DOSSIER Intelligenz – was uns schlau macht
Hätscheln und Austricksen Dass der Mensch intelligenter geriet als andere Lebewesen, ist ein Zufall der Evolutionsgeschichte. Wir konnten unser grosses Gehirn nur entwickeln, weil wir die Jungen gemeinsam grossziehen. Von Michael T. Ganz
erhob, ist noch heute Gegenstand von Spekulationen. Mochten sich die schweren Primaten nicht mehr durch die Urwaldbäume hangeln? Oder bot der aufrecht getragene Körper der sengenden Sonne weniger Angriffsfläche? Egal, denn mit «Was unterscheidet d Mönsche vom Schimpans? erwiesen. Doch nicht alle Lebewesen können sich dem Geheimnis der menschlichen Intelligenz hat S isch nid di glatti Huut, dr fählend Schwanz», ein grosses Hirn leisten. Vögel, die aus einem dies alles nicht viel zu tun. «Die Menschwerdung sang der Berner Troubadour Mani Matter einst in engen Ei schlüpfen, brauchen möglichst kompak- im kognitiven Sinn kam später», sagt Isler. «Dazu seinem Lied «Hemmige». Und änderte, nachdem te Organe. Reptilien mit wechselwarmem Kör- brauchte es mehr als aufrechtes Gehen.» Es brauchte vor allem ein grösseres Hirn. Wesihn jemand darauf aufmerksam gemacht hatte, perhaushalt müssen ihr Hirn mangels Energie dass Schimpansen keine Schwänze haben, den zeitweise deaktivieren, «und das klappt nur, halb gerade das menschliche Hirn wuchs, erkläText in «… s isch nid di glatti Huut, d Intelligänz». wenn es klein ist», sagt Isler. «Ein grosses Hirn ren sich Forscher mit sozialen und physischen In der Tat beginnt die Suche nach dem Ursprung lässt sich nicht abschalten, sonst geht es kaputt.» Anforderungen, denen der Mensch zu genügen unserer Klugheit nicht bei Unterschieden, sonHistorisch betrachtet, sagt Burkart, spiele der hatte. Das Leben in sozialen Gruppen verlangte, dern bei Gemeinsamkeiten. Zufall wohl die grösste Rolle. Intelligenz war eine dass der Einzelne sowohl die Vorteile, die ihm Genau wie der Schimpanse sei auch der von mehreren Überlebensstrategien, die sich in die Gruppe bot, für seine Zwecke nutzte, als auch Mensch ein Primat und damit generell schon der Entwicklungsgeschichte als erfolgreich er- für das Weiterleben der Gruppe besorgt war. Im grosshirniger und schlauer als andere Lebewe- wiesen. Und hat sich eine solche Strategie erst mal Klartext: Hätscheln und Austricksen zugleich. sen, sagt Karin Isler, Privatdozentin am Anthro- etabliert, gibt es kein Zurück mehr; die Richtung Man spricht hier denn auch von der Machiavellipologischen Institut der Universität schen Intelligenzhypothese. Zürich. «Sind die Zeiten schlecht und Anderseits musste der frühe das Futter rar, wandern Primaten WAS UNS SCHLAU MACHT Mensch, wollte er sich nicht saisonalen nicht Tausende von Kilometern, sonHungerperioden aussetzen, die phyIm Gegensatz zum Menschen kennen Menschenaffen dern setzen ihr Hirn ein, beginnen sische Umwelt nutzen. Er musste Inskein aktives Lehren und Lernen. Eine Schimpansennach Wurzeln zu graben oder brechen trumente erfinden, um Nüsse zu knamutter kommt nicht auf die Idee, ihrem Kind zu zeigen, harte Früchte auf. Das ist gewissercken, Insekten zu fangen oder Bienenwie es eine Frucht öffnen soll. massen der Unterbau der menschlistöcke zu plündern. Er musste lernen, chen Intelligenz.» gezielt Früchte und Beeren zu ernten, Wo liegt er denn, der Unterschied? musste die Landkarte im Kopf haben Nicht nur in den kognitiven Fähigkeiten an sich, lässt sich nicht ändern. So schön es für uns Men- und sich merken, wann welcher Baum, welcher sagt Karin Islers Kollegin Judith Burkart, Senior schen wäre, fliegen zu können – wir werden es Strauch reif wurde. Dafür benötigte er einen entLecturer am gleichen Institut, sondern in der Art nicht schaffen, selbst wenn wir uns Vogelfedern sprechend grossen Speicher. und Weise, diese Fähigkeiten einzusetzen. «Auch implantieren. «Das ist Evolution», sagt Burkart. Mäuse haben kein Chance ein Schimpanse regt sich auf, wenn er ungerecht «Man muss auf jenem Kurs weitersteuern, den behandelt wird, und wirft sein Stück Banane die Natur einem vorgibt. Und welcher Kurs sich Doch warum entwickelte ausgerechnet der weg, wenn ein anderer zwei bekommen hat. Wir evolutionsgeschichtlich durchsetzt, hat zwar Mensch solche Fähigkeiten weiter? Warum wuchs Menschen können aber mehr: Wir regen uns auch immer auch mit Habitaten und Lebensumstän- nicht auch anderen Tieren ein voluminöserer auf, wenn Dritte ungerecht behandelt werden. den zu tun, die vorgegebene Grundrichtung ent- Denkapparat, der diese Entwicklung zugelassen Das tut der Schimpanse nicht.» hätte? «Weil man ein grosses Hirn nicht umsonst springt aber letztlich dem Zufall.» Früher wurde der aufrechte Gang als Meilen- bekommt», lacht Judith Burkart. Die Rechnung Grosshirnige sind schlauer stein der Menschwerdung, als Merkmal der ist einfach: Ein grosses Hirn braucht länger zum Woher Intelligenz kommt, ist kausal nicht zu er- Überlegenheit über die Restkreatur gewertet. Wachsen als ein kleines. Oder andersherum beklären. Fest steht nur, dass Intelligenz mit Hirn- «Die Zweibeinigkeit kam aber lange vor dem trachtet: Lebewesen mit grossem Hirn benötigen masse korreliert. Je grösser das Organ, desto grossen Hirn», sagt Karin Isler. Weshalb sich der mehr Zeit zum Erwachsenwerden als solche mit klüger dessen Besitzer – soviel ist physiologisch Urmensch irgendwann auf seine Hinterfüsse kleinem. Kleine Tiere sind da klar im Nachteil.
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magazin 1/14
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