turi2 edition #9, TV Totale Vielfalt. Faszination Bewegtbildwelt.

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orno ist das Fast Food unter den BewegtbildAngeboten. Billig, befriedigend, beliebt. Und nach dem Konsum kommt das schlechte Gewissen. Die Freiburger Studenten Leon Schmalstieg und Kira Kurz wollen das ändern. Sie produzieren Pornos, über die man auf der Premierenfeier beim Gläschen Sekt diskutieren kann. Wohlfühlfutter statt Fast-Food-Fraß. Ein Auto hält am Straßenrand, eine Person steigt ein. Klassischer Start für einen Mainstream-Porno. Die Handlung ist vorhersehbar: Der Fahrer und die junge Anhalterin haben nach einem kurzen, belanglosen Dialog Sex. Die Frau dient als Objekt mit verschiedenen Körperöffnungen in HD, aber ohne Charakter. „Retour“, der erste Film des Porno-Startups Feuerzeug, ist anders. In dem knapp halbstündigen Video sitzt eine Frau am Steuer, der Anhalter ist ein Mann. Sie erzählen einander aus ihren Leben, dazu singt eine Frauenstimme zu Gitarrenmusik. Das Wort Sex fällt nach sechseinhalb Minuten das erste Mal, die Frau sagt es. Ab Minute acht wird geknutscht, ab Minute zwölf sind beide nackt, in Minute 13 wird das Kondom ausgerollt. Nun herrscht kein Zweifel mehr, dass auch hier der Sex im Vordergrund steht – in verschiedenen Stellungen, Detailaufnahmen, schnell, intensiv. Aber am Schluss sind beide glücklich. Die beiden Gründer haben nicht nur das altbekannte Anhalter-Motiv in ihrem Porno „bewusst umgedreht“. Sie wollen auch bei der Produktion alles anders machen, was sie in Mainstream-Sexfilmen falsch finden. „Wir können uns mit vielem, was wir da sehen, nicht identifizieren“, sagt Schmalstieg. Das sind oft: fehlende Kommunikation oder Zustimmung zu allem, was passiert, sprachlose Frauen, dominante Männer.

Kira und Leon holen Leute zum Sex vor die Kamera

Keine Verhütung, kaum Sexualität abseits der Norm. „Auch, was die Produktion angeht, ist zu viel intransparent“, ergänzt Kurz. Die Produktionsbedingungen, die Bezahlung der Darsteller, die Finanzierung – all das bleibt im Dunkeln. Und je größer das Porno-Angebot im Netz, desto billiger und schneller wird nachproduziert. „Dass das für alle Beteiligten schlecht ist, liegt auf der Hand“, sagt Leon Schmalstieg. Je mehr sie über das Thema sprechen, desto sicherer sind die beiden Studenten: Sie wollen einen eigenen Porno drehen, unter fairen Bedingungen, öffentlich begleitet. Und ohne Erfahrung mit Film. Ein kleines Team von 14 Leuten für den Dreh findet sich über Kontakte, zwei Darsteller über Instagram. Kurz und Schmalstieg besuchen Festivals für alternative Porno-

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