turi2 edition #14 Social Media

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10 Hören Nachbarschaftsnetzwerke schon den Leichenwagen anrollen, Ina Remmers? Im Gegenteil. Gerade die Corona-Pandemie führt uns doch vor Augen, wie systemrelevant gute Nachbarschaft ist. Die Zahlen sprechen für sich: 2020 hatten wir einen Zulauf von 460.000 neuen Nutzerinnen. Derzeit liegen wir bei insgesamt 1,7 Millionen. Zu Beginn des ersten Lockdowns haben sich unsere Anmeldezahlen zeitweise verfünffacht, die Anzahl der Hilfsangebote verzehnfacht – eine wahre Welle der Solidarität war zu spüren. Noch immer sehen wir eine überdurchschnittlich hohe Aktivität auf unserer Plattform und

Ina Remmers ist Chefin der Burda-Tochter Nebenan.de

hohe Neuanmeldungen. Bei uns sind alle Nutzerinnen mit Klarnamen aktiv und adressverifiziert. Das schafft ein vertrauens-

volles, wertschätzendes Klima. Ein Drittel unserer Nutzerinnen ist auf keiner anderen Social-MediaPlattform aktiv. Bei uns treffen sich auch diejenigen, die keine Lust haben auf Hate Speech, Selbstinszenierung und Echokammern. In der Nachbarschaft sind die Wege kurz, gegenseitige Hilfe im Alltag ist ganz nebenbei möglich – ich muss nicht erst durch die halbe Stadt fahren, um jemandem in Quarantäne einen Einkauf vorbei zu bringen. Über unsere Plattform entstehen täglich unzählige bewegende Momente, Bekanntschaf-

ten und sogar Freundschaften. Auch lokale Gewerbe, gemeinnützige Organisationen sowie Städte und Kommunen nutzen unsere Plattform mittlerweile für ihre Kommunikation mit Menschen aus ihrer Umgebung. Ich bin überzeugt: Dieses „Ökosystem Nachbarschaft“, in dem sich alle Akteurinnen gegenseitig unterstützen, macht einen echten Unterschied für den lokalen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft – nicht nur in Krisenzeiten.

Fotos: nebenan.de/Maximilian Goedecke, privat, MGRTLD_RosaWeigl, Screenshot

11 Wann ist man zu alt für neue Medien, Ruprecht Polenz? Altersbegrenzungen gibt es für Disco-Besuche. Am Eingang kontrollieren Türsteherinnen, dass niemand unter 16 reinkommt. Unter 18-Jährige dürfen bis 24 Uhr bleiben. So will es das Jugendschutzgesetz. Nach oben gibt es keine Altersbegrenzung. Jedenfalls keine gesetzliche. Aber wer nach dem Urteil der anderen Besucherinnen zu alt aussieht für die Disco, bekommt das durch Blicke und Bemerkungen rasch zu verstehen. Das ist in den neuen Medien anders. Wobei ich hier aus eigener Erfahrung nur über Twitter

und Facebook schreiben kann. Wer älter ist als 13, darf bis zum Lebensende tweeten und posten. Die meisten Profilbilder geben über das Alter wenig Aufschluss. Trotzdem sind digitale Medien nicht völlig frei von Altersdiskriminierung. Seit 2010 diskutiere ich auf Facebook, seit 2019 auf Twitter. Ich lerne dort dazu und es macht mir Freude. Viele interessante Gesprächspartnerinnen hätte ich ohne die neuen Medien nicht kennengelernt. Wichtige Texte hätte ich nie gelesen. Natürlich bekomme ich auch einiges an Hass und Beleidigun-

gen ab. Aber darüber kann ich wegscrollen. Wenn es wiederholt ganz dick kommt, wird halt blockiert. Man muss sich nicht alles gefallen lassen. Ich bin jetzt 74 Jahre alt und habe sieben Enkel.

CDU-Mann Ruprecht Polenz war von 1994 bis 2013 MdB

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Auf Twitter und Facebook kommen ein paar Dutzend dazu, die mich mit „Opa“ anreden, das aber eher despektierlich meinen. Es gibt virtuelle Türsteher – in diesem Fall sind es in der Tat ausschließlich Männer –, die sich zu meinem Alter in einer Weise äußern, als zählten Argumente nur mit halb so altem Horizont. Abgesehen davon ist das Alter auf Twitter oder Facebook kein Thema. Zu alt zum Mitdiskutieren ist man erst dann, wenn man nichts mehr zu sagen hat. Das allerdings ist nicht zwingend vom Lebensalter abhängig.


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