turi2 edition #16, Agenda 2022/Nachhaltigkeit

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Wie verändern Frauen den Investigativ| 2 Journalismus, Isabell Beer? Investigativ-Journalismus ist in Deutschland weiter männlich geprägt. Viel zu lange hat uns ein falsches Verständnis von Mut und Stärke geschadet. Anfangs dachte ich, meine Kollegen stecken harte Recherchen einfach weg. Also sprach auch ich nicht darüber, dass mir manche Bilder nicht mehr aus dem Kopf gingen, ich Albträume hatte – aus Angst, schwach zu wirken und dass mir keine Recherchen mehr zugetraut werden. Heute weiß ich: Eher wäre es seltsam, wenn das, was ich sehe, nichts mit mir macht. Gezeigt hat mir das der Mut meiner Kolleginnen, die offen darüber sprachen, auch

Fotos: Vera Tammen/ZEIT, privat, PR

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Isabell Beer ist InvestigativJournalistin bei Funk

über Momente, in denen sie nicht mehr konnten und Hilfe brauchten. Das zu hören war heilsam, denn so merkte ich, dass ich nicht allein war. Es ist gut, dass die Präsenz von Frauen im Investigativen zugenommen hat. Sie machen dort

einen riesigen Unterschied. Denn sie sprechen über Themen, über die zuvor oft geschwiegen wurde, etwa unseren Umgang mit traumatisierten Menschen. Junge Frauen brechen gerade alte Strukturen auf. Sie schweigen nicht, wenn sie ungerecht behandelt oder ungleich bezahlt werden. Diese Stärke hatte ich in ihrem Alter nicht. Aus Angst, keinen Job mehr zu kriegen, nahm ich vieles hin, auch verletzende Kommentare. Damit ist Schluss, weil Kolleginnen mich mit ihrem Mut angesteckt haben. Es ist an der Zeit, das falsche Verständnis von Mut und Stärke im In-

vestigativen zu durchbrechen. Mutig und stark ist, in dieser harten Branche zu seinen Schwächen und Fehlern zu stehen und zu sagen, wenn es einem nicht gut geht. Es ist nicht stark, Gefühle zu verschweigen, genau das macht krank. Auch wenn noch ein weiter Weg vor uns liegt – die ersten Schritte sind getan. Die Männer, die Investigativ-Journalistinnen schlechter bezahlen, sie abwerten, können sicher sein, dass sie damit nicht mehr lange durchkommen. Wir werden mehr und wir werden über Missstände nicht schweigen, auch nicht über die in der eigenen Branche.

Welcher Shitstorm erwartet uns 2022, Nicole Diekmann?

Die Welt liefert massig Anlässe, den Kopf auf den Tisch zu hauen. Bestürzend effektiv wird sie dabei unterstützt von den sozialen Medien. Man müsste seinen Kopf aber tatsächlich bereits sehr oft und sehr heftig auf den Tisch geknallt haben, um sich einen Shitstorm zu wünschen. So weit würde ich nicht gehen: Meine Impulskontrolle ist okay, mein Kopf ist es deshalb auch. Da ich aber weiß, dass Shitstorms (leider) inzwischen genauso untrennbar zu den Social Networks gehören wie Chaos zu Berlin, möchte ich mir wenigstens ein Thema für einen Shitstorm 2022 wünschen:

Facebook. Oder, wie es ja neuerdings heißt, Meta. Die Mutter von Facebook, Instagram, WhatsApp und anderen hat sich umbenannt. Ein gängiger Move, wenn eine Marke besudelt ist, ob zu Recht oder zu Unrecht. Wir erinnern uns: Dasselbe hat man bei AstraZeneca versucht. Wir erinnern uns auch: vergebens. Hoffentlich ist Facebooks Greenwashing-Versuch auch vergebens. Denn nicht der Name gehört geändert, sondern der Umgang mit dem Hass. Besudelt haben den Konzern neben Datenskandalen ja vor allem seine eigenen Nutzer – die, die einfach keine Lust

haben auf friedliches Miteinander. Facebook hat sie nicht aufgehalten. Nein, stattdessen hat der von Mark Zuckerberg wie von einem König regierte, allmächtige Konzern an der brandgefährlichen Kombi aus Algorithmen und gesellschaftlicher Erhitzung unglaublich viel Geld verdient. Und tut es noch. Wenn (nicht „falls“) es also sowieso weiter Shitstorms in hoher Schlagzahl geben wird – dies ist kein Aufruf, sondern lediglich ein Akzeptieren der Realität – dann doch bitte wenigstens solche, die sich gegen die Konzerne richten. Facebook dient hier nur als Chiffre. YouTube, Twitter und andere

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Nicole Diekmann ist ZDFJournalistin und Autorin der „Shitstorm-Republik“

sind ja keinen Deut besser. Wenn es dann noch Shitstorms light wären, also massive Kritik unter Beteiligung vieler Menschen und Weglassung von Gewaltandrohungen und Verunglimpfungen, wäre das ein Anfang.


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