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SO LÄUFT’S 131

„Es ist nicht der Preis“ Die Wünsche und Werte der jungen weiblichen Zielgruppe sind wie ein Buch mit sieben Siegeln. Über den Preis alleine lässt sich ihr Modekonsumverhalten definitiv nicht entschlüsseln, erklärt Verena Roskos, Chefredakteurin des Magazins Mädchen im Interview. Ein Gespräch über 14-Jährige, Empathie und Abgrenzung. Text: Isabel Faiss. Foto: Vision Media GmbH

Frau Roskos, im Magazin Mädchen vertreten Sie ein Wertesystem und eine Haltung gegenüber ihren Leserinnen. Wie thematisieren Sie billigen Modekonsum?

Da sind wir in einer Konflikt­ situation. Auf der einen Seite stellen wir Mode vor, die erschwinglich sein muss, auf der anderen Seite vertreten wir das angesprochene Wertesystem, das gewissenlosen Konsum sehr kritisch sieht. Das kommunizieren wir zum Beispiel über Reportagen über eine Textilfabrik in Bangladesch. Unsere Zielgruppe ist sehr kommunikativ und sehr feinfühlig. Taucht irgendwo ein T-Shirt für fünf Euro auf, wird das in der Community auf mädchen.de auch mal kommentiert. Diesen Dialog nehmen wir auch im Heft immer wieder auf. Welchen Stellenwert hat Mode in dieser Zielgruppe?

Mode hat die Funktion, Dinge auszuprobieren. Diese Zielgruppe will zum einen mög­ lichst schnell erwachsen werden und sich erwachsen fühlen, hat aber trotzdem nur ein gewisses Budget zur Verfügung. Sie versuchen sich über ihre Peergroup zu identifizieren, wollen zwar anders sein als die Masse, aber auch nicht der bunte Hund.

Woher kommt eigentlich der Wunsch, möglichst schnell erwachsen zu werden? Früher wurden nahezu alle relevanten Trends aus einer Jugendkultur heraus geboren. Wo ist diese Energie hin?

Erwachsen sein heißt, ernst genommen zu werden. Diese Energie ist nicht verloren gegangen, sie wird nur nicht mehr so klar kanalisiert. Heute hat man auf alles Zugriff, gleichzeitig. Diese unendliche Vielfalt macht es einheitlichen Strömungen schwer, sich gegen die Vielzahl an Mikrotrends durchzusetzen. Modische Jugendbewegungen sind immer noch da. Sie dienen heute nur nicht mehr zur Abgrenzung, denn der Unterschied zwischen einer 14- oder 40-Jährigen findet schon lange nicht mehr auf modischer Ebene statt. Früher hätte doch nie eine 40-Jährige ein neonfarbenes T-Shirt mit Smiley angezogen. Heute ist das völlig okay. Modisch sind die Generationen näher zusammengewachsen. Nehmen wir den 14-Jährigen damit nicht etwas ganz Essenzielles weg? Womit revoltieren, wenn nicht mit zerrissenen T-Shirts?

Die Abgrenzung findet auf einer anderen Ebene statt. Das sind übergeordnete und meist sehr

politische Themen, über die man sich schrecklich aufregt, wie Tiertransporte. Das findet über das eigene Wertesystem statt. Lieber mault man die Mutter dafür an, dass sie noch Fleisch isst, als dass sie sich zu jung kleidet.

Gibt es sozusagen goldene Regeln für den Modekauf?

Wichtig ist, dass die Marke jeder kennt und dass die Produkte immer abrufbar sind. Onlinehandel ist schwierig, weil das mit 14 nur über die Kreditkarte der Eltern läuft. Das ist eine Hemmschwelle. Deswegen ist es ihnen wichtig, die Läden vor Ort zu haben und sich dort austoben zu können. Also ist Marke nach wie vor wichtig?

In dieser Altersgruppe auf jeden Fall. Aber es geht nicht nur um die Marke, sondern darum, etwas erzählen zu können. Primark ist ein Image. Es geht nicht um den Preis, sondern um das Lebensgefühl. Man möchte dazugehören und sich in einem gewissen Maße individualisieren können, ohne dabei aus dem Rahmen zu fallen. Bei Primark kann man sich Dinge kaufen, die die Mutter fürchterlich findet. Man signalisiert, dass man weiß, was gerade Trend ist. Und man kann mitreden. Sie sagen, der Preis ist nicht das Hauptargument. Welches dann?

Diese Zielgruppe ist empathisch, kritisch, und sie hat immer noch das Bedürfnis, sich abzugrenzen, aber nicht mehr über die klassischen Kanäle der Elterngeneration. Dafür fehlt aber oft das Angebot von Markenseite. Flexibilität ist ein wichtiges Stichwort. Viele holen die Zielgruppe erst mit frühestens 18 wieder ab, weil sie sie einfach nicht ernst nehmen.

Warum nur wenige Marketingexperten aus der Industrie das Potenzial von offenen Foren und Diskussionsplattformen wie mädchen.de nutzen, um nah an den Themen der Zielgruppe dran zu sein, ist Chefredakteurin Verena Roskos ein Rätsel.

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