turi2 edition #14 Social Media

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Frau Mohr, wie sähe die Tinder-Biografie der SPD aus? Trägt beim Date manchmal rote Socken. Mag Rotkäppchen, hitzige Diskussionen und Schlümpfe. Bringt eine große Familie mit, und 400.000 verschiedene Meinungen. Kompliziert, aber liebenswert und immer für Dich da. Da hört man: Wir sind im Wahljahr. Ist Wahlkampf online heute wichtiger als der auf der Straße? Nee, das wäre Quatsch. Es geht nicht mehr um ein Entweder-Oder. Das ist eine alte Denkweise. Man „geht“ nicht mehr ins Internet. Wir sind heute nicht mehr nicht online. Die Trennung von analog und digital, das Gegen­ einander-Ausspielen von analog und digital funktioniert nicht mehr. Begegnen Sie dieser alten Denkweise in Ihrer Arbeit bei der SPD noch? Bei der SPD ist das wie im wahren Leben: Es gibt Leute, die sehr viel häufiger und aktiver im Internet sind als andere. Ich zum Beispiel habe Freundinnen, die habe ich bei Twitter kennengelernt. Und solche, die nicht einen einzigen SocialMedia-Account haben. Was sagen Sie den Skeptischen in Ihrer Partei? Zu einer der größten Aufgaben von Politik gehört es, mit Menschen zu reden und Politik verständlich und erklärbar zu machen. Das heißt, Politikerinnen sollten schon eine gewisse Kommunikationskompetenz haben. Ich bin total überzeugt davon: Es gibt

so viel Platz im Internet, dass eigentlich für jeden etwas dabei ist. Es geht überhaupt nicht darum, überall präsent zu sein oder alles zu machen. Es gibt also kein “MustHave-Netzwerk” für Politikerinnen? Nö. Kann jemand vielleicht besonders gut mit Menschen reden – für den gibt es Clubhouse oder Podcasts. Kann jemand tolle, längere Texte schreiben – dann ist vielleicht ein Newsletter oder ein Blog das Richtige. Liegt es jemandem, vor der Kamera zu stehen und Sachen zu erklären – dann sind wir bei Videoformaten. Die Herausforderung ist, herauszufinden: Wie kriegt man jemanden dazu, wirklich Spaß an der Sache zu haben? Dieses “Sich-zwingen” kenne ich noch aus den Urzeiten des Internets, als es galt, Journalistinnen zum Twittern zu bringen, sich zu beteiligen an diesem Internet. Meine Erfahrung ist: Es bringt nichts, Leute zu zwingen. Du musst sie anzünden, sie müssen Bock haben. Das Argument „Wann soll ich das denn noch machen?“ hört exakt in der Sekunde auf, in der jemand Spaß an einer Sache hat. Wie hoch ist die Bereitschaft von Politikerinnen, sich in Social Media aus der eigenen Bubble zu wagen? Wir schicken bei Facebook gerade Olaf Scholz auf die Reise: Schau doch mal, welches Thema zum Beispiel bei „Spiegel Online“ gerade viel diskutiert wird – und poste dann da drunter auch einen Kommen-

»Es soll schon Parteivorsitzende gegeben haben, denen man den Zugriff auf Twitter oder Facebook entzogen hat«

tar. Komm mit den Leuten ins Gespräch, statt nur im eigenen Feed zu posten. Und das findet Olaf zum Beispiel super. Und die Kommentare kommen dann wirklich von Olaf Scholz – oder doch eher von seinen Beraterinnen? Klar, wenn Olaf Scholz bei der Ministerpräsidentenkonferenz ein Handy in der Hand hat, beantwortet er wahrscheinlich gerade Facebook-Kommentare. Nein, Spaß. Natürlich hat er ein Social-MediaTeam. Aber nichts wird kommuniziert, ohne dass Olaf es selbst gesehen und freigegeben hat. Aber selbst posten darf er auch? Es soll tatsächlich schon Parteivorsitzende gegeben haben, natürlich vor meiner Zeit, denen man den Zugriff auf Twitter oder Facebook entzogen hat, damit sie da nicht wieder wütenden Quatsch schreiben, der einem am nächsten Tag um die Ohren fliegt. Aber Olaf macht einfach selten richtig dumme Sachen. Steigt im Internet das kommunikative Risiko für Politikerinnen? Es haben sich natürlich schon Politikerinnen ins totale Elend geritten, weil sie unterschätzt haben, welche Dynami-

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ken wirken, wenn Worte, Aussagen und Bilder teilbar sind. Das Risiko gibt es aber inzwischen auch bei einer analogen Veranstaltung. Wir kennen die Handyvideos von Veranstaltungen kleinster Ortsvereine, bei denen sexistische Witze gemacht werden, die dann irgendwann im Netz auftauchen. Wenn man einfach nichts Dummes sagen würde, wäre das am besten. Verführen soziale Netzwerke wie Twitter dazu, auch Undurchdachtes rauszuhauen? Nicht Twitter, sondern das Internet an sich. Die Generation nach mir, diese jungen Leute: Die können so viel besser mit Öffentlichkeit umgehen. Weil sie es gewohnt sind, auf alles unmittelbares Feedback zu bekommen. Die denken viel mehr darüber nach, was das auslösen kann, was sie sagen oder tun. Die Generation vor mir dagegen hat bestenfalls einmal die Woche einen Leserbrief bekommen, den man in den Papierkorb werfen konnte. Und die Zwischengeneration, also meine, die da so reingerutscht ist ins Internet: Wir machen es mal besser, mal weniger gut. Aber es liegt uns nicht im Blut. Und deswegen passieren uns natürlich auch immer noch Fehler. Haben Sie für Politikerinnen, die sich im Netz unsicher fühlen, irgendeine Guideline – was ist cool, was ist peinlich? Ich weiß nicht, ob ich da die Richtige bin – mir ist nämlich grundsätzlich sehr wenig peinlich. Es kommt ja auch immer auf


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