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12 Vorbilder und Helden

Auf den Punkt gebracht

• V orbilder Nummer eins

sind bei 80 Prozent der Jugendlichen noch immer die Eltern.

•W ir brauchen Vorbilder,

um von ihnen zu lernen und uns zu orientieren, aber das glückt nur bei emotionaler Bindung.

• H elden und Idole sind

wichtig für die Entwicklung, sind aber im realen Leben keine Orientierungshilfe.

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reich sind pragmatisch und realistisch in ihrer Einschätzung. In den südlichen Ländern Europas hingegen sind sie etwas verträumter. Allerdings: Die nationalen Unterschiede werden geringer. Das Realvorbild gewinnt, das Idol verliert an Bedeutung – europaweit. Und in den USA? Schließlich gehört das Konzept des „role model“ zum offiziellen Inventar des amerikanischen Erziehungsideals: „Real- und Idealvorbild scheinen in den USA tatsächlich etwas stärker zu verschmelzen als in Europa. Das mag auch mit der amerikanischen Ideologie vom Tellerwäscher zu tun haben, der sich zum Millionär hocharbeitet“, sagt Hurrelmann. „Doch auch in Amerika gilt: Mit einem überdimensionierten Idealvorbild kommt man nicht durchs Leben. Auch für die Verwirklichung des amerikanischen Traums bedarf es realer Personen, die einem sagen, wie es weitergeht.“

Überall Gesichter Das Phänomen „Vorbild“ ist auch für die Kulturwissenschaft ein überaus ergiebiges Thema. Der österreichische Philosoph Thomas Macho hat in einer 2011 erschienenen Studie die Verbindung von Vorbildern und Gesichtern untersucht. Letztere, schreibt er, seien allgegenwärtig: Im Fernsehen, in Magazinen, auf Plakaten – überall blicken uns Gesichter entgegen. „Wir leben in einer facialen Gesellschaft“, lautet sein Fazit. Diese Entwicklung wird wohl durch die Online-Medien verstärkt. Dort können auch wir, die Normalsterblichen und Nichtprominenten, ein klein wenig von jener Aufmerksamkeit erhaschen, nach der alle zu streben scheinen. Fast könnte man meinen, Facebook sei erfunden worden, um einen Satz von Andy Warhol nun auch im Internet zu bestätigen. Er hatte 1968 vorausgesagt: „In the future, everyone will be world-­famous for 15 minutes.“ Dass Gesichter einen besonderen Magnetismus ausüben und somit das Bild sich fast automatisch als medialer Multiplikator in den Dienst des Vor-Bilds stellt, mag auch an unserer Wahrnehmung liegen. Wie Neu­ ro­­­ biologen berichten, gibt es im Gehirn spezialisierte Nervenzellen, die nur dann aktiv werden, wenn im Blickfeld das Gesicht eines Menschen erscheint. Der Mensch ist ein soziales Wesen, und das Gesicht sei, so sagt der Volksmund wohl nicht zu Unrecht, das Spiegelbild der Seele. Darauf sind wir in unserer Wahrnehmung programmiert: Gesichter erscheinen selbst dort, wo gar keine sind. Wer hat nicht schon mal in Baumrinden, auf Autokarosserien und Häuserfassaden gesichterhafte Züge entdeckt? Anthropologen der Universität Wien wiesen vor zwei Jahren nach, dass nicht nur wir Europäer die Frontalpartie von Autos ver­ menschlichen. Auch in anderen Kulturkreisen, dort, wo Autos und Filme wie „Cars“ kaum eine Rolle spielen, werden die Scheinwerfer zu Augen, die Rückspiegel zu Ohren und der Kühlergrill zur Nase. Das Gesicht scheint uns zu verfolgen. Auch die Politik bleibt von unserer Gesichterfixierung nicht unbeeinflusst. Hier hat sich mittlerweile eine „optical correctness“ durchgesetzt: Politiker müssen, wie Thomas Macho schreibt, gut aussehen, im


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