turi2 edition #14 Social Media

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16 Hat Indien ein Fake-NewsProblem, Akanksha Saxena? Akanksha Saxena berichtet für die Deutsche Welle aus Indien

Foto: DW

Im Sommer 2018 verbreiten sich in WhatsAppGruppen Nachrichten über eine Bande von Kindesentführerinnen im westindischen Bundesstaat Maharashtra. Fünf Wanderarbeiter werden daraufhin in einem Dorf im Bezirk Dhule von einem Mob gelyncht. Sie waren verdächtigt worden, die Entführerinnen zu sein. Kein Einzelfall. Gerüchte über Kindesentführungen, angefeuert durch virale WhatsAppNachrichten, fordern allein 2018 mindestens 17 Todesopfer in verschiedenen Bundesstaaten Indiens. Gerüchte über Rinderschlachtungen oder Organhandel haben im ganzen Land dazu geführt, dass Menschen angegriffen oder getötet wurden. Indien ist in eine Fake-News-Krise gestürzt. Mehr als 400 Millionen Inderinnen sind online, doch die digitale Kompetenz der Bevölkerung ist niedrig, soziale Medien werden kaum reguliert. Ein fruchtbarer Boden für Desinformations-Kampagnen. „Die Menschen kommen leicht an Smartphones mit Internetzugang, haben aber nicht die nötige Ausbildung, um den Wahrheitsgehalt der Behauptungen, die sie auf den Geräten empfangen, zu beurteilen“, sagt Rajneil Kamath, Herausgeber von NewsCheckerIn. Die Organisation versucht, Fake News in neun indischen Sprachen

aufzudecken. „Allein im Dezember 2020 hatten wir etwa 15.000 neue Nutzerinnen, die Behauptungen verifizieren wollten. Viele haben Fälle von Fehlinformationen aus Gruppen und Netzwerken gemeldet.“ Kamath hofft, dass die Zahl der Faktensuchenden weiter steigen wird. Gerade während der Corona-Pandemie werden glaubwürdige Nachrichten oft von ungeprüften Informationen im Internet übertönt. Fake News über falsche Heilmethoden oder Verschwörungsideologien sorgen für Panik, Unruhe und Angst. „Die erste Welle von Covid-19-Fehlinformationen in Indien hat sich um Ursprung, Ursachen, Verbreitung und Behandlung des Virus gedreht. Das ist schnell in Propaganda und Desinformation über-

gegangen“, sagt Shalini Joshi, Program Director Asia-Pacific bei Meedan, einer Organisation, die Faktencheck-Software anbietet. „Wir bezeichnen dies als Fehl-Infodemie, weil die Ausbreitung einer Krankheit durch virale Fehlinformationen begünstigt wird.“ Auch Indiens religiöse Bruchlinien spielen bei der Online-Verbreitung von Fake News eine Rolle. Im April 2020 treten Falschinformationen gegen Muslime verstärkt auf, nachdem mehrere Mitglieder einer muslimischen Gruppe, die an einer religiösen Versammlung in Delhi teilgenommen hatten, positiv auf Covid-19 getestet worden waren. Im Anschluss zirkulieren falsche Behauptungen, dass Muslime Überträger des Virus seien. Mehrere gefälschte

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oder aus dem Kontext gerissene Videos gehen viral. Es kursieren Videos, die behaupten, muslimischen Jugendlichen würde Covid-19-positives Blut injiziert. In einigen Orten führt dies zu Angriffen auf Menschen. Zwar sind in Indien mehrere FaktencheckOrganisationen aktiv, doch die Früchte ihrer Arbeit fallen angesichts der Menge an Fake News mitunter klein aus. Denn das Prüfen von Fakten benötigt Zeit und ein journalistisches Verständnis, während Fehlinformationen relativ schnell und ohne größeren Aufwand produziert sind. Auch aufgrund der niedrigen Alphabetisierungsrate funktionieren Fake News in Indien gut. Beim Entlarven von Fake News kann Technologie helfen, wenn auch nur begrenzt. „Es gibt keine KI, die Fake News ohne ein vorhandenes Referenzsystem erkennen kann“, sagt Fakten-Prüfer Kamath. Datenbanken müssen mit Anschauungsmaterial für die KI gefüttert werden. Die meisten Organisationen beschäftigen dazu Journalistinnen, Politik-Expertinnen und Datenwissenschaftlerinnen. Das Identifizieren von Falschinformationen bleibt vorerst Handarbeit. Und damit ein Job für Menschen.


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