.Inspired Magazin - Nr. 18 | Juni 2023

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ÖFFENTLICHE POLITIK .inspired Das Magazin des Department of Economics Nr. 18 | Juni 2023 Wirksame öffentliche Politik Seite 4 Forschung und Politik. Eine Win-win-Beziehung Seite 8 Aktuelle Forschung Finanzielle Anreize und Frauenförderung Seite 12

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Sehr geehrte Leserinnen und Leser, die Verbindung der Anliegen verschiedener Interessengruppen mit der globalen wirtschaftlichen Realität ist eine zentrale Herausforderung für die öffentliche Politik. Entscheidungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Umweltstandards, Steuern und Zollvereinbarungen, Subventionen und soziale Sicherung prägen massgeblich die Entwicklung einer Gesellschaft.

Allerdings stehen populistische, extremistische und nationalistische Bewegungen dem politischen System zunehmend kritisch gegenüber, was es Regierungen erschwert, effektive öffentliche Politiken zu entwickeln.

In dieser Ausgabe richten wir den Fokus auf ausgewählte Fragen der öffentlichen Politik und zeigen auf, wie wir als Ökonom:innen dazu beitragen können, bessere politische Entscheidungen herbeizuführen. Beginnend auf Seite 4 geben wir Antworten auf Fragen zur Rolle der öffentlichen Politik: Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, um Wohlstand zu generieren und zu sichern? Wie lassen sich die langfristigen Auswirkungen politischer Entscheidungen messen? Können ökonomische Anreize genutzt werden, um staatliche Institutionen zu unterstützen?

Ab Seite 12 diskutieren Bruno Parnisari, stellvertretender Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen und Josef Zweimüller, Arbeitsmarktökonom am Department, die Rolle der Universitäten bei der Bereitstellung von Entscheidungsgrundlagen für den politischen Prozess. Dabei beleuchten sie die Vor­ und Nachteile der politischen Auftragsforschung für beide Seiten.

Auf Seite 17 stellen wir Ihnen eine aktuelle Studie vor, die das weltweite Auseinanderklaffen von realen und wahrgenommenen sozialen Normen verdeutlicht.

Wir hoffen, dass Sie diese spannende Reise durch die Welt der öffentlichen Politik geniessen und dabei neue Erkenntnisse gewinnen werden.

Viel Vergnügen bei der Lektüre !

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Wirksame öffentliche Politik

Voraussetzungen, Herausforderungen und Beiträge des Departments

In den Medien Seite 7

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Veranstaltungen und Gäste

Kurz & Knapp Forschung auf den Punkt gebracht Seite 10

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Forschung und Politik. Eine Win-win-Beziehung Bruno Parnisari und Josef Zweimüller im Gespräch

Sprungbrett Zurich GSE Interview mit Absolventinnen

Chiara Aina und Regina Seibel

Seite 15

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Aktuelle Forschung

Finanzielle Anreize und Frauenförderung

UBS Center For Economics in Society

Seite 18

Academic Spirit

Auszeichnungen und Förderbeiträge

Seite 19

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WIRKSAME öffentliche Politik

Welche politischen Institutionen und Massnahmen braucht es für Wirtschaftswachstum ? Was, wenn diese fehlen ?

Und wie können wir die Wirksamkeit der öffentlichen Politik messen ?

Eine Auswahl von Forschungsprojekten aus dem Department.

Die meisten Ökonom:innen sind sich einig: Grundlegende Eigentumsrechte, Schutz vor Ausbeutung und ein funktionierendes Justizsystem sind Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung.

Grundvoraussetzungen schaffen

Was aber, wenn diese Institutionen noch nicht vorhanden sind? Lorenzo Casaburi forscht in den ärmsten Ländern in Subsahara­Afrika. Die Landwirtschaft ist der grösste Sektor, aber Hindernisse bei den Eigentumsrechten, der Durchsetzung von Verträgen und dem Zugang zur Justiz schränken das Funktionieren vieler Märkte ein: Die Finanzmärkte sind weitgehend unterentwickelt, sodass die Menschen kaum oder gar keinen Zugang zu Krediten, Versicherungen oder Sparmöglichkeiten haben, und auch die Landmärkte funktionieren nur eingeschränkt.

«Es gibt zwei Ansätze», sagt Lorenzo Casaburi: « Wir können Produkte entwickeln, die unter den gegebenen Bedingungen funktionieren, oder Projekte initiieren, um die Bedingungen zu ändern. » Manchmal sind die Lösungen einfach: Eine Verschiebung des Zahlungstermins einer Ernteausfallversicherung erhöht die Annahmequote von fünf auf 72 Prozent. Die Zahlung der Versicherungsprämie zum Zeitpunkt der Aussaat ist für viele Landwirte eine unüberwindbare Hürde, weil sie zu diesem Zeitpunkt Saatgut kaufen müssen und nur schwer einen Kredit bekommen. Die Möglichkeit, die Versicherung bei der Ernte zu bezahlen, wenn sie ein Einkommen haben, ist der Schlüssel zum Abschluss und kann existenzsichernd sein.

Lorenzo Casaburi arbeitet mit der UN­Kommission für Innovation in der Landwirtschaft an Ideen zur Bewältigung von Herausforderungen, die nur ärmere Länder betreffen. Die Bodenbeschaffenheit und die klimatischen

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Bedingungen stellen eigene Herausforderungen dar, und in vielen armen Ländern gibt es keine staatlichen Institutionen, die sich mit Lösungen zu diesen Problemen befassen. Marktanreize reichen oft nicht aus, um Innovationen zu fördern. « Man muss sich alternative Lösungen einfallen lassen », erklärt er eine Idee, « zum Beispiel durch ein Finanzierungssystem, das denjenigen Innovatoren, die vielversprechende neue Saatgutsorten entwickeln, Absatzgarantien zusichert. »

Steuerkapazität erhöhen und Ungleichheit reduzieren

Länder entwickeln ihre Steuerkapazität, also die Fähigkeit, Steuern eintreiben zu können, über die Zeit. Viele reiche Länder erlangten ihre Steuerkapazität erst im Laufe des 20. Jahrhunderts, und viele Funktionen des modernen

Staates basieren auf diesen Einnahmen. Regierungen auf der ganzen Welt entwickeln deshalb immer bessere Methoden, um der Steuerhinterziehung entgegenzuwirken.

Ein Beispiel ist die innovative Kampagne der Steuerbehörde in Ecuador im Kampf gegen sogenannte « Geisterfirmen ». Solche künstlichen Firmen haben nur einen Zweck: Sie verkaufen Rechnungen über Transaktionen, die nie stattgefunden haben. Das Käuferunternehmen weist diese Rechnungen in seiner Steuererklärung als Kosten aus und reduziert dadurch seine Steuern.

Statt Jagd auf die Geisterfirmen zu machen, welche jederzeit unter neuem Namen wieder auftauchen können, entschied sich die ecuadorianische Steuerbehörde, die Käuferfirmen ins Visier zu nehmen. Diese wurden darauf hingewiesen, dass die Regierung entdeckt hat, dass sie Rechnungen von Geisterfirmen benutzen, und aufgefordert, ihre Steuererklärung zu prüfen und nochmals einzureichen. Diese Kampagne erhöhte die Steuereinnahmen innerhalb von drei Monaten um 20 Millionen US­Dollar. Gleichzeitig wurde auch die Ungleichheit reduziert. Denn die Unternehmen, die den reichsten Individuen gehörten, hatten am meisten Steuerhinterziehung mit Geisterfirmen betrieben. « Diese Form von Bekämpfung der Steuerhinterziehung kann Entwicklungsländern helfen, ihre Leistungsfähigkeit zu stärken, ohne gleichzeitig die Ärmsten durch Steuerbelastung noch mehr in die Armut zu drängen », erklärt Dina Pomeranz die Resultate ihrer Analyse.

Umverteilung

Wie passen sich Steuersysteme an, wenn sich die Einkommensquellen ändern? In den letzten Jahrzehnten hat der Anteil des Arbeitseinkommens am Gesamteinkommen abgenommen. Die vermögendsten Personen verdienen mit

« Wir können Produkte entwickeln, die unter den gegebenen Bedingungen funktionieren, oder Projekte initiieren, um die Bedingungen zu ändern.»
Lorenzo Casaburi
« Diese Form von Bekämpfung der Steuerhinterziehung kann Entwicklungsländern helfen, ihre Leistungsfähigkeit zu stärken, ohne gleichzeitig die Ärmsten durch Steuerbelastung noch mehr in die Armut zu drängen.»
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Dina Pomeranz

Kapitaleinkommen (Aktiengewinne, Immobilien, Zinsen) mehr als mit Arbeitseinkommen. Letzteres wird aber in fast allen Ländern stärker besteuert. Ist das fair?

schiedener Länder, die den Euro nicht eingeführt haben, ein fiktives europäisches Land erstellt », erklärt Alessandro Ferrari. Das hat er für jeden makroökonomischen Indikator in jedem Land der Eurozone getan. Er untersuchte Daten aus den Jahren 1990 bis 1999 und berechnete, dass Italien in Bezug auf den privaten Verbrauch durch eine Kombination aus Australien, Dänemark, der Schweiz, Mexiko und Schweden gut vergleichbar ist. Bezüglich der Staatsausgaben wird es am besten durch Dänemark, Neuseeland, Schweden und das Vereinigte Königreich approximiert. Für diese fiktiven Versionen der europäischen Länder hat er die makroökonomischen Variablen bis 2018 berechnet und mit den Zahlen der realen Länder verglichen.

Alessandro Ferrari wollte untersuchen, ob der Euro das Ziel erreicht hat, die Risikoverteilung zu erhöhen und dadurch die Volkswirtschaften der Länder zu stabilisieren. Der Vergleich mit den fiktiven Ländern zeigte, dass dies nicht der Fall war. « Insbesondere in Italien, Griechenland, Spanien, Portugal und Irland wäre der Konsum weniger Schwankungen unterworfen gewesen, wenn sie den Euro nicht eingeführt hätten. »

Florian Scheuer befasst sich mit Steuersystemen auf der ganzen Welt. « Das föderalistische Steuersystem der Schweiz bietet sich für Untersuchungen zum Steuersystem geradezu an », sagt er. In einer aktuellen Studie untersuchte er mit Co­Autorinnen die Auswirkungen einer Senkung der Vermögenssteuersätze. Etwa ein Viertel der Schweizer Bevölkerung bezahlt Vermögenssteuern, von einer Senkung profitieren die reichsten 1 Prozent der Bevölkerung aber am meisten, ihr Anteil am Gesamtvermögen steigt dadurch.

Die Ausgestaltung des Steuersystems ist von enormer gesellschaftlicher Bedeutung, hält er fest. So sei es in vielen Ländern so, dass die Reichen einen niedrigeren Gesamtsteuersatz bezahlen als Personen im mittleren Einkommens­ und Vermögensbereich, und das empfänden die meisten Menschen als ungerecht. Ökonom:innen können hier einen wichtigen Beitrag für Reformen leisten.

Wenn die Daten fehlen

Die Bewertung der Wirksamkeit von politischen Massnahmen ist nicht immer einfach. Zum Beispiel, wenn es keine Daten zu alternativen Szenarien gibt. Wie misst man den Effekt der Einführung des Euro auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes? « Indem man aus den Daten ver-

Die Rolle der universitären Forschung

Methodenkenntnisse sind entscheidend und alles andere als trivial. Damian Kozburs Vorlesung « Machine Learning for Policy Analysis » gibt den Studierenden die statistischen Werkzeuge an die Hand. Es gehe nicht darum, zu lernen,

wie man Code schreibt, betont er immer wieder. Viel wichtiger ist ihm das Verständnis der Fragestellung, der Herangehensweise, der Möglichkeiten und auch Einschränkungen der vorhandenen Daten und genutzten Tools. Es sei ein grosser Fehler, zu glauben, dass die Maschinen uns das Denken erleichtern oder gar abnehmen können, denn das Gegenteil sei der Fall: Weil wir solche mächtigen Analysewerkzeuge haben, müssen wir noch viel angestrengter nachdenken. « Die Fähigkeit zum tiefen Nachdenken ist der Mehrwert, den die Universitäten bieten und von Studierenden einfordern müssen. »

Die erwähnten Forschungsprojekte

Time versus State in Insurance: Experimental Evidence from Contract Farming in Kenya (Lorenzo Casaburi)

Ghosting the Tax Authority: Fake Firms and Tax Fraud (Dina Pomeranz Risk Sharing and the Adoption of the Euro (Alessandro Ferrari) Does a progressive wealth tax reduce top wealth inequality ? Evidence from Switzerland (Florian Scheuer)

« Die Fähigkeit zum tiefen Nachdenken ist der Mehrwert, den die Universitäten bieten und von Studierenden einfordern müssen.»
Damian Kozbur
« Das föderalistische Steuersystem der Schweiz bietet sich für Untersuchungen zum Steuersystem geradezu an.»
Florian Scheuer
« In Italien, Griechenland, Spanien, Portugal und Irland wäre der Konsum weniger Schwankungen unterworfen gewesen, wenn sie den Euro nicht eingeführt hätten.»
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Alessandro Ferrari

In den MEDIEN

UMGANG MIT WIDERSPRÜCHEN

Was bedeutet es für unser Gehirn, wenn jede Entscheidung an komplexen und sich ständig wandelnden Normen ausgerichtet werden will?

Welche Strategien reduzieren den Druck?

Christian Ruff diskutiert mit der Psychologin Astrid Schütz und dem Soziologen Aladin El­Mafaalani auf 3sat bei Gert Scobel in «Wissen hoch 2 ».

BLINDFLUG DER FAMILIENPOLITIK

Führen Kita­Subventionen dazu, dass Mütter mehr arbeiten? Reduzieren sie den Fachkräftemangel und die Geschlechterungleichheiten? Die heute verfügbaren Daten reichen nicht aus, um eine faktenbasierte Familienpolitik zu betreiben, kritisiert Josef Zweimüller in der «NZZ am Sonntag ».

WAS IST HEUTE DIE AUFGABE DER ÖKONOMIE?

Kritiker:innen bezeichnen die Volkswirtschaftslehre gerne als « von der Neoklassik dominiert» und « verschlossen gegenüber anderen Disziplinen und Theorien ». Diese Beschreibung mag auf einen Zustand vor fünfzig Jahren zutreffen, heute orientiert sich die Volkswirtschaftslehre an relevanten Problemen aus der echten Welt und nicht an Denkschulen, wie Nick Netzer in seinem Gastbeitrag in der «NZZ » festhält.

Artikel

FÜHRT AUTOMATISIERUNG UNWEIGERLICH ZUR VERNICHTUNG VON ARBEITSPLÄTZEN?

Nicht unbedingt, sagt David Hémous im grossen Gespräch in « Le Temps ». In flexiblen Arbeitsmärkten führt die Automatisierung nicht zwangsweise zu einem Rückgang der Beschäftigung.

Dennoch: Technologische Innovation erhöht die Ungleichheit, da Löhne von niedrig qualifizierten Arbeitsplätzen stagnieren oder sogar sinken.

Artikel (Französisch)

BEDINGTE GROSSZ ÜGIGKEIT GEGENÜBER

BEDÜRFTIGEN

7 von 10 Menschen knüpfen die Hilfe an Bedürftige an Bedingungen, z.B. dass die finanzielle Unterstützung nur für Lebensmittel gilt. Dadurch greifen sie massiv in die Freiheit der Bedürftigen ein, findet eine Studie von Sandro Ambühl. Diese bedingte Hilfe findet sich auch in vielen Diskussionen zur Sozialhilfe, wie der Artikel im «Beobachter » aufzeigt.

Artikel

DIE SUPERREICHEN BESTEUERN?

Während die Einkommensverteilung in der Schweiz im internationalen Vergleich relativ ausgeglichen ist, ist das Vermögen ähnlich ungleich verteilt wie in den USA. Das vermögendste 1% der Bevölkerung besitzt 40 % des Vermögens. Wie eine funktionierende Vermögenssteuer aussieht und warum sie einige Länder neu einführen wollen, beantwortet Florian Scheuer im «Blick »­Wissens­Podcast « Durchblick ».

Podcast

Video
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Artikel

Veranstaltungen und GÄSTE

Geldpolitik in Krisenzeiten

Seit 2008 befindet sich die Weltwirtschaft im Krisenmodus: Finanzkrise, Eurokrise, Brexit, Corona und der Krieg in der Ukraine. Was bedeutet dies für die Geldpolitik der Nationalbank? Thomas Jordan, Präsident der SNB, folgte der Einladung von ECON Alumni UZH und präsentierte in seiner Keynote Herausforderungen und Überlegungen. Anschliessende Diskussion mit Franziska Tschudi Sauber, Delegierte des Verwaltungsrats Weidmann Group, und Sergio Ermotti, CEO UBS, moderiert von Mathias Hoffmann.

ECON Alumni UZH wurde im Februar 2020 gegründet und bietet ihren Mitgliedern Veranstaltungen aller Art zu Themen aus Wirtschaft, Politik und Kultur. Der Verein ist allen Personen offen, die die Forschung am Department für wichtig und förderungswürdig halten. e www.econalumni.ch

« Abzuwarten beinhaltet das Risiko, dass sich die Inflation bei 4–5 % verfestigt. Sie dann wieder auf das Ziel von 2 % zu bringen, ist sehr schwierig. »

Thomas Jordan, Präsident SNB (v.l.n.r) Mathias Hoffmann, Sergio Ermotti, Franziska Tschudi Sauber, Thomas Jordan.
Videoaufzeichnung des 4. ECONnect Event Artikel
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Die Suche nach Kausalität

Zu Jahresbeginn war Nobelpreisträger Joshua Angrist (MIT) für einen Vortrag am Department zu Besuch. Anschliessend nahm er sich die Zeit, über seine Leidenschaft für ökonometrische Methoden zu sprechen und über seinen Weg vom Doktoranden, der den isolierten Effekt des Militärdienstes auf das Einkommen messen wollte, zum Nobelpreis für seine Arbeit im Bereich der Kausalität.

« Der Schlüssel ist die Identifizierung der instrumentellen Variable, die zufällig und unabhängig sein muss. Dies ist die Variable, die die kausale Reaktion auslöst. »

Klosterschule Disentis

Maturand:innen des Gymnasiums Kloster Disentis besuchten das SNS­Lab und erhielten eine praktische Einführung ins Fach. Sie konnten hautnah erleben, worüber und womit unsere Neuroökonom:innen forschen.

Der Preis der Rationalität

Paul Glimcher, Mitbegründer des Fachs Neuroökonomie und Professor an der New York University, hielt die Keynote Lecture des Jahressymposiums der Marlene Porsche Graduate School of Neuroeconomics zum Thema « Efficiently Irrational ». In seinem Vortrag zeigte er auf, warum scheinbar irrationale Entscheide sehr wohl ökonomisch sind.

Zurich Graduate School of Economics

Visiting Days

Am 4. und 5. März besuchten 33 Interessent:innen die Zurich Graduate School of Economics im Rahmen der Visiting Days. Vorträge, Interviews und eine Stadtbesichtigung boten einen Einblick in das Leben am Department of Economics. 14 Teilnehmer:innen erhielten anschliessend ein Angebot und werden ihr Doktoratsstudium im August 2023 in Zürich beginnen. Wir freuen uns.

« Unser Gehirn ist ein kleiner, effizienter Rechner mit einer Leistung von circa 10 Watt. Wollen wir diese Leistung auf 100 Watt bringen, was einem mittelmässigen Laptop entspricht, bräuchten wir einen Kopf so gross wie ein Rettungsring und müssten täglich circa 7 000 Kalorien zu uns nehmen, um dieses Gehirn am Laufen zu halten. »

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Kurz & KNAPP

Interessante Erkenntnisse aus der Forschung auf den Punkt gebracht. Wussten Sie, ...

... dass

die deutsche Schuldenbremse massgeblich dazu beigetragen hat, private Investitionen zu verdrängen ? Regionale Sparkassen sind verpflichtet, Kredite zu relativ tiefen Zinssätzen an die Kommunen zu vergeben, die durch Einsparungen auf Bundes­ und Landesebene massiven zusätzlichen Finanzbedarf hatten. Diese Schattenkosten führen zu höheren Zinskosten für Investitionskredite für klein­ und mittelständische Unternehmen, die oft keine anderen Finanzierungsquelle als die Sparkassen haben.

UZH Working Paper ECON 380

... dass

die Sklaverei den frühen Aufstieg Europas begünstigte ?

In Grossbritannien waren Gebiete mit höherem Sklavenanteil weniger landwirtschaftlich geprägt, hatten mehr Baumwollspinnereien, führten mehr Dampfmaschinen ein, hatten ein höheres Pro­Kopf­Vermögen und beschäftigten mehr Menschen in der Industrie.

... dass

anhand einfacher statistischer Methoden und öffentlich zugänglichen Daten zu Flugdauern bewiesen werden kann, dass die Erdoberfläche gekrümmt und die Erde eine Kugel sein muss? Der resultierende Schätzwert für die Krümmung ist nahezu identisch mit dem Wert π / 20 000 km, der auf komplizierten physikalischen Messungen beruht.

UZH Working Paper ECON 431

Mathias Hoffmann, Michael Stiefel, Iryna Stewen Growing Like Germany: Local Public Debt, Local Banks, Low Private Investment Olivier Ledoit, Michael Wolf, David Bell A Novel Estimator of Earth’s Curvature (Allowing for Inference As Well)
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Joachim Voth Slavery and the British Industrial Revolution NBER Working Paper No. 30451

... dass

es eine einfache Methode gibt, die sicherstellt, dass Priorität und Gleichbehandlung bei rationierten Gütern erfüllt werden ?

Angenommen in den Städten A und B leben eine halbe Million Menschen, die geimpft werden sollten, es aber nur eine Viertelmillion Impfdosen gibt.

In A leben 400 000 Menschen und in B 100 000. Damit jede Stadt die Hälfte der Menschen mit der höchsten Priorität impfen kann, sollten

1/5 der Dosen nach B und 4/5 der Dosen nach A geliefert werden. So einfach ist das.

... dass

Politiker:innen, die sich für universalistische ethische Prinzipien aussprechen, also die Wohlfahrt aller Menschen gleichermassen verbessern wollen, für vertrauenswürdiger gehalten werden als Politiker:innen, die bereit sind eine Gruppe auf Kosten einer anderen Gruppe zu bevorzugen.

... dass

in Entwicklungsländern viele Bauern Taglöhner sind ? Dies erschwert es ihnen, Geld für hohe Ausgaben auf die Seite zu legen. Viele sind bereit, eine Lohnreduktion von bis zu 15 % in Kauf zu nehmen und dafür monatlich bezahlt zu werden.

... dass

ein Viertel der Zunahme der Vermögenskonzentration der vermögendsten 0,1 Prozent der Schweizer Steuerzahler:innen auf Senkungen der Vermögenssteuersätze in den letzten 50 Jahren zurückzuführen ist?

Does A Progressive Wealth Tax Reduce Top Wealth Inequality?

Evidence From Switzerland CEPR Discussion Paper No. 17989

Carlos Alós-Ferrer, Jaume García-Segarra, Miguel Ginés-Vilar Ethical allocation of scarce vaccine doses: The Priority­Equality protocol Frontiers in Public Health 10:986776 Jim Everett, Molly Crocket, Julien Senn, Michel Maréchal et al. Moral dilemmas and trust in leaders during a global health crisis Nature Human Behaviour, 2021 Lorenzo Casaburi, Rocco Macchiavello Demand and Supply of Infrequent Payments as a Commitment Device: Evidence from Kenya American Economic Review, 2019 Samira Marti, Florian Scheuer, Isabel Z. Martínez
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Bruno Parnisari ist stellvertretender Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen BSV und leitet das Geschäftsfeld Mathematik, Analysen und Statistik mit insgesamt 30 Mitarbeitenden. Der promovierte Ökonom hat langjährige Erfahrung in der Bundesverwaltung, unter anderem in Bereichen der öffentlichen Finanzen, der Analyse zwischen Arbeitsmarkt und Sozialpolitik und als Leiter des Ressorts Konjunktur im Staatssekretariat für Wirtschaft SECO.

Prof. Josef Zweimüller ist seit 1997 als Professor für Ökonomie am Institut für Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich tätig. Sein Forschungsinteresse liegt im Bereich der Arbeitsmarktökonomie, insbesondere den Zusammenhängen zwischen der Ausgestaltung von Sozialversicherungen und dem Arbeitsangebot.

Mit seinem Team hat er in den vergangenen Jahren für verschiedene Institutionen Forschungsprojekte durchgeführt, wie z.B. Migration und Sozialversicherungen; Evaluation aktiver arbeitsmarktlicher Massnahmen; Migration und Arbeitsmarkt; Evaluation von Reformen des Pensionssystems und der Invalidenversicherung.

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Forschung und Politik.

EINE WIN-WIN-BEZIEHUNG

Bern braucht Fakten. Für die Vorbereitung politischer Geschäfte arbeiten verschiedene Bundesbehörden dazu eng mit der Forschung zusammen. Aber: Nur ein kleiner Teil der Forschungsaufträge geht an die Universitäten. Warum das so ist, darüber unterhalten sich Bruno Parnisari vom Bundesamt für Sozialversicherungen und Ökonomieprofessor Josef Zweimüller.

.INSPIRED Herr Parnisari, welchen Stellenwert hat die Forschung für die Schweizer Politik ?

BRUNO PARNISARI Die Ergebnisse von Forschungsprojekten haben für die politische Entscheidungsfindung in unserem Land einen hohen Stellenwert. Ich mache täglich die Erfahrung, dass insbesondere die parlamentarischen Kommissionen sehr mit Zahlen und Analysen arbeiten, um Herausforderungen so zu verstehen, wie sie sind. Zur Beschaffung dieser Grundlagen vergeben mein Team und ich Forschungsaufträge an Fachhochschulen, Universitäten und private Anbieter.

.INSPIRED Und welchen Stellenwert hat diese Auftragsforschung für Sie als Ökonomieprofessor, Herr Zweimüller ?

JOSEF ZWEIMÜLLER Unsere vorrangige Aufgabe ist die akademische Forschung und wir werden daran gemessen, ob wir innovative und international sichtbare Forschungsergebnisse produzieren. Aber als Wissenschaftler möchte ich mich mit meiner Expertise auch einbringen und einen Beitrag zur öffentlichen Diskussion leisten. Forschungsaufträge bieten hier spannende Möglichkeiten und schlagen eine Brücke zwischen Wissenschaft und Politik.

PARNISARI Gerade die Auftragsforschung ist ja eine direkte Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik. Dieser Schnittpunkt ist aber auch eine Herausforderung, denn anders als Wissenschaft findet Politik auf einem Kontinuum zwischen wissenschaftlichen Fakten und deren politischer Auslegung statt: Politik interpretiert

Forschungsergebnisse, es wird diskutiert, es werden Kompromisse zwischen den verschiedenen politischen Deutungsarten geschlossen. Diesen Umgang mit ihren Forschungsergebnissen muss die Wissenschaft aushalten.

.INSPIRED Herr Zweimüller, Sie erwähnten, dass die Auftragsforschung spannende Möglichkeiten bietet. Welche genau ?

ZWEIMÜLLER Oft hört man, die Wissenschaft sitze im Elfenbeinturm und mache Wissenschaft der Wissenschaft willen. Wirtschaft, Politik und Gesellschaft wollen aber interessante, relevante Forschungsergebnisse sehen. Als Wissenschaftler stiessen wir in der Vergangenheit oft auf das Problem, dass wir keinen Zugang zu Daten hatten, um politikrelevante Forschung zu betreiben. Das hat sich in der jüngeren Vergangenheit stark geändert. Meine eigene Erfahrung ist, dass man durch Forschungsaufträge oft Hürden überwinden kann. Im Rahmen von Auftragsprojekten erhält man häufig Daten, die ansonsten nur schwer zugänglich sind. Üblicherweise können wir Daten, die wir für ein Auftragsforschungsprojekt erhalten, in der Folge auch für die eigene akademische Grundlagenforschung einsetzen. So sind wir in der Lage, eigene spannende Anschlussprojekte zu verfolgen, die am Ende die akademische Forschung voranbringen.

Ein Beispiel : Wir haben derzeit ein Forschungsprojekt « Immigration und Sozialversicherungen » vor, für das wir verlinkte Registerdaten der einzelnen Sozialwerke auswerten. Das ist eine wichtiges und politisch sehr brisantes Thema und wir hoffen, dass wir mit unseren Forschungsergebnisse mehr Licht in die Debatte bringen und zu einer sachlicheren Diskussion des Immigrationsthemas beitragen können.

Der Austausch mit den Experten des BSV hilft uns zudem, die Daten besser zu verstehen und Zugang zu bisher nicht verwendete Datenquellen zu bekommen. In einem Anschlussprojekt wollen wir nun die Umverteilung zwischen Arm und Reich, welche durch die einzelnen Sozialversicherungssysteme entstehen. Damit wollen wir die Wohlfahrtswirkungen der einzelnen Sozialwerke untersuchen. Mit solchen Projekten können wir die Forschungsfront vorantreiben und damit unserem Kerngeschäft – zur internationalen akademischen Diskussion beizutragen – besser nachkommen.

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PARNISARI …und das ist wiederum für uns interessant, denn wir erhalten Zugang zu neuen Be rechnungsmodellen. Dieses Know ­ how ist wert voll, weil wir gewisse Grundlagen intra muros erarbeiten. Bei dieser Arbeit müssen wir Gewissheit haben, dass unsere internen Berechnungsmodelle à jour und belastbar sind.

ZWEIMÜLLER Auftragsforschung eröffnet uns zudem Kontakte zu Fachpersonen in der Verwaltung und Politik. Dieser Austausch mit der Praxis ist für uns Wissenschaftler auch wichtig, weil es uns für anstehende gesellschaftspolitische Themen sensibilisiert und weil daraus neue, praxisrelevante Forschungsideen entstehen können. So können wir auch unsere Studierenden motivieren und dabei unterstützen, Themen aufgreifen, die vielleicht nicht heute, aber künftig für die Politik relevant werden können.

PARNISARI In diesem Zusammenhang müssen wir aber auch über die akademische Kommunikation sprechen. Viele sozialpolitische Themen sind von Natur aus komplex, und es ist in der Verantwortung der Wissenschaft – aber auch der Verwaltung –, sehr klar zu kommunizieren, zu kontextualisieren, damit die Aussagekraft der Zahlen hoch ist. Denn nur so erreicht die Forschung die Politik und wird überhaupt angehört. Gute wissenschaftliche Analysen, die nicht klar verständlich sind, finden nicht leicht Verwendung in der politischen Debatte.

.INSPIRED Herr Parnisari, das Forschungsteam des BSV hat letztes Jahr rund 30 Forschungsprojekte bearbeitet. Nach welchen Kriterien erfolgt die Vergabe für diese Projekte ?

PARNISARI Wir arbeiten bei der Vergabe unserer Forschungsaufträge mit verschiedenen Dienstleistern zusammen und berücksichtigen auch regelmässig neue Anbieter – das sind dann meist private Forschungsinstitute. An diese Gruppe geht mittlerweile rund die Hälfte der Forschungsaufträge. 40 Prozent gehen an Fachhochschulen und 10 Prozent an Universitäten.

ZWEIMÜLLER An den Universitäten steht die Grundlagenforschung im Vordergrund und ich denke, das ist auch aus guten Gründen so. Meiner Meinung sollte es auch kein Ziel per se sein, den Anteil der Universitäten an der Auftragsforschung möglichst gross zu halten. Wir werden daran gemessen, ob wir international sichtbar Forschung produzieren. Der Kontakt mit der Praxis und auch Auftragsforschung kann uns aber helfen, innovative Forschungsergebnisse zu generieren. Gerade in der angewandten empirischen Forschung gibt es aber hier viele Synergien, die meines Erachtens nicht ausgeschöpft sind.

PARNISARI Nun, ich muss sagen, wir machen sehr gute Erfahrungen mit Fachhochschulen und privaten Forschungsinstituten. Diese sind, im Gegensatz zu den Universitäten, generell näher mit der Praxis im Austausch. Die sehr konkreten Fragen, auf die die Politik mit Forschungsaufträgen Antworten finden will, entsprechen oft eher den Pflichtenheften dieser Institutionen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Universitäten oder der ETH werden hingegen eher für Expertenhearings in parlamentarischen Kommissionen beigezogen.

Meines Erachtens liegt es an den Universitäten, ob sie sich stärker für den Markt der Auftragsforschung interessieren wollen.

ZWEIMÜLLER Viele junge Forschenden lassen –aus naheliegenden Gründen – die Finger von Auftragsprojekten, weil sie Papers publizieren müssen. Und das ist auch gut so.

Auftragsforschungsberichte, die nur für die Auftraggeber bestimmt sind, und keinen darüber hinausgehenden Output generieren, sind in der Anfangsphase einer wissenschaftlichen Karriere ein Hemmschuh.

Ich sehe hier die etablierten Forscherinnen und Forscher an Universitäten – mich inbegriffen – in der Pflicht, Zeit und Ressourcen zu investieren, um das Potenzial von Auftragsprojekten besser zu nutzen. Man verlässt damit den Elfenbeinturm und verwendet seine Expertise, zur aktuellen wirtschafts ­ und sozialpolitischen Diskussion beizutragen. Wie erwähnt kann die Auftragsforschung den Universitäten wertvolle Kontakte, Know ­ how, Zugang zu Daten und neue Impulse bringen, die am Ende für die akademische Grundlagenforschung höchst wertvoll sein können – und wovon am Ende auch die Studierenden, vom Bachelor bis zum PhD, profitieren können.

PARNISARI Das sehe ich genauso. Sobald sich verschiedene Akteure begegnen und austauschen, ist es immer eine Erweiterung der eigenen Denkweise. Die Wissenschaft sieht, wie die Behörden funktionieren; wir sehen, wie die Wissenschaft denkt. Ich bin überzeugt, dass man nicht zu befürchten braucht, dass man an wissenschaftlicher Bedeutung verliert, wenn man mit politischen Themen arbeitet. Die Wissenschaft liefert bedeutende Beiträge für die angewandte Forschung, die dann wiederum für die Politik relevant ist.

Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Behörden ist eine klassische Win ­ winSituation. Ohne wissenschaftlichen Input kann die Politik, wie wir sie heute in der Schweiz praktizieren, nicht funktionieren.

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Sprungbrett Zurich GSE

Die meisten Absolvent:innen der Zurich Graduate School of Economics (Zurich GSE) gehen nach Abschluss ihres Studiums auf den Academic Job Market, wo sie sich mit internationalen Peers um die besten akademischen Positionen bewerben. Chiara Aina und Regina Seibel waren dabei so erfolgreich, dass sie zwischen Angeboten von mehreren herausragenden Economics Departments auswählen konnten.

Warum habt ihr euch für das Studium an der Zurich Graduate School of Economics entschieden ?

Für mich war klar, dass ich Verhaltensökonomie studieren will, und dafür ist Zürich die beste Adresse. Während den Visiting Days hat mich der Umgang zwischen den Doktorand:innen und den Professor:innen beeindruckt, ich sah mehr Kollaboration als Konkurrenz.

Herzliche Gratulation euch beiden! Wie war es, an Universitäten auf der ganzen Welt eingeladen zu werden ?

Es war eine aufregende Zeit, aber mit viel Druck verbunden. Im ersten Schritt absolviert man Interviews über Zoom. Mit etwas Glück wird man danach persönlich eingeladen, hält einen Vortrag und trifft die Professor:innen des Departments.

Es war eine faszinierende, aber auch unsichere Zeit. Alle paar Tage findet man sich an einer anderen Uni, in einer Stadt, in der man vielleicht noch nie war, und versucht, sich vorzustellen, ob man hier leben und arbeiten möchte. Gleichzeitig will man während den Interviews sein Bestes geben, weil es einfach eine unglaubliche Gelegenheit ist, bei der man die Aufmerksamkeit von wichtigen Institutionen hat.

Der Prozess ist auch eine Zäsur. Plötzlich wechselt man von der Rolle der Studentin in die Rolle der gefragten Expertin auf einem Gebiet.

Genau. Ich habe viel gelernt darüber, wie ich mit anderen Akademiker:innen über meine Arbeit spreche.

Das ging mir gleich. Zürich strahlte eine freundliche und kollegiale Atmosphäre aus. Das Programm ist anspruchsvoll, auf jeden Fall, aber es gibt auch Platz für Spass. Mir war es wichtig, dass ich in Zürich neben einer guten Ausbildung auch eine gute Zeit erleben kann.

Ihr beide habt Angebote als Assistenzprofessorinnen erhalten. Wie habt ihr euch für eine nächste Station entschieden ?

Ich hatte eine starke Präferenz für Barcelona, das Fly­out verlief sehr gut: Die Infrastruktur, der Austausch mit den Kolleg:innen, dass Barcelona auch eine starke Gruppe in Verhaltensökonomie hat. Zuerst gehe ich noch ein Jahr als Postdoc nach Harvard.

Mir ist es wichtig, viele andere Forschende aus meinem Fachgebiet um mich zu haben und eine Stadt zu finden, in der ich mir vorstellen kann, für längere Zeit zu leben und zu arbeiten. Als dann das Angebot von der Universität Toronto kam, warmein Entscheid klar: Dieses Department bietet die perfekte Mischung, aus akademischer Sicht und in Bezug auf die Lebensqualität.

Alles Gute !

REGINA SEIBEL CHIARA AINA REGINA SEIBEL CHIARA AINA CHIARA AINA REGINA SEIBEL CHIARA AINA REGINA SEIBEL REGINA SEIBEL CHIARA AINA
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Das Interview in voller Länge kann hier nachgelesen werden :

Aktuelle FORSCHUNG

Eine Auswahl von Erkenntnissen aus dem Department

Keine unerwünschten Nebenwirkungen von finanziellen Anreizen bei der Covid­19Impfung

Finanzielle Anreize würden die intrinsische und prosoziale Motivation verdrängen, die zivilgesellschaftliche Verantwortung aushebeln und die Einstellung fördern, dass man für alles, was der Gemeinschaft dient, persönlich entschädigt werden sollte, befürchten manche Forscher:innen und Politiker:innen.

Werden Menschen durch finanzielle Anreize dazu verführt, gegen die eigenen Werte zu handeln? Erodieren sie das Vertrauen in die Massnahme selbst und in öffentliche Institutionen? Um diese Fragen zu prüfen, untersuchte Florian Schneider gemeinsam mit einer internationalen Forschergruppe eine Reihe von potenziell negativen Konsequenzen anhand einer aktuellen und breit diskutierten Massnahme: finanzieller Anreize für die Covid­19­Impfung. Die Daten dazu fand er in Schweden. 2021 nahmen über 5 000 Personen an einer Studie teil, an der einem Teil der Gruppe umgerechnet ca. 20 Franken für die erste Covid­Impfung angeboten wurde. Diese Daten ergänzten die Forscher mit Datensätzen zu Demografie, Einkommen und Einstellungen.

Der finanzielle Anreiz erhöhte die Impfquote von 72 auf 76 Prozent. Florian Schneider und seine Co ­Autoren interessierten sich aber vor allem für den Einfluss des finanziellen Anreizes auf die folgenden Aspekte:

• Bereitschaft zur zweiten und dritten (Booster­)Impfung – ohne finanziellen Anreiz

• Bereitschaft, Blut zu spenden

• Annahmen über die Sicherheit und Effektivität der Impfung

• Vertrauen in Impfanbieter (Pharmafirmen, Gesundheitsbehörden, Forschende)

• Gefühl der Selbstbestimmung beim Entscheid zur Impfung

• Moralische Überzeugungen und zivilgesellschaftliche Verantwortung

Keine unerwünschten Nebenwirkungen

« Unsere Untersuchung gibt Entwarnung: Wir fanden in keinem der oben genannten Bereiche unerwünschte Nebenwirkungen durch einen moderaten finanziellen Anreiz für die Covid­19­Impfung  », fasst Florian Schneider die Erkenntnisse zusammen. Insbesondere fanden die Forschenden keine Auswirkungen auf die Einstellungen zur zivilgesellschaftlichen Verantwortung des Einzelnen, die moralischen Überzeugungen oder das Gefühl der Selbstbestimmung.

Schneider, F. H., Campos-Mercade, P., Meier, S., et al. Financial incentives for vaccination do not have negative unintended consequences. Nature, 2023
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Kluft zwischen tatsächlichen und wahrgenommenen Geschlechternormen

Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern basiert nicht nur auf geschlechtsspezifischen Normen, sondern auch, wenn nicht sogar noch mehr, auf den wahrgenommenen Geschlechternormen. Eine neue Umfrage in 60 Ländern zeigt, dass falsche Vorstellungen über die Unterstützung von Fördermassnahmen für Frauen weitverbreitet sind.

Die Unterstützung für positive Diskriminierung – zum Beispiel, dass Frauen bei der Besetzung von Führungspositionen der Vorzug gegeben werden sollte – wird in Ländern mit kleiner Geschlechtergleichheit unter­ und in Ländern mit grösserer Geschlechtergleichheit überschätzt, zeigt eine aktuelle Studie von David Yanagizawa­Drott.

«In den Ländern des globalen Südens mit der geringsten Geschlechtergleichheit, wie Indien, Brasilien und Tansania, wird die Unterstützung für positive Diskriminierung stark unterschätzt », fasst David Yanagizawa­Drott zusammen, « während in den Ländern des globalen Nordens mit der grössten Geschlechtergleichheit, wie den Vereinigten Staaten oder den Niederlanden, die Unterstützung oft überschätzt wird ».

In den meisten europäischen Gesellschaften ist die Gleichberechtigung relativ weit vorangeschritten, doch die Unterstützung für positive Diskriminierung wird in vielen Ländern überschätzt. In der Schweiz stimmen 49 % Massnahmen zur Förderung von Frauen zu, gehen aber davon aus, dass 59 % ihrer Mitmenschen solche Initiativen unterstützen. In den Niederlanden, wo die Gleichstellung sehr ausgeprägt ist, sind die Unterschiede sogar noch deutlicher. Während nur 32 % der Befragten affirmative Massnahmen unterstützen, gehen sie davon aus, dass 49 % der Bevölkerung dies tun.

Unterstützung durch Frauen wird überschätzt

Die Fehleinschätzungen sind darauf zurückzuführen, dass die Unterstützung durch Frauen überschätzt und die Unterstützung durch Männer unterschätzt wird. In der Schweiz unterstützen 48 % der Frauen positive Diskriminierung. Die Befragten gingen jedoch davon aus, dass 68 % der Frauen solche Massnahmen unterstützen; eine Überschätzung von 20 Prozentpunkten. Bei den Schweizer Männern hingegen unterscheiden sich die wahrgenommene und die tatsächliche Unterstützung kaum (49,8 % gegenüber 49,3 %).

Diese Fehleinschätzungen könnten gemäss den Autoren auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein: eine übermässige Medienberichterstattung über Minderheitenthemen, die Tatsache, dass « lautstarke Minderheiten » in der Öffentlichkeit sichtbarer sind, oder überholte Normen, die in Geschlechterstereotypen weiterhin präsent sind.

Die Wahrnehmungslücke schliessen Frühere Studien haben gezeigt, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen in Ländern mit geringerer Gleichberechtigung erhöht werden kann, indem die überholten Annahmen an die Realität angeglichen werden, erklärt Co ­Autor David Yanagizawa­Drott. Obwohl das Ausmass und die Ursachen für diese Fehleinschätzungen in den einzelnen Ländern und Kontexten sehr unterschiedlich sind, gibt es Interventionen, die die tatsächlichen und wahrgenommenen Normen angleichen und damit die Länder zu mehr Gleichberechtigung führen könnten.

Die Ergebnisse zeigen auch, wie falsche Wahrnehmungen von Geschlechternormen Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter behindern und dazu beitragen können, eine Geschlechterpolitik aufrechtzuerhalten, die von vielen Frauen nicht gewollt wird.

Bursztyn L., Cappelen A. W., Tungodden B., Voena B. & Yanagizawa-Drott, D. H. How Are Gender Norms Perceived?

NBER Working Paper 31049, 2023

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INTERVIEW

Föderalismus im Krisenmodus

Alt Bundesrat Ueli Maurer

Pandemie, Klimawandel, Krieg in der Ukraine und Energieknappheit – alt Bundesrat Ueli Maurer blickt auf eine krisenreiche Amtszeit zurück. Wie fit sind die hiesigen föderalistischen Strukturen für die Krisenbewältigung ? Ist die Kritik am Erfolgsmodell Schweiz, die vor allem während der Pandemie laut wurde, berechtigt ? Diese Fragen, welche auch im Zentrum des vergangenen UBS Center Wirtschaftspodiums standen, beleuchtet Ueli Maurer im Interview.

UBS CENTER: Wenn Sie nun auf Ihre Amtszeit als Bundesrat zurückblicken, was waren Themen, bei denen die föderalistische Struktur als besonders hilfreich erwies ?

UELI MAURER: Es beginnt schon bei der Entschlussfassung: Ein Entscheid muss so gefällt werden, dass ihn die Kantone auch akzeptieren bzw. umsetzen. Ohne Zustimmung der Kantone sind eidgenössische Themen nicht mehrheitsfähig. Die Einflussnahme der Kantone hat diesbezüglich zugenommen. Mit dem «  Haus der Kantone  » in Bern sind die Kantone mit ihren Fachkonferenzen präsenter als vorher. Die hehren Ziele des Föderalismus werden durch Finanzierungsfragen oft infrage gestellt. Der Bund gerät in Versuchung, durch mehr Geld mehr Kompetenzen zu erhalten, beispielsweise beim öffentlichen Verkehr, im Gesundheitswesen, bei der Bildung, im Tourismus, im Umweltschutz usw. Die Kantone geben oft leichtfertig nach, weil sie weder die Verantwortung tragen noch bezahlen müssen. Im Bereich Verkehr, Steuern, Umweltpolitik konnten wohl am ehesten vernünftige Kompromisse gefunden werden.

Wie gut funktionieren die 1848 gestalteten Institutionen in Krisenzeiten von heute ?

UELI MAURER: Der Föderalismus als Instrument kann auch in solchen Zeiten funktionieren. Es gibt zwei Korrekturschrauben: Die Kantone müssen sofort und umfassend einbezogen werden und die Trägheit des Systems – heisst lange Fristen – muss angepasst und verkürzt werden. Grundsätzlich ist das Wissen der Kantone wertvoll, weil sie Aspekte der Umsetzung besser kennen als der Bund.

Das Erfolgsmodell Schweiz mit seinen föderalistischen Strukturen hat durch die Corona-Krise einen Imageschaden erlitten. Verhinderte der Föderalismus eine rasche Bewältigung der Pandemie ?

UELI MAURER: Selbstkritisch: Der Bund hat die Kantone nicht genügend einbezogen und hat sich nicht genügend um Fristen betreffend Stellungnahmen gekümmert. Das Unvermögen der Verwaltung hat Nachteile des föderalen Systems aber bei Weitem übertroffen.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie wird der Schweizer Föderalismus 2050 aussehen ?

UELI MAURER: Also 2050 ist etwas weit weg. Der Föderalismus wird bestehen bleiben, es bleibt eine Daueraufgabe, Aufgaben klar zuzuweisen und dafür den Staatsebenen auch die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Der Bund muss den Kantonen mehr Vertrauen schenken und diese haben das durch eine effiziente und innovative Umsetzung zu rechtfertigen.

QR-Code scannen und Ueli Maurers Keynote vom 3. April 2023 anschauen. Alt Bundesrat Ueli Maurer am UBS Center Wirtschaftspodium Schweiz
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Academic SPIRIT

Auszeichnungen, Förderbeiträge und Veranstaltungen

Herzliche Gratulation

FLORIAN SCHEUER erhält für sein Projekt « Taxing Capital Gains » einen SNSF CONSOLIDATOR GRANT ÜBER CHF 1,22 MIO

DINA POMERANZ erhält für ihr Forschungsprojekt « Raising Money for the State: Strengthening Tax Capacity in Lower­Income Countries while Minimizing the Burden on the Poor » einen SNSF CONSOLIDATOR GRANT ÜBER CHF 1,75 MIO.

DAVID HÉMOUS erhält den BEST PAPER AWARD DES AMERICAN ECONOMIC JOURNAL (AEJ) MACROECONOMICS für sein Paper « The Rise of the Machines: Automation, Horizontal Innovation, and Income Inequality », zusammen mit Morten Olsen der Universität Kopenhagen.

ROBERTO WEBER gewinnt einen UZH MENTORING AWARD 2023. Der Preis würdigt sein Engagement für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Jedes Jahr sind Nachwuchsforscher:innen eingeladen, ihre Betreuerinnen und Betreuer zu nominieren.

SILVIA MAIER und MARCUS GRÜSCHOW gewinnen den UZH POSTDOC TEAM AWARD Der Award zeichnet interdisziplinäre Postdoc­Teams für herausragende und unabhängige wissenschaftliche Leistungen aus.

Neue Stiftungsprofessuren im Bereich Sustainable Economics und Gender Economics

Die wirksame Bekämpfung des Klimawandels erfordert grundlegende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Wie können wir einen nachhaltigen Umgang mit unseren Ressourcen erreichen und dabei die Wohlstandseinbussen minimieren? Welche Länder, Industrien und Unternehmen werden Gewinner und welche die Verlierer des Klimawandels sein ? Wie kann eine internationale Zusammenarbeit in der Umweltpolitik erreicht werden ? Mit der Schaffung einer PROFESSUR FÜR SUSTAINABLE ECONOMICS am Department of Economics, gestiftet durch die VONTOBEL-STIFTUNG , wird der Forschungsschwerpunkt « Achieving a Sustainable Economy » weiter gestärkt.

Der Forschungsschwerpunkt « Reducing Poverty and Inequality » wird dank der grosszügigen Unterstützung der BAREVA-STIFTUNG weiter gestärkt. Die PROFESSUR IM BEREICH GENDER ECONOMICS hat zum Ziel, sich mit Ursachen, Konsequenzen und möglichen Lösungen für Geschlechterungleichheit zu befassen und die Einflüsse des Geschlechts auf wissenschaftliche, wirtschaftliche, soziale und politische Faktoren zu verstehen. Erkenntnisse über den Einfluss von Geschlechterrollen und geschlechtsspezifischer Diskriminierung in ökonomischen Kontexten kommen u. a. in den Bereichen Arbeitsmarktökonomie, Public Economics, Verhaltensökonomie, Bildungsökonomie oder Makroökonomie zum Tragen.

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Das Department bedankt für die grosszügige Unterstützung der Lehr- und Forschungstätigkeit.

.inspired

Das Magazin des Department of Economics

Herausgeber

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I Nr. 18 I Juni 2023
Marlene Porsche Stiftung

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