ULT #1, Spectral

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ANNIE LAPIN THOMAS MÜLLENBACH DANIEL KARRER 1505 – LIMITED ORIGINAL EDITION BY EDIN ZENUN PAUL LIPP INTERVIEW


p Cover: Annie Lapin The Landly Hut Flow, 2011, テ僕 auf Leinwand, 129.5 x 111.8 cm courtesy HONOR FR ASER Gallery, L.A.

Cover | 2


«Offenherzige Maler, wackere Freunde ohne Furcht und Tadel, von der Höhe der Folterstaffeleien betrachten Euch 40 Millionen sich ihrer Schönheit brüstende Jahrhunderte, geliebte Malerei, Tochter der wirklichen Himmel und imaginären Welten, du wirst nie sterben, kleine Tafelmalerei. Solange die Sonne scheint, wird die Malerei leben.» James Ensor

0 4 – 07

Per Enoksson

0 8 –13

Thomas Müllenbach

14 –17

Robert Zandvliet

18 –21

Annie Lapin

22 –25

Christian Bauer

26 –29

Edin Zenun

3 0 – 33

Daniel Karrer

3 4 – 37

Marion Elias

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Nazim Ünal Yilmaz

42 – 4 3

Astrid R ausch

4 4 – 49

Paul Lipp

5 0 – 51

Impressum / Credits

Painting – Malerei – Peinture

K i t s ch , M a g i e u n d M a r x 15 05 , Li m i t e d O r i g i n a l E d i t i o n

A l l e s Fl i e s s t

In t e r v i e w

editorial, inhalt | 3


1965

geboren in Lapland, Municipality of T채rnaby, Schweden, lebt in Ume책, Schweden

Per enok sson | 4


Vテ・ren i Neanderthal (Spring in Neanderthal), 2011, テ僕 auf Leinwand, 194 x 140 cm p

Per enok sson | 5


pp

Mina barn och andras ungar, 2011, テ僕 auf leinwand, 125 x 167 cm p pp Wall Chart A2, 2008, Mischtechnik auf Karton, 161 x 151 cm

Per enok sson | 6


Turistas, 2008, テ僕 auf Leinwand, 155 x 220 cm p

Per enok sson | 7


1949

geboren in Bonn, Deutschland, wohnt in Zürich, Schweiz

«Die Grammatik steuert der Malerei ihre Konkordanzen bei, die Rhetorik ihre Überredung, die Poesie ihre Erfindungskünste, die Redekunst ihre Energien, die Arithmetik ihre Zahlen, die Musik ihre Konsonanzen, die Symmetrie ihre Masse, die Architektur ihre Massverhältnisse, die Skulptur ihre Formen, die Perspektive und die Optik ihre Vergrösserungen und Verkleinerungen und schliesslich die Astronomie und Astrologie ihre Zeichen für die Erkenntnis der Himmelsbilder; wer zweifelt also, dass sie als zusammenfassende Zahl aller Künste die Hauptkunst ist, welche alle einschliesst?» Calderón

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Painting – Malerei – Peinture Wie oft ist sie schon totgesagt worden – die Malerei. Wie oft hat man sie mehr oder weniger freudig zu Grabe getragen, wobei ihre Totengräber sich manchmal nicht scheuten, später – nämlich als die Malerei nach wie vor selbstbewusst ihre Pinsel weiterschwang – von der «Malerei nach dem Ende der Malerei»1 zu polemisieren. Die Apologeten des Kunstfortschrittes verkündeten stolz eine neue Kunst, eine neue Kunstauffassung, wobei sie mit «neu» lediglich andere Medien meinten. Schon nach der Erfindung der Fotografie ca. 1834 wurde der Malerei keine Zukunft mehr zugestanden, weil der Darstellung des Sichtbaren jetzt ein objektives und wahrheitsgetreues Medium zur Verfügung stehe. Man bedenke, was seit 1840 so alles gemalt wurde und was diesen Propheten zufolge nicht hätte gemalt zu werden brauchen, ganz abgesehen davon, dass die Fotografie anfänglich die Malerei imitierte. Die Überzeugung, ein neues Medium verdränge das bisherige, halte ich für eine historisch unbegründbare Ideologie; sonst hätte zum Beispiel das laufende Bild (der Film) das Theater ersetzt. Kulturpolitisch hiesse das: Streichung staatlicher Subventionen für das Theater, anschliessend hätte das TV das Kino ersetzt, das Video das TV usw. Tatsächlich haben neue Medien die existierenden jeweils ergänzt und sie zum Teil auch durch hinzukommende Aspekte sowohl in der Produktion wie in der Rezeption verändert. Aus dieser Sicht ist das herabsetzend gemeinte Unwort «konventionelle Kunst» blanker Unsinn, denn wirkliche Kunst verletzt oder ritzt zumindest immer irgendeine Konvention des Sehens, Hörens, Denkens – vollkommen unabhängig vom verwendeten Medium. Ausserdem: Welches Medium wäre denn derzeit statt «konventionell» radikal, total neu? Auch Installation, Video und Computer sind sattsam bekannt, von Fotografie gar nicht zu reden. Es geht nämlich immer noch ganz im Sinne Kandindkys um «das Geistige in der Kunst» 2 und weniger um Linse, Pinsel oder Pixel. Dennoch gibt es natürlich medienspezifische Aspekte – also etwas, das nur ein Medium leisten kann, was die anderen eben nicht können.

1 Johannes Meinradt, Ende der Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei,

Hatje Cantz Verlag, 1997

2 Wassily Kandinsky, Über das geistige in der Kunst, R. Piper+Co, München, 1912

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Dabei gilt für die Malerei: ▶

Sie ist (nebst der Zeichnung) ein anarchisches, einsames Medium, denn sie benötigt keine Fremdtechnologie, keine Fremdfinanzierung, kein Team.

Sie kann nahezu überall unter nahezu allen Voraussetzungen ausgeübt werden. Beim Fehlen von Farbe und Pinsel kann zum Beispiel auch Erdschlamm oder Blut mit den Händen verstrichen werden.

Sie kann Sichtbares verarbeiten, ist aber keineswegs darauf angewiesen, sondern kann ebenso konstruieren oder Fantastisches fabulieren oder Farbe bis zur Monochromie vertiefen.

Ich behaupte, dass die Malerei wegen dieses beachtlichen anarchistischen Freiheitspotenzials nicht aussterben wird, auch wenn ihre Geschichte sehr weit zurückreicht. Dazu sei der grosse freiheitsdürstende Maler und Pamphletist James Ensor zitiert: «Ich höre feindliche Schreie, die der Dame Malerei gelten. Arme Malerei, schlecht beurteilt von prosaischen Brummbären, undurchschaubaren Bonzen, die sich gerne in Bronze verewigt sähen, von zweifelhaften Mathematikern, von nicht zu sättigenden Geometern, von superkomischen Konditorkäuzen, Verfechtern der Cracosphère...»3 Als das Tafelbild in den 1990er-Jahren wieder einmal totgesagt wurde, feierten grossformatige Fotografien, verglast und gerahmt an der Wand, Triumphe: also Tafel-Fotos. Worin künstlerisch/konzeptuell und in der Rezeption der prinzipielle Unterschied zum grossen Tafelbild bestehen sollte, ging in dem Hype samt grossartigem, aber oft unpräzisem Diskurs weitgehend vergessen. «Meine Bilder sind klüger als ich». Der bekannte Ausspruch von Gerhard Richter legt nahe, dass nicht alles verbalisiert werden kann, was auf Bildern geschieht oder zu sehen ist. Natürlich gilt dies auch für andere künstlerische Medien speziell für die abstrakteste der Künste, die absolute Musik. Aber Bilder sind statisch und benötigen mehr oder weniger lange Zeit – sowohl für ihre Produktion wie Betrachtung, wobei sie Tiefe offenbaren und / oder mit ihrer Oberfläche verführen und ihre multiplen Bedeutungsebenen erst allmählich offenbaren können. Die relative Langsamkeit selbst bei raschem Duktus ist dem Medium Malerei eigen. Sigmar Polke bremste mit seinen handgemalten Rasterpunkten bewusst die Schnelligkeit (vielleicht Schnelllebigkeit) aus. Der für effiziente Druckverfahren entwickelte Raster wird in Umkehrung seiner Funktion handgemalt – ein absurdes Unterfangen.

3 James Ensor, Manuskript ML 3844/12, Nov. 1935, Archives et Musée de la Littérature (ML), Bruxelles

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Absurdität und (Selbst-) Ironie gehören spätestens seit Philip Gustons figurativen Bildern und der Popart sowieso zum Arsenal vieler MalerInnen, die sich manchmal selbstironisch als Retro- oder Malschweine bezeichnen. Guston wurde noch 1970 wegen seiner neuerlich figurativen, frechen Bilder vom damaligen Chef Kritiker der New York Times Verrat an der Moderne vorgeworfen: «Vom Mandarin zum Tölpel» hiess der Titel des ganzseitigen Verrisses. 4 Die Zeiten, in denen KünsterInnen fest einer Community, einer bestimmten Kunstrichtung anzugehören hatten, um mitspielen und –reden zu können, sind seit der Postmoderne vorbei, insofern ist auch die Postmoderne noch lange nicht vorbei. Es gibt eine konzeptionelle Malerei also eine Malerei, die weniger vom Medium als von einer übergeordneten Idee ausgeht, auch wenn dies von den meisten Conceptart-Vertretern eher bestritten als gewürdigt wird. In diesem Zusammenhang sei die Bemerkung erlaubt, dass es eigentlich keine Kunst ohne Konzept (und ohne Medium) gibt.

Aktuelle Haltungen, Themen, Sujets in der Malerei Heutige Malerei foutiert sich weitgehend um Verbote, Gebote und Kunst- Theoreme: Sie übernimmt sowohl längst vergangene, unaktuelle Themen wie Alchemie (S. Polke) als auch historische Themen (Luc Tuymans zu belgischem Kolonialismus); sie bezieht sich auf kunsthistorische Malereipositionen von Tizian Velazques, Goya, van Gogh, Manet, Cézanne, etc. und betreibt sog. Radical painting in gestischer oder ruhiger Variante (Mosset, Schiess, Umberg etc.). Sie spielt mehr oder weniger virtuos auf der Klaviatur von Renaissance, Barock, Klassizismus, Konstruktivismus, Popart bis zum Mittelalter (noch mal Polke Glasmalerei im Grossmünster, Zürich). Sie lässt den lange verpöhnten sozialistischen Realismus nicht aus (Neo Rauch, etliche chinesische Künstler und andere). Kurz: Sie zitiert, variiert, kommentiert malerisch betont und individuell oder unpersönlich geglättet bis monochrom. Es stellt sich dabei natürlich die Gretchenfrage, ob einer solchen theoriefernen, lustvollen oder leidenden Tätigkeit irgendeine Relevanz im Sinne eines «Kunst- Fortschrittes» zugebilligt werden kann. Ein «Kunst-Fortschritt» ist jedoch lexikalisch im Gegensatz zu evolutionärem, evolutionär-sozialem, wissenschaftlich-technischen und sozialen Fortschritt nicht zu finden. Das heisst: Es gibt ihn nicht. Es gibt in der Kunstgeschichte Bewegungen

4 Hilton Kramer, NEW YOTK TIMES, 25. Okt. 1970

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und Gegenbewegungen, es gibt historische Perioden mit grossartigen Kunstbeiträgen und solche mit schwachen, es gibt Aufschwünge und Niedergang aber ein eigentlich kontinuierlich linearer Fortschritt in der Kunst ist inexistent; Höhlenmalereien lassen sich nicht aufrechnen gegen Ingres oder das schwarze Quadrat von Malewitsch. In dem Zusammenhang sei das Gedicht von Robert Gernhardt zitiert:

Malewitsch malte ein schwarzes Quadrat, das war kein Bild, das war eine Tat: Hoch Malewitsch. Malewitsch hielt sich seither für genial, doch war er das nur dieses einzige Mal, der Malewitsch. Malewitsch war ein armes Schwein, er fiel in die eigene Falle hinein, tja Malewitsch. Malewitsch malte die Kunst ins Aus, doch zog er selber keinen Schluss daraus, o Malewitsch. Malewitsch führt vor, was dann entsteht, wenn einer, der ankommt, noch weitergeht. Ach Malewitsch.

Obwohl ich den Gernhardt gern hab, muss der Aussage dieses boshaft witzigen Gedichtes widersprochen werden, denn erstens malte Malewitsch nach seinem Suprematismus durchaus nicht unbedeutend weiter, und zweitens erlauben auch wir uns, nach dem schwarzen Quadrat weiterzumalen: Wir nehmen es zur Kenntnis und springen darüber und daran vorbei, es durchaus im Gedächtnis ehrend und hin und wider zitierend.

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Wir erlauben uns freiheitliche Sprünge und Brüche auch im eigenen Werk analog zu Picassos Spätwerk, zu Gustons und Ensors Freiheitskunst. Was jedoch für alle KünstlerInnen und damit auch den MalerInnen als Anforderung gilt, ist Erfindungsgeist auch im Zitieren, Kommentieren, Fabulieren, Banalisieren und Variieren, im Streichen, Pinseln, Schichten und Klecksen. Es bleibt die Forderung nach einem geistigen Inhalt, nach einer wie auch immer gearteten Individualität dahinter oder im Werk. Die atemlose Folge der sich widerstreitenden und gegenseitig relativierenden Kunstschulen und Ismen der klassischen Moderne sind in der Postmoderne den kleineren individuellen Verschiebungen und Nuancen gewichen. Statt dies zu beklagen, könnte ja auch begrüsst werden, dass die einzelnen künstlerischen Äusserungen wichtiger werden als die Zugehörigkeit zu einer Bewegung oder «Schule». Hier setzt meine Aufforderung an KunstTheoretiker und -Historikerinnen an: Statt die «Malerei-Lastigkeit» des Kunstmarktes zu beklagen bzw. über den kunsthistorischen «Rückschritt» zu lästern, sollte sich dieser Berufszweig eher mit den kleinen, individuellen Äusserungen und Verschiebungen in der Malerei beschäftigen, auch wenn Theorie zu grossen und relevanten Bewegungen und Ideologien heroischer aussehen mag: Ich verlange nichts weniger als genaueres Hinsehen und etwas mehr Bescheidenheit der TheoreikerInnen und KuratorInnen. Im Hinblick auf das Verhältnis von Fotografie und Malerei möchte ich noch auf ein meines Erachtens relativ neues Phänomen hinweisen. Nachdem die Fotografie anfangs die Malerei imitierte, nachdem sich die Malerei der Fotografie als Vorlage bediente und dies bis zur hyper- oder fotorealistischen Malerei trieb, gibt es heute nahezu abstrakte Fotos, die in ihrer Auflösungstendenz partiell in einen ursprünglich malerischen Bereich vorzustossen scheinen (einige Fotos von Wolfgang Tillmanns, von Peter Nadás, Annelis Strba, Bernhard Voïta, Christoph Schreiber usw.). Im Gegensatz dazu orientieren sich einige Maler an filmischen Erzählungen und Bildeinstellungen (z.B. Peter Doig). Zum Schluss muss das vorangestellte Zitat von Calderón de la Barca aus dem 17. Jahrhundert relativiert werden. Niemand behauptet heute, die Malerei sei die Kunst der Künste, wie überhaupt der von der minimal art nochmal aufgewärmte Streit, welches Medium in der Kunst Vorrang habe oder minderwertig sei, heute obsolet zu sein hat. Die Postmoderne lässt eben keinen opinion leader und schon gar kein leading medium zu – eine solche Behauptung wäre eher von gestern als die Malerei. Marcel Duchamp’s berühmter Ausspruch, die Maler malten, weil sie olfaktorisch süchtig nach dem Geruch von Ölen und Harzen seien, klingt zwar lustig, die Geringschätzung widerspricht aber der proklamierten Kunst – Erweiterung in andere (Sinnes-) Bereiche. Jawohl, MalerInnen lieben auch gute Gerüche und gute Küche – so what.

thoma s müllenbaCh | 13


1970

geboren in Terband, Nederland, lebt in Rotterdam, Nederland

robert Z andvliet | 14


Blick aus der Schiffsluke, 2010, Gesso und Eitempera auf Leinwand, 127 x 144,2 cm, RZ2010/06, courtesy PETER BLUM Gallery, N.Y. p

robert Z andvliet | 15


.Untitled, 2010, Eitempera auf Papier, 23,2 x 30,8 cm , RZ10-07, courtesy PETER BLUM Gallery, N.Y

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Untitled, 2010, Eitempera auf Papier, 31,1 x 41 cm, RZ10-12, courtesy PETER BLUM Gallery, N.Y

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robert Z andvliet | 16


Black Rock, 2010, Gesso und Eitempera auf Leinwand, 127 x 144 cm, RZ2012/18, courtesy PETER BLUM Gallery, N.Y. p

robert Z andvliet | 17


«As for What can/should the Art of Painting achieve, I am split minded on the question. Sometimes, painting is just a part of an economy, it hangs on a wall, it adds orange to a room. Other times, I believe that painting is best machine for producing ontological reflection that was ever invented. Idealism and cynicism are constantly undermining one another in the field of painting, but I‘m really interested in the way something new - not entirely one or the other - can come from each of them swallowing the other ones tail. And that‘s kind of what I‘m trying to get at in my work.»

1978

geboren in Washington D.C., USA, aufgewachsen in Washington D.C., Louisville, Kentucky und Tokyo, Japan, lebt in Los Angeles, California, USA

annie l aPin | 18


Auro Aura See Thing, 2011, テ僕, Lack, Email und Acryl auf Leinwand, 124.5 x 101.6 cm, courtesy HONOR FR ASER Gallery, L.A. p

annie l aPin | 19


t Wood,

2010, テ僕 auf Leinwand, 121.9 x 114.3 cm, courtesy HONOR FR ASER Gallery, L.A.

t Private Outdoor Facial Coronation, 2009, Kasein und テ僕 auf Holz 83.8 x 119.4 cm, courtesy HONOR FR ASER Gallery, L.A.

annie l aPin | 20


The Ssion, 2008, テ僕 auf Leinwand, 137.2 x 127 cm, courtesy HONOR FR ASER Gallery, L.A. p

annie l aPin | 21


1979

geboren in WĂźrzburg, Deutschland, lebt in KĂśln, Deutschland

Christian bauer | 22


Das Kitschobjekt ist keine Erfindung postmoderner Beliebigkeit. Ethnologie, Kulturanthropologie und Volkskundler erblicken im Kitschobjekt ein mögliches Zeugnis älterer magischer Praktiken. Einst wurden durch gezielten und wiederholten symbolischen Werkzeuggebrauch magische Übertragungen initiiert.1 Heute inszeniert man derlei Gebrauchsgegenstände als Museumsstücke. Sie bevölkern die ethnologischen Sammlungen und sind selbst dort noch – die scharfen Waffen, Köpfe, Haare, Nägel, Behältnisse für Speisen und Säfte aller Art – von Zauber und Berührungstabu umwittert. Einst standen sie im Dienste von Fern-Wirkungen, von eigentümlichen Bezügen auf etwas Ähnliches. Heute ähneln ihnen die alltäglichsten Kitschobjekte, die die Funktion besitzen sollen, die Kräfte des Nutzers zu steigern, indem Gestaltanalogie mit Sprachmagie und besonderen Wirkungen verknüpft wird. Einst musste in magischen Riten der Namen der Gegenstände formelartig ausgesprochen und damit eine Beziehung zum Zielobjekt unterhalten werden. Erst so konnte man sich beispielsweise die animalischen Energien eines beseelten Lebewesens aneignen oder Druck aus der Ferne auf etwas ausüben. Durch spezifische Arten des Wachrufens von magischen Potenzen bahnte man etwa den Weg zwischen einem Artefakt und einem noch schlummernden Krafttier. Die magische Technik mobilisierte Wesenseigenschaften. Der Mensch ahnte: Da sind Wesen, Geister, Gespenster draußen vor der Höhle. Und wie es keine Magie ohne Magier gibt, gibt es keinen Kitsch ohne Kitschier. Die vulgären Rituale führt beim gegenwärtigen kulturgeschichtlichen Stand vor allem das religiöse, romantische oder politische Personal aus.2 Politikkitsch-Symbolismus, Gefühlskitsch - Sympathie und Religionskitsch-Antipathie – gerne auch im Stilmix und bei Wechsel der Vorzeichen – , sind unser Alltag. Wenn man so will: Kitsch ist Programm. Unterscheidungen ereignen sich auf einer eher feinstofflichen Ebene, auf dem Erkenntnisplateau ästhetischer Anmutungsqualitäten. Wer Geschmack besitzt, kann wählen zwischen Kitschobjekten, die beispielsweise die Ambivalenz zwischen trivial-industrieller Fertigungsweise und religiös überhöhtem Erscheinungsbild austragen. Oder man kann auch ohne Geschmack wählen aus Zeugnissen einer massentouristischen Erinnerungskultur: Die eine kauft in Paris einen Plastik-Eifelturm, ein anderer erwirbt einen (Fake-) Picasso. Beide Souvenirs glänzen durch Beliebigkeit. Dasselbe Produkt hätte man auch in New York oder Tokio kaufen können. Wichtigster Unterschied bei der Wahl des Tands: Die Besitz- und Bildungsstand signalisierende Kaufkraft. Weniger Vermögende müssen an allem sparen, nur nicht an der Objektmagie. Nur dass sich die magische Praxis endloser Wiederholungen und Animationen unter den Bedingungen der Massenmedienwirksamkeit in andere Kanäle gelenkt sieht, vornehmlich in Fernsehkanäle. Dort werden die Wiederholungspotentiale des magischen Ritus in obszöner Kontinuität realisiert. Doch bevor das totale televisionäre Amüsement begann, hatten bereits zwei zentrale kulturelle Bewegungen das Kitschobjekt reif für die bildenden und darstellenden Künste gemacht.

Christian bauer | 23


Zum Ersten setzt mit dem 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der imperialen Kolonien, eine intensive und produktive Auseinandersetzung von Künstlern mit ozeanischen und afrikanischen Plastiken und Fetischen ein. Die Malerei der Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts ist ohne die veränderte Wahrnehmung der gestalterischen Qualitäten «primitiver Kunst» nicht angemessen zu verstehen. Zum Zweiten tritt mit einer leichten zeitlichen Verzögerung von wenigen Jahrzehnten eine Zuwendung der Künstler zur Alltagskonsumkultur ein, die auf ihre animistischen Potentiale hin untersucht wird. Es findet eine Neubesetzung des magischen Objekts statt, das nunmehr in Gestalt von Kitschkunst in den Ausstellungen wiederkehrt und von dort aus in die Salons immigriert und das Eigenheim kolonialisiert. Das Schöne an dieser Bewegung ist, dass die Bewohner dieser Wohnzimmer meist selbst nicht wissen, welches Ideal sich gerade in der neuesten Erwerbung verkörpert. Es bleibt ihnen überhaupt nichts anderes übrig, als die «ästhetische Differenz»3 zwischen Ideal und Verkörperung ständig zu thematisieren, wobei die wenigsten über die Aussage hinaus kommen dürften wie, woher das Objekt stammt, wie viel es einst gekostet hat und wie viel es jetzt womöglich wert ist. Auf diese Weise wird die konkrete Verkörperung ein zweites, drittes, viertes Mal idealisiert und zu einer realen Möglichkeit; je nachdem, wie oft sich der Ritus konkreter Nachfrage ergibt. Die Kitschkunst bleibt sich bei sorgfältiger Pflege und Konservierung immer gleich. Das Einzige, was sich ändert, ist der Preis. Neben der Reflektion auf die ästhetischen Bedingungen der Produktion von Kunstkitsch ist unübersehbar, dass die Kitschkunst sehr eng mit dem Warencharakter von Kunst zusammenhängt. Den übersinnlich-magischen Charakter von Kitschkunst, der eben nicht

1 Vgl.

Mauss, Marcel: Soziologie und Anthropologie. Bd. 1. Theorie der Magie. Soziale Morphologie.

Mit einer Einleitung von Claude Lévi-Strauss. München: Hanser, 1974, S. 52 ff. 2 Insbesondere

zur Frage nach dem Verhältnis von Romantik, Kitsch und mangelndem Lebenssinn und der Aufhebung

dieser Problematik in einer gleichsam göttlichen Unendlichkeit der Kunst, siehe Ullrich, Wolfgang: Gesucht: Kunst! Phantombild eines Jokers. Berlin: Wagenbach, 2007, S. 12 f. 3 Brock,

Bazon: Die Forderung nach Schönheit ist revolutionär, weil sie das Hässliche gleichermaßen zu würdigen zwingt.

In: ders., Der Barbar als Kulturheld. Ästhetik des Unterlassens. Kritik der Wahrheit. Wie man wird, der man nicht ist. Gesammelte Schriften III, 1991 – 2001. Köln: DuMont, 2002, S. 583-595, hier: S. 592. 4 Siehe

Marx, Karl: Das Kapital. Erster Band. In: ders. u. Engels, Friedrich, MEW, Bd. 23, S. 86.

5 Alfred

Sohn-Rethel, zitiert nach: Negt, Oskar: Gesellschaftsvertrag Europa. Plädoyer für ein gerechtes Gemeinwesen.

Göttingen: Steidl, 2012, S. 24 f. 6 Hermann

Nitsch, zitiert nach: Rituale. Zugänge zu einem Phänomen. Schriften der Österreichischen Gesellschaft für

Religionsphilosophie. Bd. 1. Hrsg. v. Florian Uhl u. Artur R. Boelderl. Düsseldorf, Bonn: Parerga, 1999, S. 105.

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in der Wahrnehmung unmittelbar aufgeht, kann man auf das Konto der Kunstreligion und damit auf eine Metaphysik des Abwesend- Anwesenden buchen. Es bietet sich aber auch eine andere Lesart an, in der vom Warencharakter bzw. vom Fetisch der Ware ausgegangen wird.4 Ist der Ausgangspunkt für die Reflexion von Kunst der «Warenwert», hebt sich die Kunst sehr schnell in einem allgemeinen Kitsch-Begriff auf: Kunst ist so viel wert, wie für sie bezahlt wird und es wird so viel für sie bezahlt, wie sie wert ist. In diesem Gedanken spiegelt sich die magische Trivialität unseres Zeitalters. Insbesondere für das Feld hochdotierter Malerei etabliert sich die Kitsch-Paradoxie: Ist das Bild als eine lebendige Fiktion – vielleicht sogar als ausgepinselte Utopie – das Andere des Realen, wird es durch gewerbsmäßige Veräußerung und Aneignung als Real - Wahrnehmbares anerkannt und zugleich in der abstrakten Sphäre des Warenwerts verankert, vulgo: aufgehoben. Noch zu Lebzeiten von Karl Marx entsteht der Begriff «Kitsch». Marx hatte wohl eine Ahnung, dass dieser Begriff allenthalben innerlich Figur annehme. Er selbst hat sich fürs Erste mit dem Begriffsbild des „Waren-Fetisch“ begnügen müssen. Damit ist er schon bedenklich weit in die spekulative Sphäre vorgedrungen, in der Tabuisierung und Schamlosigkeit HEUTE zusammenkleben: Nicht die intellektuelle Aneignung einer konkreten Arbeitsleistung wird gezeigt und genossen, sondern der Kauf, der alles und jedes in eine «Real-Abstraktion»5 verwandelt. Wer das nicht wahrhaben möchte, kann auf „die existenzsacrale Malerei“ ausweichen und sich in trotziger Selbstbehauptung einen Reim auf Nitsch machen.6 Kitsch-Typologie/ Typologie - Kitsch

fiktiv-virtuell

real

affektiv

abstrakt-kognitiv

magisch

mythisches Gebilde

Ritus/ figürlicher Zauber

Sympathie/ Antipathie

PolitikkitschSymbolismus

ästhetisch

Phantasie

ästhetische Differenz

Gefühlskitsch

objektiver Schein

ökonomisch

ideelle Werte

Ware/ Warenwert

Warenfetisch

RealAbstraktion

Dr. phil. Christian Alexander Bauer ist als Lehrbeauftragter für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsprojekts «Kommunikationsdesign & Ethik» an der HAW Würzburg und als freier wissenschaftlicher Autor tätig.

Christian bauer | 25


1987

geboren in Skopje, Mazedonien, lebt in Wien, Ă–sterreich

edin Zenun | 26


2012, テ僕 auf Leinwand, 140 x 125 cm p

edin Zenun | 27


2012, テ僕 auf Leinwand, 140 x 125 cm p

edin Zenun | 28


Froschkテカnig, 2012, テ僕 auf Leinwand, 140 x 125 cm p

edin Zenun | 29


1983

geboren in Binningen, Basel-Landschaft, lebt in Basel, Schweiz

daniel k arrer | 30


Untitled, 2010, Acryl und Öl auf Leinwand, 180 × 150 cm, courtesy LICHT FELD Gallery, Basel p

daniel k arrer | 31


Untitled, 2010, テ僕 und Acryl auf Leinwand, 140 x 140 cm , courtesy LICHTFELD Gallery, Basel

u

Untitled, 2011, テ僕 auf Leinwand, 80 x 65 cm p

courtesy LICHT FELD Gallery, Basel

Untitled, 2010, テ僕 auf Holz, 32 x 26,5 cm p

courtesy LICHT FELD Gallery, Basel

daniel k arrer | 32


Untitled, 2010, テ僕 und Acryl auf Leinwand, 150 x 180 cm, courtesy LICHT FELD Gallery, Basel p

daniel k arrer | 33


Marion Elias

1960

geboren in Wien, lebt in Wien, Ă–sterreich

marion elia s | 34


«L´acqua che tocchi de´fiumi, è l´ultima di quella che andò e la prima di quella che viene; così ´l tempo presente.» «Das Wasser, das du im Fluss berührst, ist das letzte von dem, das geht und das erste von dem, das kommt; und so ist es auch mit der Zeit.»1 Leonardo di Ser Piero da Vincis Satz über das Wasser im Fluss hat gewiss einen ungefähren Verwandten oder großen Vorgänger, nämlich Heraklits «Du kannst nicht zweimal in dieselben Flüsse steigen, denn frische Wasser fließen immer auf dich zu.» Zu diesem Verweis auf die permanente Veränderung aller Dinge, auf Unbeständigkeit und Vorläufigkeit, auf das berühmte «alles fließt» hebt Leonardo zwischen den Zeilen eine weitere Ebene hervor: In einer Art «Einschnitt», einer Epoché 2, einem unmerklichen Innehalten betont sich die Vergänglichkeit wie von selbst. «L´acqua che tocchi de´fiumi, è l´ultima di quella che andò e la prima di quella che viene; così ´l tempo presente.» ...das letzte, das geht, das erste, das kommt. In diesem Augenblick, der auf einer Fingerkuppe Platz hätte, steigt niemand mehr in einen Fluss; was jetzt noch Bedeutung für uns hat, wird es im nächsten Moment nicht mehr haben. Dieser nächste Moment wird nicht mehr sein, für einen oder eine, oder für mehrere und viele, und für andere wird er sein. Leonardos Version, der Zeitpunkt eines Atemzugs, impliziert die Löschung, das Finale. Eine seiner letzten – vielleicht die letzte – erhaltenen Handschriften aus Cloux, heute Clos Lucé, aus dem Jahre 1518 bricht, nach einigen gezeichneten Diagrammen und einem Textblock zu geometrischen Problemen in der bekannten von rechts nach links gesetzten Spiegelschrift, brüsk ab mit den Worten: «...perchè la minestra si fredda». 3 Leonardo hat aufgehört zu schreiben, weil die Suppe kalt wird. Eine Suppe, wahrscheinlich eine Gemüsesuppe, im Juni 1518. Sie wird kalt, ruft die Haushälterin Mathurine dem alten Mann zu, der im Nebenzimmer sitzt und Notizen verfaßt. La minestra si fredda. Nichts als ein banaler Satz aus den 13.000 Seiten Leonardesker Manuskripte, von denen wir noch an die 7.000 kennen. Leonardo ist – wenigstens zu diesem Blatt seiner Aufzeichnungen - nicht mehr zurückgekehrt. Er starb im Mai 1519. Mit diesem Tod verlieren seine Manuskripte für einen längeren, einige für einen sehr langen Zeitraum an Bedeutung. Weil sie kaum einer kannte, weil sie nicht publiziert worden waren. Weil der Erbe seines Erben sie bündelweise verschenkte. Weil sie im Weg waren. Weil sich doch kein Mensch freiwillig durch stoßweise Blätter in Spiegelschrift wühlen möchte. Wer liest denn das schon. 1 L. d. V., Tr. 68; (Codex Trivulziano), Richter, Vol. II, S 294

2 Epoché meint in der antiken Skepsis ein Anhalten, Zurückhalten, sich eines (finalen) Urteils enthalten – also eher die Pause

zwischen zwei (Zeit-)Abschnitten als das uns geläufige Syonym für «Ära» 3 Das Blatt befindet sich heute in der Sammlung der British Library. Siehe dazu auch: Charles Nicholl, Leonardo da Vinci, engl. Original: Leonardo da Vinci. The Flights of the Mind, Allan Lane, Penguin Books, London 2004, dt. Version übersetzt von Michael Bischoff, S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M., 2006, S 17f

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«L´acqua che tocchi de´fiumi, è l´ultima di quella che andò e la prima di quella che viene; così ´l tempo presente.» Ein Satz, mitten aus der Renaissance, nicht wahr? Aber, ab wann ist die Renaissance eigentlich die Renaissance? Laut Wikipedia etwa ab dem 19. Jahrhundert. Eine Wiedergeburt antiker griechischer und römischer Ideen, die im Quattro- und Cinquecento in den Mittelpunkt gerückt worden seien, samt dem Menschen als schöpferisches Individuum. Eine Bezeichnung, ein Arrangement post factum oder post actu, das dem System Kunstgeschichte und dem Versuch, die Welt, die Zeiten in verdauliche, erklärbare Häppchen einzuteilen, entspricht, und das Ganze aus der Vogelperspektive. Die Leonardos, Michelangelos, Giovannis, Giorgios, Sandros und wie sie alle heißen mögen hatten also keine Ahnung, dass sie ihr Leben in der Renaissance verbrachten. Eigentlich geht der Begriff zurück auf Giorgio Vasari 4, der wiederum eine Sentenz aus Cennino Cenninis 5 Libro dell´Arte aufnimmt, umdreht und anpaßt. Cenninis «Original», um 1390 entstanden, weist Giotto zu, «die Kunst des Malens vom Griechischen ins Lateinische übersetzt und ins Moderne verkürzt»6 zu haben. Vasari macht daraus fast 200 Jahre später in seinen Vite - rinascità: «Denn nachdem sie [die Künstler; M. E.] erkannt haben, wie diese [Kunst] es von einem bescheidenen Anfang zum höchsten Gipfel gebracht hatte und von einem solch edlen Rang wieder in den völligen Ruin hinabstürzte, und ihnen folglich die Natur dieser Kunst bewußt wird, die gleich den anderen [Künsten] wie menschliche Körper geboren wird, wächst, altert und stirbt, werden sie nun leichter das Fortschreiten ihrer [der Künste, M. E.] Wiedergeburt und eben jene Vollkommenheit verstehen, die sie in unseren Zeiten erlangt hat.» 7 Gut. Völliger Ruin? Ja, damit zielt Vasari auf das behauptet «düstere Mittelalter» und prägt gleich noch ein Vorurteil mit, das sich bis heute gehalten hat. Eigenartig ist, dass diese Ära der Düsternis vom 6. bis zum 15. Jahrhundert gedauert haben soll. Ziemlich lange, wenn es finster und hoffnungslos wäre – in der Kunst und im Denken. Liest man sich ein wenig durch das Werk Kurt Flaschs´ 8, vor allem durch seine Übertragungen Boccaccios und Dantes Comedia, müßten wenigstens Zweifel an dieser «Licht aus» -Logik entstehen: Moderne und Aufklärung bereiten sich durchaus sehr früh vor. Ich sagte, Leonardo und Co. wußten nicht, ja sie konnten nicht wissen, dass das Renaissance ist, was sie leben. Und uns wird es nicht anders ergehen – die Nachwelt stellt zusammen, was für uns wichtig gewesen ist. Die jeweilige Nachwelt teilt die Welt – davor – rückwirkend ein, - und zwar national durchaus unterschiedlich - als hätte man und frau Angst vor Unordnung, als wären Benennungen Mittel gegen die Angst oder die Tatsache, dass Geschichte passiert und passiert ist und wir keinerlei Ahnung haben, wie und wieso eigentlich 9. Aus der Vergangenheit und dem Wissen um die Gegenwart eine mögliche Zukunft vorausbegreifen zu können, das war schon immer ein Irrtum. Das war ein Irrtum vor 1914, vor 1989, und das wird ein Irrtum bleiben.

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Allerdings, die Einteilung der Kunstgeschehnisse in Zeitalter, die scheinen wir schon gar nicht loszuwerden: Postmoderne. Postkollonialismus. Postfeminismus. In Richtung Wirtschaft geblinzelt, Postindustrialismus. Ursprünglich hatten wir gelernt, dass die klassische Moderne in der bildenden Kunst spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg abbricht. Politische und soziale Utopien enden in einem Desaster, das einer angeblich zivilisierten Welt widerspricht. Die Kunst danach rappelt sich auf zu einem «Synkretismus», dem Durcheinander aller Stile und Möglichkeiten. Damit das nur ja nicht zu simpler Dekoration wird, beanspruchen die KünstlerInnen für sich wieder den Status der Avantgarde, ohne nur irgendeine jener brisanten Themen aufzuarbeiten, die dieses Prinzip ursprünglich beinhaltete: Kein Wort von der Abschaffung überkommener Präsentationsmodi mehr, auf zum Centercourt der Museen! Rich and beautiful and sozial relevant für beautiful people! Nur bloß nicht zuviel Ästhetisierung, wir haben doch eine Aufgabe zu erfüllen um die handvoll Kenner, die sich für solche halten, zu amüsieren! Das Ergebnis ist Langeweile, nicht heiß, nicht kalt, aber korrekt und – nett. Wie es der Malerei dabei geht? Die führt schon lange unverdient ein Schattendasein. Eingequetscht in zu erfüllende Vorgaben um putative Neuheit und verschiedenartigste Relevanz ist sie das Stiefkind der bildenden Kunst immer auf der Kippe zur Banalität und Obsolenz. Wenn schon, dann bitte mit leidlich absichtlich gesetztem Dilettantismus verbrämt... Freiheit funktioniert dann nur mehr im je angesagten Regelkanon der Wichtigkeit und dabei hätte der Verlust des «Wahrheitsanspruchs», der Verlust religiöser und politischer Verbindlichkeiten als Emanzipation verstanden werden können. Ist Kunst, ist Malerei kein Modus der Erkenntnis? Sind Bilder nichts mehr wert, die nur von den Ideen, von der Individualität der Produzenten erzählen? Ist «die Gedanken zur Zeit in Zeichen gesetzt» ein für alle Mal hinter modischer Beliebigkeit verschwunden? «L´acqua che tocchi de´fiumi, è l´ultima di quella che andò e la prima di quella che viene; così ´l tempo presente.» Etwas geht, etwas kommt. Wir müssen uns weder an Ismen noch an Regeln halten. Wir sollten Bilder malen, die begeistern, verstören, verwirren, solche, die man nicht mehr aus dem Gedächtnis kriegt. Kunst darf alles, aber sie muß...gar nichts... 4 Giorgio Vasari, ital. Maler, Baumeister und Kunstschriftsteller, * 30. 7. 1511 Arezzo, † 27. 6. 1574 Florenz

5 Cennino d´ Andrea (di Drea) Cennini, ital. Maler, tätig 2e Hälfte d. 14. Jhd., * Colle di Val d´ Elsa, Schüler v. A. Gaddi, damit z. Nachfolge Giottos gehörend 6 [...] «rimutò l´arte del dipingere di greco in latino e ridusse al moderno.» Cennini, Libro dell´Arte

7 «[...] i quali, avendo veduto in che modo ella da piccol principio si conducesse alla somma altezza, e come da grado sì nobile precipitasse in ruina

estrema, e per conseguente la natura di quest’arte, simile a quella dell’altre, che come i corpi umani hanno il nascere, il crescere, lo invecchiare et il morire, potranno ora più facilmente conoscere il progresso della sua rinascita e di quella stessa perfezione dove ella è risalita ne’tempi nostri.» Giorgio Vasari, Le vite dei più eccelenti pittori, scultori e architetti, Edizione Integrale, Roma, Grandi Tascabili Economici Newton, Sesta Edizione 2003, S 109 8 Kurt Flasch, * 12. März 1930, Mainz, deutscher Philosophiehistoriker 9 Das wäre ungefähr meine Interpretation zu «Posthistoire»

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1981

geboren in Trabzon, T端rkei, lebt in Wien und Istanbul

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Tare, 2011, テ僕 auf Leinwand, 50 x 40 cm p na Zim テシnal Yilma Z | 39


t Nudes on the stair case, 2010, テ僕 auf Leinwand, 160 x 125 cm t Nature Morte, 2011,

テ僕 auf Leinwand, 160 x 130 cm

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Court, 2012, テ僕 auf Leinwand, 120 x 120 cm p

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1975

geboren in Innsbruck, Ă–sterreich, lebt in Wien, Ă–sterreich

Black Island, 2012, 45 x 45 cm p

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Floating Animal, 2011, 20 x 20 cm p

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1977

geboren in Werthenstein, Luzern, lebt in Luzern, Schweiz

Berg, 2010, テ僕 auf Leinwand, 200 x 150 cm u

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p Buddhas uncomfortable seat, 2011, テ僕 auf Leinwand, 200 x 150 cm t Untitled, 2011,

テ僕 auf Leinwand, 200 x 150 cm

Field Studies, 2011, テ僕 auf Leinwand, 200 x 150 cm u

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Herausgeber: ULT – Farbe auf Träger

Redaktion: Patrik Muchenberger und Philippe Glatz,

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Patrik Muchenberger und Philippe Glatz

www.rrrtv.me

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Ausgabe: Design: Y. J. Maksutaj Korrektur: Alexandra Brauchli Druck: Druckerei Janetschek GmbH, 1040 Wien Autoren: Prof. Thomas Müllenbach, Dr. phil. Christian Bauer, ao. Univ. -Prof. Dr. phil. Mag. art. Marion Elias, Maler: Per Enoksson, Robert Zandvliet, Annie Lapin, Edin Zenun, Daniel Karrer, Nazim Ünal Yilmaz, Astrid Rausch, Paul Lipp.

Herzlichen Dank: Dr. Christian Bauer, Matthias Bildstein, Alexandra Brauchli, ao. Univ.-Prof. Dr. phil. Mag. art. Marion Elias, Adrian Germann, Marco–Nicolas Heinzen, Anna Khodorkovskaya, Claudia Charlotte Linder, Fam. Muchenberger, Y. J. Maksutaj, Prof. Thomas Müllenbach, Livia Thomas–Glatz, Edin Zenun

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