FORSCHUNG
Offene Wunden Die Zeit heilt längst nicht alle Wunden. Das interdisziplinäre Flagship-Projekt «Skintegrity» sucht nach Therapien, um chronische Wunden wie etwa offene Beine zu therapieren. Von Susanne Haller-Brem Eine Verletzung ist schnell passiert. Wir stürzen und schürfen das Knie auf oder schneiden uns aus Unachtsamkeit mit dem Küchenmesser in den Finger und schon fliesst Blut. Normalerweise hört die Blutung innerhalb von Minuten auf. Einige Wochen später ist die Wunde ganz verheilt. Das Heilen von kleineren Verletzungen ist im gesunden Organismus ein selbstverständlicher, aber äusserst komplexer Prozess. Um den Blutverlust gering zu halten, setzt sofort nach der Verletzung die Blutgerinnung ein. Es bildet sich ein Wundpfropf aus Fibrin, der die Wunde vorläufig nach aussen hin abschirmt. In der nächsten Phase entfernen spezialisierte Immunzellen abgestorbenes Gewebe und eingedrungene Keime. Danach füllt sich die Wunde mit Granulationsgewebe und verkleinert sich. Zum Schluss folgt die Feinarbeit: Der Körper verbessert und vervollständigt das Gewebe. Je nach Art und Ausdehnung der Wunde kann das wenige Tage bis zu einigen Monaten dauern. Infektionen und Blutvergiftungen Doch nicht immer heilt die Zeit alle Wunden, wie ein Sprichwort sagt. In manchen Fällen schliessen sich offene Stellen selbst nach Wochen bis Monaten nicht. Von einer chronischen Wunde spricht man, wenn sie innerhalb von drei Monaten nicht abgeheilt ist. «Wunden, die in den ersten vier Wochen keine Heilungstendenz aufweisen, verlaufen in der Regel chronisch», sagt Jürg Hafner, Professor für Dermatologie und Venerologie an der UZH und Leitender Arzt an der Derma tologischen Klinik des Universitätsspitals Zürich. Der Mediziner, der sich täglich mit Haut krankheiten und Wundheilungsstörungen beschäftigt, ist mit seinem Team am neuen interdisziplinären Grossprojekt «Skintegrity» beteiligt. Dieses neuste Flagship-Projekt des Verbunds «Hochschulmedizin Zürich» soll die Hautforschung stärken und Zürich zu einem weltweit führenden Zentrum machen.
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UZH MAGAZIN 2/17
«Grosse akute und schlecht heilende chronische Wunden stellen immer ein ernsthaftes Problem dar», sagt Jürg Hafner. Denn je länger es dauert, bis eine Wunde zuwächst, desto eher kann es zu Infektionen kommen. Damit steigt auch das Risiko für eine lebensbedrohliche Blutvergiftung oder eine Amputation. Chronische Wunden gehen zudem mit einem grossen Leidensdruck einher, denn sie verursachen meist starke Beschwerden, etwa Schmerzen und Schlafstörungen, und be-
Bei einer Verletzung wandern Stammzellen in die Wunde ein und helfen bei der Regeneration der Haut. hindern die Patienten im täglichen Leben. Besonders dann, wenn die Wunden ein übelriechendes Sekret absondern, wagen sich die Betroffenen oft nicht mehr in die Öffentlichkeit. Schlecht heilende Wunden kommen am häufigsten an Unterschenkeln und Füssen vor. Rund ein Prozent der Bevölkerung leidet im Lauf des Lebens an «offenen Beinen», medizinisch Ulcus cruris genannt. Bei den über 80-jährigen Männern und Frauen sind etwa vier Prozent davon betroffen. «Zu den häufigsten Ursachen von offenen Beinen zählen Venenthrombosen, Krampfadern, arteriosklerotische Schädigungen der Beinarterien und Diabetes», erklärt Hafner. Chronische Wunden sind auch bei bettlägerigen oder rollstuhlabhängigen Menschen eine gefürchtete Komplikation. Das Wundliegen oder Wundsitzen, in der Fachsprache Dekubitus genannt, lässt sich mit der richtigen Lagerung und speziellen Unterlagen eindämmen oder sogar verhindern.
Der Anatom Lukas Sommer untersucht, welche Rolle Neuralleisten- Stamm
«Will man das Problem der chronischen Wunden angehen, muss man als Allererstes die Ursache abklären und therapieren», sagt der Kliniker. Be-
ruht die chronische Wunde zum Beispiel auf einem zu hohen Druck in den Beinvenen, helfen Kompressionsverbände oder -strümpfe. Sind die Beinarterien verschlossen, müssen sie wenn möglich mit einem Katheter geöffnet werden. Bei Diabetikern hingegen sind das Tragen geeigneter Schuhe sowie eine gute Hautpflege und -kontrolle wichtig. Da bei dieser Erkrankung die peripheren Nerven geschädigt werden, spüren die Betroffenen nicht mehr, «wo der Schuh drückt», bis sie eine chronische Wunde an den Sohlen oder
Website: www.hochschulmedizin.uzh.ch
Bild: Ursula Meisser
Wenn der Schuh nicht mehr drückt