turi2 edition #16, Agenda 2022/Nachhaltigkeit

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Gesunde Geschäfte Die „Apotheken Umschau“ gehört zur kleinen Spezies der Auflagen-Millionäre. Jetzt kommt die Rentner-Bravo selbst ins Rentenalter – und war nie so vital wie heute

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Dr. Sommer im Herbst des Lebens

Marianne Koch statt Megan Fox, Karl Lauterbach statt „Köln 50667“: Dass ihr Blatt als Oma-Lektüre gilt, nehmen die Macherinnen der „ApothekenUmschau“ mit Humor. Und gießen das Stereotyp 2022 sogar in Print Foto: Wort & Bild Verlag

u den wenigen Zeitschriften, die im Duden verewigt sind, gehört die „Apotheken Umschau“. Im „Wörterbuch der Szenesprache“ ist sie allerdings nicht unter A, sondern unter R zu finden – als „Rentner-Bravo“. Ein Spitzname, mit dem der Wort & Bild Verlag selbstironisch umgeht, wie er zum 66. Geburtstag seines wichtigsten Magazins beweist. So enthält die Ausgabe von Mitte Januar 2022 einen Sonderteil mit eigenem Cover im „Bravo“-Layout. Vom Titel lächelt Marianne Koch, die als Schauspielerin einst „Bravo“-Star war und als Medizinerin für die „Apotheken Umschau“ Kolumnen schrieb. Was die beiden Magazine zudem verbindet, ist ihr Gründungsjahr: 1956. Die erste Ausgabe ist 16 Seiten dünn, schwarz-weiß, Auflage 50.000. Heute ist die „Apotheken Umschau“ eine der wenigen Auflagen-Millionärinnen in Deutschland. Sie verkauft alle zwei Wochen 3,8 Millionen Hefte an die Apotheken und erreicht monatlich über 18 Millionen Menschen. Das zahlt sich aus: Für eine Anzeigenseite verlangt der Verlag bis zu 80.000 Euro. Die Geschäftsidee des 2014 verstorbenen Gründers Rolf Becker funktioniert bis heute. Eine Zeitschrift machen, die seriös, faktenpenibel und für alle verständlich über Gesundheitsthemen berichtet. Und die genau dort ausliegt, wo Menschen nach Rat und Hilfe suchen – in der Apotheke. So nutzt der Verlag ein riesiges Vertriebsnetz von bundesweit rund 18.750 öffentlichen Apotheken. Für Kundinnen ist die „Rentner-Bravo“ gratis, sie wird „bezahlt von Ihrer Apotheke“, was sogar prominent auf dem Titel

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steht. Je nach Menge, Ausstattung und Sonderwünschen, zum Beispiel eingedruckte Eigenwerbung, gehen zwischen 50 Cent und einem Euro pro Exemplar an den Verlag. Über die Jahrzehnte hat die „Apotheken Umschau“ gedruckte Geschwister bekommen. Die haben eigene Schwerpunkte, zum Beispiel Diabetes, Familie, Kinder, Senioren, und nutzen das bewährte Vertriebsmodell. Wettbewerberinnen sind regelmäßig an der Marktmacht des Wort & Bild Verlags gescheitert. Zu den Ausnahmen zählt die mit einer Auflage von einer Million deutlich kleinere „Neue Apotheken Illustrierte“, die schon lange mit ähnlichem Konzept und der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände als Herausgeber unterwegs ist. Ein echter Herausforderer könnte Burda werden. Vor knapp zwei Jahren hat der Medienkonzern „My Life“ gestartet und beliefert rund 7.000 Apotheken mit monatlich rund 2,3 Millionen Heften. Nach juristischen Streitigkeiten kann sich Andreas Arntzen, CEO des Wort & Bild Verlags, nun sogar vorstellen, mit dem erst ungeliebten Wettbewerber zu kooperieren. Derweil baut die „Apotheken Umschau“ ihr Non-Print-Angebot kräftig aus. Die Website erzielt 2021 in der Spitze 25 Millionen Visits und gehört zu den Top 30 aller deutschen Medienangebote. Auch Podcasts wie „Klartext Corona” und „Siege der Medizin“ ziehen ein großes Publikum an. Laut eigenen Angaben erreichen alle Print- und Digitalangebote des Verlags monatlich rund 28 Millionen Menschen. Roland Karle


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