Kemi, hättest du dir mit 15 einen Ort wie TikTok gewünscht? Nein! Wer hat als Teenager nicht seltsame Dinge von sich gegeben? Vor Kurzem habe ich auf Instagram das Video einer wunderschönen jungen Frau gesehen, die über eine invasive SchönheitsOP gesprochen hat, als wäre sie kein großes Ding. Wenn ich so etwas mit 15 regelmäßig gesehen hätte, hätte ich vielleicht auch gedacht: Mit mir stimmt etwas nicht, ich muss mein Gesicht ändern. Bist du heute selbstbewusster? Das hat weniger mit einem Mangel an Selbstbewusstsein, sondern mit einem Überfluss an Informationen und Bildern zu tun. Social Media kann total inspirierend sein und dich auf gute Ideen bringen – aber das Gegenteil ist auch möglich. Du bist vor allem auf Instagram aktiv. Ja. Für TikTok bin ich privat zu kamerascheu. Auf Twitter lache ich über witzige und smarte Kommentare. Leider geht es da oft auch sehr toxisch zu, weswegen ich meist nach ein paar Minuten wieder genug habe. Jedes Mal, wenn ich dort Rassismus thematisiere, kommen sofort Spam-Nachrichten von rechten Trollen. Dann lösche ich die App manchmal für ein paar Tage. Instagram ist im Vergleich wesentlich freundlicher, aber auch nicht harmlos. Bist du im echten Leben genauso aufgeräumt wie auf deinem Insta-Profil? Ja, schon. Ich empfinde es als unglaubliche Ablenkung, wenn Dinge in meiner Umgebung nicht in
»Unternehmen denken, ihre Arbeit sei getan, wenn sie Schwarze Models für Kampagnen einsetzen«
Ordnung sind. In meinem Kopf ist schon so viel Chaos und ich muss meine Gedanken ständig sortieren. Wenn dann auch noch um mich herum Chaos ist, stresst mich das. Wann zückst du dein Handy für eine Story? Bei guten Memes. Ich poste nicht so regelmäßig Updates wie manche Kolleginnen es tun, obwohl ich weiß, dass ich viel mehr tun könnte, besonders mit „Daddy“. Als wir eine Zeit lang jeden Tag etwas gepostet haben, ist unsere Community wesentlich schneller gewachsen. Was hält dich davon ab? Ich habe kein großes Bedürfnis, Selfies zu posten und der Welt ständig etwas mitzuteilen. Manche machen das gerne, dagegen ist nichts einzuwenden, aber das bin ich einfach nicht. Auf TrendThemen zu reagieren und sich online ständig zu positionieren, finde ich wahnsinnig anstrengend. Ich glaube auch nicht, dass meine Posts die Welt verändern würden. Was dann? Für die Fridays-for-Future- oder die Black-Lives-MatterBewegung sind die sozialen Netzwerke wichtige Kommunikationsmittel. Natürlich, aber ich glaube nicht, dass Selbstinszenierung oder InstagramAktivismus die Welt
verändern. Ich muss da vor allem an das schwarze Quadrat denken, das im Sommer 2020 plötzlich überall auf Instagram zu sehen war. Das kann man machen, viel wichtiger ist aber doch, was in der Realität passiert, wie sich dort die Strukturen verändern. Von diesem schwarzen Quadrat kann ich mir nichts kaufen. Awareness ist wichtig, aber was kommt danach? Der Todestag von George Floyd jährt sich bald. Das wird ein guter Zeitpunkt sein, um zurückzublicken: All diese Unternehmen, all diese Leute, die sich vorher nie über Anti-Schwarzen-Rassismus geäußert, und dann das schwarze Quadrat gepostet haben, was haben die seitdem gemacht, um gegen strukturelle Diskriminierung am Arbeitsplatz vorzugehen oder ihre eigenen rassistischen Vorurteile abzubauen? Für mich ist das Thema nicht mit einem Post, der Lektüre eines Buchs oder einer Demo abgehakt. Schön wär’s.
Du berätst Firmen, die diverser werden wollen. Worüber sprecht ihr? Oft sind es ganz banale Dinge. Ein klassisches Beispiel sind Unternehmen, die sich für progressiv halten und nach männlichen, weiblichen, diversen Kandidatinnen suchen. Dann haben diese Unternehmen aber Toiletten getrennt nach Männern und Frauen – manchmal mit bescheuerten, stereotypisierten Bildern. Sie sagen: „Bei uns sind alle willkommen!” Menschen, die sich nicht als männlich oder weiblich identifizieren, fühlen sich dann aber eben nicht willkommen. Sie könnten einfach diese Schilder runternehmen, damit wäre der erste Schritt getan. Aber allein das sprengt oft schon das Vorstellungsvermögen. Ich beobachte auch immer wieder, dass Unternehmen denken, ihre Arbeit sei getan, wenn sie Schwarze Models in ihren Kampagnen einsetzen, um so zu beweisen, wie divers und inklusiv sie sind.
Wie wichtig ist Social Media für euer Magazin? Ohne gäbe es „Daddy“ nicht. Wir verbreiten unsere Online-Beiträge darüber. Für das Printmagazin haben wir mit der Hilfe unserer Community auf Instagram, Twitter und Facebook erfolgreich Crowdfunding betrieben. Ich kann mich also nicht ganz davon fernhalten, auch wenn ich versuche, meine private Screentime zu reduzieren. Wir haben für „Daddy“ aber keine konkrete Social-MediaStrategie ausgearbeitet. Ich will, dass die Plattformen Spaß machen – und ich nicht ständig daran denken muss, jeden Tag Content rauszupusten.
Inwiefern? Firmen heuern für Kampagnen gerne Schwarze Frauen an, die dann mit einem schönen großen Afro und einem breiten Lächeln auf alle Plakate kommen. Das Unternehmen wirkt dann vermeintlich progressiv und die Verantwortlichen können sich auf die Schultern klopfen. Hinter der Kamera und oben in den Führungsebenen tut sich aber meist sehr wenig in puncto Diversität. In Meetings sind die Leute oft erstens verwundert, dass ich eine Frau bin, zweitens, dass ich Schwarz bin und drittens, dass ich die Chefin bin. Bei so viel Homogenität erwarte ich
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