist unter anderem der Bürgermeister zu billig davongekommen.

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wirtschaft Chefsache

Aus dem Verkehr ziehen

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as Rennen um die Nachfolge von Peter Layr beim niederösterreichischen Energieversorger EVN dürfte gelaufen sein. Schon 2011, als Stefan Szyszkowitz in den Vorstand des börsennotierten Unternehmens berufen wurde, galt er als aussichtsreicher Nachfolger für den Vorstandsvorsitzenden Peter Layr. Nun scheidet Layr mit Ende September vorzeitig aus dem Unternehmen aus und verabschiedet sich in die Pension. Laut Insidern soll Szyszkowitz ihn nun tatsächlich an der Vorstandsspitze beerben. Die Bewerbungsfrist für den

Auch österreichischen VW-Fahrern könnte ein Zulassungsentzug drohen.

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APA/HERBERT NEUBAUER

STEFAN SZYSZKOWITZ Aussichtsreichster Kandidat für den Vorstandsvorsitz bei den EVN.

SHUTTERSTOCK

ie Autobranche hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Im Herbst 2015 wurde der VW-Skandal rund um die Abgasmanipulationen bei Dieselmotoren bekannt. Seither zieht die Affäre immer weitere Kreise, auch andere Hersteller stehen am Pranger. VW muss in den USA Bußgelder in Höhe von 4,3 Milliarden US-Dollar zahlen. Bei Audi musste der halbe Vorstand gehen, für ein bestimmtes Modell des Porsche Cayenne wurde ein Verkaufsverbot erlassen. Zudem stehen VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler unter Kartellverdacht.

Seit mehr als 20 Jahren sollen die Konzerne geheime und verbotene Absprachen getroffen haben.

Das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt droht nun Besitzern von Dieselfahrzeugen der Marke Volkswagen mit dem Entzug der Zulassungserlaubnis.

Jenen VW-Fahrern, die sich dem Softwareupdate verweigern, kündigt das Amt „die Untersagung des weiteren Betriebs des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen“ an. Die Stilllegung des Fahrzeugs sei „in der Regel gebührenpflichtig“.

In Österreich sind rund 390.000 Autos von der Abgasmanipulation im VW-Konzern (inklusive der Marken Škoda, Audi, Seat und Porsche) betroffen.

Droht Update-Verweigerern hierzulande ebenfalls ein Zulassungsentzug?

In letzter Konsequenz: Ja. Die betroffenen VW-Fahrer wurden per Brief über die Rückrufaktion informiert. Laut Auskunft des Verkehrsministeriums haben bisher über 70 Prozent der Angeschriebenen dem Aufruf Folge geleistet. Jene Autobesitzer, die ihr Fahrzeug noch nicht umrüsten ließen, werden vom Versicherungsverband ein Erinnerungsschreiben erhalten.

Wird auch dieses ignoriert, droht eine Vorladung durch die Landespolizeidirektion beziehungsweise die Bezirkshauptmannschaft, das Fahrzeug bei der Landesprüfstelle überprüfen zu lassen. Weil auf Österreichs Straßen nur typengenehmigte Fahrzeuge erlaubt sind, könnten die Behörden in letzter Instanz nicht typenkonformen Autos die Zulassung entziehen. Den Betroffenen eine zeitliche Frist zu setzen, ist indes nicht geplant: „Ich halte nichts von Strafen für die Geschädigten. In der Pflicht ist ganz klar VW: Der Konzern muss seiner Holschuld nachkommen und dafür sorgen, dass der Schaden auf kundenorientierte Weise behoben wird“, erklärt Verkehrsminister Jörg Leichtfried. ch

vakanten Posten endete vergangenen Monat. Allerdings suchte die EVN per Ausschreibung einen Technik-Vorstand. Szyszkowitz ist Jurist und war zunächst bei der Industriellenvereinigung tätig, ehe er 1993 als Pressesprecher zu den EVN wechselte.

Innerhalb des Unternehmens gibt es aber ein paar Personen, auf die das Ausschreibungsprofil zutreffen würde. Dass jedoch ein Vorstands-Neuling oder auch jemand von außen die Nummer eins werden wird, ist eher unwahrscheinlich. Aufsichtsratchefin Bettina Glatz-Kremsner (im Brotberuf Finanzvorständin bei den Casinos Austria und seit Kurzem Stellvertreterin von ÖVP-Chef Sebastian Kurz) lässt wissen, dass der Bewerbungsprozess „gut läuft“. Alles andere möchte sie nicht kommentieren.

Der Aufsichtsrat jedenfalls tagt im September und wird dann seine Entscheidung bekannt geben. ch

7. August 2017 • profil 32 27

WIRTSCHAFT

gutes geld REDAKTION CHRISTINA HIPTMAYR • JOSEPH GEPP • MICHAEL NIKBAKHSH

Das war meine Woche

KOMMENTAR

Ich

weiß nicht genau, woran es liegt: Möglicherweise daran, dass ich „Schweinsbraten mit Knödel“ gegenüber „Protein-Pulver und Vitamintabletten“ bevorzuge. Oder dass ich lieber „mit dem Fahrrad die Chinesische Mauer entlang fahren“ würde, als in einem „Kurort“ zu urlauben.

Vielleicht hat mich auch verraten, dass ich bei der Frage nach dem Hobby die Antwortmöglichkeit „Briefmarken sammeln“ wohlweislich ignoriert habe. Wahrscheinlich hat aber den Ausschlag gegeben, dass ich das Motto „Man bereut nicht, was man getan hat, sondern das, was man nicht getan hat“ als Lebensphilosophie angekreuzt habe.

Sie ahnen es bereits: Ich habe mich dazu hinreißen lassen, auf Facebook einen Persönlichkeitstest zu machen.

Das Ergebnis erhält nur, wer seine E-Mail-Adresse hinterlässt. Und jetzt habe ich es schriftlich: Ich bin eine Rebellin. Das glaubt zumindest jenes Finanzdienstleistungsunternehmen, welches den Test entworfen hat und seine Teilnehmer in Alterstypen einteilt. Ich gebe zu, das Resultat schmeichelt mir. Ich hätte auch als „ewig Junge“ oder „Traditionelle“ qualifiziert werden können. Pfhh!

Was mich stutzig werden lässt: Aufgrund meiner Antworten hält man mich für ein Mitglied der Generation der Babyboomer, also jener geburtenstarken Jahrgänge der zwischen 1946 und 1964 Geborenen.

Vermehren Tesla Inc. (in USD) General Motors Co. (in USD) Gewinn je Aktie 2016 -4,68 6,12 Buchwert je Aktie 2016 38,40 28,46 Dividende für 2016 0,00 1,52 KGV (aktuell) – 5,68 KBV (aktuell) 9,04 1,49 Umsatz 2016 7 Mrd. 157 Mrd. Nettogewinn 2016 -675 Mio. 9,43 Marktkapitalisierung (aktuell) 57 Mrd. 50,7 Kursveränderung 12 Monate 50,9% +12,9% Kursveränderung 24 Monate +43,1% +20,4% Quelle: teletrader.com

28 profil 32 • 7. August 2017

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er Hype um den US-amerikanischen Elektroautomobilbauer Tesla (ISIN: US88160R1014) nimmt kein Ende – und lässt die etablierten Automobilkonzerne zunehmend alt aussehen. Mit einer Marktkapitalisierung von derzeit rund 57 Milliarden US-Dollar wird Tesla an der Börse höher bewertet als General Motors (50,7 Milliarden Dollar) oder Ford (43,4 Milliarden). Und das ungeachtet des Umstands, dass 349,02 US-$ Tesla noch nie Tesla schwarze Zahlen schrieb und im 310 Gegensatz zu den Mitbewer220 bern bis auf Weiteres auch keine 8/2016 8/2017 Dividenden aus- Quelle: finanzen.at

KLASSENTREFFEN Ursula Clara Deschka

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ie Österreicherin wird mit 1. November in den Vorstand des Versicherungsunternehmens Ergo Direkt berufen und wird dort den Bereich „Produkte und Services“ verantworten. Sie wechselt vom Mitbewerber Allianz in München – wo sie Direktorin für das Spezialisten- und Produktmanagement war – in die Ergo-Direkt-Zentrale ins mittelfränkische Fürth, wo das Unternehmen 1800 Mitarbeiter beschäftigt.

Die 38-Jährige studierte in Wien internationale Betriebswirtschaftslehre und spricht sechs Sprachen. Ursula Clara Deschka hat ihre gesamte bisherige Karriere in unterschiedlichen Positionen bei der Allianz verbracht. Unter anderem war sie als Hauptbevollmächtigte in Reykjavík tätig.

Ohne jemandem nahetreten zu wollen, aber von dieser Generation trennt mich doch eine erhebliche Anzahl von Jahren. Aber was soll’s.

Ich bin ja hart im Nehmen.

Nun warte ich auf das total personalisierte, perfekt auf mich zugeschnittene Angebot für meine Altersvorsorge. Eines, bei dem ich gar nicht Nein sagen kann. Das soll schließlich der Sinn solcher Werbeeinschaltungen in sozialen Medien sein. Oder?

Aber das entsprechende Offert kommt einfach nicht. Vielleicht sind Modell und Algorithmen ja doch nicht so ausgeklügelt, und die Datenkrake ist doch nicht so allwissend, wie es immer heißt? So wird das jedenfalls nichts mit uns, Swiss Life Christina Hiptmayr Select.

Cristiano Ronaldo

14,7

Millionen Euro soll der Ausnahmefußballer zwischen 2011 und 2014 am Fiskus vorbeigeschleust haben. Aus Einnahmen aus seinen Bildrechten. Über drei Briefkastenfirmen auf den Virgin Islands. Rund 90 Minuten – eine Zeitspanne, die ihm vertraut sein müsste – musste Cristiano Ronaldo vergangene Woche der Ermittlungsrichterin in Madrid Rede und Antwort stehen. Die Vorwürfe hatte er stets zurückgewiesen.

Laut Angaben der spanischen Gewerkschaft der Steuerbeamten drohen Ronaldo bis zu sieben Jahre Haft. Fußball-Kollege Lionel Messi wurde für die weit geringere Summe von 4,1 Millionen Euro zu 21 Monaten Haft (auf Bewährung) verurteilt. Für Ronaldo gäbe es jedoch noch einen Ausweg: Gibt er die Steuerhinterziehung zu und zahlt den hinterzogenen Betrag, dann bleibt es bei einer hohen Geldbuße. Dann wäre er zwar vorbestraft, das Gefängnis bliebe ihm aber erspart.

Alan Greenspan

W NELL KILLIUS; APA/AFP/KIRILL KUDRYAVTSEV; APA/ AFP/SAUL LOEB

schütten wird. Getragen wird Tesla von der Erwartung, dass das neue Großserienmodell X weltweit einschlägt – die jüngsten Meldungen des Unternehmens lassen jedenfalls darauf schließen. Soll man Tesla-Aktien kaufen? Ausgehend von Indikatoren wie dem Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) oder dem Kurs/Buchwert-Verhältnis ist Tesla zwar längst teurer als GM (oder Ford). Die eigene Pensionsvorsorge auf Tesla aufzu35,15 US-$ bauen, erscheint General Motors bedingt ratsam – 37 in spekulativer Hinsicht ist das 32 Papier aber weiterhin einen zweiten Blick 8/2016 8/2017 Quelle: finanzen.at wert.

enn ein Schuldiger für die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise gesucht wurde, fiel am häufigsten sein Name. Er habe die Immobilienblase tatenlos begleitet, auf die Selbstheilungskräfte der Märkte gesetzt und staatliche Hilfe für die Betroffenen bekämpft. Mit seiner jahrelangen Niedrigzinspolitik habe der ehemalige Chef der US-Notenbank Fed (1987 bis 2006) die Blase am Häusermarkt erst ermöglicht und so die Krise heraufbeschworen. Nun warnt der mittlerweile 91-Jährige vor einer Blase am Anleihemarkt. Die Gefahr sei, dass die realen langfristigen Zinsen zu schnell steigen werden. Das sei von den Marktteilnehmern nicht eingepreist. Es drohe die Gefahr einer Stagflation, wie man sie seit den 1970er-Jahren nicht mehr gesehen habe. Dereinst meinte Greenspan noch: „Spekulationsblasen erkennt man erst, wenn sie geplatzt sind.“

7. August 2017 • profil 32 29

WIRTSCHAFT

Von Bomben u Die US-Lobby „United Against Nuclear Iran“ zieht seit Jahren gegen das Regime in Teheran zu Felde. Sie setzt Unternehmen mit geschäftlichen Interessen im Iran massiv unter Druck – auch österreichische. Die New Yorker Organisation führt Altbundeskanzler Wolfgang Schüssel als einen ihrer Berater an. ost von einem Botschafter. Bekommt man auch nicht alle Tage.

Der 23. Mai 2017 war für Diethard S. ein solcher. Am späten Nachmittag quoll ein siebenseitiges Schreiben aus dem Faxgerät der steirischen H. GmbH – eines international tätigen Ingenieursbüros, dessen Geschäfte Diethart S. führt (er übermittelte profil das Dokument mit der Bitte, seine Anonymität zu wahren).

Absender der Depesche: „Ambassador Mark D. Wallace, Chief Executive Officer, United Against Nuclear Iran“, New Yorker Faxanschluss.

Exzellenz kam gleich zur Sache: „United Against Nuclear Iran (UANI) hat mit Bestürzung erfahren, dass H. … GmbH Berichten zufolge als Aussteller an der 22nd International Oil, Gas, Refining and Petrochemicals Exhibition („die Messe“) vom 06. bis 09. Mai 2017 in Teheran teilgenommen hat“, schrieb Wallace in geschliffenem Deutsch.

Die „Iran Oil Show“ gilt als einer der wichtigsten Branchentreffs der Region. Einmal im Jahr kommen Vertreter des internationalen Öl- und Gasgewerbes in Teheran zusammen, um übers Geschäft zu reden. Die Ausstellerliste 2017 fasste mehr als 1700 Einträge. Aus Österreich waren 18 Anbieter dabei, zum überwiegenden Teil mittelständische Anlagenbauer, Ingenieurbüros, Beratungsunternehmen, dazu die OMV und der schweizerisch-österreichische Technologiekonzern Hoerbiger. Auch die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) macht der Messe seit Jahren die Aufwartung – deren Außenwirtschaftsorganisation vermittelt Interessenten die Teilnahme und betreibt einen eigenen „Austria-Pavillon“. In der „Tehran Times“ zog WKO-Organisator Markus Gumplmayr zufrieden Bilanz: „Wir planen, den Pavillon im kommenden Jahr zu vergrößern.“ 30 profil 32 • 7. August 2017

Von Michael Nikbakhsh

„Die iranische Revolutionsgarde, die Organisation, die vom iranischen Regime für innenpolitische Repression und weltweite terroristische Aktivitäten genutzt wird, kontrolliert unter anderem den Automobil-, Energie-, Bau-, Fertigungs-, Schifffahrts- und Telekommunikationssektor. Aus diesem Grund ist es fast unmöglich, im Iran Geschäfte ohne Einbeziehung der Iranischen Revolutionsgarde zu tätigen … Ausländische Unternehmen, die nach Geschäftsmöglichkeiten im Iran suchen, sollten daher maximale Vorsicht walten lassen.“*

Aus einem Schreiben von „United Against Nuclear Iran“ an ein österreichisches Unternehmen, 23. Mai 2017

Die H. GmbH hat sich auf die Exploration und die Berechnung von Öl- und Gasvorkommen spezialisiert. 45 Mitarbeiter, allesamt hochspezialisierte Ingenieure, sind weltweit unterwegs. In Teheran war das Murtaler Unternehmen heuer zum zweiten Mal mit von der Partie.

Nicht die allerbeste Idee, zumindest nicht aus Sicht von Mark Wallace. Firmen, die mit dem Regime in Teheran Geschäfte machten, setzten sich unkalkulierbaren Risiken aus, alarmierte er das Ingenieursbüro (Auszüge aus dem Schreiben lesen Sie in den schwarzen Balken). Es war nicht die einzige Warnung. Nach profil-Recherchen gingen acht weiteren heimischen Unternehmen, die an der Iran Oil Show 2017 teilgenommen hatten, gleichlautende Schreiben zu.

Wallace ist nicht bloß ein besorgter Amerikaner. Er war einst einer der engsten Berater von US-Präsident George W. Bush, arbeitete in wechselnden Funktionen für die W. Bush-Administration, diente als Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen. 2008 gründete er mit Vertrauten die US-Lobby „United Against Nuclear Iran“, kurz UANI, mit Sitz in New York.

Die Organisation ist nach eigenem Verständnis „gemeinnützig“ und „unparteiisch“. Sie drängt auf „eine Beendigung der wirtschaftlichen und finanziellen Unterstützung des iranischen Regimes durch Unternehmen“. Und das so lange, bis der Iran „nachweisbar auf sein Streben nach Atomwaffen, seine Unterstützung des Terrorismus und seine schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen verzichtet hat“. Die zentrale Botschaft von UANI: Wer mit den Mullahs Geschäfte macht, finanziert Terrorismus, Cybercrime und Produktpiraterie, unterstützt Menschenrechtsverletzungen, setzt Mitarbeiter dem Risiko von Entführungen, Folterungen und Hinrichtungen aus, schädigt die eigene Reputation – und verhaut sich Geschäftschancen in Ländern, die dem Iran nicht wohlgesonnen sind.

Wie man die gesetzten Ziele erreichen will? „By pressuring corporations to end their Iran business“, wie es auf der Website (unitedagainstnucleariran. com) unmissverständlich heißt. Man setzt Unternehmen also unter Druck. Die laufend ajourierte Site ist Teil dieser Strategie. UANI führt unter anderem ein „Iran Business Register“, in dem rund 1000 Unternehmen rund um den Globus und quer durch alle Branchen erfasst sind, die geschäftliche Interessen im Iran haben (oder irgendwann einmal hatten). Es ist eine schwarze Liste, die sich – soweit sichtbar – hauptsächlich aus Medienberichten speist, die UANI unkommentiert übernimmt.

MICHAEL GRUBER / EXPA / PICTUREDESK.COM

nd Drohungen Aus Österreich werden derzeit 21 Firmen genannt, darunter OMV, Austrian Airlines, Oesterreichische Kontrollbank, voestalpine, Erste Group, Raiffeisen Zentralbank, Doppelmayr und Swarovski.

UANI-Repräsentanten kommunizieren darüber hinaus mit Entscheidungsträgern, pflegen einen Twitter-Account (10.600 Follower, 35.300 Tweets), eine Facebook-Site (112.100 Likes), schreiben Presseaussendungen, versenden Newsletter, geben Interviews, buchen Werbeflächen.

Das machen andere NGOs natürlich auch. Und doch hat UANI ein Alleinstellungsmerkmal. Es ist die wahrscheinlich einzige Nichtregierungsorganisation der Welt, die ehemalige Regierungsmitglieder, Diplomaten, Geheimdienstleute und Militärs ersten Ranges vereint.

Als Gründer scheinen neben Mark Wallace der 2010 verstorbene US-Spitzendiplomat Richard Holbrooke (einst unter anderem US-Sondergesandter für Afghanistan und Pakistan), Ex-CIA-Direktor James Woolsey und Dennis Ross, ehedem Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats der Vereinigten Staaten, auf. Als „Chairman“ von UANI fungiert derzeit der ehemalige US-Senator Joseph Lieberman, der 2000 als Vizepräsidentschaftskandidat an der Seite von Al Gore angetreten war. Daneben besteht ein 40-köpfiger internationaler Beirat („Advisory Board“), dem weitere interessante Persönlichkeiten angehören: der frühere Präsident des deutschen Bundesnachrichtendienstes August Hanning zum Beispiel; der ehemalige Direktor des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, Tamir Pardo; Sir Richard Dearlove, vormals Chef des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6; dazu erfahrene Militärs, politische Analysten, Universitätsprofessoren und (teils sehr konservative) Ex-Politiker. Der frühere Gouverneur des US-Bundesstaats Florida Jeb Bush berät UANI ebenso wie der ehemalige polnische Außenminister Radosław Tomasz Sikorski, der frühere italienische Außenminister Giulio Terzi di Sant’Agata oder die spanische Außenministerin außer Dienst Ana de Palacio.

Und dann wäre da noch ein Mann, der einst hierorts die Regierungsgeschäfte führte: Wolfgang Schüssel, zwischen 2000 und 2007 ÖVP-Bundeskanzler der Republik Österreich. Laut UANI ist Schüssel eines der 40 Mitglieder des „Advisory Board“. Die Website zeigt das Porträt des Altbundeskanzlers (mit Lebenslauf) gleich neben dem der früheren britischen Staatsministerin für Sicherheit, Pauline Neville-Jones.

Wie kommt man da hin?

Schüssel ließ profil über seine Beraterin Heidi Glück Folgendes übermitteln: „Vor einigen Jahren

WOLFGANG SCHÜSSEL Dass er als UANI-Berater geführt wird, war ihm „bislang nicht bekannt“.

wurde Dr. Schüssel angefragt, um Verhandlungen zur Verhinderung eines iranischen Atomprogramms zu unterstützen, was Dr. Schüssel selbstverständlich zusagte. Seither gab es keinen Kontakt mehr.

Erfreulicherweise wurden diese Verhandlungen später auf Initiative von Außenminister Sebastian Kurz in Wien erfolgreich geführt.“ Details sind nicht zu erfahren. Das Statement schließt mit einer doch überraschenden Feststellung: „Dass Dr. Schüssel im Advisory Board der UANI geführt wird, war ihm bislang nicht bekannt.“ Wie lange Schüssel bereits als Berater geführt wird?

UANI-Sprecher Steven Cohen ließ bis Redaktionsschluss zwei profil-Anfragen unbeantwortet.

Tatsache ist, dass die Lobby auch österreichische Exporteure möglichst weit weg vom Iran halten will. Tatsache ist auch, dass das offizielle Österreich in der Gegenrichtung unterwegs ist: Heimische Unternehmen werden regelrecht dazu ermuntert, verstärkt Handel mit den Mullahs zu treiben.

Der Grundstein dazu war im Juli 2015 gelegt worden – unter Mitwirkung von Außenminister Kurz, der in Schüssel einen seiner Mentoren sieht.

Im Rahmen des in Wien verhandelten Joint Comprehensive Plan of Action, kurz JPCOA, hatte sich Teheran verpflichtet, sein Atomprogramm stark zurückzufahren. Im Gegenzug sicherten die fünf UN-Vetomächte, Deutschland und die EU den Iranern die schrittweise Aufhebung der teils jahrzehntealten Sanktionen zu. Ein brüchiges, umstrittenes Abkommen. Erst vor wenigen Tagen erließ US-Präsident Donald Trump neue Sanktionen gegen den Iran. Der Atom-Deal 2015 war auch von UANI wiederholt scharf kritisiert worden.

So oder so: Mitte Juni dieses Jahres eilten Finanzminister Hansjörg Schelling und NationalbankGouverneur Ewald Nowotny an der Spitze einer Wirtschaftsdelegation nach Teheran, um den „bilateralen Handelsaustausch“ wiederzubeleben, wie es im Nachgang des (nicht offensiv kommunizierten) „Arbeitsbesuches“ hieß. Wenige Tage darauf zeichneten Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl und Wirtschaftsminister Harald Mahrer in Wien das niederösterreichische Gastronomieunternehmen Donhauser mit dem „Exportpreis 2017“ aus: Gold in der Kategorie Tourismus und Freizeitwirtschaft für die erfolgreiche Expansion in den Iran – seit 2015 unterhält Donhauser in Teheran ein Joint Venture, welches das Catering für die private Bahngesellschaft Fadak besorgt.

Leitl macht aus seiner Haltung kein Geheimnis: „Der Iran ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Wirtschaftspartner Österreichs im Nahen und Mittleren Osten, und österreichische Unternehmen sind 7. August 2017 • profil 32 31

WIRTSCHAFT

grundsätzlich an einem Ausbau dieser Beziehungen interessiert“, schreibt er in einer Stellungnahme an profil. „Nach dem internationalen AtomAbkommen mit dem Iran, hinter dem im Übrigen die Vertragspartner Deutschland, Frankreich, Russland, Großbritannien, China und die EU voll stehen, gibt es wieder vielversprechende neue Chancen.“ Ähnliches ist aus dem Kabinett von Wirtschaftsminister Mahrer zu hören: „Wir stufen den Iran als interessanten Wachstumsmarkt für die österreichische Exportwirtschaft ein. So alle internationalen Bestimmungen und Beschlüsse eingehalten werden, steht Internationalisierungsbemühungen österreichischer Unternehmen in Richtung Iran aus unserer Sicht nichts im Wege beziehungsweise sind diese zu begrüßen.“ Im Online-Register von UANI scheint die von Mahrer und Leitl ausgezeichnete Donhauser GmbH nicht auf, jedenfalls noch nicht. Es ist auch nicht ganz klar, nach welchen Kriterien Unternehmen auf diese Watchlist kommen. Die Tiroler Swarovski-Gruppe etwa kam allem Anschein nach nur deshalb zu einem Listenplatz, weil sie auf ihrer Website einen autorisierten Vertragshändler in Teheran anführt. Bei der Erste Group reichte schon ein Treffen mit iranischen Bankern in Wien Anfang 2016, um Eingang zu finden. „Wir sind verwundert, dass wir auf dieser Liste stehen“, sagt Sprecher Michael Mauritz. „Wir haben keine einzige Korrespondenzbank-Beziehung mit einer Bank im Iran und wickeln Exportfinanzierung für heimische und CEE-Unternehmen im Rahmen der geltenden Gesetze und Sanktionen ab. Bisher sind wir auch nicht von dieser Vereinigung kontaktiert worden.“ Die frühere Raiffeisen Zentralbank war zwischen 1993 und 2012 mit einer Repräsentanz in Teheran vertreten. Auch sie wird von UANI gelistet. Nach Aussage von Sprecherin Ingrid KrennDitz prüft die nunmehrige Raiffeisenbank International derzeit allerdings „die Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehungen mit ausgewählten iranischen Finanzinstituten“, respektive die Wiedereröffnung der Repräsentanz.

Die AUA wiederum fliegt neben Teheran mittlerweile auch Isfahan und Shiraz an. „Diese Anflüge sind selbstverständlich im Einklang mit den geltenden internationalen Gesetzen, Richtlinien und Vorgaben, deren Veränderung wir kontinuierlich prüfen“, so AUA-Sprecher Peter Thier. Für eine Nennung auf der Liste reicht das allemal. Die Airline ist damit allerdings in bester Gesellschaft: British Airways, Lufthansa, Air France, KLM, Korean, Turkish und zahlreiche weitere Carrier.

Besonders abstrus wirkt der Eintrag der Oesterreichischen Kontrollbank (OeKB). Diese scheint deshalb im Register von United Against Nuclear Iran auf, weil sie österreichische Exporteure seit 2016 wieder gegen Zahlungsausfälle iranischer Geschäftspartner versichert. Die Kontrollbank bietet diese sogenannten Exporthaftungen allerdings im Auftrag der Republik Österreich an, es handelt sich also um rein staatliche Garantien. „Wir unterstützen österreichische Unternehmen im Auftrag des 32 profil 32 • 7. August 2017

„Ein Unternehmen, das in einem Land nach Geschäftsmöglichkeiten sucht, das berüchtigt ist für seine Terrorunterstützung und die Verletzung elementarster Menschenrechte, einschließlich staatlich unterstützter Morde und Folter der eigenen Bürger, wird unweigerlich seinen Ruf bei Verbrauchern, Handelspartnern und der gesamten Öffentlichkeit verspielen.“ „Ein Unternehmen, das im Iran Geschäfte macht, setzt seine leitenden Angestellten … hohen Risiken aus.“ „Einflussreiche Shareholder und das Anlegerpublikum werden nicht wohlwollend auf Firmen blicken, die auf der Jagd nach kurzfristigen Profiten die Politik eines Regimes unterstützen, das Terrorismus sponsert, nukleare Proliferation betreibt, Frauenrechte einschränkt, Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle mit gewalttätigen Mitteln unterdrückt, und willkürliche Inhaftierungen und Hinrichtungen der eigenen Bürger zulässt.“

Bundesministeriums für Finanzen“, präzisiert OeKB-Sprecherin Martina Schweighart. „Diese Möglichkeit zur Absicherung und Finanzierung von Exporten in den Iran wurde Anfang 2016 wieder geschaffen, nachdem die Atomverhandlungen erfolgreich abgeschlossen, durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates bestätigt und die Wirtschafts- und Finanzsanktionen großteils aufgehoben wurden.“ UANI sei der Kontrollbank „als Anti-Iran-Lobby bekannt“.

Gegenüber der ebenfalls gelisteten OMV trat United Against Nuclear Iran bisher nicht in Erscheinung. Auch Sprecher Robert Lechner betont, dass der teilstaatliche Mineralölkonzern keine Geschäfte mache, „die international gültigen anwendbaren Sanktionen“ widersprächen: „Die OMV hat strategisches Interesse an einer Kooperation mit dem Iran. Wir arbeiten derzeit mit der iranischen Öl- und Gasgesellschaft NIOC an der Evaluierung von gemeinsamen Projekten und haben dazu in den vergangenen Monaten auch entsprechende Absichtserklärungen unterzeichnet.“ Für UANI-Chef Mark Wallace ist der genannte OMV-Partner National Iranian Oil Company allerdings auch nicht viel mehr als „eine weitere zwielichtige Organisation, die weiterhin Gegenstand von Sanktionen durch das amerikanische Office of Foreign Assets Control ist“. Das schrieb er zumindest in seinem Fax an das steirische Ingenieursbüro Ende Mai. Bei der voestalpine kennt man das Spiel. „Wir haben um 2014 von dieser Organisation ein Schreiben erhalten“, erzählt Sprecher Peter Felsbach. „In unserem Fall ging es um die Lieferung von Schienen, Weichen und sonstiger Infrastruktur für die Teheraner Metro. Alles innerhalb der Sanktionen.“ Laut Felsbach sind die Iran-Umsätze des Linzer Stahlkonzerns seit Jahren verschwindend gering.

Das Management habe dem Schreiben seinerzeit auch keine weitere Bedeutung beigemessen; dass man auf der Liste stehe, nehme man zur Kenntnis.

Doch erst vor wenigen Tagen machte UANI wieder auf sich aufmerksam. Rund um den Iran-Besuch von Schelling und Nowotny tauchten in iranischen Medien Berichte auf, die voestalpine werde sich an einem Stahlwerk im Lande beteiligen. „UANI griff das via Twitter auf“, berichtet Felsbach, „wir konnten das rasch aber klarstellen. Das waren schlicht Falschmeldungen.“ Der Chef eines international tätigen Wiener Planungsbüros, spezialisiert auf die Projektierung von Raffinerien und Pipelines, erzählt, er habe vor zwei Jahren Post von UANI bekommen. In seinem Fall sei der Hinweis gekommen, dass Geschäfte im Iran allfälligen weiteren Geschäftsbeziehungen in die USA nur bedingt förderlich seien. Er ließ sich nicht beeindrucken – der Name seines Unternehmens ist auf der Watchlist zu finden.

So auch der eines börsennotierten Salzburger Kranherstellers: Palfinger. 2013 waren im Internet Fotos öffentlicher Exekutionen im Iran aufgetaucht. Diese zeigten Opfer des Regimes, die an mobilen Kränen hingen. In einem Fall war ein Palfinger-Kran zu erkennen. UANI nahm sich der Sa-

DER BEIRAT VON UANI Neben Schüssel werden weitere Ex-Regierungsmitglieder, politische Analysten, frühere Diplomaten, Geheimdienstleute und Militärs genannt.

che an, schrieb einen Brief an Palfinger. Generaldirektor Herbert Ortner reagierte sofort. Wiewohl seine Techniker den inkriminierten Kran schnell als gebrauchtes iranisches Lizenzprodukt identifizierten, gebaut in den 1990er-Jahren auf Basis einer abgelaufenen Palfinger-Lizenz, sagte der Palfinger-Chef UANI den Abbruch aller geschäftlichen Kontakte in den Iran zu – was ihm allerdings nicht wirklich schwer gefallen sein dürfte, da Palfinger lange keine neuen Kräne mehr in den Iran verkauft hatte. Palfinger-Sprecher Hannes Roither erinnert sich: „Unser Iran-Geschäft war seit Jahren nahe null. Wenn man aber, wie Palfinger, 20 Prozent seines Umsatzes in den USA macht und es mit einer in den USA sehr gut vernetzten Organisation zu tun bekommt, dann nimmt man das schon ernst.“ Der Ton des Schreibens sei „durchaus einschüchternd“ gewesen.

Ende 2016 hätten die Amerikaner sich übrigens ein weiteres Mal gemeldet. „Wir hatten 2016 nach mehreren Jahren ohne Geschäft wieder minimale Erlöse im Iran, und zwar 0,1 Prozent unseres Konzernumsatzes (Anm.: knapp mehr als eine Million Euro), das haben wir so auch an UANI kommuniziert“, so Roither. „Danach haben wir nichts mehr gehört. Der UANI-Eintrag zu Palfinger trägt den Zusatz „withdrawn“, also „zurückgezogen“. Aber er ist immer noch da.

„Ob Dr. Schüssel mit UANI zu tun hatte, entzieht sich unserer Kenntnis.“ Aus einer Stellungnahme des Kabinetts von Außenminister Sebastian Kurz

United Against Nuclear Iran verfügt über einen recht anständigen Haushalt. Zwischen 2008 und 2012 – jüngere Zahlen sind öffentlich nicht zugänglich – flossen der Organisation, die eine Handvoll Mitarbeiter beschäftigt, insgesamt 8,53 Millionen Euro an Spenden und Förderungen zu. 2015 nannte der US-amerikanische Politik-Blog lobelog.com den im internationalen Rohstoffgeschäft tätigen New Yorker Investor Thomas Kaplan als einen der wichtigsten UANI-Financiers.

Die Aktivitäten zeigen jedenfalls Wirkung. In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Unternehmen, wenn auch vorwiegend amerikanische, dem Druck der Lobby nachgegeben und Geschäftsbeziehungen in den Iran abgebrochen (oder gar nicht erst aufgenommen). 2016 waren französischen Unternehmen böse Briefe zugegangen, auch da gaben einige der Adressaten klein bei. UANI stellt dazu online Eidesstattliche Erklärungen zum Download bereit, in welchen sich die Unterzeichnenden verpflichten, jetzt und künftig keine Geschäfte im Iran zu tätigen. „Die Wirtschaft darf nicht als Instrument der Politik missbraucht werden“, schimpft Wirtschaftskammer-Präsident Leitl. „Gerade in Zeiten, wo es an vielen Ecken der Welt kracht, sollte man Schritte zur Deeskalation setzen und nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen.“ Auch vom Wirtschaftsministerium kommt Kritik: „Drohungen gegenüber Unternehmen lehnen wir strikt ab, diese Vorgangsweise ist für uns ganz klar abzulehnen.“ Und was sagt eigentlich Schüssels Protegé Sebastian Kurz dazu? „Bundesminister Kurz hat mehrfach die Bedeutung des im Jahr 2015 unterzeichneten Wiener Abkommens hervorgehoben.

Für Österreich stellt die Umsetzung dieser Vereinbarung einen essenziellen Beitrag zur Nichtverbreitung von Nuklearwaffen dar“, schreibt sein Kabinett an profil. „Bundesminister Kurz betonte mehrfach, dass die Bestimmungen des Wiener-Abkommens Punkt für Punkt umgesetzt werden müssen. Dies gilt natürlich auch für österreichische Unternehmen, soweit Letztere von Bestimmungen aus diesem Abkommen betroffen sind.“ Es sei aber „inakzeptabel, wenn österreichische Unternehmen Gegenstand von Einschüchterungen und Drohungen sind“. Dazu gehöre auch „das Führen und die Publikation von ,schwarzen Listen‘ die einem solchen Zweck dienen“.

Und dass Schüssel als Berater der Anti-IranLobby geführt wird? „Ob Bundeskanzler a. D. Dr. Wolfgang Schüssel mit UANI zu tun hatte, entzieht sich unserer Kenntnis.“ ■ 7. August 2017 • profil 32 33

WIRTSCHAFT ÖSTERREICH, DEINE PRODUKTE, TEIL II

Reden wir über … Klammermaschinen

Clemens Ellmauthaler, Verkaufs-Chef beim burgenländischen Büromaterialienhersteller Sax, über ein kaum beachtetes Gerät, das auf fast jedem Schreibtisch steht. profil: Herr Ellmauthaler, das älteste Heftklammermaschinen-Modell, das Sie verkaufen, wurde laut Ihrer Website bereits im Jahr 1928 entwickelt.

Clemens Ellmauthaler: Ja, das ist unser Klassiker, der „Frog“ (siehe Bild oben, Anm.). Er besteht zur Gänze aus Metall. Robuster, guter Federstahl. Das bringst du nicht um; der Frog hält 30, 40 Jahre. Aber er kostet auch was, rund acht Euro. profil: Wer kauft eine Klammermaschine von 1928?

Ellmauthaler: Viele Kunden haben den Frog seit Jahrzehnten auf dem Schreibtisch. Das Modell ist weithin bekannt, auch deshalb, weil es die Verkäuferinnen an der Wurstsemmeltheke früher benutzten. Sie machten damit die Sackerl zu. Mittlerweile werden aber stattdessen Pickerl verwendet. profil: Wieso kam an der Semmeltheke ausgerechnet der Frog zum Einsatz?

Ellmauthaler: Als Ganzmetallgerät kann man ihn nach Benutzung in den Sterilisator geben – das geht nicht bei Geräten, die teilweise aus Kunststoff bestehen. Deshalb war der Frog lange Zeit im Lebensmittelbereich beliebt, oder auch in Krankenhäusern. profil: Warum bestehen Heftklammermaschinen heutzutage meist aus Kunststoff?

Ellmauthaler: Es gibt mehrere Gründe. Es ist eine Frage des Designs – bei Kunststoffen verwenden wir frischere, buntere Farben. Aber der Kunststoff ist auch eine Reaktion darauf, dass es heutzutage mehr Vorschriften gibt. Kunststoff lässt sich besser formen als Metall. Kunststoffkanten lassen sich beispielsweise leichter abrunden. Damit ist die Gefahr geringer, dass man sich die Finger einzwickt. Gewisse Kriterien hinsichtlich Produktsicherheit erreichen wir mit Kunststoffgeräten besser als mit dem Frog. profil: Wie haben sich Klammermaschinen seit dem Frog technisch weiterentwickelt?

Die Brevillier Urban & Sachs GmbH & Co KG

Ellmauthaler: Eine Neuerung ist der Flachhefter, den wir vor 15 Jahren eingeführt haben. profil: Was ist das?

Ellmauthaler: Stellen Sie sich einen Ordner mit viel Das Unternehmen mit zusammengeheftetem Papier vor. Nehmen wir an, Sitz in Hirm nahe Eidie Heftung befindet sich immer an derselben Stelsenstadt geht auf eine le, links oben. Was passiert?

Schrauben- und Bleiprofil: Keine Ahnung. stiftfabrik zurück, die Ellmauthaler: Im linken oberen Eck bildet sich eine im 19. Jahrhundert ge- Art Schanze. Denn der Draht der Heftklammern verbraucht Platz. Seine Rundung ist jeweils ungefähr gründet wurde. Heute einen Millimeter hoch – bei viel geheftetem Papier fertigen rund 300 Mitim Ordner summiert sich das. Mit dem Flachhefter arbeiter Künstlerbedarf hingegen spart man Platz. Hier ist die Biegung des (unter dem Markenna- Drahtes nicht rund, sondern ganz gerade, im rechmen Cretacolor), Bunt- ten Winkel. stifte (Jolly) sowie Loprofil: Warum haben Hefter dann nicht von Anfang cher, Hefter und andere an eckige statt gerundete Klammern fabriziert?

Bürogeräte (Sax). In Ös- Ellmauthaler: Beim Flachhefter ist der Kraftaufwand terreich werden Klam- viel höher. Sie können das selbst ausprobieren: Wenn Sie ein Stück Draht mit der Hand verbiegen, mermaschinen sowie wird etwas Rundes dabei herauskommen. Je eckidie dazugehörigen ger der Draht werden soll, desto mehr Kraft brauKlammern ausschließ- chen Sie. Dasselbe gilt für einen Hefter: Wenn er lich von diesem Unter- eckig geformte Klammern hervorbringen soll, muss man ihn mit viel Kraft betätigen. Unsere Herausfornehmen erzeugt. Proderung war, den Kraftaufwand zu reduzieren und duziert wird in Hirm, die Klammer trotzdem eckig hinzubekommen.

Graz und im ungariprofil: Wie? schen Pomáz. Der BeEllmauthaler: Durch eine spezielle Konstruktion am trieb gehört der Wiener Amboss, jenes Metallteils unten am Gerät, in den Unternehmerfamilie die Klammer beim Heften hineingedrückt und geHromatka. bogen wird. Mithilfe dieser Konstruktion wird die Klammer flach gebogen. Der Kraftaufwand ist bei unseren Flachheftern um 30 Prozent geringer als bei No-Name-Produkten.

In einer neuen profil-Serie sprechen wir mit heimischen Wirtschaftstreibenden ausschließlich über das wichtigste Fabrikat aus ihrem Haus.

34 profil 32 • 7. August 2017

SEBASTIANREICH FÜR PROFIL

profil: In welchen Ländern verkauft Sax die meisten Heftklammermaschinen?

Ellmauthaler: In Österreich sind wir Marktführer, unser Bekanntheitsgrad liegt bei 91 Prozent. Darüber hinaus verkaufen wir viel in Europa, insbesondere in Skandinavien und im Osten. Äußerst stark sind wir außerdem im gesamten arabischen Raum und in Nordafrika. Vor allem staatliche Stellen dort zählen zu unseren besten Kunden. profil: Wieso ausgerechnet der arabische Raum?

Ellmauthaler: Die Leute dort haben Geld und legen Wert auf Qualität aus Europa, auch auf ihrem Schreibtisch. Der Schreibtisch und alles, was sich auf ihm befindet, ist im arabischen Raum ein Statussymbol. In Europa hat sich dies ja längst aufgehört; hier sitzen ja heutzutage selbst die Vorstandschefs manchmal im Gemeinschaftsbüro. Allerdings: Die Nachfrage aus dem arabischen Raum schwankt stark mit dem Ölpreis. Ist er niedriger, sind die Budgets dort klammer. Wir spüren das sofort in der Nachfrage. profil: Und wenn er höher ist, darf es ruhig die teure Klammermaschine sein.

Ellmauthaler: In den 1990er-Jahren haben wir sogar, speziell für hohe arabische Beamte, Geräte produziert, die mit 18 Karat vergoldet waren. Eines hat umgerechnet rund 100 Euro gekostet. profil: Spielen Privatkunden im Klammermaschinen-Geschäft auch eine Rolle? Oder geht es nur um Unternehmen und staatlichen Einrichtungen?

Ellmauthaler: Wir haben kürzlich eine Marktumfrage unter 500 Österreichern gemacht, wo sie ihre privat benutzen Sax-Hefter herbekommen. Wissen Sie, was das Ergebnis war?

Sie nehmen sie aus ihren Büros mit! 80 Prozent der Befragten geben an, ihre Hefter, wenn man so will, ausgeborgt zu haben. Demnach: Das Privatkunden-Geschäft ist wichtig, aber eher unspannend. profil: Warum bleiben die Klammern in den Maschinen so oft stecken?

Ellmauthaler: Es hängt davon ab, welche Klammern man verwendet. Bei den falschen kommt es zum Stau. Schlimmstenfalls verbiegt sich das Metall der Klammerlade. Das Gerät wird kaputt, egal wie langlebig und hochwertig es konstruiert ist. profil: Gibt es denn so viele unterschiedliche Typen von Klammern, dass die Gefahr von Fehlern derart hoch ist?

Ellmauthaler: Grundsätzlich stimmen die internationalen Hersteller die Formate ihrer Klammern zwar aufeinander ab. Aber das Problem ist, dass es immer mehr Mitbewerber aus China, Indien und Pakistan gibt. Sie bauen Klammern billig nach und bieten sie günstiger an, etwa um 30 Prozent. Sie nehmen häufig minderwertigen Draht oder halten gewisse Kriterien nicht ein. Zum Beispiel sortieren sie beim Produktionsvorgang schadhafte Klammern nicht ausreichend aus. profil: Und das macht die Maschinen kaputt?

Ellmauthaler: Es ist teilweise eine Frechheit, was es

Zwei Assoziationen zum Thema Hefter Die Heftklammer wurde eineinhalb Jahrzehnte vor der dazugehörigen Maschine erfunden. Im Jahr 1866 entwickelte der US-Amerikaner George McGill die Klammer – die Heftung erfolgte noch manuell.

Erst 1879 erfand McGill auch die Maschine dazu.

Das zangenartige Instrument zum Entfernen von Heftklammern nennt man „Schwiegermutter“. Wie es zu diesem Begriff kam, ist laut Ellmauthaler nicht bekannt. Es gibt übrigens auch die „Schwiegertochter“: eine Art Heber, ebenso zur Klammerentfernung.

„Wir haben speziell für hohe arabische Beamte Geräte produziert, die mit 18 Karat vergoldet waren.“

Clemens Ellmauthaler Der 41-jährige gebürtige Salzburger studierte an der WU Wien und verantwortet seit elf Jahren die Verkaufsund Marketingagenden bei Brevillier Urban & Sachs.

am Markt alles an Klammern gibt. Wenn man sie in unsere Geräte gibt, ist das, als würde man einen Audi A6 mit irgendeinem Industrie-Alkohol betanken. Natürlich fährt er dann nicht wie erwartet und bleibt stehen. profil: Sehen Sie neue Methoden, Papier zusammenzuklippen, welche die Heftklammer eines Tages ablösen könnte?

Ellmauthaler: Eine Methode nennt sich PDF. (lacht) Nein, im Ernst, es gibt neben der Heftklammer vor allem die Büroklammer. Sie wird ebenfalls in unserem Haus produziert. Sie macht der Heftklammer aber keine Konkurrenz. Das Verhältnis ist seit langer Zeit konstant. Da ändert sich nichts. profil: Aber das PDF, also der Trend zum papierlosen Büro, ist eine Gefahr für die Heftklammer?

Ellmauthaler: Wir spüren, dass man in den Büros heutzutage weniger Papier als früher verwendet.

Unsere Umsätze bei Heftern gingen bis vor einigen Jahren zurück, um rund zehn Prozent pro Jahr. In den letzten Jahren jedoch haben sie sich stabilisiert.

Man kommt eben nicht um ein gewisses Maß an Papier herum. Viele Verträge und Akten müssen ausgedruckt und geheftet werden, allein schon wegen der gesetzlichen Aufbewahrungspflichten. Der Büroalltag hat sich umgestellt, aber die Heftklammermaschine wird es weiter geben.

Interview: Joseph Gepp, Fotos: Sebastian Reich 7. August 2017 • profil 32 35

ausland S Der wöchentliche

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@realDonaldTrump

I love the White House, one of the most beautiful buildings (homes) I have ever seen.

But Fake News said I called it a dump TOTALLY UNTRUE 03:29 - 3. Aug. 2017 33.077

22.290

89.070

ICH LIEBE DAS WEISSE HAUS, EINES DER SCHÖNSTEN GEBÄUDE (HEIMSTÄTTEN), DIE ICH JE GESEHEN HABE. ABER DIE FAKE NEWS SAGTEN, ICH HABE ES EINEN MÜLLHALDE GENANNT. TOTAL UNWAHR. Der umstrittene Spruch mit der Müllhalde fiel laut „Sports Illustrated“, nachdem Donald Trump von einer Golfer-Runde gefragt wurde, warum er so oft auf dem Grün stehe.

Ein Fünftel seiner bisherigen Amtszeit verbrachte der US-Präsident auf Golfplätzen (nach gezählten Tagen).

Im Wahlkampf hatte er noch gesagt: „Ich möchte im Weißen Haus bleiben und mir den Arsch abarbeiten.“ 127.000 Likes.

ie wollen NGOs der Kumpanei mit Schleppern überführen und Bootsflüchtlinge nach Afrika zurückbringen: Mit diesem Ziel sind Aktivisten der Identitären Bewegung gerade Richtung Libyen unterwegs. Allerdings scheinen die Rechtsextremen nicht ganz bis zum Ende durchdacht zu haben, was ihre Aktion, die unter dem Titel „Defend Europe“ läuft, für sie selbst bedeuten könnte.

Wenn sie die Aktivitäten der NGOs im Mittelmeer tatsächlich aus der Nähe beobachten wollen, ist es fast unausweichlich, dass sie auch auf Bootsflüchtlinge treffen. In diesem Fall sind sie dazu verpflichtet, Hilfe zu leisten – nicht nur aus moralischen, auch aus rechtlichen Gründen. Die Mongolei, unter deren Flagge das Schiff der Identitären fährt, hat nämlich das UN-Seerechtsabkommen unterzeichnet und ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sich ihre Seeleute daran halten. Bei Zuwiderhandlung drohen saftige Strafen. Einzige Ausnahme: Wenn sich ein Schiff bei einer Hilfsaktion selbst in ernsthafte Gefahr bringen sollte.

Die Geretteten einfach dort abzuladen, wo sie in See gestochen sind, ist auch nicht so einfach, wie es den Rechtsextremen vorschwebt.

Bei Seenoteinsätzen entscheidet das Maritime Rescue Coordination Centre (MRCC) in Rom über die Vorgangsweise. Es legt unter anderem fest, welcher Hafen für die Havarierten als sicher gilt und daher angelaufen werden muss – afrikanische zählen derzeit aber nicht dazu.

Abgesehen davon weigern sich bislang alle nordafrikanischen Anrainerstaaten strikt, Bootsflüchtlinge zurückzunehmen; sie werden schwerlich ausgerechnet für die Identitären eine Ausnahme machen. In Libyen hat der einflussreiche libysche General Khalifa Haftar seine Einheiten gerade angewiesen, sich „allen Schiffen entgegenzustellen“, die ohne Erlaubnis auf sein Hoheitsgebiet vordringen.

Durchaus denkbar also, dass sich die Identitären Europa-Verteidiger irgendwann gezwungen sehen, mit einem Schiff voller Flüchtlinge in Italien einzulaufen – was ein Propaganda-Desaster wäre. „Die NGOs sind angezählt“, twitterte Identitären-Chefaktivist Martin Sellner, nachdem die italienischen Behörden vergangene Woche das Boot einer privaten Seerettungsorganisation aus dem Verkehr gezogen hatten. Für ihn selbst hat der Countdown erst begonnen.

Martin Staudinger

Landratten und ihre Seenöte Eine spektakuläre Aktion zur Abwehr von Bootsflüchtlingen könnte für die rechtsextremen Identitären zum Schlag ins Wasser zu werden.

DAS SCHIFF Hier lag am Freitag die letzte Position der C-Star laut der Website marinetraffic.com

7. August 2017 • profil 32 37

AUSLAND

Wie Kim lernte, die Bom zu lieben

KIM JONG-UN LEITETE DEN TESTABSCHUSS AM ORT. ER, DER NICHT ENDEN WOLLENDE WUNDER UND SIEGE VOLLBRINGT, DIE VORSTELLUNGSKRAFT DER WELTBEVÖLKERUNG MIT SELTENER MILITÄRISCHER WEISHEIT, GROSSEM MUT UND LIST VERBLÜFFEND, LEGTE DIE MILITÄRISCHE AUFGABE FÜR DIE RAKETENFORSCHER DAR. 38 profil 32 • 7. August 2017

Aus einer koreanischen Propagandameldung nach einem Raketentest am 28. Juli 2017

NORDKOREA HAT GERADE BEKANNT GEGEBEN, DASS ES SICH IN DER FINALEN STUFE BEFINDET, EINE NUKLEARE WAFFE ZU ENTWICKELN, DIE TEILE DER USA ERREICHEN KÖNNTE. DAS WIRD NICHT PASSIEREN!

be

Donald Trump auf Twitter, 1. Jänner 2017

APA/AFP/ KCNA VIA KNS

Mit jedem neuen Raketentest, den Nordkorea durchführen lässt, steigt die Angst vor einem Atomkrieg – nicht nur in Asien, auch in den USA. Dem unberechenbaren Diktator in Pjöngjang kommt das sehr gelegen.

Von Christoph Zotter

E

s gibt wenige Despoten, über die sich so gut lachen lässt wie über Kim Jong-un. Die Pausbacken, die Topffrisur, der wuchtige Körper: Mit seinem kindlichen Grinsen sieht der nordkoreanische Führer aus wie ein überzeichneter Comic-Bösewicht.

Seine aus der Zeit gefallene Propagandamaschine erledigt den Rest: Kim sei ein Meisterschütze, der beste Golfspieler der Welt – und im Übrigen ein Heiliger.

Dazu kommen unzählige Fotos, auf denen der pummelige Diktator mal ernst, mal leutselig zu sehen ist; im Hintergrund drängen sich Militärs mit riesigen Uniformkappen und notieren eifrig in ihre Blöcke.

Ein übler Diktator – aber eben auch eine Witzfigur.

Deswegen war es nicht weiter verwunderlich, dass viele die Schulter zuckten, als Nordkorea vor einer Woche wieder einmal einen Raketentest durchführte: Eine Hwasong-14 flog 47 Minuten und landete nach mehr als 900 Kilometern vor der Küste Japans. Die meisten europäischen Zeitungen berichteten routiniert, auf Twitter und Facebook wurde gescherzt. Kann man das ernst nehmen? Warum sollte Nordkorea die 7. August 2017 • profil 32 39

AUSLAND

BOMBENSTIMMUNG So sah der Start der kürzlich getesteten Rakete aus (oben), der in Pjöngjang geflissentlich bejubelt wurde (links unten).

Im Mai testete das Regime neue Anti-Flugzeug-Raketen, Kim Jong-un inspizierte die Übung persönlich (rechts unten).

40 profil 32 • 7. August 2017

Welt – und damit auch sich selbst – an den Abgrund bringen, indem es einen Krieg anzettelt? Die nordkoreanische Dauerkrise klingt für hiesige Ohren wie eine Geschichte aus einer längst überlebten Vergangenheit, als an jeder Ecke der Welt stalinistische Diktatoren von Atombomben träumten, um damit den kapitalistischen US-Satan in die Knie zu zwingen. Damals ging ja alles gut – warum sollte es jetzt anders sein?

Ganz anders wird die Situation in den Vereinigten Staaten bewertet. „Die dringlichste und gefährlichste Bedrohung für Frieden und Sicherheit ist Nordkorea“, ließ US-Verteidigungsminister John Mattis im Juni wissen – nicht etwa der islamische Terrorismus, der Iran, Syrien, Jemen, Irak oder Afghanistan. Der Ex-General gilt im Gegensatz zu Donald Trumps impulsiven Polit-Marionetten als erfahrener Mann. Auch unter Politanalysten, Diplomaten und Thinktank-Strategen steht Nordkorea an erster Stelle der Agenda. „Das schlimmste Problem auf Erden“, titelt das US-Magazin „The Atlantic“ in seiner aktuellen Ausgabe. „Es könnte passieren“, titelte der britische „Economist“ am Freitag, darunter die Illustration eines Atompilzes, aus dem die Gesichter Kims und Trumps aufsteigen.

Ist das Panik? Berechtigte Sorge? Gar Kriegsgeheul?

Die „Demokratische Volksrepublik Korea“ – wie das

APA/AFP/ KCNA VIA KNS (2): APA/AFP|KIM WON-JIN

Land offiziell heißt – ist selbst ein riesiges Fragezeichen. Viel wird geredet und geschrieben, doch so gut wie nichts lässt sich überprüfen. Was über das Land bekannt ist, stammt oft aus Geheimdienstberichten, Analysen der Staatspropaganda, Erzählungen von Überläufern oder Satellitenaufnahmen. Und die wenigen, die Nordkorea besuchen dürfen, können nie sicher sein, was sie zu sehen bekommen und warum.

Von der Hauptstadt Pjöngjang aus herrscht die Familie Kim in dritter Generation über einen totalitären Staat, der einen Großteil seiner Energie, seiner Zeit und seines Gelds dafür verpulvert, eine militarisierte Gesellschaft aufzubauen. Rund 25 Millionen Menschen leben in diesem System, das von Staatsgründer Kim Il-sung nach dem Zweiten Weltkrieg erdacht wurde und auf einer bizarr anmutenden Mischung aus Realsozialismus und Privatmythologie basiert.

In diesem Staat wurde Kim Il-sung zu einer Art Gott verklärt. Es gibt viele Gründe, warum die Welt seinen Enkel Jong-un ernst nehmen sollte.

1. Die Nordkoreaner sind technisch sehr weit Rund 30 Minuten würde es dauern, bis eine von der koreanischen Halbinsel gestartete Interkontinental-Rakete die amerikanische Westküste erreicht. Einen derartigen Marschflugkörper will das Regime am 29. Juli erfolgreich getestet haben. Aufgrund seiner steilen Flugbahn landete die Rakete vor der Küste Japans.

Wäre sie in einem flacheren Winkel abgeschossen worden, hätte sie Los Angeles oder sogar Chicago erreichen können, mutmaßen US-Experten. Sie sprechen von einem „Game Changer“, einem Wendepunkt. Ein atomarer Angriff auf US-amerikanisches Festland erscheint durchaus möglich.

Ganz so schnell dürfte es aber noch nicht gehen.

Erstens ist nicht klar, wie zuverlässig Kims Raketen funktionieren. Zweitens sind die Nordkoreaner wohl noch nicht in der Lage, einen Nuklear-Sprengkopf zu bauen, der so klein ist, dass er auf eine Interkontinental-Rakete passt. Drittens dürfte es Probleme geben, „Die Dringdiesen Sprengkopf so zu schützen, dass er beim Sturz- lichste und flug auf sein Ziel nicht vorzeitig auseinanderbricht. gefährlichste Wann diese drei Hindernisse überwunden sind, weiß niemand. Die Schätzungen reichen von 2018 bis Bedrohung für 2020. Das Regime in Pjöngjang hat seine Anstrengun- Frieden und gen in den vergangenen Monaten jedenfalls merklich Sicherheit ist erhöht; seit Neujahr testete es im Schnitt alle zwei WoNordkorea.“ chen eine Rakete. Was nach einigen ruhigeren Jahren John Mattis, der Grund dafür sein könnte, ist unklar. Die LernkurVerteidigungsminisve der nordkoreanischen Atomraketentechniker soll ter der Vereinigten aber steil nach oben zeigen.

Staaten Unabhängig davon stehen Tausende Artilleriegeschütze bereit, um die südkoreanische Hauptstadt Seoul in Schutt und Asche zu legen, sollte sich Kims Herrscherclique bedroht fühlen. Die Zehn-MillionenEinwohner-Metropole liegt nur wenige Dutzend Kilometer von der gemeinsamen Grenze entfernt – und damit ähnlich nahe wie Wien an Bratislava.

2. Sie werden noch weiter kommen Können die USA in dieser Situation verhindern, dass Kim eine atomar bestückte Rakete bauen lässt, deren Reichweite den Pazifik überwindet? Die Antwort:

Kaum, wenn die Regierung in Washington nicht Millionen Menschenleben riskieren will.

Der US-Präsident befehligt die größte Armee der Welt – ein Feldzug gegen Nordkorea würde allerdings einen hohen Preis fordern. Der „Atlantic“ klopfte in seiner Covergeschichte drei denkbare militärische Optionen ab: einen Angriffskrieg, die gezielte Bombardierung von Raketensilos und gewagte Kommando-Aktionen, um Kim und dessen Führung auszuschalten. Das Ergebnis in jedem Szenario: Chaos, gewaltige Flüchtlingswellen und Millionen Tote.

Gerüchteweise versuchen die USA auch, die nordkoreanischen Raketen von außen zu sabotieren. Dies habe die Entwicklung vielleicht verzögert, aber nicht aufgehalten. Unternimmt Washington gar nichts, wird Kim Jong-un seine interkontinentale Nuklearrakete bauen und damit immer gefährlicher werden. Ob die USA das zulassen können, hängt auch davon ab, ob ihre Eliten glauben, dass ein Krieg mit Kims Regime vermieden werden kann oder über kurz oder lang gar unausweichlich ist.

3. Kim Jong-un braucht die Bombe Ein Problem in der Krise rund um Nordkorea ist der oberste Führer selbst. Bis heute besteht das, was über die Biografie von Kim Jong-un bekannt ist, aus Bruchstücken und Gerüchten. Lange war nicht einmal sein Geburtsdatum eindeutig klar. Er und seine Brüder sollen Privatschulen in der Schweiz besucht haben, doch selbst das ist umstritten. Die Geheimniskrämerei dient dazu, einen Mythos um die drei Männer der Familie Kim zu zimmern, der sie gottgleich macht. Als Großvater Kim Il-sung geboren wurde, habe ein Stern hell geleuchtet, heißt es in den Annalen; als er starb, sei die Sonne vom Himmel gefallen. Was der Staatsgründer berührte, wurde zur Reliquie erklärt, wenn er sich bei seinen Wanderungen auf Steinen niederließ, wurden sie geflissentlich umzäunt.

Es ist ein Kult, der auf Außenstehende absurd wirkt.

Das muss aber nicht bedeuten, dass Kim Jong-un selbst an die ihm zugeschriebene Allmacht glaubt und deswegen irrationale Entscheidungen trifft. Das Atomwaffenprogramm kann – aus seiner Sicht – als vernünftiger Zug betrachtet werden: Das Drohpotenzial dient ihm als Überlebensversicherung und Trumpf in zukünftigen Verhandlungen.

In den 1990er-Jahren sah es so aus, als könnte ein nuklear bewaffnetes Nordkorea mit den Mitteln der Diplomatie in die Schranken gewiesen werden. Doch die Nordkoreaner schummelten und George W. Bush reihte das Land 2003 neben dem Iran und dem Irak in die „Achse des Bösen“ ein – das Regime in Pjöngjang schreckte auf. Als Kim Jong-un nach dem Tod seines Vaters Kim Jong-il Ende 2011 an die Macht kam, hatte er das Schicksal von Saddam Hussein und Muammar Gaddafi vor Augen. Ersterer hatte nie Atomwaffen besessen, der andere seine einschlägigen Ambitionen im Gegenzug für Handelsdeals aufgegeben – beide wurden vom Westen oder mithilfe des Westens gestürzt. Das sollte den paranoiden Kims nicht passieren. Noch unter Kim Jong-il fand im Jahr 2006 der erste nordkoreanische Atombombentest statt, bis heute folgten vier weitere.

7. August 2017 • profil 32 41

AUSLAND

5. Die USA und Nordkorea verhandeln nicht Sollten es die Nordkoreaner schaffen, ihr Nukleararsenal einsatzfähig zu machen, ergibt sich eine Situation wie jene, die lange den Kalten Krieg beherrschte: Zwei erbitterte Feinde besitzen Waffen, die ein derartiges Zerstörungspotenzial haben, dass niemand daran interessiert sein kann, sie einzusetzen. Das macht es unabdingbar, dass die Regierungen miteinander sprechen, um Missverständnisse zu vermeiden.

Vor Kurzem untersagten die USA ihren Staatsbürgern alle Reisen nach Nordkorea. Mit ein Grund dafür war nicht zuletzt der Fall des Studenten Otto Warmbier, der bei einer Reise nach Pjöngjang wegen eines Bagatelldelikts festgenommen, in einem Wachkoma aus der Haft in die USA entlassen wurde und kurz danach starb.

Diplomaten aus Washington und Pjöngjang trafen seit einigen Jahren nicht mehr in offiziellen Runden aufeinander. Seit dem US-Regierungswechsel wurden außerdem Hunderte wichtige Posten im US-Außenministerium noch nicht nachbesetzt.

Unterdessen provoziert das Trump-Kabinett die Nordkoreaner, um dann wieder zu beschwichtigen.

Eine klare Strategie ist noch nicht erkennbar. Dass diese Situation gefährlich sein kann, unterstreicht eine Serie von Tweets, die Trump vor mehr als einer Woche absetzte. „Nach Beratungen mit meinen Generälen und Militärexperten, nehmt bitte zur Kenntnis, 42 profil 32 • 7. August 2017

dass die Regierung der Vereinigten Staaten es nicht akzeptieren oder erlauben wird …“, stand im ersten.

Erst neun Minuten später kam die Fortsetzung, in der sich aufklärte, dass der US-Präsident zukünftig keine Transgender in der US-Armee zulassen will.

US-Generäle erzählten Journalisten danach, sie hätten für neun Minuten gebangt, dass Trump gerade den Nordkoreanern den Krieg erklären würde – eine Situation, die bislang undenkbar war: Dem unberechenbaren Kim Jong-un sitzt nun ein unberechenbarer US-Präsident gegenüber.

ÜBEN FÜR DEN ERNSTFALL In gemeinsamen Manövern versuchen USA und Südkorea, sich auf jeden Angriff vorzubereiten.

6. Die USA wirken ratlos „Little Boy“ und „Fat Man“ hießen die einzigen zwei Nuklearbomben, die bislang in einem bewaffneten Konflikt eingesetzt wurden. In diesen Wochen jähren sich zum 72. Mal die Tage, an denen die USA sie über Japan abwarfen, Hunderttausende Menschen starben in nur wenigen Minuten. Das alles passierte nur einige Hundert Kilometer östlich von Pjöngjang.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es ausgerechnet diese Waffe mehr als ein halbes Jahrhundert später einem brutalen Diktator wie Kim Jong-un erlauben könnte, seine Macht abzusichern. Kim muss wissen, dass er Suizid betreibt, wenn er die Atombombe zuerst einsetzen und die USA damit zu einem vernichtenden Gegenschlag zwingen sollte. Das wiederum müsste heißen, dass es wenig sinnvoll wäre, einen Angriff auf die Vereinigten Staaten zu starten.

Garantie gibt es dafür jedoch keine. „Hört auf zu sagen, dass es keine guten Optionen für Nordkorea gibt“, meint hingegen der US-Diplomat Tom Malinowski im Magazin „Politico“. Zwar würde Kim seine Atomwaffen niemals aufgeben, weil sein Überleben davon abhänge. Doch es gebe ein Druckmittel: Information. Immer kleiner werdende Datenträger machen es einfacher, Filme oder die schon jetzt überaus populären südkoreanischen Seifenopern in den Norden zu schmuggeln. Wenn die um ihre Privilegien fürchtenden Eliten mitbekämen, wie ihre Brüder und Schwestern im Süden leben, könnten sie allmählich ihre Scheu vor einem Regimewechsel verlieren. Korea müsste auf die Zeit nach Kim vorbereitet werden – und die Welt das nukleare Patt bis dahin ertragen, so gut es eben geht.

Trumps Regierung scheint das anders zu sehen. „Die Zeit für Gespräche ist vorbei“, sagte Nikki Haley, US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, vergangene Woche. Was sie damit genau meinte, erklärte sie nicht.

Trump wiederum ließ nach den nordkoreanischen Tests Ende Juli zwei US-Bomber aufsteigen. „Wir werden Nordkorea regeln“, kündigte der US-Präsident vor wenigen Tagen gegenüber Journalisten im Weißen Haus an: „Wir werden in der Lage sein, das zu regeln.

Sie werden … Es wird geregelt. Wir regeln alles.“ ■

APA/AFP/ JUNG YEON-JE

4. China wird sich nicht gegen Kim stellen Kann die Staatengemeinschaft Sanktionen verhängen? Ja, und sie tut es bereits. Nur scheinen sie nicht sehr viel zu bringen. In der Vergangenheit bewies das Regime zudem, dass es bereit ist, sein Volk weit über die Grenze des Unerträglichen hinaus leiden zu lassen. Bislang kam es damit auch durch.

In den 1990er-Jahren mussten die Nordkoreaner für die Ziele der Kims sogar eine lange Hungersnot erdulden. Mit dem Ende der Sowjetunion brach damals nicht nur die Wirtschaft ein, sondern auch der sowjetische Schutzschild, auf den Pjöngjang zählen konnte. Kim Jong-il rüstete auf, das Volk darbte für den Führer. Wie viele Menschen damals starben, ist nicht genau geklärt.

Heute spielt China in dem Konflikt eine besondere Rolle. Es ist heute der größte Handelspartner des Landes: 85 Prozent der Importe kommen über die nördliche Landesgrenze, der wichtigste ist Öl. Drehen die Chinesen den Hahn zu, würde das Regime unter massiven Druck geraten. Allerdings scheint Peking kein besonderes Interesse daran zu haben. Dafür werden von Beobachtern drei Gründe genannt: Ein Regimewechsel in Pjöngjang könnte die koreanische Halbinsel ins Chaos stürzen, die Chinesen müssten sich auf Millionen Flüchtlinge einstellen. Zweitens fürchtet Peking ein wiedervereinigtes Korea, das vom wirtschaftlich starken Süden – und damit von US-Alliierten – dominiert würde.

Drittens dürfte China in Nordkorea nicht ein so großes Problem sehen wie die USA. Ein stabiler Nachbar ist ihnen offenbar lieber als ein weniger verrückt erscheinendes Regime in Pjöngjang. Sollte Kim doch einmal jemanden angreifen, ist es aus Chinas Sicht zudem besser, wenn die Raketen nicht auf Peking zielen.

Meinung Georg HoffmannOstenhof georg.ostenhof@profil.at

Washingtoner Scharmützel

Sommertheater: Anthony Scaramucci, sein lustiger Kurzauftritt und andere politische Leichen.

A

ls US-Präsident Donald Trump am 21. Juli den slicken und umtriebigen New Yorker Hedgefonds-Manager Anthony Scaramucci zu seinem neuen Kommunikationsdirektor ernannte, schien mir, als erinnere mich dessen Namen an jemanden oder etwas. Ich wusste nur nicht, woran. Am 31. Juli hat Trump „The Mooch“, wie sich dieser selbst nennt, wieder gefeuert.

Jetzt weiß ich, welche Assoziationen sein Name auslöst.

Scaramuz (oder – französisch – Scaramouche) ist eine komische Figur des italienischen Volkstheaters Commedia dell’arte, die in der Folge in unzähligen Romanen und Filmen auftaucht: ein sowohl schlauer wie auch dummer Abenteurer, der das Publikum mit seiner Aufgeblasenheit und Aufschneiderei unterhält, am Ende aber immer wieder verprügelt wird. Der Name hat seinen Ursprung im italienischen „scaramuccia“ (Geplänkel), das im Deutschen zu „Scharmützel“ mutierte.

Man soll sich ja nicht über Namen lustig machen. In diesem Fall aber passt die lateinische Redewendung „nomen est omen“ einfach zu gut. Scaramuccis kurzer Auftritt als Oberkommunikator des Weißen Hauses geriet tatsächlich überaus burlesk.

Bei seiner ersten Pressekonferenz sprach „The Mooch“ völlig aufgedreht von seiner großen Liebe zum Präsidenten, diesem „wunderbaren, historisch einmaligen Menschen“. Den Reportern, die Trump üblicherweise als Produzenten von „Fake News“ schmäht, warf er ein Kusshändchen zu. Im Gespräch mit einem Journalisten des Intellektuellenblatts „The New Yorker“ kam er dann schließlich so richtig in Fahrt. Großsprecherisch gab er damit an, wie total und schnell er die „Leaker“ und Verräter im Weißen Haus „killen“ werde. Die Vulgarität, mit der er über seine Rivalen im Zentrum der Macht herzog, stellte jene des Präsidenten noch in den Schatten – und dazu gehört einiges. Trumps Stabschef Reince Priebus sei ein „verdammter paranoider Schizophrener“, wütete er. Und Trumps Chefstratege Steve Bannon „versuche, an seinem eigenen Schwanz zu lutschen“.

Priebus musste gehen. Den hat er auf dem Gewissen.

Aber lustig ist schon, dass auch Scaramucci selbst nach nur zehn Tagen im Amt gefeuert wurde.

Dabei dürften die verbalen Ausraster nicht der eigentliche Grund für seinen Rausschmiss gewesen sein. Was

ausschlaggebend war, weiß der britische „Economist“: „Scaramucci hat eine Grundregel der Trump-Herrschaft gebrochen: Er hatte mehr Presse als der Boss.“ Ein wenig Tragik steckt aber dann doch in dieser sommerlichen Komödie: Scaramucci hat nicht nur den Job verloren; er ist auch sein Unternehmen los – er musste es wegen Unvereinbarkeit mit einem Regierungsjob verkaufen; seine hochschwangere Frau hat die Scheidung eingereicht; und wenige Tage darauf versäumte er die Geburt seines Kindes – zu dem Zeitpunkt war er mit seinem angehimmelten Chef in der Air Force One unterwegs. „You’re fired“ war der Satz, mit dem der TV-Showman Trump berühmt wurde. Und „You’re fired“ scheint auch die Herrschaftsmethode des Präsidenten Trump zu sein. Richter, die seine Anti-Muslime-Verordnungen für unrechtmäßig halten, müssen gehen. Geheimdienstler, die recherchieren, ob und wie Trumps Wahlkampfteam mit den Russen kollaboriert hat, verlieren ihren Job. Minister und andere Mitglieder der Administration, die in Verdacht geraten, den Medien Interna zuzuflüstern, oder nur zögerlich den Präsidenten als den Größten Führer aller Zeiten rühmen, laufen Gefahr, arbeitslos zu werden. Angst herrscht im Weißen Haus – und Chaos. Und das Köpferollen geht weiter. Ist da nicht – um im Bild zu bleiben – ein Hauch von Shakespear’schem Königsdrama zu verspüren?

P

riebus und Scaramucci waren nur die vorläufig letzten politischen Leichen, die Trumps Weg pflastern. Die nächsten, die Gefahr laufen, gefeuert zu werden, sind bereits bekannt: Der Präsident twittert seit Wochen gegen Justizminister Jeff Sessions, einen seiner Unterstützer der ersten Stunde, weil der sich in der Untersuchung der Russland-Connection für befangen erklärt hat.

Steve Bannon wurde von Scaramucci wohl nicht ohne Wissen seines Chefs wüst beschimpft: Offenbar ärgert Trump, dass vielfach gemunkelt wird, der rechtsnationa- Angst herrscht im listische Ideologe sei der Weißen Haus – und eigentliche Führer im Chaos. Und das KöpfeWeißen Haus.

Schließlich versucht rollen geht weiter. der Präsident hektisch herauszufinden, wie er den unabhängigen Sonderermittler Robert Mueller seines Amtes entheben könnte. Mueller hat jüngst die Untersuchung in der Russland-Affäre ausgeweitet: Nun wird auch Trumps Wirtschaftsgebaren der letzten Jahre und Jahrzehnte unter die Lupe genommen.

Die amerikanische Tragödie nimmt ihren Lauf. Samstag für Samstag verkünden die Kommentatoren: Das war die schlimmste Woche für den Präsidenten. Und es ist nicht abzusehen, dass sich das ändern wird. Bezüglich der Kungelei mit Russland wird es immer enger für Trump. Im Kongress bringt er kein einziges Gesetz durch. Und seine Zustimmungswerte sind katastrophal und weisen stetig nach unten.

PS: Im Jänner dieses Jahres bin ich (sicher von meinen Wünschen getrieben) die überaus riskante Wette eingegangen, dass Trump das Jahr 2017 politisch nicht überlebt.

Jetzt, im Sommer – nach dem kurzweiligen Scaramucci-Intermezzo – sieht es ganz so aus, als ob meine gewiss nicht großen Chancen, die eingesetzten 100 Euro zu gewinnen, ein wenig gestiegen seien.

■ 7. August 2017 • profil 32 43

AUSLAND

Serie: Ich lebe in…

Duma

Harasta

Arbin

OST-GHOUTA

DAMASKUS

Jobar Ain Tarma

… einer russischen „Schutzzone“ in I Bisher erschienen Ich lebe in … … Simferopol auf der russisch annektierten Halbinsel Krim (profil 37/14) … Uganda und bin schwul (profil 38/14) ... der von der IS-Terrormiliz besetzten Stadt Raqqah (profil 39/14) … einem Ebola-Viertel in der liberianischen Hauptstadt Monrovia (profil 40/14) … einer illegalen Diamantenmine im Ostkongo (profil 50/14) … der syrischen Hauptstadt Damaskus (profil 15/15) … der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juarez (profil 24/17)

44 profil 32 • 7. August 2017

Syrien

mmer wieder wurden sie in den vergangenen Jahren gefordert – unter anderem vom Europaparlament und auch von Österreich: Schutzzonen, in denen die vom Krieg heimgesuchte syrische Zivilbevölkerung Sicherheit finden soll. Jetzt ist es ausgerechnet Russland, das diese Forderung aufgreift und in die Tat umzusetzen verspricht.

Auf Initiative des Kreml, der zum wichtigsten Verbündeten des Assad-Regimes geworden ist, einigten sich der Iran (ebenfalls ein Unterstützer des Gewaltherrschers) und die Türkei (die hinter Teilen der Rebellen steht) Anfang Mai auf die Einrichtung von vier sogenannten Deeskalationszonen.

Dort sollen alle Kampfhandlungen, somit auch Angriffe durch russische und syrische Luftstreitkräfte, eingestellt werden. Zudem verpflichtet sich das Assad-Regime, Hilfslieferungen ungehindert passieren zu lassen und die Strom- und Wasserversorgung wiederherzustellen.

Eine der Deeskalationszonen befindet sich in Ost-Ghouta. Der Landstrich, der unmittelbar an Damaskus angrenzt, ist eine der wichtigsten Hochburgen der Aufständischen und wird seit mehr als vier Jahren von Assads Truppen belagert. Die rund

400.000 Menschen, die dort in 22 Kleinstädten und Dörfern leben, wurden in dieser Zeit nicht nur Opfer von Luft- und Artillerieangriffen, 2013 war Ost-Ghouta auch Ziel von Chemiewaffenangriffen, die Hunderte Todesopfer forderten. Gleichzeitig hatte die Bevölkerung unter Auseinandersetzungen zwischen den konkurrierenden Rebellenfraktionen zu leiden, welche die Region kontrollieren.

Nun sollen die Waffen schweigen. Nach mehreren Verzögerungen gab die russische Militärführung am 22. Juli bekannt, dass das Abkommen für Ost-Ghouta effektiv in Kraft getreten und die Region offiziell eine Deeskalationszone sei.

Aber was geht dort wirklich vor? Für die profilSerie „Ich lebe in …“ schildert Humam Husari die Situation in Ost-Ghouta. Der Filmemacher ist seit Jahren mit profil in Kontakt, berichtet immer wieder aus Syrien und hat sich dabei als absolut vertrauenswürdiger und reflektierter Gesprächspartner erwiesen. Die Bilder stammen von einem in Ost-Ghouta tätigen Fotografen, der anonym bleiben möchte, und sind nach der Ausrufung des Waffenstillstands entstanden.

Martin Staudinger

G

erade hat wieder eine Bombe eingeschlagen. Diesmal war das Ziel Ain Tarma, eine Gemeinde an der Stadtgrenze zu Damaskus. Man kann dort Rauch aufsteigen sehen. Es ist nicht der erste und auch nicht der zweite Luftschlag, sondern bereits der zehnte seit dem 22. Juli. Eigentlich hieß es, dass an diesem Tag der Waffenstillstand in Kraft treten solle, den das Assad-Regime und Russland mit den Rebellen in Ost-Ghouta ausgehandelt hat. Aber davon ist nicht viel zu bemerken.

Immer wieder kommt es zu Angriffen, nicht nur durch Kampfjets. Gestern wurde Ain Tarma heftig mit Elefantenraketen beschossen. Wir nennen sie so, weil sie ein Geräusch machen, das sich anhört wie das Trompeten eines Elefanten. Mehr als 40 Einschläge wurden gezählt, vier Menschen sind ums Leben gekommen, drei davon Frauen – also Zivilisten, und keine Kämpfer. Auch in Arbin, einer anderen Gemeinde, gab es in den vergangenen Tagen Bombardements.

Dabei wurden zehn Menschen, darunter fünf Kinder, getötet und ungefähr 50 verletzt.

Die meisten Angriffe gelten aber dem Bezirk Jobar, der ebenfalls zur sogenannten Schutzzone gehört. Warum? Weil er eine besondere Rolle spielt: Er ist der einzige Teil des Stadtgebiets von Damaskus, der sich noch in der Hand der Rebellen befindet.

Dem Regime ist es nicht nur aus militärischen, sondern auch aus symbolischen Gründen ungemein wichtig, dort wieder die Kontrolle zu übernehmen.

Fällt Jobar, kann das Regime für sich in Anspruch nehmen, die gesamte Hauptstadt wieder zu kontrollieren.

Einfach ist das aber nicht: Die dortigen Rebellen haben besonders starke Verteidigungssysteme aufgebaut und wollen das Abkommen über die Schutzzone nicht anerkennen. Und ihre Nachschubwege führen über Ain Tarma, das deshalb noch immer angegriffen wird.

Wir haben insgesamt drei Rebellengruppen hier: Die größten sind Jaysh al-Islam (Armee des Islam), die den Waffenstillstand unterzeichnet hat, und Faylaq al-Rahman (Rahman-Legion), die das verweigert. Daneben gibt es auch noch die Tahrir al-Sham

„Ich fürchte, es wird bald wieder Blut fließen“ Humam Husari

(Komitee für die Befreiung der Levante), die sich früher Al-Nusra nannte und aus der Al-Kaida hervorgegangen ist. Die drei Gruppierungen bekämpfen einander, was neben den Angriffen des Regimes und der Russen die nächste große Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellt.

Im Frühjahr kam es zu brutalen Auseinandersetzungen zwischen der Armee des Islam und der Rahman-Legion, bei denen 300 Kämpfer getötet wurden. Leider kommen dabei immer wieder auch Zivilisten zwischen die Fronten. Besonders verhasst ist das Komitee für die Befreiung der Levan-

te – nicht nur, weil diese Gruppe so extremistisch ist, sondern auch, weil sie dem Regime als Vorwand dient, die Militäroperationen gegen Ost-Ghouta fortzusetzen.

Das Befreiungskomitee ist vergleichsweise klein, es verfügt vielleicht über 600 Kämpfer. Sie sind vom Waffenstillstandsabkommen dezidiert ausgeschlossen, und das bietet Assad und den Russen eine Rechtfertigung für weitere Angriffe.

Die meisten Leute hier wollen das Befreiungskomitee loswerden und trauen sich mittlerweile auch, das offen zu sagen. Am vergangenen Freitag zum Beispiel kam es zu einem Scharmützel mit der Rahman-Legion, bei dem ein Kämpfer des Befreiungskomitees getötet wurde – eher zufällig übrigens. Das war also keine große Sache.

Aber als die Kameraden den Gefallenen zu einer Moschee brachten, um das Totengebet zu verrichten, haben die Gläubigen das verhindert. Die Kämpfer wurden weggeschickt. Etwas Ähnliches geschah am gleichen Tag in der Gemeinde Arbin. Dort wurde ein Prediger verjagt, zu dem die Milizionäre des Befreiungskomitees immer gekommen waren.

ANGRIFF TROTZ WAFFENSTILLSTAND Aufräumarbeiten nach einem Bombardement auf die Gemeinde Arbin vergangene Woche 7. August 2017 • profil 32 45

AUSLAND

Serie: Ich lebe in…

Gestern kündigte das Befreiungskomitee an, dass es sich in Ost-Ghouta auflösen wird, allerdings unter einer Bedingung: Seine Kämpfer sollen sich in eine neue Gruppierung eingliedern, die von den anderen Rebellen gegründet wird. Aber das ergibt keinen Sinn; es würde lediglich dazu führen, dass es eine größere Fraktion gibt, die umso größere Probleme verursacht. Ich befürchte, dass es in Kürze wieder zu Kämpfen zwischen den Rebellen kommt, bei denen viel Blut fließen wird, und das Regime der lachende Dritte ist: Letztlich spielen die internen Konflikte immer Assad in die Hände.

So verworren sind die internen Verhältnisse hier, und darunter leidet die Bevölkerung zusätzlich. Aber zumindest gab es seit der Ausrufung des Waffenstillstands Hilfslieferungen nach Ost-Ghouta. Zuerst kam ein kleiner Konvoi mit drei Lastwägen, dann ein größerer. Sie brachten dringend benötigte Medikamente.

Wir sind seit vier Jahren vom Regime belagert. Dabei geht es allerdings weniger darum, uns auszuhungern, als darum, die wirtschaftliche Kontrolle über Ost-Ghouta zu haben. Die Versorgungssituation ist derzeit gar nicht so schlecht, wie man denken könnte. Es ist schließlich Sommer, und Ost-Ghouta gilt als landwirtschaftlich geprägte Region. Die Menschen können sich also ganz gut von dem ernähren, was hier angebaut wird. Auf den Märkten bekommt man alles, was man braucht – es ist nur nicht sehr preisgünstig.

Lange Zeit gab es Tunnels, die nach Damaskus führten und durch die alles Mögliche hereingeschmuggelt werden konnte. Sie sind jedoch nicht mehr zugänglich, seit die Rebellen aus dem Großteil des Stadtgebiets vertrieben wurden. Allerdings hat es das Regime Händlern immer wieder erlaubt, Produkte hereinzubringen.

Auch die Überweisung von Geld ist gestattet, aus dem einfachen Grund, dass Assad davon profitiert. Angenommen, es schickt mir jemand Geld aus dem Ausland, dann funktioniert das so: Der Betrag wird per Banktransfer oder Western Union in Dollar oder Euro überwiesen, hier in Ost-Ghouta allerdings in Syrischen Pfund ausgezahlt. Auf diese Art und Weise kommt 46 profil 32 • 7. August 2017

das Regime an ausländische Devisen heran.

Auch an alltäglichen Produkten verdienen die Assad-Leute. Wir haben beispielsweise nur wenig Elektrizität – das Wenige, das verfügbar ist, wird von Generatoren erzeugt. Um Licht zu machen, sind also LED-Lampen ideal, die mit Batterien betrieben werden können. Beides wird zu Hunderttausenden benötigt und auch geliefert.

Was das tägliche Leben so teuer macht, sind vor allem die hohen Kraftstoffpreise. Für einen Liter Sprit zahlen wir zwischen acht und neun Dollar, und das macht natürlich auch alle anderen Produkte teuer.

Letztlich brauchen die Menschen hier Hilfslieferungen weniger dringend als die Möglichkeit, wieder ganz normal Handel zu treiben. In dem Abkommen, das die Russen und die Armee des Islam geschlossen haben, ist das an sich vorgesehen. Als Umschlagplatz soll ein Checkpoint im Nordwesten von Ost-Ghouta dienen. Diese Möglichkeit würde die Spritpreise senken und damit auch alles andere billiger machen.

Dass das Regime in nächster Zukunft einen Großangriff startet, um Ost-Ghouta zurückzuerobern, glaube ich nicht. Der militärische Preis, den es zahlen müsste, wäre zu hoch. Die Rebellen wiederum schaffen es auf Dauer nicht, die Region zu kontrollieren. Ich vermute eher, dass die Russen Assad dazu zwingen werden, eine Übergangsverwaltung zu akzeptieren und das Gebiet zu öffnen – und dass die Aufständischen zu kooperieren beginnen. Wenn das geschieht, würden sehr schnell viele zurückkehren, die geflüchtet sind.

Bin ich deshalb froh, dass die Russen hier sind? Nein. Sie wollen zwar den Krieg beenden, aber nur, um ihre Verträge mit dem Regime zu legitimieren. Sie werden viele Jahre als Besatzungsmacht bleiben und sich überall einmischen. Sie haben ja bereits begonnen, nach ihren Vorstellungen eine Verfassung für uns zu schreiben!

Als alles begann, hatten wir ein Problem mit Assad. Jetzt haben wir ein Problem mit den Russen – und mit den Rebellen. Es ist alles ungeheuer kompliziert hier, und ich fürchte, dass es in nächster Zeit noch viel komplizierter werden wird.

■

KÄMPFE Rebellen in der Gemeinde Ain Tarma, die zwar in der Schutzzone liegt, aber immer noch angegriffen wird.

ZERSTÖRUNG Große Teile der Städte in der Region Ost-Ghouta, in der noch rund 400.000 Menschen leben, liegen in Schutt und Asche.

VERSORGUNG Die Märkte sind trotz der Belagerung relativ gut sortiert.

Nachdem der Waffenstillstand am 22. Juli offiziell in Kraft getreten war, erreichte ein erster Hilfskonvoi die Schutzzone (r.).

Eine Selbstgesprächstherapie

APA/AFP; APA/AFP/DPA/MAURIZIO GAMBARINI; APA/AFP/YOSHIKAZU TSUNO

K

ubikov ist mal wieder untergetaucht.

Jedenfalls lässt er sich seit Tagen nicht blicken, was mich nicht unbedingt stört, andererseits aber ein wenig beunruhigt. Hat ihn am Ende die Hitze jäh dahingerafft? Schließlich erreiche ich ihn auf seinem ukrainischen Billighandy. – Bruschnitzka!, blafft er unwirsch. – Also doch eine Geschlechtsumwandlung?, feixe ich. – Ich habe jetzt keine Zeit für deine lausigen Scherze, knurrt er: Ich muss mit Investoren verhandeln. – Das erwischt mich, zugegeben, dann doch einigermaßen lauwarm. – Investoren?, frage ich entgeistert: Die müssen noch verrückter sein als du! – Kubikov ignoriert diese Unverschämtheit geflissentlich.

– Ich brauche 225 Millionen Euro, sagt er und zuckt dabei, wie trotz des miserablen Empfangs einwandfrei zu hören ist, mit keiner Wimper. – Aha, sage ich: Warum genau 225? Würden 220 oder 221 nicht reichen? – Nein!, ruft Kubikov genervt: Es müssen definitiv mehr als 222 Millionen sein. So viel kostet nämlich Neymar. – Ich habe Kubikov zwar noch nie verstanden, aber diesmal bin ich weiter denn je davon entfernt. – Du verstehst offenbar wie immer gar nichts, schnaubt Kubikov: Ich will ganz groß in den Transfermarkt einsteigen und eine österreichische Fußballnationalspielerin kaufen, meinetwegen auch eine dänische oder litauische.

Hauptsache, sie kostet mehr als dieser brasilianische Großkotz. Es ist allerhöchste Zeit, den durchgedrehten Macho-Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Und bei 225 Millionen für, sagen wir, Laura Feiersinger bleibt den schwindligen Fußball-Raubrittern erst mal die Spucke weg, ha! – Und wie viel hast du schon auf deinem fetten Transferkonto?, frage ich der Form halber. – Kubikov räuspert sich umständlich: 115 Euro – deine 98 Euro eingerechnet. Und jetzt blockier die Leitung bitte nicht länger. Ich erwarte ganz dringend den Anruf eines kasachischen Oligarchen – hochseriös, versteht sich.

Sven Gächter

ANTRIEBSKRÄFTE

D

er Diesel hat derzeit keinen besonders guten Lauf. In aller Welt werden Fahrverbote gefordert oder gar schon durchgesetzt, Abgasund Feinstaubwerte gegen Treibstoffverbrauch aufgerechnet, Gesundheitsbedenken gegen Klimaschutzfragen in Stellung gebracht. Die Hersteller sind entsprechend deprimiert, die Verbraucher verwirrt. Zur Ehrenrettung des in Verruf geratenen Verbrennungsmotors: eine Themenseite ganz in seinem Namen.

gegen Westen von der Siemens-, in östlicher Richtung von der Benzund Daimlerstraße begrenzt; in Graz zweigt der Dieselweg wenige Meter nördlich der Avanti-Tankstelle von der Liebenauer Hauptstraße ab.

DJ DSL Wiener DJ und Grafikdesigner, musikalischer Schwerpunkt: HipHop; erste Erfolge in den 1980er-Jahren mit der Band „The Moreaus“ (gemeinsam mit Peter Kruder, Rodney Hunter und Sugar B.), später auch Mitglied im Klamaukprojekt „Edelweiss“.

Bürgerlicher Name: Stefan Biedermann; DSL steht für „DJ Super Leiwand“ und wird korrekt „Die Es-el“ ausgesprochen, in der Praxis aber häufig zu „Diesl“ verschliffen.

Vin Diesel Eigentlich: Mark Sinclair; prominenter US-Schauspieler und Produzent, der mit den Auto-Actionfilmen der „Fast and Furious“-Reihe bekannt wurde; derzeit knapp 42 Millionen Instagram-Fans.

Rudolf Diesel (1858–1913) Ab 1893 tüftelte der deutsche Ingenieur in der Maschinenfabrik Augsburg (später MAN) an seiner Idee eines „rationellen Wärmemotors zum Ersatz der Dampfmaschinen“. Ab 1897 ging der Diesel-Motor in Serienproduktion.

Der Erfinder und Namenspatron beschäftigte sich in der Folge auch mit sozialutopischen Ideen, konkret mit dem von ihm so benannten „Solidarismus“, einer nach genossenschaftlichem Prinzip organisierten Gesellschaftsform. Diesel ging in der Nacht vom 29. auf den 30. September 1913 während einer Überfahrt nach England über Bord des Fährschiffs „Dresden“ (li.) und konn- Diesel S.p.A. Von dem italienischen Unternehmer Renzo Rosso 1978 te erst Tage gegründetes Modelabel mit Schwerspäter tot punkt Jeans; stilprägend in den geborgen 1990er-Jahren; bekanntes Produkt: werden.

Irokesenkopf-T-Shirt („Only the Dieselgasse In den meisten größeren Städten Österreichs existieren Ver- Brave“); guter Slogan: „Be stupid.“ kehrswege, die nach dem Erfinder Diesel Mischgetränk aus Cola und des Dieselmotors benannt wurden. (hellem) Bier, das vor allem in WestIn Wien verläuft eine Dieselgasse österreich so bezeichnet und bevorsüdlich der Trostgasse im Bezirk Fa- zugt bei sommerlichen Festzeltveranstaltungen konsumiert wird. voriten; die Linzer Dieselstraße wird

7. August 2017 • profil 32 49

GESELLSCHAFT

SCHRECKLICH SCHÖN …

Autor Politycki in Tadschikistan, Australien, Japan, Ägypten und auf der MS Europa (von links)

… UND WEIT UND WILD Politycki in Mexiko, Indien, Marokko, Usbekistan und beim Joggen in der Serengeti (von links)

„Damals hörte ich die En M

atthias Politycki, 62, ist an diesem sonnigen Donnerstagvormittag mit leichtem Gepäck unterwegs. Der Schriftsteller macht in Wien Zwischenstation, bevor es wieder zurück nach Hamburg geht. Politycki, für die Tageszeitung „Die Welt“ der „größte lebende Sprachkulinariker unter den deutschen Dichtern“, reist seit Jahrzehnten um den Globus – laut eigener Zählung hat er bislang 97 Länder besucht, gut die Hälfte aller Staaten.

50 profil 32 • 7. August 2017

Nach Romanen wie „Herr der Hörner“ (2005) „Samarkand Samarkand“ (2013), Sport-Essays („42,195 – Warum wir Marathon laufen und was wir dabei denken“) und Lyrikbänden („Dies irre Geglitzer in deinem Blick“, beide 2015) zieht der Schriftsteller nun in zwei Büchern Bilanz über sein unermüdliches Unterwegssein: Während Politycki in dem schmalen Vademecum „Reduktion & Tempo“ darlegt, wie sich die gesammelte Welterfahrung auf sein

Seit 40 Jahren bereist der deutsche Schriftsteller

PRIVAT (9); SEBASCHI (1)

Matthias Politycki die Welt. Ein Gespräch über die Rückseite von Sehenswürdigkeiten, Attacken im indischen Moslemviertel, Plastikfrösche aus Ceylon und kubanische Zauberkessel.

gel singen“ Schreiben auswirkt, unternimmt der Autor in „Schrecklich schön und weit und wild“ den Versuch, grundsätzlichere Fragen zu klären: Warum reisen wir? Was denken wir dabei? Welche Sehnsucht steckt dahinter? „Schrecklich schön …“ ist zugleich eine Art Rechenschaftsbericht eines notorischen Anti-Stubenhockers. Politycki berichtet darin von Camp-Urlauben, Schlafsack-Abenteuern, Bildungsreisen, Pauschal- und Kreuzfahrtschiff-Trips: „Wer

auch nur irgendwas von der Welt sehen will, der will möglichst viel davon sehen, im Grunde alles.“ Nach dem Gespräch macht sich Politycki, ein beharrlicher Mobiltelefon-Verweigerer, der in leicht bayerischem Timbre spricht, auf den Weg. In den kommenden Wochen wird er schwer erreichbar sein, die nächste Reise auf den Spuren der Roten Khmer in Kambodscha steht bevor: „Bald beginnt das Rucksackpacken. Dann bin ich erst mal richtig weg.“ 7. August 2017 • profil 32 51

GESELLSCHAFT

p

PRIVAT

rofil: Sie haben bis dato 97 Länder bereist, rund die Hälfte aller Staaten dieses Planeten. Weshalb macht sich der Mensch auf Reisen?

Matthias Politycki: Aus Neugier und Abenteuerlust.

Irgendwann vielleicht aus Prinzip. profil: Wann kamen Sie zum ersten Mal über Europa hinaus?

Politycki: Als Student, wir überführten jeder einen Mercedes nach Ägypten und bekamen dafür 100 Mark. Dort wurden wir freilich mit allerlei konfrontiert, auf das wir nicht vorbereitet waren. In unserem „Polyglott“-Reiseführer waren nur die Sehenswürdigkeiten erklärt; wie man sich im Alltag zurechtfindet, mussten wir selbst herausbekommen. profil: Wie wirkte sich das aus?

Politycki: Kaum radelten wir über die Stadtgrenze von Kairo hinaus, ging der erste Steinhagel auf uns nieder. Fremde waren nicht willkommen, wir konnten unsere Freundinnen kaum vor den Übergriffen der Jugendlichen beschützen. Bei der nächsten Reise in den Maghreb lieferten wir uns regelrechte Schlachten mit ihnen. Wir hatten lernen müssen, die Ehre IN TOKELAU, SÜDPAZIFIK unserer Freundinnen zu verteidigen. „Was macht die Fremde profil: Was reizt Sie noch am Reisen? mit uns?“ Politycki: Jede Fremde lockt mit einem ganz anderen Leben, in das man vorübergehend eintauchen kann. Das Hin und Her zwischen Heimat und Fremde hält unser Weltbild offen und beweglich. Reisen erzieht zum Selbstdenken. Einen besseren Schutz gegen jede Form von Ideologie gibt es nicht. profil: Wie wichtig sind Ihnen Sehenswürdigkeiten?

Politycki: Als erste Orientierungspunkte sind sie unverzichtbar, die eigentliche Reise beginnt für mich aber erst auf der Rückseite der Sehenswürdigkeiten.

Die Um- und Abwege, auf die man dort gerät, erhöhen ja nicht nur die Ortskenntnis. Der halb verfallene Vororttempel, den man schließlich erschöpft findet, ist der Tagespokal. profil: Besuchen Sie Slums?

Politycki: In einem Land wie Indien fast zwangsläufig. Man lernt die Menschen dort nicht von ihrer schlechtesten Seite kennen! Übrigens sind sie stolz auf das, was sie erreicht haben. profil: Ihre Devise lautet: Das wahre Indien offenbart sich im Slum?

Politycki: Immerhin durchschaut man die landläufigen Klischees besser, wenn man sich hinter die Kulissen begibt. Dort stößt man dann eben auch mal auf Müllberge und Armenviertel. profil: Und auf bulgarische Taxilenker, wie Sie in Ihrem neuen Buch schreiben.

Politycki: Unsere westlichen Werte werden in vielen Teilen der Welt infrage gestellt, unsere politischen Korrektheiten als Beleidigung zurückgewiesen. In Sofia spielte mir ein Taxifahrer Kassettenaufnahmen seiner Band vor. „Sinti?“, fragte ich. Da war plötzlich dicke Luft im Auto. „Roma?“, beschwichtigte ich, der Fahrer schrie mich an: „Me gypsy!“ 52 profil 32 • 7. August 2017

profil: Rassismus funktioniert in beide Richtungen.

Politycki: Als ich in Afrika krank war, schlug die Stimmung unter den Einheimischen schlagartig um, sogar die Krankenschwestern verachteten mich.

Eine Spritze bekam ich nur, wenn ich zuvor bar in Dollar bezahlte, die Hälfte der Spritze wurde trotzdem einbehalten und kam auf den Schwarzmarkt.

Hinter der bunten Fassade eines faszinierenden Kontinents wird plötzlich auch seine Unbarmherzigkeit sichtbar. profil: Wie soll man reagieren?

Politycki: In gewissen Situationen muss man ein tolerantes Weltbild mit intoleranten Methoden verteidigen. In Jaipur wurde ich im Moslemviertel attackiert und beschimpft, nur weil ich kein Moslem war. Tags drauf ging ich nochmal hin, diesmal erwischte ich einen der Angreifer und nahm ihn in den Schwitzkasten. Vor versammeltem Auditorium erklärte ich ihm, dass man auch mit einem Fremden höflich umgehen müsse, selbst wenn er kein Moslem sei. Irgendwann nickten die Umstehenden. profil: Also mit Gewalt?

Politycki: Natürlich bin ich gegen Gewalt, und zum Glück konnte ich die meisten brenzligen Situationen bislang mit Argumenten bereinigen. Aber wer durch Asien oder Afrika reist, muss auch immer mal wieder die Ellbogen ausfahren. Das ist noch längst kein Kampf der Kulturen, aber eben doch eine Konfrontation moralischer Normen und Werte. Wenn man sich dabei keinen Respekt verschaffen kann, wird die Reise zum Passionsweg. profil: Nicht wenige Touristen scheinen davon überfordert zu sein.

Politycki: Weil sie davon überrumpelt werden, dass die Welt längst nicht so ist, wie wir sie uns zu Hause vorgestellt haben. Und in der nächsten Situation werden sie dann auch noch von einer gewissen Sorte Einheimischer – die man keinesfalls mit Einheimischen generell gleichsetzen darf – abkassiert oder an der Nase herumgeführt. Das geht auch auf charmante Weise: In Santiago de Cuba spielten die ortsansässigen Hallodris für die Touristen „Kuba“; sobald ein Kreuzfahrtschiff ankerte, hörte man an allen Ecken „Guantanamera“. Die Touristen bekamen genau das, was sie erwartet hatten, und bedankten sich mit Dollars: „So arm, und trotzdem diese Lebensfreude! Davon könnten wir uns eine Scheibe abschneiden.“ Sobald das Schiff ablegte, war die Stadt wieder so herrlich trist, wie ich sie kannte. profil: Machen Sie auch Urlaub?

Politycki: Aber nur zu zweit. Wenn ich allein unterwegs bin, komme ich erst zur Ruhe, wenn ich erschöpft bin. Als Reisender ist man ja oft ehrgeizig und geht dabei auch immer mal wieder über seine Grenzen: Man will unbedingt noch dieses Bergkloster erreichen, jenes entlegene Dorf im Dschungel. profil: Was unterscheidet Sie von dem japanischen Touristen, der Europa besucht und seine vielen Etappen nach dem Motto „Been there, done that“ sortiert?

Politycki: Ich bin kein Abhaker, sondern kehre oft über Jahre, Jahrzehnte an einmal besuchte Orte zurück.

profil: Sie haben Österreich nach Ihrer Zählung bisher 26 Mal besucht.

Politycki: Seit über 40 Jahren mache ich Notizen über meine Reisen, für „Schrecklich schön …“ zählte ich nach, wie oft ich tatsächlich wo war – und siehe da, das Gute lag auch für mich so nah! Reisen beginnt nicht erst da, wo Palmen im Wind stehen. Und seitdem ich ein Jahr lang in Wien studiert habe, überlege ich immer wieder, dorthin zu ziehen. profil: Wie wirkt sich das Unterwegssein auf Ihre Arbeit als Schriftsteller aus?

Politycki: Die Fremde hat mich gezwungen, in meinen Sätzen auf alles Unnötige zu verzichten, das mir in meiner frühen experimentellen Phase so interessant erschien. Wer auf einem Berghang steht oder im Basar, wo er dauernd angerempelt wird, der schreibt halt nur schnell das Allernotwendigste auf.

Zu Hause merkt man dann, dass damit bereits alles Wichtige gesagt ist. profil: Der Kärntner Autor Josef Winkler saß stundenlang am Ganges und notierte nur ganze Sätze in seine Hefte.

Politycki: Bewundernswert! Bei mir reichte es in Varanasi nur zu Satzbrocken und einzelnen Wendungen. Dabei hielt ich mich an meinem Notizbuch regelrecht fest, um die Leichenverbrennungen überhaupt zu ertragen. profil: Waren Sie auf Reisen häufig in Todesgefahr?

Politycki: In Burundi hatte ich eine Blutvergiftung.

Die Ärzte gipsten mein Bein einfach ein und legten mich zum Sterben beiseite. Meine damalige Freundin und heutige Frau brachte mich auf den Flieger, in München kam ich vom Flughafen sofort auf den OP-Tisch, und als mein Leben gerettet war, hätte man mir noch fast das Bein abnehmen müssen. Damals hörte ich die Engel singen. profil: Wann noch?

Politycki: Beim Höhlentauchen in Jamaika ertrank ich fast, als mein Lungenautomat ausfiel. Im Sinai stieg ich mit einem bekifften Führer auf einen Berg, bis ich über einem Abgrund festhing. In Kalifornien übernachtete ich in meinem Mietwagen am Straßenrand. Ein Polizist weckte mich im Morgengrauen mit Schlagstockgetrommel auf dem Autodach, ich sah in den Gewehrlauf seines Kollegen. Im Nachhinein schüttle ich selbst den Kopf über mich. profil: Früher veranstaltete man Dia-Abende, bei denen Urlaubsanekdoten zum Besten gegeben wurden. Verfahren Sie mit Ihren Erlebnissen ähnlich?

Politycki: Anekdoten sind keine schlechte Ausgangsbasis, um mit anderen sofort ins Gespräch zu kommen. Mich persönlich interessiert allerdings eher die philosophische Essenz all solcher Anekdoten: Was macht die Fremde mit uns? profil: Als Autor etablierten Sie vor Jahren die Schreibschule des „relevanten Realismus“, die für eine reflektierte und zugleich lebensnahe Form der Literatur steht. Wenden Sie diese auch auf Reisen an?

Politycki: Als ich mit 16 zu schreiben begann, war ich Romantiker. Inzwischen bin ich Rest-Romantiker, neige jedoch noch immer zu Schwärmerei und Verklärung. Reisen erdet mich ungemein – da werde

Matthias Politycki: Schrecklich schön und weit und wild: Warum wir reisen und was wir dabei denken. Hoffmann und Campe, 347 S., EUR 22,70 Matthias Politycki: Reduktion & Tempo. Als Erzähler unterwegs im 21. Jahrhundert.

Wallstein, 48 S., EUR 10,10

ich ganz zwangsläufig zum Realisten, sonst käme ich ja gar nicht voran. profil: Sammeln Sie Souvenirs?

Politycki: Oja. Das beginnt beim billigen Plastikfrosch, den ich einem fliegenden Händler im Zug abkaufte, irgendwo auf Ceylon. Im Hohen Atlas stand ich während eines Abstiegs im Trümmerfeld eines vor Jahrzehnten erfolgten Flugzeugabsturzes. Ein kleines Blechstück nahm ich mit. Es wurde eine Art Memento mori auf meinem Schreibtisch. profil: Nicht zu vergessen Ihre Zauberkessel aus Kuba.

Politycki: Auf Recherche für den Roman „Herr der Hörner“ musste ich tief in die afrokubanischen Kulte hinein. Irgendwann sollte mir ein eigener Zauberkessel geweiht werden, dafür musste ich einen Schienbeinknochen aus dem Beinhaus stehlen. Mit dem Kessel verschreckte ich Wochen später die kubanischen Sicherheitsbeamten auf dem Flughafen, niemand wollte mich kontrollieren. Die deutschen Beamten dagegen dachten, ich schmuggle Drogen, und glaubten lange nicht, was sie auf ihren Monitoren sahen. profil: Warum sammelt man diese Dinge?

Politycki: Souvenirs repräsentieren nicht nur konkrete Erinnerungen, sondern auch die Fremde als solche. Sie verbinden uns mit ihr, und wenn sie lang genug in unserer Wohnung stehen, wird die Fremde Teil unserer Heimat. Irgendwann merken wir, dass wir mehrere Heimaten haben. profil: Würde Sie eine Woche Urlaub in der Party-Zone von Mallorca reizen?

Politycki: Es wäre nicht meine erste Wahl. Aber einem Reisenden ist eigentlich nichts Menschliches zu fremd, ich bin sicher, dass ich auch am Ballermann Notizen machen würde. profil: Lesen Sie im Urlaub?

Politycki: Allenfalls Reiseführer und Karten. Wenn ich unterwegs bin, bin ich mit Haut und Haar in einer fremden Welt, da ist kein Raum für eine weitere fremde Welt. profil: Für viele besteht das Reisen aus gutem Essen und Ausschlafen.

Politycki: Jede Art von Reisen ist gut. Selbst die, die sich in der Türkei über schlecht gekühltes Bier beschweren, merken irgendwann, dass es nicht überall so zugeht wie daheim in Castrop-Rauxel – und dass das gar nicht schlecht ist. So fängt ein Verständnis für fremde Kulturen immerhin an. profil: Sie hängen eher dem extremen Unterwegssein an?

Politycki: Im Prinzip ja, aber man sollte seine Schmerzgrenze kennen. Die Fremde muss man sich hart erarbeiten. Und zwar nicht nur physisch, sondern auch mental. profil: Worum geht es dabei?

Politycki: Um Erziehung zur Demut, denn jede Reise hält auch ein paar herbe Niederlagen für uns bereit. Reisen ist praktische Relativitätslehre, auch im Hinblick auf unsere eigenen Werte und Überzeugungen. In unserer Gesellschaft, die gerade ihre eigene Spaltung betreibt, steht der Reisende schweigend zwischen allen Lagern.

■ Interview: Wolfgang Paterno 7. August 2017 • profil 32 53

GESELLSCHAFT

eatdrink Ein Teller Hoffnung

Ein Jahr nach dem Erdbeben in Amatrice: Weltkulturerbe kochen.

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peck und Tomaten, Pecorino und Peperoncino – alles war vorbereitet für die 50. Sagra degli Spaghetti all’Amatriciana, die am letzten Augustwochenende vergangenen Jahres in dem kleinen Bergdorf in Latium über die Bühne gehen sollte. Aber drei Tage vorher, am 24. August um 3:36 Uhr in der Nacht, kam alles anders. „Amatrice gibt es nicht mehr“, teilte tags darauf der Bürgermeister den Medien aus aller Welt mit. Fast 300 Menschen waren unter den Trümmern eines verheerenden Erdbebens ums Leben gekommen – das Fest wurde natürlich abgesagt.

Seither ist in Amatrice nichts mehr wie es war. Und doch schöpfen die Bewohner in ihren Notunterkünften bis heute Hoffnung aus etwas, das immer schon da war: eben jenen Spaghetti all’Amatriciana. Fast 700 Ristoranti in Italien setzten sie nach dem Beben für ein Jahr auf die Speisekarte; zwei Euro pro Portion gehen als Spende an Amatrice. Andere Orte feiern die Pasta nun an Amatrices statt, und Italiens Landwirtschaftsminister kündigte vor Kurzem an, für die Nudel den Status des UNESCO-Weltkulturerbes zu beantragen. Das wäre auch ohne die tragischen Umstände nicht vermessen gewesen, denn die Spaghetti all’Amatriciana haben eine jahrhundertealte Kulturgeschichte und gehören zu den wichtigsten kulinarischen Botschaftern Italiens.

Ursprünglich war das Gericht weiß – es enthielt keine Tomaten – und hieß Spaghetti alla Gricia; erst in Rezepten gegen Ende des

18. Jahrhunderts wurden Tomaten erstmals erwähnt. Die Pasta aus Amatrice wurde auch in Rom populär, und dort zunehmend verwässert. Römer verwenden keine Spaghetti, sondern Bucatini, dicke hohle Nudeln, die sich beim Aufrollen und Essen wie ein praller, losgelassener Gartenschlauch verhalten.

Und es kamen Zwiebeln und Knoblauch dazu.

Was für eine Schande! Als vor zwei Jahren Carlo Cracco, ein hochdekorierter Küchenchef aus Mailand, im Fernsehen sagte, er verwende als „geheime Zutat“ für seine Amatriciana sautierten Knoblauch, herrschte in Amatrice helle Aufregung. „Wir sind sicher, das war nur ein Versprecher von Cracco“, teilte der Gemeinderat in einer Aussendung mit.

Jedenfalls erließ man daraufhin die Verordnung 27/2015 über die korrekte Zubereitung des Gerichts. Vier Hauptzutaten sind vorgeschrieben: Guanciale, der ungeräucherte Wangenspeck vom Schwein im Verhältnis 1:4 zu den Nudeln, also 125 Gramm Speck für 500 Gramm Spaghetti (bloß keine Pancetta), San-Marzano-Tomaten (es dürfen auch solche aus der Dose sein), Pecorino-Käse und eine Chilischote.

Diese Ingredienzien sind seit Kurzem übrigens in ein karitatives Küchenbrett aus Holz graviert, mit dem man die Bewohner von Amatrice auch von hier aus unterstützen kann.

schönertrinken ADI SCHMID • adi.schmid@profil.at

Saint Joseph blanc 2015, Hervé Souhaut

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aint Joseph ist das zweitgrößte Weinbaugebiet am nördlichen rechten Ufer der Rhone mit 90 Prozent Rotwein, 10 Prozent Weißwein. Hervé Souhauts weißer Saint Joseph besteht zu 100 Prozent aus der Rebsorte Roussanne. Der Wein erinnert an Blüten, Honig und Akazie; er ist feinwürzig und kräu-

54 profil 32 • 7. August 2017

terig am Gaumen – harmonisch, höchst individuell und spannend. Und gekeltert von einer sehr launischen Rebsorte, die nur im vollreifen Zustand große Weine hervorbringt.

Hervé Souhaut versteht es, Weine zu machen, die in der Jugend köstlich schmecken und auch im Alter nicht enttäuschen (Naturkork).

Spaghetti all’Amatriciana laut Beschluss des Gemeinderats von Amatrice Für 4 Personen: 125 g Guanciale in 2 mal 0,5 cm große und ca. 3 mm dicke Stifte schneiden. Den Inhalt einer Dose San-MarzanoTomaten (400 g) etwas abtropfen lassen und das Fruchtfleisch zerdrücken. Den Speck mit etwas Olivenöl und der Chilischote am besten in einer Eisenpfanne knusprig rösten und mit einem Schuss Weißwein ablöschen.

Den Speck in eine Schüssel leeren und in derselben Pfanne die Tomaten andünsten. Währenddessen 500 g Spaghetti al dente kochen. Tomaten und Speck miteinander verrühren, Chilischote entfernen, vorsichtig mit Salz abschmecken und dann mit den heißen Nudeln und 100 g Pecorino vermischen. Die Pasta auf dem Teller noch mit etwas Pecorino bestreuen.

KLAUS KAMOLZ (2); WALTER WOBRAZEK

REDAKTION KLAUS KAMOLZ • klaus.kamolz@profil.at

Ein Küchenbrett für Amatrice: 29 Euro (inklusive Versand in Europa 44 Euro); online auf thecuttingboardforamatrice.com

Weinbaugebiet: Saint Joseph Weinjahr: ganz groß Bewertung: ein ungemein lebendiger Wein Trinkreife: jetzt bis 2028 Preis ab Hof: 40 Euro Speisenbegleitung: Maispoularde mit Gemüse-Pot-au-feu Weinhandel Weinskandal Moritz Herzog Ungargasse 28 im Hof, 1030 Wien Tel.: 0676/83 85 81 82 shop@weinskandal.at; weinskandal.at

Autodrom David Staretz david.staretz@profil.at

Erstunken und belegt

Hier eine Ansammlung der abstrusesten Phantasmen, dümmsten Halbwahrheiten, verworfensten News, Fake News, Facts und Alternative Facts, die wir zum Thema Auto finden konnten:

1.

Volkswagen, Audi, Porsche etc., aber auch Daimler, Fiat Chrysler und die Franzosen um Renault haben eine Software entwickelt, die heimlich dafür sorgt, dass sich Motoren, vor allem Dieselmotoren, vorbildlich verhalten und Abgase auf Vorschrift drosseln, sobald sie auf dem offiziellen Abgasprüfstand stehen. Die von der Robert Bosch GmbH per unbefleckter Empfängnis entwickelte Software kann Testsituationen erkennen und schaltet auf sauber (zulasten der Endleistung/Harnstoff-Mehreinspritzung der Motoren, die hier aber nicht abgefragt ist). Sobald die Prozedur vorbei ist, regelt der Motor wieder auf Vollpower-Dreckschleuder zurück und produziert bis zum 140-Fachen des gesetzlich vorgeschriebenen Sollwertes.

Die Lastwagenhersteller MAN (Volkswagen-Tochter), Scania (Volkswagen-Tochter), Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF haben 14 Jahre lang heimliche Kartelle gebildet, um marktverzerrende Preisabgleiche, gemeinsames Vorgehen bei Zulieferverträgen etc. abzusprechen. Allein Daimler wurde zu einer Rekordstrafe von einer Milliarde Euro verdonnert, alle zusammen löhnten 3,8 Milliarden.

VW, Audi, Daimler, BMW und Porsche pflegen seit Jahrzehnten kartellartige Absprachen, was Preisabgleiche, Lieferverträge, Ausstattungen, Modellpolitik, technische Regelungen etc. betrifft. Regelmäßige Zusammenkünfte der Top-Verantwortlichen seit den 1990er-Jahren. Man hört von 60 Arbeitsgruppen, bestehend aus insgesamt mehr als 200 Personen, und bislang 1000 Meetings.

Leidtragende sind Autokäufer und Zulieferfirmen. Gewinner sind Unternehmen und bislang noch die Aktionäre. Es geht um Milliardenbeträge. Mit einer Klagsflut wird gerechnet. Auch zulasten der Aktionäre.

Forscher aus Bochum und Birmingham haben eine Sicherheitslücke bei Autos mit Funkschlüsseln entdeckt. Betroffen seien bis zu 100 Millionen Fahrzeuge weltweit, der Großteil davon aus dem Volkswagen-Konzern, wie der Rechercheverbund von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ berichtet. Neben der Marke VW sind vor allem auch Autos der Töchter Audi, Škoda und Seat ab dem Baujahr 1995 betroffen – plus weitere Hersteller. Insgesamt ist es den Forschern gelungen, die Funkfernbedienung von 15 Herstellern zu knacken. Sie konnten die Autos per Software öffnen, ohne im Besitz des Originalschlüssels zu sein.

Bei Tesla übrigens auch.

Assistenzsysteme wie der City-Notbremsassistent oder der Einparkassistent, aber auch der Spurhalteassistent sind zu 101 Prozent überflüssig, weil sie mehr schaden als nutzen.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Wenn das „Autonome Auto“ kommt, wird es automatisch zum schwächsten Verkehrsteilnehmer, weil es IMMER bremsen wird, gleich, was passiert.

Invasive Personalsysteme, die zum Beispiel während der Fahrt unseren Blutdruck messen, damit ein Herzinfarkt vorhersehbar wird, sind in Vorbereitung.

Autohersteller pflegen Rückrufaktionen im Ausmaß von Millionen Fahrzeugen. Angeblich machen sie dies nur, weil Kunden bei solchen Gelegenheiten sonst vernachlässigte, aber einträgliche Zusatzarbeiten wie Scheibenwischerwechsel etc. in Auftrag geben. Volkswagen nennt solche Aktionen gern „Produktoptimierung“.

Wird der automatische eCall abgesetzt, erscheinen Unfallkoordinaten und codierte Unfallschwere auf den Laptops und Smartphones von favorisierten Abschleppunternehmen. Privatkliniken senden ihre Rettungsfahrzeuge aus.

Rauchen im Auto wird noch vor 2020 verfolgt und bestraft. Erst durch Außenwahrnehmung, später durch integrierte Sensoren.

Aber keine Angst. Alle diese Systeme können durch grau käufliche Malware überschrieben werden. * „Die stecken doch alle unter einer Decke“, müssen wir uns immer wieder von den ahnungslosesten Laien erklären lassen. Milde lächelnd geben wir ihnen zu verstehen, dass die Autoindustrie als Mustersparte des astreinen Kapitalismus auf das Spiel der freien Kräfte vertraut, wo immer nur der gewinnt, der nicht nur die besten Ingenieure, sondern auch die besten Wirtschafter und Kommunikationsspezialisten unter seiner Marke binden kann. Geheime Absprachen sind ebenso undenkbar wie fiese Manipulationen der Abgas-Software. So etwas haben deutsche Autohersteller nicht nötig, allen voran Volkswagen, denn wie aus Dr. Piëchs Mund (anlässlich eines Genfer Autosalons) zu vernehmen war: „Volkswagen ist eine Ingenieursmarke. Andere Autohersteller sehen sich offenbar als Wirtschaftsmarke. Das freut uns. HA! HA! HA!“ * Ferdinand Piëch, seit seinem legendären Satz „Ich bin auf Distanz zu Dr. Winterkorn“ wieder alleiniger Feldherr in eigener Sache, hat nach Rücktritt vom Aufsichtsrat und Verkauf seiner Volkswagen-Aktienanteile die Selbstanzeige von Volkswagen erpresst. Er hat es nicht ertragen, sein Lebenswerk so schmachvoll beschädigt zu sehen und stellt es der Zerstörung/Erneuerung anheim. ■

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7. August 2017 • profil 32 55

GESELLSCHAFT

BILDARCHIV.AT/ÖNB/RÜBELT, LOTHAR

GEGEN DIE SKEPTIKER Frauenfußball-Match in Wien, Anfang der 1930er-Jahre

Kick it like Schnaderbeck Das Abenteuer Fußball-EM endete für das österreichische Damen-Nationalteam im Halbfinale.

Aber wie hat es eigentlich angefangen?

Der österreichische Frauenfußball in fünf Momentaufnahmen.

56 profil 32 • 7. August 2017

Von Eva-Maria Gapp und Sebastian Hofer

13|4|1924 Im Hotel Métropole am Wiener Morzinplatz wird der erste österreichische Damenfußballclub „Diana Wien“ gegründet. ehr als 150 Frauen haben sich Ende 1923 auf einen Aufruf der Wochenzeitung „Der Montag“ zu einem reinen Frauenfußballtraining angemeldet, 43 werden schließlich zum einführenden Theoriekurs unter der Leitung des Journalisten Roman Frisch und des Nationalspielers Ferdinand Swatosch zugelassen.

Die ersten praktischen Trainingseinheiten finden erst zwei Wochen später am Rudolfshügelplatz in Favoriten statt. Über

M

1|1|1969 Auf einem Sportplatz in Wien-Jedlersdorf nimmt der Frauenfußballverein „Union SC Landhaus“ seinen Spielbetrieb auf. n seinen ersten Jahren muss der Verein vom Wiener Nordrand mangels lokaler Gegnerinnen noch gegen Teams aus der damaligen Tschechoslowakei spielen.

Gründungspräsident Gerhard Traxler, bis heute Vereinsobmann, erinnert sich: „Natürlich haben wir anfangs nicht mithalten können und öfter verloren, aber mit der ersten Frauenfußballmeisterschaft ging es dann bergauf.“ 1971 wird der USC Landhaus als erster Frauenfußballverein in den Wiener Fußballverband aufgenommen, die erste Meisterschaft wird in der Saison 1972/1973 unter sechs Wiener Teams ausgespielt: Favoritner AC (Meister), USC Landhaus, DFC Ostbahn XI, SV Kagran, SV Antonshof und Gersthofer SV. Mit bis dato zwölf Meistertiteln und elf Cup-Siegen zählt der USC Landhaus zu den erfolgreichsten österreichischen Frauenfußballclubs und nimmt im Oktober 2001 auch als erster heimischer Verein am europäischen Meistercup (heute: UEFA Women’s Champions League) teil. Im internationalen Vergleich sieht USC-Landhaus-Obmann Traxler trotzdem noch Aufholbedarf. „Wir haben in Österreich viel zu spät mit dem Frauenfußball begonnen.“

I

liga-Aufsteiger nach München gewechselt.

Insgesamt absolviert Stallinger vier Saisonen im Bayern-Kader und kehrt 2005 als Spielertrainerin nach Linz zurück.

Nach ihrem Karriereende 2006 wird sie zu Österreichs Fußballerin des Jahres gewählt. Sportlich hat Gertrud Stallinger alles erreicht, finanziell deutlich weniger.

Heute arbeitet sie als Finanzbeamtin in Linz. In Österreich kann bis heute niemand vom Frauenfußball leben, erklärt Thomas Wirnsberger, Obmann des Damen-Rekordmeisters SV Neulengbach. „Wenn, dann können sich die Spielerinnen mit Werbeauftritten ein Taschengeld dazuverdienen.“ Vom Verein gibt es „vielleicht 200 Euro im Monat, als Aufwandsentschädigung“, erklärt Wirnsberger: „In Österreich steckt der Frauenfußball immer noch in den Kinderschuhen.“

21|3|2011 Bei einer Pressekonferenz in Wien verkünden ÖFB-Präsident Leo Windtner, Sportminister Norbert Darabos und ÖFB-Sportdirektor Willi Ruttensteiner die Gründung eines Nationalen Zentrums für Frauenfußball. indtner spricht von einem „logischen Schritt“, Dominik Thalhammer, vormals Admira- und Wiener-Sportklub-Trainer, erläutert seine Vision als neuer sportlicher Leiter des Zentrums: „Wir wollen bis 2016 zur europäischen Spitze im Frauenfußball gehören.“ Einen Monat später wird Thalhammer zum Trainer des Frauen-Nationalteams bestellt. Im Bundessportzentrum an der St. Pöltener Bimbo-Binder-Promenade läuft mit dem Schuljahr 2011/2012 die Nachwuchsausbildung der 14- bis 19-Jährigen an: „Die

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Spielerinnen können hier schulische und fußballerische Ausbildung kombinieren“, erklärt Karin Gruber, Geschäftsführerin des Zentrums. Neben den sportlichen Lehrgängen kann eine vierjährige Handelsschule oder ein fünfjähriges Gymnasium absolviert werden. Schul- und Trainingszeiten sind aufeinander abgestimmt.

Das Konzept bewährt sich rasant. Im EM-Kader 2017 stehen acht Absolventinnen und eine aktive Schülerin des Nationalen Zentrums.

30|7|2017 – 20:38 Uhr Mehr als 1,2 Millionen Zuseher verfolgen auf ORF 1, wie Sarah Puntigam im Viertelfinale der Europameisterschaft den fünften, entscheidenden Elfmeter für das österreichische Frauen-Nationalteam gegen die deutlich favorisierten Spanierinnen verwandelt. as Team um Kapitänin Viktoria Schnaderbeck hat in dem Turnier souverän seine Vorrundengruppe (gegen die Schweiz, Frankreich und Island) gewonnen und mit dem Sieg über Spanien das Halbfinale erreicht. Für Insider kommt der Erfolg weniger überraschend, als er der durchaus euphorisierten Öffentlichkeit erscheint: Unter Trainer Dominik Thalhammer hat sich das Team, das sich zu großen Teilen aus Legionärinnen der deutschen Bundesliga zusammensetzt, taktisch, athletisch und mental höchstprofessionell auf das Turnier vorbereitet.

Im Halbfinale am 3. August scheiden die österreichischen Fußballerinnen – neuerlich in einem Elfmeterschießen – gegen das Team aus Dänemark aus. Erste Reaktion von Kapitänin Schnaderbeck: „Jetzt müssen wir das Ganze erst einmal verdauen.“ ■

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HANS PUNZ

das weitere Schicksal des FC „Diana Wien“ ist wenig bekannt; Mitte 1924 reißt die Berichterstattung des „Montag“ über das von ihm initiierte Team schlagartig ab.

Erst zehn Jahre später wird – gegen die tatkräftige Skepsis des männlichen Fußball-Establishments – die Damen Fußballunion (DFU) gegründet, die auch eine erste Wiener Meisterschaft abhält. Ab 1936 steht die bekannte Unternehmerin Ella Zirner-Zwieback der DFU als Präsidentin vor. Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung 1938 wird der Frauenfußball in Österreich verboten. Erst ab 1948 finden wieder Frauenfußballspiele statt.

15|10|2000 – 14 Uhr Anpfiff zum ersten Match des FC Bayern München in der Deutschen Frauen-Bundesliga: Heimspiel gegen die Sportfreunde SieFÜR gen. Im Kader der Münchnerinnen steht die DIE FANS Das NationalÖsterreicherin Gertrud Stallinger. tallinger, langjährige Kapitänin und team bedankt sich nach dem Rekordtorschützin des Damen-Natio- EM-Halbfinale nalteams, ist zu Saisonbeginn von der bei seinen Union Kleinmünchen Linz zum BundesAnhängern.

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7. August 2017 • profil 32 57

GESELLSCHAFT

#brodnig Sieben Arten von Fehl- und Desinformation

REDAKTION INGRID BRODNIG

Tom Turbo gefällt das

Zum Glück ist Thomas Brezina auch auf sozialen Medien aktiv.

Überarbeitete Inhalte

Satire oder Parodie

W

as tun Menschen, wenn sie down sind?

Manche essen Schokolade, andere gehen sich betrinken. Ich habe eine neue, bessere Aufheiterung gefunden: Ich folge Thomas Brezina auf Facebook und Twitter.

Ja, genau, DER Thomas Brezina, Erfinder der Knickerbocker-Bande und eines hässlichen Fahrrads namens Tom Turbo, ist online sehr aktiv. Als Kind hat es mich immer gefreut, die Abenteuer von Axel, Lilo, Poppi und Dominik zu verfolgen.

Natürlich habe ich auch das großartige Ratebuch „Heiße Spuren für Meisterdetektive“ besessen (wie vermutlich nahezu jedes Kind meiner Generation in Österreich). Die Nostalgie ist also sicher einer der Gründe, warum viele Brezina online ganz großartig finden. Aber man muss sagen, er twittert und facebookt auch so gutherzig. Neulich hat er sich gewundert: „Intelligente Frage zum Tag: wieso gibt es so wenig Ribiseleis in Eissalons? #ribiseleis“. Nur um sechs Minuten später sein Anliegen etwas genauer zu formulieren und nachzuhaken: „Man muss präzise sein: wieso gibt es in so wenigen eissalons ribiseleis?“ Das Angenehme an Brezina ist, dass er der totale Antiösterreicher ist. Er erfreut sich permanent am Leben. Zum Beispiel postet er: „Für mich ist Glück – im Sommer in der Morgensonne eine Tasse Tee trinken #GutenMorgen #schoenentag #sommer.“ Oder: „Gibts was Schöneres als warme Sommerabende? Ruhe. Schwalben jagen. Relax!!! Dankbarkeit!“ Das Onlinemedium „Vice“ schrieb einmal zu Recht: „Thomas Brezina ist der beste Mensch der Welt.“ Mein zwölfjähriges Ich hätte es total beeindruckend gefunden, dass eines Tages neue Medien erfunden werden, über die man sogar solchen Starautoren etwas näher sein kann. Danke, Internet! Und danke, Herr Brezina, für Ihren Optimismus. Unlängst postete er: „Heute Fototermin mit Tom Turbo! Noch immer staune ich, wenn er gerollt kommt. #besterfreund #tomturbo.“ Wem wird nicht warm ums Herz bei solchen Tweets?

58 profil 32 • 7. August 2017

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ede Woche präsentiert profil hier einen von sieben Typen von Fehl- und Desinformation im Internet. Diesmal werden Meldungen mit irreführenden Inhalten erklärt. Viele unseriöse Berichte im Internet sind nicht komplett erfunden, sie haben einen realen Kern, der aber mit falschen Behauptungen angereichert wird. Ein Beispiel lieferte die österreichische Zeitung „Wochenblick“ im Frühjahr 2017. Sie behauptete online: „Merkel hofft auf zwölf Millionen Einwanderer.“ Im Text hieß es dann: „Man muss es heute schon aus britischen Medien erfahren: Es gibt ein geheimes Papier der deutschen Bundesregierung, welches die Masseneinwanderung nach Deutschland feiert.“

Irreführende Inhalte Halbwahrheiten versetzen User in Rage.

Die Geschichte hat einen wahren Kern: Der Staat Deutschland ließ eine Demografiebilanz erstellen, in der auch verschiedene Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung nachzulesen sind. Ein Betrügerische Inhalte einwanderungsstarkes Szenario rechnet mit 300.000 Migranten pro Jahr – bis zum Jahr 2060 gerechnet, wären das tatsächlich mehr als zwölf Millionen Menschen. Das sagt die rechte Zeitung in ihrem Text auch – jedoch ist die Geschichte irreführend aufbereitet. Beginnen wir beim Titel: Angela Merkel hat niemals gesagt, dass sie auf zwölf Millionen Einwanderer „hofft“: Diese Aussage hat ihr eine britische Boulevardzeitung in den Erfundene Inhalte Mund gelegt, der „Wochenblick“ zitiert genau genommen dieses Revolverblatt. Falsch ist außerdem, dass das Papier „geheim“ sei und Medien nichts berichtet hätten: Die Demografiebilanz der deutschen Regierung kann jeder unter demografie-portal.de herunterladen. Mehr als ein Monat vor dem „Wochenblick“ haben schon Medien wie Falsche Verknüpfungen der „Spiegel“, die „Rheinische Post“, der „Focus“, die „Welt“ darüber berichtet – hier verkauft das rechte österreichische Blatt eine alte Meldung als empörende Neuigkeit. Die Methode wirkt: Der „Wochenblick“ erzielte mehr als 25.000 Likes, Kommentare oder Shares mit diesem Beitrag.

Falscher Kontext

Viele unseriöse Meldungen sind nur zum Teil falsch oder verzerrend – wirken aber umso besser.

Georg Christoph Lichtenberg

(1742–1799), Physiker

„Jeder Fehler erscheint unglaublich dumm, wenn andere ihn begehen.“

HEIMSPIEL Eine häufige Vorhersage für die kommenden Jahrzehnte lautet: Der klimabedingte Anstieg der Meeresspiegel in vielen Küstenregionen treibt Millionen Menschen in die Flucht und wird zu gewaltigen Migrationsbewegungen führen. Doch stimmt das überhaupt? Maximal zuverlässige Prognosen wären natürlich wichtig, um sich auf das Problem einstellen zu können. Meist werden zu erwartende Fluchttendenzen direkt aus dem errechneten Anstieg der Meere abgeleitet. Wie nun ein internationales Fachjournal berichtet, ist das womöglich zu kurz gegriffen und lässt einen Faktor außer Acht: das Verhalten der Menschen in den betroffenen Regionen.

Auf vier philippinischen Inseln, die bei Stürmen oft überflutet werden, beobachteten die Forscher, wie Bewohner auf Umweltkatastrophen reagieren: Sie ergreifen stets simple bauliche Maßnahmen; ein geplantes Umsiedlungsprogramm lehnen sie rigoros ab. Zwar handelt es sich dabei um Einzelfälle, doch sie deuten darauf hin, dass vielleicht ein Umstand künftig in Kalkulationen mehr zu berücksichtigen ist: der dringende Wunsch der Menschen, in ihrer Heimat zu bleiben.

APA/AFP/NOEL CELIS; ULLSTEIN BILD VIA GETTY IMAGES

TAIFUN IN MANILA 2015 Wollen von Umweltkatastrophen betroffene Menschen wirklich am liebsten flüchten?

K U R Z

G E F R A G T

Können Zwillinge zwei Väter haben?

U

nmöglich, möchte man spontan meinen. Wie das Forschungsjournal „Bild der Wissenschat“ jedoch kürzlich ausführte, ist die Sachlage nicht ganz so eindeutig. Eineiige Zwillinge haben

tatsächlich denselben Vater, weil ein Spermium eine Eizelle befruchtet. Bei zweieiigen Zwillingen ist die Situation anders: Denn sie werden lediglich zeitgleich geboren, aber in diesem Fall müssen zwei

Eizellen von verschiedenen Spermien befruchtet werden, und diese können durchaus von unterschiedlichen Männern stammen, solange der Geschlechtsverkehr im passenden Zeitfenster stattfindet.

7. August 2017 • profil 32 59

WISSENSCHAFT

Grundreche

TILO ARNHOLD/IDIV.DER; SHUTTERSTOCK; CHRISTIAN HÜLLER

Ökosysteme sind die verwirrendsten und vielschichtigsten Phänomene auf unserem Planeten. Doch Forscher müssen sie besser verstehen, wenn sie Effekte von Klimawandel und Landnutzung vorhersagen wollen – und suchen daher nach den Weltformeln von Flora und Fauna.

60 profil 32 • 7. August 2017

enarten „Unser Ziel ist es, zu verstehen, wie grüne und braune Teile von Ökosystemen miteinander interagieren.“ Nico Eisenhauer, Versuchsstation „Ecotron“

Von Hubertus Breuer

„H

KLIMAKAMMERN IN SACHSEN-ANHALT In den Miniatur-Ökosystemen wird das Verhalten von Pflanzen, Tieren, Boden und Mikroorganismen dokumentiert.

ier herrscht totale Überwachung“, sagt Nico Eisenhauer und steckt seinen Kopf in eine Klimakammer. Auf zweieinhalb Quadratmetern breitet sich darin eine Wiesenlandschaft unter computergesteuerten LED-Leuchten und Brauseköpfen aus. Im dichten Grün saugen sich Blattläuse mit Pflanzensaft voll, während zwei- und siebengepunktete Marienkäfer ihre Artgenossen lautlos verspeisen. „Die ernten wir morgen und zählen sie“, sagt der Ökologe. Die Wiese besteht aus fünf Pflanzenarten: Bohnen, Gänseblümchen, Honiggras, Wiesenschwingel und Wiesenflockenblumen, je 19 Stück, alle hübsch im selben Abstand gepflanzt.

An der Decke der Klimakammer hängt unter einer gläsernen Halbkugel eine 360-Grad-Kamera, die das Pflanzenwachstum und Verhalten der Tiere dokumentiert. Vier Sensoren messen Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Durch den mit zwei Tonnen Erde gefüllten Metallkübel führt eine Plexiglasröhre, in der ein Scanner wöchentlich das Wurzelwachstum misst.

In drei Bodentiefen werden noch einmal Temperatur, Feuchtigkeit und die Wasserspannung erfasst. Außerdem sammeln Saugsonden das Sickerwasser für chemische Analysen. Regelmäßig entnimmt Eisenhauers Team Bodenproben, um dort 7. August 2017 • profil 32 61

WISSENSCHAFT

TILO ARNHOLD/IDIV.DER (2)

62 profil 32 • 7. August 2017

HEUSCHRECKE UND GOLDRUTE Jagdspinnen stressen Heuschrecken, die dadurch mehr Goldruten fressen.

rückgehende Biodiversität für die Reinigung des Wassers? Wie verändert sich ein Ökosystem durch invasive Arten?

Bei der Suche nach Antworten helfen Laborexperimente in der Petrischale, Klimakammern und Feldstudien genauso wie Erdbeobachtungssatelliten. Doch eine Theorie für die Natur zu entwickeln, die alle Größen, Regeln und Kräfte des Lebens erfasst, die von einer Wasserpfütze bis hin zum Dschungel wirken, ist keine Kleinigkeit. „Wir sind in Ökosystemen über alle Größenskalen hinweg mit dem Problem der Komplexität konfrontiert“, sagt der theoretische Ökologe Jonathan Chase, der wie Eisenhauer am in Leipzig ansässigen Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) tätig ist. „Ecotron“ heißt die rund 3,7 Millionen Euro teure, von Eisenhauers Team erst im Mai eingeweihte Anlage in der Versuchsstation Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt, die vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung betrieben wird. Der Vorteil der Minigewächshäuser ist, dass in ihnen nur Experimente mit streng kontrollierten Zutaten stattfinden: Unerwartete Wolkenbrüche gibt es hier nicht, ungebetene Mäuse lassen sich nicht blicken. Gleichzeitig können Experimente in den Klimakammern leicht variiert werden, sodass die Forscher statistisch belastbarere Aussagen treffen können, welche Kräfte wo am Werk sind und was geschieht, wenn man dezent an diversen Schräubchen dreht.

Solche Klimakammern gibt es auch im französischen Montpellier, wo sie vom Nationalen Zentrum für Forschung betrieben werden. In einer Zahl wie in Deutschland sind diese verglasten Ökosysteme jedoch bisher einmalig. „In unserer Pilotstudie untersuchen wir, wie sich der Insektenbefall der Pflanzen auf die Mikrobengemeinschaft im Boden auswirkt“, erklärt Eisenhauer. „Wie zum Beispiel die Pflanze ihre Abwehrkräfte mobilisiert und dazu die Pilzgemeinschaften in ihrem Feinwurzelwerk nutzt. Unabhängig vom Ergebnis kann ich bereits jetzt sagen: Das Ergebnis wird nur ein Puzzleteil eines großen Panoramas sein, das wir vollständig noch lange nicht kennen.“ Anderswo gibt es bereits Gleichungen, die Ökosysteme weltformelhaft erfassen

NATUR UND TECHNIK Was in den Klimakammern passiert, soll in mathematische Gleichungen gepackt werden.

SHUTTERSTOCK

lebende Organismen wie Fadenwürmer, Springschwänze, Milben und Pilze zu bestimmen. All das geschieht nicht nur in einer, sondern in zwölf beleuchteten Klimakammern, die im matten Dämmerlicht einer früheren Maschinenhalle stehen. „Unser Ziel ist, es zu verstehen, wie grüne und braune Teile von Ökosystemen miteinander interagieren“, sagt Eisenhauer: „Dazu müssen wir so viele Daten wie möglich sammeln.“ Letztlich wollen die Forscher die belebte Natur in mathematische Gleichungen packen. Vielleicht lässt sich das Verhalten von allem, was kreucht, fleucht und gedeiht, sogar in eine Art Weltformel kleiden, ähnlich wie E=mc2? Vorerst ist allerdings sicher: Ökosysteme sind notorisch schwer zu durchschauen. Spätestens seit den 1990er-Jahren jedoch zwingen Klimawandel, intensive Landwirtschaft und der fortschreitende Verlust natürlicher Lebensräume Ökologen wie Eisenhauer dazu, die Dynamik von Fauna und Flora besser und umfassender zu verstehen. Gleichzeitig erlauben ihnen Computer, immer größere Datensätze zu verarbeiten. Die Informationen stammen aus Sensorennetzwerken in freier Wildbahn, aus kompletten Genomsequenzen oder von Satellitenbildern, und leistungsfähige Rechner erlauben es, alle Ergebnisse in Modelle zu integrieren. Auf diese Weise wollen die Forscher drängende Fragen beantworten, wie etwa: Was bedeutet zu-

wollen. Der US-Ökologe John Harte hat ein Modell entwickelt, dessen Grundidee besagt, dass sich der wahrscheinlichste Zustand eines Ökosystems aufgrund weniger Eckdaten berechnen lässt. Als Variablen schlug Harte die Größe eines Ökosystems, den Artenreichtum, die Zahl der Individuen pro Art und ihren Energieumsatz vor. Er sammelt nun die Daten einer Fläche von einem Viertelhektar und berechnet, wie sich die Arten und Individuen in der umliegenden Region verteilen, wie sich der Energieumsatz entwickelt oder wie viele Arten auf einer bestimmten Fläche vorkommen.

Sein Kollege Stephen Hubbell von der University of California, Los Angeles, propagiert ein anderes Modell. Er will allein aufgrund der Annahme, wie viele Tiere sich in einer Population ausbreiten, geboren werden und sterben und wie schnell sich neue Arten bilden, vorhersagen, wie groß die Biodiversität in Ökosystemen ist. James Brown von der University of New Mexico wiederum verfolgt eine „metabolische Theorie der Ökologie“, die aus der Stoffwechselrate der Organismen viele Muster eines Ökosystems erschließen will. „Diese mathematischen Formeln funktionieren ganz gut. Aber sie sind eher Bestandsaufnahmen“, erklärt Chase. „Sie sagen uns nicht, was genau in einem Ökosystem passiert. Sie geben uns jedoch eine gute Grundlage, um die Zusammenhänge in einem Ökosystem zu erforschen.“ Will man im Detail wissen, was in Regenwäldern, auf einer Wiese in den Alpen oder in einem Korallenriff passiert, gibt es keine Alternative dazu, Tier- und Pflanzenarten zu katalogisieren – wie im Nationalpark Great Smoky Mountains im Südosten der USA. Dort arbeiten Biologen seit 1998 an nur einer Aufgabe: alle Arten in dem über 2000 Quadratkilometer großen Naturschutzreservat zu bestimmen, vom wilden Truthahn über den Weihnachts-

Berg und Tal

D

ie Universität Wien gab Anfang Mai ein über fünf Jahre mit fast zwei Millionen Euro gefördertes Projekt namens LTER-CWN (Long-Term Ecosystem Research Infrastructure for Carbon, Water and Nitrogen) bekannt. Es fußt auf einem Netz hochmoderner Messstationen an sechs ökologisch sehr unterschiedlichen Standorten Österreichs – auf Bergen, im Grünland, in Tälern, Feuchtgebieten und Wäldern.

Ziel ist es, die Auswirkung extremer Klimaereignisse auf die Natur über längere Zeiträume zu erfassen. Die Wissenschafter erforschen, wie sich Dürre, Hitzeperioden oder starke Regenfälle auf den Austausch von Treibhausgasen zwischen Boden und Luft, die wechselnden Wassertransporte und die Stickstofffreisetzung auswirken. Dabei ist Langzeitbeobachtung besonders wichtig, da solche Veränderungen zuweilen nur langsam oder verzögert auftreten.

Das Projekt baut auf dem Netzwerk „LTER Austria“ auf, das landesweit mehrere Dutzend Ökosystemmessstationen verbindet, die allerdings sehr unterschiedlich ausgestattet sind. Dieser Verbund gehört wiederum zu dem Netzwerk LTER-Europe, in dem rund 400 Forschungsstationen langfristige Ökosystemforschung betreiben – in arktischen über alpine bis hin zu mediterranen Gefilden.

MESSSTATION Akribische Naturbeobachtung an sechs Standorten.

SIMON DROLLINGER

farn bis hin zu winzigen Algen, die nur unter dem Mikroskop erkennbar sind.

Bislang wurden mehr als 19.000 Arten entdeckt – von geschätzt 100.000. Doch selbst eine solche Liste reicht nicht aus, das Ökosystem dieses Parks zu verstehen: Es braucht detaillierte Daten zum Verhalten und zu Wechselwirkungen der Organismen, zu Topografie, Witterungsdaten und Stoffflüssen.

Wie komplex Abläufe in Ökosystemen sein können, zeigt eine von Ökologen gerne zitierte Studie des an der Yale University lehrenden Oswald Schmitz. Die Arbeit beschreibt, wie Heuschrecken jagende Spinnen das Verhalten ihrer Opfer verändern. Nehmen die Heuschrecken die lauernden Spinnen wahr, sind sie gestresst. Sie suchen Schutz in den auf Wiesen dominanten Goldruten. Weil die Heuschrecken gestresst sind, haben sie erhöhten Energiebedarf. Sie decken ihn mit Goldruten, da diese reichlich Kohlenhydrate enthalten. Die Folge: Goldruten werden zurückgedrängt, andere Pflanzen florieren, die Artenvielfalt steigt. Gleichzeitig bindet eine Wiese auf diese Weise 1,4 Mal mehr Kohlenstoff als Grasland ohne die Jagdspinnen: in den Pflanzen, in den Ausscheidungen und toten Körpern der Heuschrecken sowie im Boden, in dem Mikroben aufgrund eines erhöhten Kohlenstoff- und niedrigeren Stickstoffeintrags organisches Material langsamer kompostieren.

Solche Prozesse lassen sich, einmal erfasst, auch simulieren. Eine klassische Methode, derlei Wirkungsmechanismen abzubilden, sind Netzwerkmodelle. In ihnen werden Spezies in komplexe und möglichst lebensnahe Beziehungen zueinander gesetzt: Sie jagen und werden gefressen, leben in Symbiose oder konkurrieren mit ihren Artgenossen. Forscher um die Ökologinnen Ursula Gaedke und Alice Boit von der Universität Potsdam studierten 2012 an Mikroorganismen, Kleinkrebsen und Jungfischen, wie sich Fressverhalten, Bio- und Körpermasse entwickeln sowie die Populationen sich saisonal verändern. Zudem zeigten sie, warum Algen dem Kreislauf zugrunde liegen. In einem seit 2014 laufenden Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft namens „DynaTrait“ wird der Ansatz erweitert. Deutschlandweit versuchen Forscher die Dynamik von aquatischen Lebensgemeinschaften genauer abzubilden, indem sie ihre sich mit der Zeit verändernden Eigenschaften einbeziehen – Größe, variierende Nährstoffaufnahme, Fressbarkeit für Räuber oder Anpassungsfähigkeit an die Umwelt.

Auch in Österreich sorgt der Klimawandel für verstärktes Interesse an den komplexen Wirkungszusammenhängen der Natur.

Dazu analysieren Wissenschafter allerlei kleine und größere Geschöpfe in Glaskolben oder Wassertanks, führen Freilandstudien in verschiedenen Wassertiefen und Computersimulationen durch. „Da berücksichtigen wir sogar evolutionäre Prozesse“, erklärt Alice Boit, Koordinatorin des Projekts. „Wir lernen beispielsweise, wie Planktonarten mit steigenden Wassertemperaturen oder größerer Räuberdichte zurechtkommen und sich unter diesem Druck verändern.“ So identifizieren die Ökologen Mechanismen, die Organismen helfen, in einer sich wandelnden Umwelt zu bestehen. „Derzeit verfügen wir aber über keine einheitlichen Ansätze, die genetische Informationen, Artmerkmale und ihre wechselseitigen Beziehungen umfassend in ein Ökosystemmodell integrieren“, sagt Boit. „In den nächsten Jahren erwarten wir jedoch substanzielle Fortschritte.“ Zumindest das Fundament, auf dem eine umfassende Theorie eines Tages ruhen wird, steht außer Frage: die Gesetze der Thermodynamik, also der Energieflüsse in der Natur, und der die Biodiversität antreibende Motor der Evolution. Darauf aufbauend heißt es, mühsam Stein um Stein das Theoriegebäude der Ökosysteme aufzubauen. Einer der Ziegel ist das „Ecotron“ in Bad Lauchstädt. Dort ist das Experiment mit der Wiesenlandschaft inzwischen beendet. Noch werden die Proben analysiert, aber Ökologe Nico Eisenhauer vermutet, dass die Gegenwart von Blattläusen den Nährstoffkreislauf beschleunigt und die Mikrobengemeinschaft im Boden tatsächlich verändert hat.

Eine andere Erkenntnis dagegen war unübersehbar: Blattläuse im bodennahen Grasdickicht hatten deutlich bessere Chancen, von Marienkäfern nicht verspeist zu werden.

Kommendes Jahr sollen 96 tonnenschwere Erdblöcke aus einem Graslandexperiment bei Jena in die Klimakammern gehievt werden, um über Jahre gewachsene Ökosysteme zu studieren. Eine Frage wäre, wie artenreiche Wiesen, die wichtige Aufgaben erfüllen, wie den Boden zu stabilisieren oder Kohlenstoff zu binden, überhaupt funktionieren. Eine Vermutung lautet, dass die vielfältigen Eigenschaften der Organismen helfen, vorhandene Ressourcen optimal auszunutzen. „Ecotron wird uns helfen, das besser zu verstehen“, glaubt Eisenhauer. „Am Ende steht keine Weltformel, aber wir gewinnen Einblicke in zentrale Mechanismen von terrestrischen Ökosystemen, die extrem wichtig für die Ernährung der Menschheit sind.“ ■ 7. August 2017 • profil 32 63

kultur1

Jeanne Moreau, 1928–2017

PRÄZISIONSARBEITERIN Moreau bei einer Lesung im Pariser Odéon 2010 – und in „Der letzte Tycoon“ (1976, kleines Bild)

Florian Rainer

setzt im Bildraum 01 einer vergessenen Gegend und ihren Bewohnern ein Denkmal.

W

APA/AFP/FRANCK FIFE; BETTMANN/GETTY IMAGES/FLORIAN RAINER(3)

it herrlichem Widerspruchsgeist bestritt Jeanne Moreau ihre Interviews auch noch in höherem Alter: lautstark, vehement, mit unbedingtem Anspruch auf die Wahrheit, dabei aber stets sympathisch, weil die Übertreibung, die sie verbal durchaus zu schätzen wusste, schon Teil ihrer Strategie war. Man kann sich vorstellen, wie es mit dieser Schauspielerin am Drehort zugegangen sein muss. Der schnelle Konsens war ihre Sache nicht.

Das Darstellen von Menschen im Kino und auf der Bühne wollte Jeanne Moreau nie „Arbeit“ nennen, dazu betrieb sie es zu gern und viel zu lustvoll. Den Begriff „Arbeit“ benutze man für die Schauspielerei nur deshalb, „damit die Leute nicht glauben, dass wir faul sind“. Denn das war sie tatsächlich nicht: Mit zarten 20 Jahren wurde die Tochter einer britischen Tänzerin und eines französischen Gastronomen, der sie vom Schauspielen dringend abhalten wollte, zum jüngsten Vollmitglied des Ensembles an der ehrwürdigen Pariser Comédie-Française. Es dauerte nicht lange, bis man Moreaus sinnliche Präsenz auch für das Kino entdeckt hatte: Ab 1950 spielte sie Hauptrollen, aber erst 1958 kam der Ruhm – mit ihrer subtilen Darstellung einer Mordkomplizin aus Leidenschaft in Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“. Von da an ging alles sehr schnell: Für Michelangelo Antonioni wanderte sie durch „Die Nacht“ (1961), für François Truffaut spielte sie ein Jahr später die anarchische Catherine zwischen Jules und Jim, für Luis Buñuel die unergründlich-souveräne Heldin in „Tagebuch einer Kammerzofe“ (1964). Bis fast zuletzt arbeitete sie noch am Kino, und mit bemerkenswerter Sicherheit wählte sie herausfordernde Projekte wie „Gebo und der Schatten“ (2013) von Manoel de Oliveira aus.

Am letzten Julitag des Jahres 2017 starb die große Jeanne Moreau in ihrer Pariser Wohnung, in der Stadt ihrer Geburt, wenige Monate vor ihrem 90. Geburtstag. st. gr.

Langes Leben

profil-Fotograf

enn Florian Rainer, Jahrgang 1982, nicht gerade Porträts von Politikern, Kulturschaffenden oder CEOs macht, dann geht er gerne eigene künstlerische Wege, die ihn oft auch in die Ferne führen.

Nun zeigt der Bildraum 01 in der Wiener Innenstadt (Strauchgasse 2, bildraum. bildrecht.at) seine Serie „The Lost Land“, aufgenommen im Südwesten Mazedoniens, an Orten, die heute aufgrund ihrer Abgelegenheit fast ausschließlich von uralten Menschen bewohnt werden. Da sitzt ein alter Mann auf einem Bett, dort steht eine Greisin mit Schürze und Kopftuch in einer weiten Landschaft.

Für Aufnahmen wie diese verwendete Rainer eine alte Drucktechnik – ihre bräunlichen Töne lassen die Bilder patiniert wie historische Fotografien erscheinen. Dazu kombiniert er Fotogramme von Farnen und Gräsern sowie Aufnahmen von Felsen, die wie verschlossene Gebäude wirken. Mit seiner rhythmisch gehängten Schau setzt Rainer dem vergessenen Landstrich und seinen Bewohnern ein eindrucksvolles, bisweilen etwas nostalgisches Denkmal. ni. s.

NOSTALGISCHER BLICK Menschen und Natur im Südwesten Madezoniens

7. August 2017 • profil 32 65

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Platzierung in der Vorwoche

Die Wiener Filmkünstlerin Astrid Johanna Ofner bringt dieser Tage – im Wettbewerb des Festivals in Locarno – ihre außerordentlich zarte Peter-Weiss-Adaption zur Premiere.

Bericht von einer Krise E

kurzen Duras-Hommage „Savannah Bay“ auf, s ist ein hauchzarter Film geworden, der ganz direkt und zugänglich erscheint, obwohl er in 1993 mit zwei Arbeiten zu Sadomasochismus seinen Erzählweisen, Assoziationswegen und („Ins Leere“) und Klosterleben („Jetzt und alle Bildmaterialmischungen de facto experimentell Zeit“), schließlich 2007 mit der sublimen Kafgearbeitet ist: „Abschied von den Eltern“, Astrid ka-Annäherung „Sag es mir Dienstag“. Seither hat Johanna Ofners erster abendfüllender Film, wird Ofner an „Abschied von den Eltern“ recherchiert, am Donnerstag dieser Woche im Rahmen des jene Briefe, Bücher, alten Filmstücke und FotograFilmfestivals in Locarno – in der Schiene „Concor- fien gefunden, die Platz in ihrem Film gefunden so Cineasti del presente“ – zur Uraufführung kom- haben. Die 1961 erstmals erschienene Erzählung men. Das bisherige Werk der Regisseurin, die sodes deutschen Schriftstellers und Künstlers Peter mit als einzige Österreicherin im Locarno-Wettbe- Weiss (1916–1982), auf der dieser Film basiert, ist werb auftritt, ist schmal: 1989 fiel sie mit der ein ohne Absätze formulierter, autobiografischer KOMMENTAR

E

r hat künstlerischen Willen und jede Menge Vorstellung – und einen Agenten: Michael Lewin, in Wien bestens vernetzt, hat Philippe Jordan zwar seinen neuen Posten mitverschafft, aber im profil-Gespräch versichert dieser, dass er künftig allein entscheiden werde.

Der 42-jährige Musikchef der Pariser Oper, die er eigentlich bis 2021 leiten soll-

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te, wird schon ab 2020 Musikdirektor der Wiener Staatsoper werden. Dies wurde als erste wichtige Personalie des designierten Direktors Bogdan Roščić nun verkündet. „Es ist eine Entscheidung für die Oper und gegen eine Laufbahn als Konzertdirigent, zunächst“, sagt Jordan, selbst Dirigentensohn, der seinen Job über Ulm, Berlin, Graz und Paris

Schleudersitz Die erste Personalie der Ära Roščić: Der Schweizer Dirigent Philippe Jordan wird Musikchef der Wiener Staatsoper.

STARKE HANDSCHRIFT Jordan übernimmt ab 2020 seinen Posten an der Staatsoper.

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Stille Wasser Donna Leon Diogenes, EUR 24,70

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Liebwies Irene Diwiak Zsolnay, EUR 22,70

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Solange du (–) atmest Joy Fielding Goldmann, EUR 20,60

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111 Orte in der Steiermark …

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Donauplattwalzer

FILMWANDERER Sven Dolinski als Erzähler und Peter-Weiss-Stellvertreter in „Abschied von den Eltern“

Krisenbericht: 113 Seiten Blocktext über das Leiden an den Eltern und sich selbst, über das Gefühl der Isolation und den Ausbruch aus der Misere.

Sven Dolinski, seit 2007 am Burgtheater, ist die melancholische Figur, die durch den Film führt.

Er liest die Auszüge der Icherzählung aus dem Off, bisweilen auch im Bild, was Distanz herstellt: Denn Dolinski „spielt“ hier nicht Peter Weiss, auch wenn er ihm auf dessen Jugendporträts erstaunlich ähnlich sieht; er ist ein später Stellvertreter, der noch einmal durch die Orte und Ideen eines verschwundenen Lebens streift. st.gr.

von der Pike auf und vom Klavier aus gelernt hat – ebenso wie sein Kollege Christian Thielemann, den Jordan am Haus halten möchte: „Ich will wirklich versuchen, aus dem System Repertoiretheater das Beste herauszuholen, durch Anwesenheit, Verfügbarkeit und meine Erfahrung.“ Mit den Wiener Philharmonikern ist bereits „ein erstes

Abo-Konzert vereinbart“, verrät Jordan. Allerdings gilt der Staatsopernposten als Schleudersitz. Selbst Imperatoren wie Herbert von Karajan, Karl Böhm, Lorin Maazel, Claudio Abbado, Seiji Ozawa und zuletzt Franz Welser-Möst bissen sich an den täglichen Herausforderungen und Intrigen die Zähne aus – und traten vorzeitig zurück. Manuel Brug

„W

ien, du alte, kalte Hure …“ – ein Gedicht des Exilautors Albert Ehrenstein muss der junge Stricher Norbert seinem Stammfreier Ludwig Bilinski, 60, auf der „Opera Toilet Vienna“ beim Sex rezitieren. In Paul Auers Debütroman „Kärntner Ecke Ring“ geht es deftig zu, seine Figuren sind Strauchelnde mit gehörigem Gewaltpotenzial: Norbert, der drogensüchtige Ex-Nazi mit Hakenkreuz-Tattoo am Bauch, Bilinski, der großbürgerliche Ästhet, der das Wien der Jahrhundertwende wiederauferstehen lassen möchte und unter Pseudonym zum gefürchtetsten Leserbriefschreiber des Landes avanciert ist.

Und Tamara, die naiv-frustrierte Trafikantin und Mutter Paul Auer: von Norbert, die schon lange keinen Kontakt mehr zu Kärntner ihrem Sohn pflegt, aber ein Auge auf den Gentleman Ecke Ring.

Septime Verlag. Bilinski geworfen hat. Auer, 1980 in Kärnten geboren, trifft in seiner aberwitzigen Dreiecksgeschichte für jede 192 Seiten, Figur den richtigen Tonfall, blickt ebenso zart wie brutal EUR 12,99 in die Köpfe einsamer Menschen. Wien ist bei ihm ein düsteres Pflaster, es brodelt unter der Oberfläche, der Roman läuft aufs dramatische Finale hinaus. So konstruiert Auers Geschichte auch erscheint, so souverän hält er als Erzähler alle Fäden zusammen. „Kärntner Ecke Ring“ ist ein monströser Roman: so abgründig und ergreifend wie ein Wienerlied. k. c.

GETTY IMAGES/BERTRAND RINDOFF PETROFF

FILMFESTIVAL LOCARNO(3)

Der österreichische Autor Paul Auer liefert mit „Kärntner Ecke Ring“ ein beachtliches Romandebüt ab.

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Sie durchdring t alles: Politik u nd Privatleben Sie steht am An , Sport, fang vieler Kris Sie begründet en und hält da Imperien und s bringt sie wied Ginge es auch er ohne? Oder wä re der Mensch zum dann 68 profil 32 • 7. August 2017

Von Sebastian Ho Paterno und Ju fer, Wolfgang lia Schwaiger

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PRINT COLLECTOR/GE TTY IMAGES

Wirtschaft, Jus ti gesellschaftlich z, Kultur und Wissenschaft. e Einsturz. Aber Miteinander aufrecht. w endgültig verlo arum lügen wir überhaupt? ren?

tin I. anno 315 n. Chr. Papst Silvester I. und dessen ie Lüge ist auf der Welt, seit Nachfolgern „bis ans Ende aller Zeit“ die Vorherres Menschen gibt. Es sind nicht viele Eigenschaften, schaft über alle christlichen Kirchen. Sie war allerdie uns vor allen anderen dings eine relativ plumpe Fälschung, wie sich schon Arten auszeichnen: Der im 15. Jahrhundert herausstellte.

Mensch weiß, dass er sterben „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten ausmuss, er kann sprechen, la- sagen“, heißt es in der Bibel, Kapitel 20, Vers 16 des chen – und lügen. Was er seit Buches Exodus, in dem Gott seinem Volk die Zehn je auch tut, in unaufhörli- Gebote übermittelt. Andererseits kommt es schon cher Wiederholung und Va- im Alten Testament durchaus darauf an, wer zu welriation. Eine häufig bemühte Zahl: Etwa 200 Mal chem Zweck lügt. Zur Sünde wird die Lüge dort täglich bedienen wir uns der Unwahrheit. Unter nicht wegen ihrer Opposition zur Wahrheit, sonFachleuten bleibt diese Schätzung umstritten. Tat- dern aufgrund der dahinterstehenden Absichten. sächlich erscheint sie zumindest bemerkenswert, Abraham zum Beispiel belügt den ägyptischen Phadenn das wären, bei 16 wach verbrachten Stunden, rao in Genesis 12,10 völlig ungestraft, weil im Sinmehr als 12 Lügen in der Stunde, alle vier bis fünf ne des Heilands, über seine Beziehung zu Sarai. Der Minuten eine. Andererseits: Die Lüge kommt in vie- Kirchenvater Augustinus hätte ihm das nicht durchlerlei Gestalt daher. Man kann mit Worten, Taten, gehen lassen. Ihm galt in seinen theologisch-philoGesten, Blicken, Likes und Dislikes lügen. Das Irre- sophischen Texten zur Lüge, „De Mendacio“ (395) führen und Flunkern ist zwar in allen Gesellschaf- und „Contra Mendacium“ (420), die bewusste Verstellung kategorisch als Sünde; selbst wenn die ten verpönt, dennoch muss es von Vorteil sein, sonst Falschaussage ein schwereres Übel (etwa wäre es längst verschwunden.

Anthropologen nehmen an, dass die einen Mord) verhindern könne, bleibe sie Geschichte der Menschwerdung auch verboten.

Es gibt fromme, dreiste, gezielte, eine des Lügenlernens ist. Der Göttinger Forscher Volker Sommer benützliche, glatte Unwahrheiten, und zeichnet die Lüge gar als Motor der es kursieren Fitness-, Diät-, Doping-, Euro- und hunderterlei anEvolution: „Der Wettbewerb zwidere Lügen. Der Online-Versandschen jenen, die täuschen wollen, gigant Amazon verzeichnet unter und jenen, die sie entlarven möchVERLOGENES GETIER dem Suchbegriff „Lüge“ derzeit ten, war eine entscheidende TriebHarmlose Schwebfliege, 4626 deutschsprachige Bücher, darfeder für die Entwicklung von Anaals Wespe getarnt tomie und Verhalten.“ Manche Fliege unter „Die Blutwert-Lüge“ „Die Asthverkleidet sich als mit Gift und Stachel ma-Lüge“ und die „Cholesterin-Lüge“, aber auch „Leo Lausemaus sagt nicht die bewaffnete Wespe, gewisse Grillen als mit Säure beladene Bombardierkäfer, aber nur der Wahrheit“ und Hannah Arendts „Wahrheit und Lüge Mensch kann wirklich virtuos mit der Wahrheit in der Politik“. Bettina Stangneth, Jahrgang 1966, ist spielen. Jene, die es mit den Tatsachen nicht so dem Phänomen in vielen ihrer Schriften seit einem streng nehmen, sind an eine Umwelt, in der Reali- Vierteljahrhundert auf der Spur. „Eichmann vor Jetät und Fiktion ununterscheidbar scheinen, am bes- rusalem“ (2011), der internationale Bestseller der Hamburger Philosophin, durchleuchtete das erloten angepasst. Die Krone der Schöpfung sitzt im Weißen Haus von Washington und erklärt, dass Lü- gene Leben des Holocaust-Organisators Adolf Eichgen keine Lügen sind, sondern „alternative Fakten“. mann. „Wer über das Böse spricht, der warnt“, Die offensichtliche Unwahrheit wird zum Herr- schreibt Stangneth in ihrem Essay „Böses Denken“ (2016). schaftsmodell. Die Faktenchecker der „Washington In „Lügen lesen“, dem nach „Böses Denken“ soPost“ zählten in den ersten 181 Tagen von Donald Trumps Amtszeit insgesamt 836 Aussagen mit zu- eben veröffentlichten zweiten Teil einer geplanten mindest unscharfem Verhältnis zur Realität.

Trilogie, nimmt sich Stangneth wieder ihres Lebens„Der Intellekt, als ein Mittel zur Erhaltung des In- themas an. Es ist die fulminante Darstellung eines dividuums, entfaltet seine Hauptkräfte in der Ver- vertrauten Phänomens. „Lügen – das ist das Alltägstellung. Im Menschen kommt diese Verstellungs- lichste der Menschenwelt“, schreibt Stangneth: kunst auf ihren Gipfel“, schrieb Friedrich Nietzsche „Menschen lügen. Wasser ist nass. Na und?“ Ihrem Thema gewinnt Stangneth überraschende Einsich1873. Sein Zeitgenosse Wilhelm Busch reimte: „Der Beste muss zuweilen lügen. / Mitunter tut er’s mit ten und Gedanken ab – fern moralischer EinVergnügen.“ Der durch seine Studien zur Lüge welt- sprengsel und pseudowissenschaftlicher Lug-undbekannt gewordene US-Psychologe Robert Feldman Trug-Folklore. Das Lügen, schreibt sie, setze Freiheit sagt: „Sozial geschickte Menschen lügen häufiger. voraus; es sei ein Können, kein Unwissen oder UnSie verstehen besser, was die soziale Situation er- vermögen; es ziele darauf ab, das Handeln eines fordert. Gute Lügner sind sympathischer.“ Lügen Menschen zu verändern: „Der Lügner will vor allem sind erfolgreich. Ganze Imperien wurden auf Lügen Fakten schaffen, nicht schöne Geschichten.“ Lügner gebaut. Selbst die Macht des Vatikans beruht auf bleiben stets auf das Miteinander angewiesen – die Lug und Trug: Die Konstantinische Schenkung si- Lüge, so Stangneth, sei die „Gemeinschaftsleistung cherte im Namen des römischen Kaisers Konstan- von zumindest zwei Menschen“.

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SHUTTERSTOCK, EVA-MARIA HAEBERLE/THE NEW YORK /REDUX/LAIF

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Niemand weiß mehr über das taktische Täuschen als Bettina Stangneth.

Ein Gespräch mit der deutschen Philosophin und Bestsellerautorin über „Fake News“, Dopingskandale, Hexenverbrennungen, erschwindelte Doktortitel und Donald Trumps Spiele mit der Wahrheit.

„Wer lügen kann, ist gefährlicher als ein Bewaffneter“ 7. August 2017 • profil 32 71

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rofil: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass über die Lüge nur derjenige nachdenken kann, der selbst ein potenzieller Lügner sei. Lügen Sie gern?

Bettina Stangneth: Jeder Mensch lügt, und wer behauptet, noch nie gelogen zu haben, lügt zumindest zum zweiten Mal. Lügen ist der Versuch, Macht über andere zu gewinnen. Es soll Menschen geben, denen das Spaß bereitet. Mir nicht. Lügen ist für mich immer schon eine Niederlage. Mit der Wahrheit kommt man weiter. Und sie ist leichter zu äußern. profil: Weshalb lässt Sie das Thema seit einem Vierteljahrhundert nicht los?

Stangneth: Ich bin mit einem überdurchschnittlich guten Gehör geboren. Als Kind verstand ich das Konzept der Lüge nicht: Wenn man schon die Verabredung der anderen Kinder zum Lügen hört, obwohl sie sich hinter dem Baum sicher fühlen, scheint der Lügenversuch sinnlos, aber umso interessanter. profil: Dem Bäcker um die Ecke, der Sie freundlich begrüßt, begegnen Sie bis heute mit gründlicher Skepsis?

Stangneth: Hellhörigkeit ist in meinem Fall tatsächlich biologisch. Wenn ich in der Tür den Bäcker seiner Frau zuflüstern höre, „Oh Gott, da kommt die alte Schrapnelle wieder!“, und er mich dann überschwänglich mit „Ich freue mich so, Sie zu sehen“ begrüßt, höre ich halt oft beides. Glücklicherweise wird das Gehör mit dem Alter aber schlechter. profil: Was bewirkt die alltägliche Lüge?

Stangneth: Menschen sorgen sich viel seltener um die Wahrheit, als wir glauben. Meistens interessiert sie uns überhaupt nicht. Wir haben auch das Bedürfnis, gut unterhalten zu werden – oder irgendwas zu reden. profil: Was heißt das konkret?

Stangneth: Sorgen Sie sich wirklich um die amerikanische Gesundheitsversorgung? In Europa ist das vielleicht für 0,1 Prozent der Bevölkerung von Belang. Der Rest betrachtet all diese Debatten wie eine skurrile Zirkusvorführung. Das meiste, das wir jeden Tag reden und hören, hat mit unserem Wahrheitsinteresse erstaunlich wenig zu tun. profil: Gilt das auch für unsere zwischenmenschlichen Begegnungen?

Stangneth: Ja, weil viele nach einem alten Muster ablaufen: „Ich tu dir nichts, du tust mir nichts.“ Denken Sie an das Gespräch im Flur mit den Nachbarn.

Wir finden das Ritual wichtiger als die Wahrheit. profil: Und interessieren uns dabei gar nicht für die Differenz zwischen Wahrheit und Lüge?

Stangneth: Sie ist uns oft egal. Aber nicht immer. Belogen zu werden, gefällt uns nicht. Auch wenn wir es noch so oft erlebt haben: Jede neue Lüge erwischt uns so kalt wie die erste. Das ist erstaunlich. Schließlich gewöhnen wir uns sogar an drückende Schuhe. An die Lüge aber gewöhnen wir uns nicht. profil: Nur ein Heiliger würde die absolute Wahrheit sprechen.

Stangneth: Wenn jemand nachweislich nicht lügen kann, sprechen wir von Pathologie. Das ist genauso selten wie die Figur des pathologischen Lügners,

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dem kein Mensch glaubt. Lügen ist nämlich kompliziert. profil: Und anstrengend.

Stangneth: Jedenfalls, wenn man nicht sofort auffliegen will. Lügen ist die größte kognitive Leistung, zu der wir fähig sind – ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, vorausschauend zu lügen. Seinem Vis-à-vis im Zugabteil kann man folgenlos die Lüge von der Himalaya-Besteigung auftischen. Schließlich wird man ihn nie wieder sehen. Bei seinem Vorgesetzten sollte man mit Märchen vom hohen Berg eher vorsichtig sein. profil: Die Bibel spricht davon, dass der Teufel der Vater der Lügen sei.

Stangneth: Ich bin religiös unbegabt. Reden wir lieber von den Menschen. Wer lügt, versucht nicht nur, andere zu manipulieren. Er beraubt sich seiner eigenen Freiheit, weil auch der Lügner sich an seine Geschichte halten muss. Während der halbwegs Ehrliche nur dafür Sorge tragen muss, sich nicht zu sehr an der Welt zu stoßen, muss der Lügner auch noch in dem engen Korsett bleiben, das er sich schnürt.

Korsetts aus Seide sind schön, die aus Gedanken nicht.

eigenständiges psycholoA gisches Krankheitsbild ls

hat die am Ausgang des 19. Jahrhunderts erstmals dokumentierte „Pseudologia phantastica“ ihre hohe Zeit längst hinter sich. Der Wiener Psychoanalytiker Heinz Kohut integrierte das zwanghafte Lügen Anfang der 1970erJahre in sein Konzept des pathologischen Narzissmus, inzwischen firmiert die Wahrheitsunlust in der psychiatrischen Klassifikation in der Sammelkategorie der „Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“. Lügen ist demnach keine Krankheit, allenfalls Teil eines Syndroms. Psychologisch betrachtet bleibt sie indes hochinteressant: Robert Feldman, Professor für Psychologie an der Universität von Massachusetts, führte eine Reihe wegweisender Studien zum Thema durch, bei denen er seine Studenten zu zehnminütigen Gesprächen mit Unbekannten bat. Dabei stellte sich heraus, dass die Probanden im Schnitt 2,9 Mal logen, also mindestens alle dreieinhalb Minuten. Feldmans Resümee: „Lügen sind der Schmierstoff der Kommunikation.“ Weiteres brisantes Ergebnis der Studie: 18- bis 34-Jährige lügen deutlich häufiger als Menschen im Pensionsalter. Summarisch zeigt Feldmans Forschung, dass die Bereitschaft zur Lüge weniger vom Charakter eines Individuums geprägt scheint als von Faktoren wie Alter, Schicht, Familie und Peergroup.

BOB THOMAS/GETTY IMAGES

„Es war die Hand Gottes“

Diego Armando Maradona erzie lte im Viertelfinale der Fußball-WM 1986 ein nicht ganz rege lkonformes Tor gegen England .

A „Lehre von der Lüge“, der sogenannten uch der Begründer der

Mentiologie, verdankt sein Leben ei-

profil: Lügen kann aber auch zu Ehrentiteln führen – siehe den „Lügenbaron“ von Münchhausen.

Stangneth: Der Lügner in der Literatur ist eine schillernde Figur. Der Lügner im Alltag hätte damit keinen Erfolg. Wer lügt, will ja nicht unterhalten oder amüsieren. Er will unbemerkt Einfluss auf unser Verhalten ausüben. Wer romanhaft lügt, wird unvermeidlich zum leicht durchschaubaren Aufschneider oder Scharlatan. profil: Sie würden einem solchen Maulhelden wohl auch kein Auto abkaufen.

Stangneth: Genau das ist der Punkt. Wir können zwischen Unterhaltung und Information gewöhnlich sehr gut unterscheiden. Wer auf Informationen aus ist, die für unsere Handlungen relevant sind, sprich: wer an die Wahrheit kommen will, weiß auch genau, wo er diese findet. Nach 250 Jahren Aufklärung haben wir begriffen, dass man bei einer schwerwiegenden Arztdiagnose eine zweite Meinung einholt. Über die Informationsanhäufungstechnik von Männern, die einen Autokauf planen, schweige ich diskret. profil: „Alles Lüge“ ist ein aktueller Roman überschrieben, das Sachbuch „Die Kunst des Lügens“ wurde wiederaufgelegt, die jüngste Ausgabe der Kulturzeitschrift „Kursbuch“ titelt „Lauter Lügen“. Erlebt das Thema eine Renaissance?

Stangneth: Glauben Sie niemandem, der Ihnen erzählt, das Phänomen sei neu. Wir Deutschen haben zwei Weltkriege angefangen und der Welt dennoch jedes Mal versichert, dass wir es nicht waren.

ner (Not-)Lüge. Der gebürtige Ungar Peter Stiegnitz verleugnete 1944 als Achtjähriger seine jüdische Herkunft und rettete sich so vor der Verschleppung nach Auschwitz. 1956 flüchtete Stiegnitz nach Österreich, wo er Soziologie, Philosophie, Psychologie und Ethnologie studierte und später im Bundespressedienst des Bundeskanzleramts tätig war. Seine Erkenntnisse aus über 30 Jahren Lügenforschung veröffentlichte der zweifache Theodor-Körner-Preisträger 2008 in dem Buch „Lügen – aber richtig!“.

profil: Die Lüge kennt kein modisches Auf und Ab? Stangneth: Das Thema ist so alt wie unser Vermögen, Zeichen zu setzen. Wo Menschen sind, da sind auch Lügen. Der ägyptische Pharao Ramses II. machte aus einer in der Ferne verlorenen Schlacht zu Hause einen grandiosen Propagandasieg. Jedes Jahr wird mindestens eine neue Lügensau durchs Dorf getrieben: Dopingskandale, Abgasbetrügereien, erschuftete Doktortitel. Wer erinnert sich noch an Uwe Barschel und seinen legendären Satz von 1987, „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort“?

Legendäre Lügen:

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ (Walter Ulbricht, Generalsekretär der SED, 15. Juni 1961 – Mauerbaubeginn war der 13. August 1961.) – „Es war die Hand Gottes.“ (Diego Armando Maradona nach einem nicht 7. August 2017 • profil 32 73

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ganz regelkonformen Tor gegen England bei der Fußball-WM 1986.) – „Wir haben die Massenvernichtungswaffen gefunden.“ (US-Präsident George W. Bush erläutert 2003 den Irak-Kriegsgrund.) – „Wir werden unter keinen Umständen an einer Regierung teilnehmen, wenn wir nicht zumindest Zweite sind.“ (Der spätere Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vor der Nationalratswahl 1999, bei der die ÖVP Dritte wurde.) – „Nein.“ (Helmut Kohl 1999 auf die Frage, ob er Kenntnis von Millionenspenden an die CDU habe.) – „Ich war’s!“ (Jim Carrey als zwanghaft zur Wahrheit verpflichteter Anwalt in dem Film „Der Dummschwätzer“ von 1997 nach einem Furz im Fahrstuhl.)

profil: Nicht zu vergessen der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, der in aller Öffentlichkeit schwor: „Ich hatte keine sexuellen Beziehungen mit dieser Frau.“ Stangneth: Clinton log, indem er einen wahren Satz äußerte. Nach puritanisch-amerikanischer Definition hatte er tatsächlich keinen Sex mit Monica Lewinsky, weil er sich ja nur auf besondere Weise eine Zigarre mit ihr teilte. profil: Für Sie als Lügenforscherin muss Bill Clinton wie ein Geschenk gewesen sein.

Stangneth: Das hätte es nun wirklich nicht gebraucht.

Wer unvorsichtigerweise erwähnt, dass er über die Lüge arbeitet, wird von allen Seiten mit Lügengeschichten versorgt. Jeder kennt eine, jede ist in eine verstrickt. Die Lüge ist überall. Nur müssten wir uns inzwischen mit dem Phänomen besser auskennen, als wir das tun.

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leines Püppchen, freches Bübchen: Carlo Collodis berühmte Geschichte von der sprechenden Holzpuppe, 1881 erstmals veröffentlicht und ab 1973 Vorlage einer legendären, vom ORF koproduzierten Zeichentrickserie, hat sogar in der psychiatrischen Forschung Spuren hinterlassen: Der „Pinocchio-Effekt“ benennt die Beobachtung, dass die menschliche Nase um Millimeterbruchteile anschwillt, sobald ein Mensch lügt. Mutmaßlich handelt es sich dabei um eine Stressreaktion, die eine stärkere Durchblutung des Organs bewirkt. Bill Clinton fasste sich 1998 während seines Statements vor der Grand Jury, in dem er jeglichen sexuellen Kontakt mit Monica Lewinsky leugnete, gezählte 26 Mal an die Nase.

profil: Die Causa Clinton hat Sie überhaupt nicht beeindruckt?

Stangneth: Sie ist immerhin herrlich harmlos. Am Beginn meiner Beschäftigung standen NS-Täter und 74 profil 32 • 7. August 2017

Nachkriegsaussagen vor Gericht. Wie geht die Wissenschaft mit Lügnern um? Der Spruch, wonach die Wahrheit in der Mitte liege, ist schlicht Unfug. Ich wollte wissen: Welches Wissen transportiert die Lüge? profil: Diese Fragen versuchten Sie auch in „Eichmann vor Jerusalem“ zu beantworten, in dem Sie das unbehelligte Leben des Massenmörders aus Linz nach 1945 beschrieben.

Stangneth: Meine Eichmann-Recherche war tatsächlich zunächst der Versuch, meine Lügentheorie zu testen. Ich wollte den Härtetest, wenn Sie so wollen.

Wer mehr über das Wesen der Lüge weiß, sollte schließlich auch aus einem derart versierten Lügner mehr herauslesen können als andere. profil: Eichmann setzte die große Lüge vom kleinen Rädchen im großen NS-Getriebe in die Welt.

Stangneth: Ja, mit einem unglaublichen Einfluss auf unser Bild vom Täter und schwerwiegenden Folgen für die Geschichtswissenschaft. Aber es war nicht Eichmanns einziger Versuch, zu lügen. Er hatte auch vor seinem Prozess gern behauptet, wesentlich verantwortlich für den Judenmord zu sein, also mit Mordstatistiken geprahlt. Aber kein Lügner kann eine Lüge einfach so zurücknehmen, wenn ihm die ehemals Gläubigen nicht helfen. Wir sagen ja nicht zufällig, eine Lüge sei in der Welt. Natürlich kommt eine Lüge nicht zustande, ohne dass einer lügt. Aber ohne dass ein anderer dem Lügner glaubt, entsteht sie eben auch nicht. profil: Bei Eichmann war die biografische Verdrehung, die er als freundlicher Hühnerzüchter und Geigenspieler bot, noch die geringste Irreführung.

Stangneth: Seine Fähigkeit, zu lügen, ist erschreckend, und sie war oft tödlich. Im März 1944 geht Eichmann nach Budapest – und obwohl alle längst wissen, was Vernichtungslager sind und wer da umkommt, gelingt es ihm in einer Stunde, seine jüdischen Opfer zu überzeugen, dass in Ungarn nichts dergleichen passieren werde: Er lügt erfolgreich Hunderttausende in den Tod. Wer lügen kann, ist gefährlicher als ein Bewaffneter, wenn er etwas von Menschen versteht. Eichmann verstand leider sehr viel von Menschen. profil: Wird heute mehr gelogen als früher?

Stangneth: Nein. Wir hören nur mehr davon. Früher betraf die Lüge im Dorf vielleicht 40 Menschen. Für die vermeintliche Hexe jedoch, die dann verbrannt wurde, machte das keinen Unterschied. Eine Verleumdung ist eine Verleumdung – egal ob in der kleinen Gemeinschaft oder als Shitstorm auf Facebook. profil: Es gibt keine graduelle Differenz zwischen dörflichen und globalen Wahrheitsverdrehungen?

Stangneth: Bereits im alten Athen erzürnte man sich über jene Redner, die lauter sprachen und damit das breite Volk erreichten. Seither ist uns jede neue Technik der Meinungsverbreitung suspekt. Aber je mehr Menschen einem Lügenden folgen, desto größer ist auch die Gefahr für ihn, aufzufliegen, weil unter den Lesern und Zuhörern immer einer sein kann, der es besser weiß. Dem Lügner bietet das intime Gespräch seit je die größte Wirkungsfläche.

APA/AFP/STEPHEN JAFFE

profil: Lügenverbreitungsmaschinen wie Twitter und Facebook scheinen nicht nach diesem Muster zu funktionieren.

Stangneth: Es klingt ja schön, aber es gibt keine Maschinen, die Lügen verbreiten. Algorithmen lügen nämlich nicht. Zur Lüge braucht es mehr als eine Ansammlung von Wörtern. Natürlich verschaffen heutige Medien auch Lügnern ein Publikum. Aber ob daraus Lügen entstehen, entscheidet nicht der Lügner. Zuhören, Lesen — das ist eben auch ein mächtiges Instrument. Es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Lügen als Fähigkeit und dem, was aus dem Lügen wird. Das Publikum ist wählerisch. Wir suchen viel öfter Zerstreuung, auch eine Gelegenheit dazu, folgenlos Aggressionen loszuwerden. Adorno hätte von „Eskapismus“ gesprochen. Und dann klappen wir den Rechner zu und tun etwas Nützliches.

Lügendetektor – fachlich E korrekt: Polygraf – in

ist ein Gerät, das unterschiedliche körperliche Parameter (Blutdruck, Puls, Atemfrequenz, Schweiß) misst und anzeigt; anhand der Daten wird die psychische Erregtheit beim Lügen gemessen. Ein Wegbereiter der Methode war der an der Universität Graz wirkende Experi-

„Ich hatte keine sexuellen Beziehungen mit dieser Frau.“ Bill Clinton definierte „sexuelle Beziehungen“ relativ eng.

mentalpsychologe Vittorio Benussi. In seiner Studie „Die Atmungssymptome der Lüge“ beschrieb er 1914, wie Probanden vor einer wahren Aussage länger ein- und stärker ausatmen, während sie vor einer Lüge stärker aus- und länger einatmen. Die Aussagegenauigkeit von Lügendetektortests wird angezweifelt, weshalb Polygrafen in Europa keine Verwendung finden, im Gegensatz zu den USA, wo die Maschinen bei Ermittlungsoder Bewerbungsverfahren zum Einsatz kommen. Neuere Verfahren basieren auf neurologischen Scans, welche die Hirnaktivität von Verdächtigen beim Anblick von Tatortfotos darstellen – und dadurch deren Täterschaft beweisen sollen.

profil: Der Name Donald Trump fällt in „Lügen lesen“ erstmals auf Seite 22. Hat Trump wenig mit Ihrem Thema zu tun?

Stangneth: Trump und unser Nachdenken über ihn ist vor allem ein Hinweis darauf, wie hilflos wir dem Phänomen der Lüge gegenüberstehen. profil: Ein Beispiel?

Stangneth: Trump deutet auf ein Foto seiner Inauguration und sagt, es sei die größte Party aller Zeiten gewesen. Was tut jemand, der vor aller Augen nicht die Wahrheit sagt? Lügt er? Ja. Wird eine Lüge 7. August 2017 • profil 32 75

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daraus? Nein. Weil er es nicht verheimlicht. So haben Machthaber stets Loyalität getestet: „Lüge öffentlich mit mir, opfere für mich deinen guten Ruf.“ Wer lügt, muss nicht notwendig das Ziel verfolgen, dass eine Lüge in der Welt ist. Lügen als menschliche Fähigkeit kann auch dazu verwendet werden, um anderen zu signalisieren: Seht her, ich lüge, und wenn ihr mitlügt, weiß ich, dass ihr auf meiner Seite steht. profil: Was meint der US-Präsident mit seinem Mantra von der „Lügenpresse“?

Stangneth: Trump ist unfassbar gut darin, Zeitströmungen zu erfassen. Er weiß um die Unbeliebtheit der Journalisten. Und er kennt natürlich „The PostTruth Era“ von Ralph Keyes, ein Buch der Clinton-Ära übrigens. Dort steht Trumps Name gegenüber einer interessanten Liste von Wörtern, die uns erstaunlich bekannt vorkommen: „parallele Wahrheit“, „virtuelle Wahrheit“, „alternative Realität“, „strategisch ungenaue Darstellung“. Jemanden „Lügner“ zu schelten, ist eine der ältesten Methoden der Diskreditierung. Wer die Macht einer Institution wie der Presse brechen will, kann das nur auf diese Weise. Wenn man außerdem Politik mit einem Wettkampf der Lügner verwechselt, gibt es nur noch eine Regel: Wer nicht mit mir lügt, ist gegen mich. profil: Das Ziel von Trumps Attacken sind also die Journalisten selbst?

Stangneth: Es ist die Kraft der Wahrheit. Der Journalismus kennt wie die Wissenschaft keine Angst vor der Wahrheit, denn genau sie ist ja unser Beruf. Aber auch für Zeitungen gilt dasselbe wie für jedes andere Medium: Lügen stehen nicht in der Zeitung. Sogar dann, wenn Journalisten versuchten, ihre Leser zu belügen, entscheidet immer noch der Konsument, ob daraus Lügen werden. Wer lügt, macht nur ein Angebot. Eine Lüge wird daraus erst, wenn es jemand annimmt. Das gilt auch für Präsidenten. profil: Können Sie als Philosophin Trump auch gute Seiten abgewinnen?

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„Das war die größte Menschenmenge aller Zeite n.“ Donald Trump baute bezüglich der Zuscha uerzahlen seiner Inaugurationsfeier auf „alternative Fakten“.

Stangneth: Früher sagte man: Jeder kann immerhin als Beispiel dienen. Trump spielt gleichsam in Zeitlupe mit der Wahrheit, denn hier twittert nicht irgendein Mensch aus dem Hinterzimmer. Hier agiert ein Mann unter den Augen der Weltöffentlichkeit, der offenbar die Begriffe fehlen, um auch nur zu beschreiben, was da geschieht. profil: Wie sollen wir mit Lügnern umgehen?

Stangneth: Vielleicht sollten wir uns eher fragen, wie wir mit Gläubigen umgehen. Die Menschen sind längst nicht so naiv, wie sie gern tun. Es ist schlicht sehr geschickt, jemanden zu wählen, der einem nützlich erscheint, und die Sollbruchstelle für den Notfall schon einzubauen. Wenn’s schiefgeht, bejammert man einfach, hereingefallen zu sein, und schickt den ach so bösen Lügner in die Wüste. Es ist die erstaunlich kluge Technik, sich rechtzeitig einen Schuldigen zu suchen. Die Geschichte zeigt aber, dass nicht jeder, den man für einen nützlichen Idioten hält, auch einer ist. Und genau dann wird diese Strategie gefährlich. profil: Wahrheit und Lüge haben also wenig miteinander gemein?

Stangneth: Das ist eine der beliebtesten Ausreden eines erwischten Lügners: „Ja, aber wer weiß denn schon, was Wahrheit überhaupt ist?“ Die Antwort ist überraschend einfach: Der Lügner weiß es. Der Lügner glaubt immer schon an die Wahrheit, nämlich seine, die er uns mit viel Aufwand vorenthalten möchte.

N Paragrafen 288 StGB (Falsche Beweisaussa-

„E

ach dem

s gibt nur ein lügenhaftes Wesen auf der Welt: Es ist der Mensch. Jedes andere ist wahr und aufrichtig, indem es sich unverhohlen gibt als das, was es ist, und sich äußert, wie es sich fühlt“, beobachtete Arthur Schopenhauer.

ge) ist mit einer Freiheitsstrafe von bis

zu drei Jahren zu bestrafen, „wer vor Gericht als Zeuge oder, soweit er nicht zugleich Partei ist, als Auskunftsperson bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache falsch aussagt oder als Sachverständiger einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten erstattet“. Bei falscher Beweisaussage unter Eid erhöht sich der Strafrahmen auf sechs Monate bis fünf Jahre.

Einem Beschuldigten hingegen darf im Gerichtsverfahren seine Rechtfertigung nicht negativ ausgelegt werden, insofern steht es ihm auch frei zu lügen, es sei denn, es liegt der Straftatbestand einer Verleumdung (§297 StGB) vor. Das Leugnen der Tat erhöht das Strafmaß nicht. Angeklagte haben nicht nur das Recht zu schweigen, sondern können auch Schutzbehauptungen aufstellen. Auch bei Bewerbungsgesprächen kann in bestimmten Fällen – etwa bei der Verfälschung des Alters oder der Leugnung einer Schwangerschaft – von einem „Recht auf situationsadäquate Falschbeantwortung“ ausgegangen werden.

profil: Wo versteckt sich die Wahrheit?

Stangneth: Wahrheit ist das, auf dessen Grundlage ich bereit bin zu handeln. Wir wissen genau, wann wir sie brauchen. Wir wissen um ihre Wichtigkeit. Der Mensch des 21. Jahrhunderts weiß, dass er sein Tun zu verantworten hat.

Allgemeine Mündigkeit war ein Wunschtraum des 18. Jahrhunderts, heute ist sie die Grundlage unserer Verfassungen. Das ist nicht nur angenehm. Darum stellt man sich gern dumm – und so mancher schreit auch „Lügenpresse“, um nicht mehr lesen zu müssen.

Lügenhafte Strategien wie Mimikry, akustische Täuschung oder taktische Verstellung sind allerdings auch im Tierreich bekannt. Insbesondere in der Primatenforschung lässt sich die evolutionäre Entwicklung der menschlichen Intelligenz zurückverfolgen. Ein stichhaltiges, politisch nicht ganz astreines Beispiel liefert der südamerikanische Krallenaffe.

Auf „Eindringlinge“ reagieren KrallenaffenGangs in Gehegen aggressiv. Der Neuankömmling starrt in eine leere Ecke und stößt hysterische Alarmrufe aus, als säße dort eine Schlange. Um die Gefahr zu bannen, stimmen die Alteingesessenen bald mit ein. Gemeinsamer Feind erfunden – Aggressionsenergie erfolgreich sublimiert. Populismus pur!

Bettina Stangneth: Lügen lesen.

Rowohlt, 199 S., EUR 20,60

profil: Sie sprechen auf Einladung auch in Schulklassen. Was erzählen Sie den Jugendlichen?

Stangneth: Normalerweise erzählen die Schüler mir etwas, denn es geht ja um ein Gespräch. Aber es schadet nicht, Lust an Verantwortung zu wecken, auch die Verantwortung für die Entstehung von Lügen. Wer verstanden hat, dass es keine einzige Lüge auf der Welt gäbe, wenn Menschen voneinander nicht die Wahrheit erwarten würden, hört besser zu. profil: Welche Ratschläge erteilen Sie noch?

Stangneth: Lebenshilfe ist nicht das Kerngebiet der Philosophen. Also wenn es einen Ratschlag gibt, dann den, sich nicht einfach Lebenshilfe geben zu lassen, sondern das Denken zu lernen und andere darauf zu verpflichten. Die größte Gefahr geht nicht von Menschen aus, die uns belügen wollen, sondern von denen, die so tun, als wären sie belogen worden, weil sich leicht behaupten lässt: „Der hat doch gesagt, dass ich dich erschlagen darf.“ Interview: Wolfgang Paterno

KULTUR

Das sind doch wir!

Von Karin Cerny

L

ange Zeit verliefen die Fronten klar: Laientheater galt als charmant, aber künstlerisch nicht sonderlich hochwertig. Man besuchte Schulaufführungen oder sommerliche Wald-und-WiesenSchwänke, weil man die Darsteller persönlich kannte, erfreute sich daran, dass die Schauspieler nicht in ihren Rollen verschwanden – in markantem Unterschied zum professionellen Theater: Auf den großen Bühnen triumphierten die ausgebildeten Virtuosen mit ihrer Sprach- und Verwandlungskunst. Die zwei Welten berührten sich nicht: hier hehre Hochkultur, dort unterhaltsames Hobby.

In den vergangenen Jahren sind diese vermeintlich stabilen Kategorien ins Wanken geraten. Die Theater beginnen sich der Realität zu stellen, radikale Zeitgenossenschaft zu beanspruchen. Echtes Leben ist gefragt. Und wer könnte authentischer sein als ein Amateur? „Die Verletzbarkeit und Offenheit, die Laien oft mitbringen, halte ich für etwas sehr Schönes“, sagt Michael Silverstone, der gemeinsam mit Abigail Browde die New Yorker Off-Gruppe 600 Highwaymen leitet. Die beiden sind bekannt für ihren partizipatorischen Ansatz, der sie nun sogar zu den Salzburger Festspielen gebracht hat. Heuer werden sie dort den Horváth-Klassiker „Kasimir und Karoline“ inszenieren (ab 11. August im Großen Studio der Universität Mozarteum). In einem mehrstufigen CastingProzess wurden aus 350 Bewerbern 23 ausgesiebt, die gemeinsam mit ProfiSchauspielern auf der Bühne stehen

Nicht nur im Fernsehen boomen Reality-Formate, auch das Theater versucht verstärkt, die Wirklichkeit einzufangen. Sogar bei den Salzburger Festspielen erobern nun Laien die Bühne.

in künstlerisch überzeugender Neustart ist Bettina Hering, der ersten Frau als Schauspielchefin der Salzburger Festspiele, zumindest mit dem Premierentrio während der Festivalstartphase nicht gelungen.

Kompromisse und aufgewärmte Konzepte, die anderswo schon besser funktioniert haben, prägen ihr Debüt. Das zeigte sich bereits bei „Jedermann“: Nach einem Zerwürfnis mit dem seit 2013 für die Regie zuständigen Duo Julian Crouch und Brian Mertes sprang kurzfristig Michael Sturminger als Regisseur

78 profil 32 • 7. August 2017

SALZBURGER FESTSPIELE/MONIKA RITTERSHAUS

E

Düsterkitsch Die ersten drei Schauspiel-Premieren der Festspiele vermochten nicht so recht zu zünden.

KEIN AUSWEG Das Sozialdrama „Rose Bernd“ spielt in einer Art Bergwerksschacht.

ein, der ganz nach den Wünschen seines Hauptdarstellers Tobias Moretti versuchte, aus dem traditionellen Stoff eine moderne Geschichte zu machen. So ist der Abend vor allem eine Moretti-One-Man-Show geworden, in der ein Großteil der Nebenfiguren, inklusive der erstaunlich blassen Buhlschaft Stefanie Reinsperger, bloß brave Stichwortgeber bleiben. Je zeitgenössischer die Inszenierung sein möchte, deren knallbunten Kostüme völlig deplatziert wirken, desto biederer wird sie, desto mehr treten die Schwächen des katholisch

SALZBURGER FESTSPIELE/ALEXI PELEKANOS

HORVÁTH RELOADED Casting zur FestspieleInszenierung von „Kasimir und Karoline“

aufgeladenen Textes hervor.

Hering setzt in ihrem ersten Jahr auf einen vorwiegend weiblichen Spielplan – ein Großteil der Regiekräfte sind Frauen – und auf selten gespielte Stücke. Gerhart Hauptmanns Sozialdrama „Rose Bernd“ ist mit seinem künstlichen schlesischen Dialekt eine echte Herausforderung. Karin Henkel machte bereits im ersten Bild klar, warum es ihr geht: Eine lebensfrohe junge Frau wird von einer patriarchal-bigotten Männergesellschaft systematisch zerstört. Emanzipation ist in

werden. Es sei ihnen nicht darum gegangen, „den besten Kasimir“ zu finden, erzählen die Regisseure, sondern Menschen mit möglichst lebendiger Bühnenpräsenz.

Die großen Theater stehen heute mehr denn je vor der Frage, wie eine zunehmend auseinanderdriftende Gesellschaft noch gültig repräsentiert werden kann, wie sich Migrantengeschichten, Problemviertel-Entwicklung und globalisierter Kapitalismus abbilden lassen. Sie suchen nach neuen Formen der Teilhabe, um über aktuelle Lebenswirklichkeiten zu erzählen, die in klassischen Stücken nicht vorkommen. Ein Projekt, das Furore machte, sind die „Bürgerbühnen“: Nichtprofessionelle Darstellerinnen und Darsteller proben da unter professioneller Anleitung und mit dem technischen Apparat eines Stadttheaters. Wilfried Schulz, der von 2009 bis 2016 das Staatsschauspiel Dresden leitete, prägte den Begriff. Ganz normale Männer, die noch nie auf der Bühne gestanden waren, erzählten von ihren Midlife-Crisis, ehemalige Soldaten von ihren Kriegseinsätzen. Das 2009 in Dresden gestartete Modell boomt mittlerweile im deutschsprachigen Raum; auch Bettina Hering, die neue Schauspielchefin der Salzburger Festspiele, erprobte es während ihrer Intendanz am Landestheater St. Pölten.

Der Ansatz ist bestechend einfach: Die Dramen liegen auf der Straße, sie müssen nur mit den Betroffenen gemeinsam erarbeitet werden. Ein durchaus lukrativer Nebeneffekt für die Theater: Wenn Laien auf der Bühne stehen, besuchen gern auch deren Familienmitglieder und Freunde die Vorstellungen, also Menschen, die viel-

dieser bedrohlichen Welt, die in einem Bergwerksschacht zu spielen scheint, nicht vorgesehen. Lina Beckmann gibt eine kraftvolle, bis zuletzt trotzige Rose, aber irgendwie kommt der Abend auf der Perner-Insel nicht von der Stelle, zu deutlich ist seine feministische Botschaft von Beginn an, viele Szenen suhlen sich in Düsterkitsch.

Henkel, die damit ihr SalzburgDebüt gibt, war 2013 mit Hauptmanns „Die Ratten“ zum Berliner Theatertreffen eingeladen; ihre „Rose Bernd“, eine Koproduktion mit dem Deutschen

leicht sonst nicht ins Theater gehen würden. Facebook und Instagram haben bewiesen, dass jeder ein Star sein kann.

Inzwischen folgen sogar die Theater dieser vielleicht auch fragwürdigen Tendenz zur permanenten Selbstinszenierung.

Der Trend zum Amateurhaften begann mit dem Theaterkollektiv Rimini Protokoll.

Seit Beginn der Nullerjahre bringt das deutsche Trio „Experten des Alltags“, wie sie es nennen, auf die Bühne, lassen gewöhnliche Menschen – von Totengräbern über Erdölexperten bis zu Marx-Lesern – ihr eigenes Leben und ihre Ideen performen. Mit ihrem dokumentarischen Ansatz haben sie einen Nerv der Zeit getroffen. Aber auch der 2010 verstorbene Regisseur Christoph Schlingensief hatte immer wieder Arbeitslose oder Behinderte in seine Inszenierungen geholt, um den Theaterapparat herauszufordern. Und der deutsche Regisseur Volker Lösch wurde bekannt mit seinen Laienchören, die aus Bürgern der jeweiligen Städte bestehen, in denen er inszeniert.

Bei vielen Inszenierungen ist nicht ganz eindeutig zu klären, ob das nun Kunst sei oder doch eher ein Sozialprojekt. Die Grenzen sind fließend, die Ergebnisse bleiben ästhetisch daher oft nur halb überzeugend. Trotzdem hat diese Öffnung zum Laienschauspiel grundlegend verändert, wie wir heute Theater betrachten. Selbst Profi-Schauspieler sehen nicht mehr so glatt aus wie einst, die Ensembles sind facettenreicher geworden. Es ist allen klar, dass es mehr zu erzählen gibt, als bei Schiller und Shakespeare steht. Der Begriff Volkstheater bekommt ein Update: Es geht um nichts Geringeres als um uns selbst. ■

Schauspielhaus Hamburg, wirkt ein wenig, als wolle sie ein bewährtes Rezept verlängern, zumal dieselbe Schauspielerin erneut die Hauptrolle übernommen hat.

Auch Andrea Breth feierte 2014 mit Harald Pinters „Der Hausmeister“ am Münchner Residenztheater einen Erfolg, der sich im Landestheater anscheinend nicht so leicht wiederholen lässt, wo Pinters frühes Stück „Die Geburtstagsfeier“, 1958 uraufgeführt, als Koproduktion mit dem Burgtheater auf dem Programm steht. Das Sze-

nario ähnelt einem Krimi: Zwei seltsame Eindringlinge, die eine latente Bedrohung ausstrahlen, suchen eine entlegene Pension heim. All das wird bei Breth breit und geheimnisvoll arrangiert. Surreal wachsen Sanddünen in das Haus hinein (Bühne: Martin Zehetgruber) – jedes Wort eine Anspielung, jeder Blick ein Mysterium. Die drei Stunden Laufzeit tragen diese Gruseleffekte allerdings nicht, zu harmlos sind Breths Gewaltszenen, zu künstlich-verquatscht bleibt der altmodische Text vor allem im letzten Teil des Abends.

7. August 2017 • profil 32 79

KULTUR

Von Stefan Grissemann

Weit über 200 Stephen-King-Adaptionen sind seit den 1970er-Jahren entstanden – allein zwei Duts könnte sein, dass ich mir das Leben nehmen muss“, zend Film- und Serien-Projekte, die twitterte Stephen King im sich in Vorbereitung oder in FertigJuni sarkastisch, nachdem er von stellung befinden, listet die InterDonald Trump wegen abschätziger net Movie Database (IMDB) derzeit Bemerkungen („Trump ist wie der auf. Es sind aber vor allem Kings mythische „Dark Tower“-Romane, durchgedrehte, tobende Onkel, von sein schon 1970 begonnenes, zwidem du hoffst, dass ihn deine Freunde niemals kennenlernen“) schen 1982 und 2012 veröffentlichauf dem Mikroblogging-Portal blotes, achtteiliges Magnum Opus, von ckiert worden war. Mit seiner vehedem man sich man sich in Hollywood seit Jahren den nächsten menten Kritik am Staatsoberhaupt hält er sich auch weiterhin nicht zuFilmserien-Hype à la „Herr der Rinrück („The news are real. The presige“ verspricht. Um nichts Geringedent is fake.“), denn mit Amerikas res als die Rettung des Universums Abgründen kennt King sich aus. Sie geht es in diesen Büchern – und um sind das Basismaterial seiner Storys, die alte Konfrontation des absolut Bösen mit den Kräften des Guten. die apokalyptische Szenarien und Doch die Planung der nun – volle beunruhigenden Visionen nachzeichnen, von Serienmördern und 35 Jahre nach Veröffentlichung des gewalttätigen Clowns handeln. King ersten „Dark Tower“-Romans – vorschreibt unaufhörlich, wie besessen. liegenden ersten Verfilmung gestal56 Romane hat er in den vergangetete sich schleppend, zog sich über nen 43 Jahren publiziert, sieben dafast ein Jahrzehnt. Der Produzent und Regisseur J.J. Abrams gehörte von unter dem Pseudonym Richard Bachman. In ein paar Wochen erzu den frühen Drop-outs, und nach scheint der nächste: „Sleeping Beden Ausstiegen von Universal, HBO auties“, verfasst mit seinem Sohn und Warner einigten sich Sony PicOwen King. Die Serienrechte dazu tures und Media Rights Capital darauf, „Der Dunkle Turm“ (Österwurden bereits im April verkauft.

Im September wird der Mann, Stephen King beliefert Hollywood reich-Kinostart: 11. August) zu proder Hollywood seit über vier Jahrduzieren. Der Däne Nikolaj Arcel, seit Jahrzehnten mit seinen 44, Oscar-nominierter Regisseur zehnten mit dem Treibstoff seiner Horrorvisionen. Nun kommt die kunstgewerblicher Arthouse-FavoHorror- und Fantasy-Visionen versorgt, 70 Jahre alt. King – geschätzriten („A Royal Affair“), erhielt den erste Verfilmung seines tes Jahreseinkommen: 40 Millionen Zuschlag, aber das Projekt führte Fantasy-Mammutwerks Dollar – schreibt drei bis vier Stunmit zwei gleichberechtigten Studios den täglich. Seine Alkohol- und und vier Drehbuchautoren hinter „Der dunkle Turm“ Drogenvergangenheit hat er bewälden Kulissen zu heillosen Turbulenin die Kinos. tigt, die Angst vor Flugreisen und zen und einem dramatisch verschoSpinnen quält ihn nach wie vor. Er benen Veröffentlichungstermin. definiert sich selbst, in sympathischem 1982), David Cronenberg („The Dead Zone“, Dem Ergebnis sind diese Probleme leiUnderstatement, als das „literarische 1983) und John Carpenter („Christine“, der anzusehen: „Der dunkle Turm“ Äquivalent eines Big Mac mit Pommes“.

1983). Es brauchte allerdings noch ein schwankt zwischen B-Movie und MegaKein anderer Gegenwartsautor hat Jahrzehnt, um aus dem Schocker-Eck in Fantasy, zwischen Popcorn-Action und mehr Verfilmungen seiner Stoffe erlebt Hollywoods Prestigezonen vorzustoßen, Existenzialismus-Grundkurs. Ein hellsich(eine hat er, vor über 30 Jahren, sogar zu Oscar-Filmen wie „Die Verurteilten“ tiger Zwölfjähriger (Tom Taylor) leidet unselbst inszeniert: „Maximum Overdrive“). (1994) und „The Green Mile“ (1999). ter seinen Visionen vom drohenden Untergang der Welt „(The Shine“), die ihn Brian de Palma war der Erste, der sich an eine King-Fantasie wagte: Das blutige bald durch ein Portal ans andere Ende des Telekinese-Rachedrama „Carrie“ (1976) Universums, ins Hauptquartier des Bösen, schlug im amerikanischen Horrorkino eibringen. Die feine Besetzung lenkt ein wenen neuen Ton an. Danach ließ die Regienig von den Problemen ab: Idris Elba Elite des angloamerikanischen Films sich macht als Revolverheld gute Figur, Gegennicht mehr lange bitten: Tobe Hooper verspieler Matthew McConaughey erhöht als filmte 1979 den Vampirroman „Salem’s Mann in Schwarz den Sadismusfaktor beLot“ für das Fernsehen, und Stanley Kuträchtlich. Aber „Der dunkle Turm“ ist brick wagte sich 1980 an „The Shining“ Western-Fantasy-Pulp ohne besondere Ei(wovon sich der Autor übrigens heftig genschaften: ein Unterhaltungsprodukt von hoher sozialer, politischer, künstleridistanzierte). Es folgten King-BearbeitunERZFEINDE Idris Elba (li.) und Matthew McConaughey in scher und emotionaler Irrelevanz. gen von George A. Romero („Creepshow“, ■

„E

ULF ANDERSEN/GETTY IMAGES; 2017 SONY PICTURES RELEASING GMBH

Big Mac

„Der dunkle Turm“ 7. August 2017 • profil 32 81

Rainer Nikowitz rainer.nikowitz@profil.at

Ich will so bleiben, wie ich bin!

Die SPÖ versucht, im Wahlkampf endlich ein Bein auf den Boden zu bekommen. Helfen soll ein „Back to the Roots“-Programm. Und ein, äh, griffiger Slogan.

K

ern: Also, i weiß net: I bin heut irgendwie sooo gut aufglegt!

Häupl: Jeder, wie er glaubt. I ja überraschenderweise net.

Kern: Na, dann musst halt unser Wahlprogramm lesen!

Häupl: Zawos? Steht was anderes drin als in de letzten sechse?

Rendi-Wagner: Ja! Wir sind jetzt nämlich auch für gute Laune.

Häupl: Und was is mit Erdbeereis für alle? Für des samma net?

Kern: Na ja … Eigentlich scho.

Rendi-Wagner: Aber i hab glaubt, du magst auch keine mieselsüchtigen Koffer, Michl.

Häupl: Im Spiegel scho.

Kern: Warum sollt ma denn net für gute Laune sein? Wir stehen ja schließlich blendend da.

Häupl: Wen meinst mit „wir“?

Kern: Na, des Land.

Häupl: Ah so. Für an Moment hab i glaubt, du meinst die Partei. Des warat nämlich, um ein großes und mit durchschlagendem Erfolg gebrauchtes Wort eines net ganz unbekannten Österreichers zu zitieren, a Vollholler.

Kern: Du weißt genau, dass des a Linke von dem Journalisten war!

Niessl: Net sag „Linke“ in meiner Gegenwart! Da bin i sehr sensibel!

Kern: Aber was sollt denn im Programm anderes drinstehen, Michl? Es geht ja praktisch nur die Sozialschiene: Warmer Regen für möglichst viele, gegenfinanziert mit Nebelgranaten, die aber wenigstens nach Veilchen riechen.

Doskozil: Und was is mit der Sicherheit? Mit mir als Universalminister für quasi alles?

Kern: Eh. Aber des hab i ja scho vorher gsagt.

Rendi-Wagner: Moooment! Minister für alles? Für Frauen auch?

Niessl: Aber nein. Nur für de wichtigen Sachen. Salafisten schiach anschauen, Panzer am Brenner … So was halt.

Rendi-Wagner: Panzer am Brenner san wichtiger als Frauen?

Niessl: Ha! Mi legst du net eine! I erkenn a rhetorische Frag, wenn i ane hör!

Kern: Trotzdem werma bei dem Thema net viel reißen, fürcht i. Des is scho besetzt, und zwar doppelt. Der Kurz braucht 82 profil 32 • 7. August 2017

nur „Mittelmeerroute“ sagen, und uns horcht kana mehr zu.

Häupl: Drum wird des mit dem Universalminister a eher nix werden, könnt i ma vorstellen.

Doskozil: Na ja. I könnt immer no als Quereinsteiger auf die Bundeslisten vom Kurz gehen.

Kern: Bitte? Jetzt sag bloß, der Falott hat di gfragt!

Doskozil: Öh … mi? Geh, wie kommst denn auf so was? So a verruckte Idee!

Kern: Na, dann bin i ja beruhigt.

Doskozil: I mein, wie wann i a Quereinsteiger warat. Bei meiner politischen Erfahrung!

Häupl: Er hat eam gfragt.

Niessl: Des kannst ma net antuan, Dosko! Nach allem, was i für di gmacht hab! Und außerdem brauch ma di als Kanzler für Rot-Blau!

Kern: Äh, hallo? I bin a no da.

Niessl: Ja, oba nimmer lang.

Häupl: Mach dir kane Sorgen, Christian. Alles wird gut. Die Umfragen san auf deiner Seiten.

Kern: Ah so?

Häupl: Ja. So wie’s ausschaut, geht si Rot-Blau eh net aus.

Kern: Du verstehst es wirklich, einen Mann zu beruhigen.

Häupl: Lustig! Des hat der Werner a amoi zu mir gsagt.

Kern: Wann denn?

Häupl: Voriges Jahr. Und zwar am 30. April auf’d Nacht.

Rendi-Wagner: Jetzt hört’s endlich auf mit dem Schwarzmalen! Wir gwinnen die Partie no! Wir ham a super Programm, an lässigen Slogan und …

Häupl: An lässigen Slogan? Wie geht denn der leicht?

Rendi-Wagner: „Ich hol mir, was mir zusteht!“ Häupl: Oha. Is der am End scho vom Petzner?

Niessl: Nix gegen den Petzner, bitte! Der war schließlich bei ana Partei, die si nur zum Beispiel um des Burgenland sehr verdient gmacht hat.

Kern: Inwiefern?

Niessl: Sie hat mi zum Landeshauptmann gwählt.

Häupl: Des is aber wirklich a super Slogan, des muaß i zugeben.

Kern: Scho, oder?

Häupl: Mhm. Besser is nur no: „Geld macht glücklich, wenn ma rechtzeitig drauf schaut, dass ma’s hat, wenn ma’s braucht.“ Doskozil: Mei Lieblingsslogan is ja: „Nicht immer. Aber immer öfter.“ Niessl: Nix gegen: „Sogar der Mamaladfleck is weg!“ Rendi-Wagner: „Wer hat’s erfunden?“ Kern: Sagt’s amoi, was is denn mit euch los? Wir reden da grad von der Zukunft unserer Partei, und ihr kommt’s mir mit so an Bledsinn?

Häupl: Du hast recht. Wir sollten uns wirklich mehr auf die Partei konzentrieren. Also, wie wär’s mit: „SPÖ ist sauteuer. Aber sie wirkt.“ Rendi-Wagner: „SPÖ weiß, was Frauen wünschen.“ Niessl: „SPÖ. Mehr können Sie für Ihre Wäsche nicht tun.

Guten Abend.“ Doskozil: „Katzen würden SPÖ kaufen.“ Kern: Des derf ja alles net wahr sein! Falls euch des net aufgfallen is: I versuch da, a Wahl zu gwinnen!

Häupl: Des is a sehr löblicher Vorsatz. Und wie willst des anstellen?

Kern: Ganz einfach: Ich will so bleiben, wie ich bin.

Häupl: Verdammt! Der warat’s gwesen!

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