Im Motorraum des BMW 1602 aus dem Olympiajahr 1972 sitzen 16 in Reihe geschaltete Autobatterien. Der elektrische Vortrieb reicht für kaum mehr als 42 Kilometer – die Distanz eines Marathonlaufs
Oliver Zipse, wir wollen über die 70er sprechen, über Markenprofile und die Zukunft der Mobilität. Warum sitzen wir in diesem Oldtimer in knallorange? Weil dieses Auto die charakteristischsten Merkmale eines BMW in sich vereint. Wir sitzen im BMW 1602 aus dem Olympiajahr 1972, der fuhr zum Beispiel vor dem Feld beim olympischen Marathon her und war unser erstes E-Auto. Der Motorraum war voller handelsüblicher 12-Volt Batterien, die in Reihe geschaltet waren, die Reichweite war nicht viel weiter als die 42 Kilometer der MarathonDistanz – und das auch nur, wenn man nicht zu schnell fuhr. Aber er steht für den Zeitgeist der 70er und auch für die Zukunftstechnologie E-Mobilität. Als Babyboomer des Jahrgangs 1961 erinnere ich mich natürlich an
Olympia in München und an die knalligen Farben der 70er. Der 1602 gehört als Ableger der sogenannten „Neuen Klasse“ zum Kern der Marke BMW. Die „Neue Klasse“ ist 1961 präsentiert worden, nachdem BMW durch eine schwere Krise gegangen ist. BMW hatte Ende der 50er keine Autos für die aufsteigende Mittelklasse. Es gab am unteren Rand die BMW Isetta, die in Lizenz von Iso in Mailand gebaut wurde. Die steht hier auch. Unfassbar, wie klein und zerbrechlich dieses Mini-Auto mit den drei Rädern wirkt, vor allem neben dem BMW iX. Daneben gab es die Oberklasse BMW 501/502/503, den „Barockengel“, wie er unter anderem wegen seiner geschwungenen Linien genannt wurde. Ein großartiges Fahrzeug – aber nahezu unbezahlbar
für die allermeisten Menschen. Es fehlte ein Auto der Mittelklasse, BMW geriet daraufhin in eine existenzielle Krise. 1959 kam es zu der berühmten Hauptversammlung, nach der Herbert Quandt das Unternehmen übernommen hat. Sein erster Auftrag an die Ingenieure war: Wir brauchen ein Auto für die Mitte – und das war die „Neue Klasse“. Sie stand für die Wiedergeburt der BMW-DNA, die in den 30ern vor allem vom BMW 328 geprägt worden war. Und sie gab der „Freude am Fahren“ ein neues Gesicht. Die Reihe passte perfekt zum Wirtschaftswunder, als Mobilität und die Urlaubsreise im eigenen Auto für immer mehr Menschen erreichbar wurden. Praktisch die Mittelklasse für die Mittelklasse. Das Auto als Ausweis des Aufstiegs, als Statussymbol: Ich bin fleißig, ich bin
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erfolgreich, ich habe Freude am Leben – und ich möchte das auch zeigen. Deshalb auch so knallige Farben wie orange, rot oder grün. Warum sind Farben in der automobilen Mittelklasse heute fast völlig verschwunden? Gefühlt gibt’s da nur schwarz und weiß und die Abstufungen dazwischen. Das müssen Sie unsere Kunden fragen. Ich denke, dass in der Mitte unserer Gesellschaft Eleganz, Zurückhaltung, Understatement angesagt sind. Sie sehen das beim Wohnen: Die knallroten Sofas der 80er sind out. Alle Farben sind ein bisschen gedeckt, gern auch natur. FarbTrends starten meist in der Modeindustrie, gehen dann übers Wohnen zum Auto. Wir schauen also auch auf das, was auf den Laufstegen in Mailand, Paris, Tokio und Shanghai gezeigt wird. Übrigens