turi2 editon #2 Werbung. Innenansichten einer verführerischen Branche.

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Und da habe ich mich dann zum ersten Mal gefragt, ob alles mit ihm in Ordnung ist. Heute frage ich mich, ob ich die Warnzeichen einfach nicht gesehen habe. Ob ich nicht etwas hätte merken müssen, etwa, als Marc letztes Jahr zwei Wandschlauchhalter an der Garage anbrachte. Einen schwarzen mit Monster Truck auf der Verpackung und einen in Pink mit dem Foto zweier Frauen, „verspielt schmückend“, „falls du mal den Schlauch aufhängst“. Oder als der Hund starb. Da hätte ich auch etwas merken können. In der Nacht, als Billy starb, hatte ich Marcs Ohrstöpsel drin. Weil er wirklich furchtbar laut schnarcht. Die für Frauen, „Sleep pretty in Pink“, dämmen nur 32 Dezibel, seine blauen „Hearos“ aber 33. Und da habe ich nicht gehört, dass der Hund irgendwann aufgehört hat zu atmen. Das war für uns alle schrecklich, vor allem für die Kinder. Aber keiner hat mir solche Vorwürfe gemacht wie Marc. Ich hatte damals schon das Gefühl, es gehe um etwas anderes. Weniger um den Hund als darum, dass ich irgendwelche Regeln verletzt hatte. Genauso wie im neulich, als seine Mutter sich sein Auto ausgeliehen hatte und aus Versehen in den Behälter der Scheibenwaschanlage Reiniger „für Frauen“ gefüllt hatte. Da hat er stundenlang in der Auffahrt gestanden und rumgespritzt, bis der letzte Tropfen Frauenwasser aus der Düse raus war. Immerhin, Marcs Befürchtung, Tom könnte schwul sein, weil er so häufig zu den Sachen für Mädchen greift – mein lilafarbenes Schraubenzieher-Set benutzt anstatt das von

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Marc oder stundenlang Kajas rosafarbenen Globus studiert –, konnte ausgeräumt werden. Wir waren beim Arzt. Das Kind ist schlicht rotgrünblind. Für ihn sieht alles ziemlich gleich und ziemlich braun aus. Marc ist jetzt sehr dahinterher, dass Tom auf die Figuren achtet. Noch können die Kinder ja nicht so gut lesen. Etwa, wenn auf dem Müsli steht, für welches Geschlecht die Körnermischung ist. Um des lieben Friedens willen versuchen die Mädchen und ich, Tom nahezubringen, zu den Dingen zu greifen, auf denen Piraten zu sehen sind, Ritter und Rennfahrer. Dummerweise hat er aber festgestellt, dass die Sachen mit Prinzessinnen, Feen und Meerjungfrauen oft besser schmecken. Sie sind süßer. Leider hat unter dem Irrsinn meines Mannes meine Liebe gelitten. Aber ich glaube, das Problem erledigt sich bald von selbst. Wir leben in Schleswig-Holstein. Da gibt es an der Autobahn jetzt neue Plakatwände zur Verkehrssicherheit. Auf dem Weg zu Marcs Arbeit hängt ein rosafarbenes. Es trägt die Aufschrift „Für sie“ und zeigt ein Paar Babyschuhe. Daneben steht „anschnallen“. Marc wird sich davon nicht angesprochen fühlen. Er fährt gern schnell.

»Prinzessinnen sind doof. Die warten nur. Bei der Feuerwehr ist immer was los«

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