turi2 edition #14 Social Media

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Marcus Bornheim ist Erster Chefredakteur von ARD aktuell

Fotos: Handelsblatt Media Group, PR, NDR/ Nadine Rupp

28 Wie viel TikTok-Tanz verträgt die „Tagesschau“, Marcus Bornheim? Alles fing damit an, dass ich bei unserem Strategie- und Innovationschef saß und wir auf der Suche nach einem neuen SocialMedia-Projekt waren. Uns war aufgefallen, dass die TikTok-App international stetig steigende Download-Zahlen hatte und so nach und nach auch in Deutschland ankam. Das war im April 2019. Wir einigten uns darauf, in unserem Formatlabor ein paar Piloten anfertigen zu lassen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie solche Videos aussehen könnten. Uns war klar, dass wir einen großen Spagat machen müssen: Die seriöse Nachrichtenmarke „Tagesschau“ und die Kurzweiligkeit von TikTok unter einen Hut bekommen. Nachrichten + X nennen wir das intern. Der

Kern der „Tagesschau“, wo auch immer sie auftritt, muss die Nachricht sein. Das X beschreibt den Bereich, der notwendig ist, um Erfolg auf der Drittplattform zu haben. Genau das macht den Reiz aus: Die Fallhöhe zwischen den Auftritten im TV und das Spielerische bei TikTok. Daher war immer klar: Wir machen Nachrichten. Wir erzählen sie nur anders und müssen mehr erklären, weil unsere Zielgruppe eine andere ist. Fast überall erreichen wir mit unseren Nachrichten – linear wie non-linear – primär Männer, TikTok nutzen vor allem junge Frauen. Für die „Tagesschau“ war das eine riesige Chance. Dennoch hatte ich einige schlaflose Nächte: Einige in der ARD und auch außerhalb haben

uns am Anfang in die Mangel genommen. Es gab viel Kritik, viel Kopfschütteln und viel Angst um die Seriosität der Marke „Tagesschau“. Kaum einer hat verstanden, dass wir hier einen wahren Schatz in der Hand hatten und welche Möglichkeiten es gibt, damit junge Leute für Nachrichten zu begeistern. Denn, völlig klar: Auch die unter 20-Jährigen interessieren sich brennend für Nachrichten, sie müssen nur anders aufbereitet sein. Im Nachhinein bin ich heilfroh, nicht auf die Bedenkenträgerinnen gehört zu haben. Wir hatten natürlich ein Pfund: die Prominenz unserer Sprecherinnen aus der „Tagesschau“ um 20 Uhr, die wir schnell für TikTok-Challenges begeistern konnten. Aber

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genauso wichtig sind auch junge Presenterinnen, die auf Augenhöhe mit den Userinnen sind. Die Mischung macht es – vor der Kamera wie inhaltlich: Die Lage der Uiguren in China, das Thema Schulöffnungen und eine Tanz-Challenge von Jens Riewa und Caren Miosga. Von Anfang an habe ich immer gesagt: Bei der „Tagesschau“ darf auch gelacht werden. Gestartet sind wir als Experiment, aber inzwischen gehört unser TikTok-Angebot zum gesamten Social-Media-Orchester der „Tagesschau“. Erst, wenn wir merken, dass wir zensiert werden, würden wir unser Engagement überdenken. Die Marke „Tagesschau“ darf nie beschädigt werden.


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