turi2 edition #16, Agenda 2022/Nachhaltigkeit

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Survival-Training simuliert das Leben in einer Notsituation. Das geht mit Durst, Hunger, Schlafmangel und unzureichender Körperhygiene einher. Nach 24 Stunden, in denen man pausenlos damit beschäftigt ist, eine Unterkunft zu bauen oder Feuer zu machen, wird man langsam, kann sich auch auf einfache Dinge nur noch schwer konzentrieren. Ist das Grundbedürfnis nach Wärme, Wasser

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Alex Krapp ist Chefredakteur von „Outdoor“

und Nahrung gestillt, geht es darum, nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen,

als zur Verfügung stehen. Diese simple Erkenntnis gilt auch für die Spezies Mensch. In unseren warmen Wohnzimmern vergessen wir, dass im Weltraum minus 270 Grad Celsius herrschen und benachbarte Planeten unwirtlich sind. Wir leben auf einer Insel in einer lebensfeindlichen Umgebung. Leider verhalten wir uns wie Gestrandete, die schon an Tag eins alles Brennholz verfeuern und

Trinkwasser verschwenden. Wir müssen dringend einen anderen Umgang mit Ressourcen finden. Survival war nie so bequem wie heute. Man muss dazu nicht lernen, sich mit einem Bowiemesser zwischen den Zähnen durch den Sumpf zu kämpfen. Es ist mehr damit gewonnen, die Heizung runterzudrehen, weniger Fleisch zu essen und sein Reiseverhalten zu überdenken.

Warum sollten wir weiter an das Gute im Menschen glauben, Katharina Wiegmann?

In der Frage schwingt mit, dass es Gründe gibt, am Guten zu zweifeln. Die gibt es. Menschen verhalten sich bisweilen unsolidarisch, ignorant, gewaltvoll. So haben wir als Spezies etwas Einzigartiges geschafft und unsere Umwelt derart ruiniert, dass wir am Rande einer Katastrophe stehen – teilweise schon mittendrin. Warum also an das Gute glauben? Als ich neulich mit einem Freund eine Radtour durch Berlin machte, meinte er, es sei doch erstaunlich, dass sich die meisten Menschen an die Verkehrsregeln halten. Und sie tun ja nicht nur das! Die meisten zahlen Steuern, viele engagieren sich ehrenamtlich. Sie bemühen sich, freundlich miteinander umzugehen. Das Gute ist im Menschen angelegt, es braucht nur die richtigen Strukturen, um es hervorzubringen. So sind unsere

Demokratien zwar längst nicht perfekt, aber es dürfen mehr mitreden als vor 150 Jahren. Wo es kooperationsfördernde Strukturen in Form von Staat und Verwaltung nicht gibt, schafft der Mensch sie sich selbst. Das stellte etwa die Politologin Elinor Ostrom auf ihren Forschungsreisen fest: Weltweit handeln Menschen kooperativ, wenn es um die Nutzung gemeinsamer Ressourcen geht – auch, wenn es keine Autorität gibt. Ostroms Forschung widerlegte den Mythos von der Tragik der Allmende, der besagt, dass Menschen unweigerlich unkooperativ handeln, wenn da niemand ist, der sie im Zaum hält. Leider ist diese Erzählung bis heute sehr einflussreich. Dabei sehen wir das Gute täglich, auch in der Pandemie. So hingen in vielen Treppenhäusern Zettel, auf denen Nach-

Katharina Wiegmann ist Redaktionsleiterin des Online-Magazins Perspective Daily

bar:innen einander Hilfe anboten. Auch die breite Akzeptanz für Einschränkungen im Alltag drückten Solidarität aus. Geschichten wie diese sind wichtig für das Bild, das wir von uns als Spezies zeichnen. Dass sie zu wenig erzählt werden, daran ist

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auch ein Journalismus schuld, der sich auf das Kurzfristige und Negative fokussiert. Konstruktiver Journalismus ist anders: Er nimmt lange Linien in den Blick, hinterfragt und sucht Lösungen. Wer das tut, findet jede Menge Grund für Optimismus.

Fotos: Jana Schuler, Benji Moraru

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Brauchen wir im Angesicht der Klimakrise alle ein Überlebenstraining, Alex Krapp?


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