turi2 editon #2 Werbung. Innenansichten einer verführerischen Branche.

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die geilen Jungs, berauscht von sich selbst und dank der Kapitalistendroge komplett enthemmt, die Gier für gesellschaftsfähig erklärten, stellte auch die Werbung zunehmend den Leistungsge­ danken in den Vordergrund. Ab Mitte der 90er-Jahre redete sie jedem Landarbei­ ter, der eben noch Teil einer LPG war, ein, er müsse nun in Aktien machen. Parallel zur „Parole Arschloch“ – quasi als Legitimation für das Habenwollen – strapazierten die Werber Begriffe wie „Vor­ sorge“ und „Verantwortung“ und lullten den Konsumen­ ten mit Familienbildern ein. Egal, ob eine Bank gefun­ den oder eine Packung Reis verkauft werden sollte – nach der Einheit, nachdem Geteilte zueinandergefunden hatten, tauchten die Werber im Rausch die Nation in eine Nebelwelt der Gefühlsduse­ lei. Mutti war die Beste und

Technowelle, die das Land mit seinen Beats durchdrang, alles, was puschte und wach hielt. Und tranken wie blöd. „Weniger zur Inspiration“, wie ein Texter es ausdrückt, „als vielmehr zur Kompen­ sation von der Scheiße, die man machen musste.“ Und während etwa Springer & Jacoby, eine der Glatzen-Her­ ren-Agenturen der Zeit, Alko­ holkonsum am Arbeitsplatz untersagte, galt wie für jede Dekade: Es wurde getrunken, um den Druck auszuhalten. Anders, so der Konsens, käme man damit nicht klar. Bedeutete „Druck“ vor 25 Jahren, 80 Sprüche pro Anzeigenmotiv vorzulegen, damit einer ausgewählt wur­ de, wird die Reklame-Denke heute immer komplexer, um die tollen, neuen Medien toll zu bedienen. Waren Werber vor 25 Jahren „Popstars“, wie der Ex-S&Jler sagt, in deren Gegenwart der Kunde vor

nicht wichtig. richtig, richtig geil zu finden« das Glück immer nah am Kochtopf. Helmut Kohls Familienpolitik ging in den Fernsehclips auf wie Sahne im Kaffee. Immerhin, die Jungs mit Glatze befreiten Mercedes vom Hut-Opa. Das ist ja auch eine Leistung. Der Heroin-Chic als neue Ausprägung der Werbeästhe­ tik, der sogar den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton ernste Worte an die Bran­ che richten ließ, führte in Deutschland nicht dazu, dass plötzlich alle an der AssiDroge hingen. Zwar fand das Abgefuckte auch in der Jugendkultur seinen Wider­ hall – legendäres Beispiel die MTV-Kampagne von 1995 und Grunge – doch konnte sich der Stoff, der dank einer Qualitätsoffensive inzwi­ schen von einer Reinheit war, dass ihn zu schnupfen in der Mode- und Kreativszene als très chic galt, in Deutschland nicht so recht etablieren. Deutsche Werber bevor­ zugten entsprechend der turi2 edition 2 · Werbung

Ehrfurcht erstarrte, werden die Kunden heute immer nerviger. Sie wissen alles besser, reden rein, und Res­ pekt haben sie auch keinen mehr. Alles soll zack, zack gehen, sich mit der Ausrede: „Tut mir leid, ich war nicht erreichbar“ oder „Ich habe kein Fax bekommen“ dem Zeitdruck entgegenzustel­ len, ist passé. Entsprechend ist etwa bei Serviceplan in Hamburg der Kühlschrank stets mit Bier gefüllt. Einmal im Monat veranstaltet die Firma eine riesige Saufsause, in Folge derer am nächsten Tag nur mit eingeschränk­ tem Betrieb zu rechnen ist. Und für den Nachwuchs gibt es eine besondere Form der Förderung: In der Giveaway-Tüte am Praktikan­ tentag steckt neben Kuchen, Haribo und Schokolade auch ein „Klopfer“. Ein 15- bis 20-prozentiger Schnaps, der „Party, Fun und Lifestyle!“ verspricht, wie ausgebuffte Texter es formuliert haben.

Beliebt ist das Thema bei den Agenturen nicht. Ruft man an, um zu fragen, ob es Richtlinien zum Alkohol- und Drogenkonsum gibt, soll man das bitte schriftlich einrei­ chen. Von vier Anfragen ant­ wortet nur BBDO. Und nein, kein Alkohol während der Arbeitszeiten. Na, Drogen natürlich auch nicht. Neben wenigen Ausnah­ men wie einigen Motiven der Edeka-Kampagne oder den lustigen, irren Spots von Hornbach, denen der Hasch­ geruch quasi aus den Bildern steigt, lassen die aktuellen Kampagnen den Schluss zu, dass der meiste Alkohol, der rund ums Agenturleben getrunken wird, tatsächlich dazu dient, das Elend zu ertragen. Nicht nur, dass die Hersteller und Anbieter in diesem Land spaß- und kreativitätsresistent sind wie Holzwürmer. Auch die immer kleiner werdenden

Ein Ex-Springer &  Jacoby-Mitarbeiter Budgets und die Bedenken­ träger auf den Entscheider­ posten sind Anlass genug, Trost beim Geist des Bacchus zu suchen.

Bei Jung von Matt in Ham­ burg gibt es heute getrock­ nete Tomaten in Einweck­ gläsern. Hat der Werber der Gegenwart zwischendurch ein Hüngerchen, greift er zur getrockneten Tomate. Die enthält viele Vitamine und Mineralstoffe und macht nicht dick. Der Werber von heute ist dem Gesundheits­ wahn erlegen, mit dem er grüne Gemüsesäfte und Reispappen als Heilsverspre­ chen anpreist. Er scheint wie die Raucher von früher den Quatsch glauben zu wollen, den die Werbung verzapft, obendrein faselt er im Vorstellungsgespräch von „Work-Life-Balance“. Wo­ chenendarbeit möchte er nur aus Erzählungen kennen. Das Koks ist in seiner All­ gegenwärtigkeit verschwun­

den, die Hybris auch. Und auch wenn klar ist, dass, wie in etlichen Branchen, wo es um Geld, Macht und Macker­ tum geht, auf hoher Ebene vielfach reingepfiffen wird, was Leistung bringt, ist eben­ falls klar: „Die Koksexzesse, das Leben als Party zu be­ greifen – das kann sich heute keiner mehr erlauben.“ So sagt es der Herr mit Glatze. Die Effizienzheinis haben die Lage im Griff, es geht um Gesundheit und Fitness, wie schon in früheren Dekaden verkörpert der Werber den Zeitgeist. Für die Gegenwart scheint das zu bedeuten, dass der oder die Kreative achtsam in sich hineinhorcht und wahrnimmt, wenn da was aus den Fugen gerät. Wenn das Gluten das Denken behindert oder weißer Zucker das Wurzelchakra blockiert. Was langweilig klingt, ist auch langweilig. Das Metier hat ein Charakterproblem. Der Zeitgeist zusammen mit dem neuen Kleingeist führt zu einem bedrohlichen Mittelmaß in der Branche. Geniale, Verrückte, genial­ Verrückte, eigenartige, durchgeknallte Leute haben kaum noch eine Chance. Der Effizienzgedanke führt zu Mitarbeitern und Mitarbei­ terinnen, die funktionieren, nicht zu welchen, die wie Alice im Wunderland neue Türen aufstoßen. Wenn Wer­ bung mal ein Beruf für große Geister war, für Ideenakro­ baten und Grenzjongleure, so wird er jetzt einer für Beamtenseelen. Dass der ätzende Geruch der 70er in der Luft zu liegen scheint, kaum, dass man sich an sie erinnert oder die Werbebilder sieht, ist nur möglich, weil immerhin Geruch entstand. Nichts, das man heute noch riechen möchte. Aber etwas, das die Kraft hatte, sich einzugra­ ben. Es ist die Frage, was sich von der aktuellen Zeit eingraben wird. Oder auch von der in fünf oder zehn Jahren. Thomas Koch sagt, es gäbe nur eine Sache, die er bereue: „Wie wir mit den Frauen umgegangen sind, das war nicht okay.“ n

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