Aufbruch in die Moderne? Paul Schad-Rossa und die Kunst in Graz

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90 — 91 Antje Senarclens de Grancy

18 Alfred Keller, Portierswohnhaus in der kaiserlichen Burg, 1911, Stmk. Landesarchiv, Graz

19 Alfred Keller, Portal des Geschäftshauses Josseck & Oblack, Murgasse, 1911, aus: Bau-, Wohn- und Kunstberatung

20 Adolf von Inffeld, BachmannKolonie am Leonhardbach, GrazWaltendorf, 1910–1914, Schaubild aus der Vogelschau, aus: Der Architekt

21 Andreas Gisshammer, Entwurf für das Ein­küchenhaus Theresienhof, Auersperggasse, 1913, GrazMuseum 37 Verein für Heimatschutz in Steiermark, erste Flugschrift, Graz 1911, o. S.

vertrauter junger Freund unter älteren“37 ausmachte, wurde als „heimisch“ und der konkreten baulichen Umgebung entsprungen präsentiert. (Abb. 18) Und das, obwohl es stilistisch den zeitgenössischen deutschen Vertretern der Reform- und Heimatschutzarchitektur wesentlich näher steht als der tatsächlichen Grazer Architekturtradition, in der sich jahrhundertelang durch hier tätige lombardische Baumeister ein romanischer, oberitalienischer Einfluss manifestiert hatte. Seine Form spiegelt eine Traditionslinie wider, die auf Goethes Gartenhaus in Weimar aus dem 18. Jahrhundert zurückgeführt wurde, das ab der Jahrhundertwende als Inbegriff des deutschen Hauses und als ein Archetyp der Traditionalisten galt. Zumindest in der Vereinfachung der Fassade und dem Verzicht auf Ornamente war das Grazer Wohnhaus aber für seine Entstehungszeit sehr fortschrittlich. Beispielhaft umgesetzt wurde hier die Forderung des Heimatschutzes nach handwerklichen, heimischen Bauweisen, ortsüblichen Materialien, hohen, ziegelgedeckten Dächern und traditionellen Fensterproportionen und -formen. Jedoch verstand sich der Heimatschutz auch in Graz ausdrücklich als Reformbewegung: Mit der modernen Richtung gemeinsam hatte er die Kritik an der willkürlichen Wiederholung und Kombination von historischen Stilen, der Vortäuschung von wertvolleren Materialien und der Unterordnung des Inneren unter die repräsentative Fassade. Wie vereinbar die moderne Haltung der Secessionisten und die traditionsbewusste des Heimatschutzes waren, zeigt sich am Beispiel von Alfred Kellers fast gleichzeitig entworfener Portalgestaltung für das Geschäftshaus Josseck & Oblack in der Murgasse (1911, Abb. 19) wo er, nahegelegt durch die moderne, großstädtische Bauaufgabe, Eisenbeton und Eisenständer einsetzt, um das Lokal größtmöglich im Inneren und nach außen hin zu öffnen. Zur Konstruktion einer mit „deutschen“ Inhalten verbundenen „bodenständigen“ Bauweise wurden in Graz – nach den für nationalistische Kontexte üblichen Prozessen der Inklusion und Exklusion – (süd-)deutsche Architekturmotive wie der polygonale Erker oder das hohe Dach herangezogen, während die real vorhandenen romanischitalienischen Einflüsse nahezu völlig ausgeblendet wurden. Beispiele für eine so entwickelte und durch Publikationen und Ausstellungen propagierte „heimische“ Bauweise finden sich in Graz vor allem bei Wohnbauten. Dazu gehören Adolf von Inffelds bereits erwähnte Bachmann-Kolonie (Wegenergasse/Sonnenstraße, Abb. 20) mit ihren kleinteiligen Fassadengestaltungen und kleinstädtischen Proportionen, aber auch die Entwürfe von Andreas Gisshammer für das Einküchenhaus Theresienhof (1914/15, Abb. 21) in der Auersperggasse und die Beamtenwohnhäuser des WohnungsfürsorgeVereins für Steiermark in der fragmentarisch gebliebenen Gartenstadt St. Peter (1913–1915). Sozialdemokratisch und traditionsbewusst

Auftraggeber für den Großteil des Bauvolumens in Graz um 1900 war eine bürgerliche, vorwiegend deutschnational eingestellte Schicht. Die Arbeiterbewegung sollte im Hinblick auf die Architektur erst nach Ende des Ersten Weltkrieges eine Rolle spielen. Eine Ausnahme bildet das ursprünglich mit einer aufwendig gestalteten Fassade ausgestattete „Parteihaus der Steirischen Arbeiterschaft“ (1909/10, Abb. 22 und 23), das als Wohn-, Kanzlei- und Betriebsgebäude des Verlags der sozialdemokratischen Tageszeitung Arbeiterwille und als Druckereigebäude der Buchdruckerei „Vorwärts“ diente. An seinem Beispiel soll abschließend gezeigt werden, wie ambivalent und vielschichtig die Bedeutungszuschreibungen von architektonischen Formen waren und wie verwoben progressive und konservative Haltungen waren. Der Bau in der Hans-Resel-Gasse ist heute zwar noch in seinen Umrissen erhalten, aber ähnlich wie der Janushof an der Fassade nach einer „Bereinigung“ und Aufstockung in den 1960er-Jahren so stark verändert worden, dass man nichts mehr von


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