turi2 edition #11 Fußball (in schweren Zeiten)

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INKA GRINGS

Regionalliga ist nicht genug

D

ie High Heels hat sie ausgezogen. In flachen Stiefeletten läuft Inka Grings an, versenkt den ersten und zweiten Schuss lässig in die untere rechte Ecke. Applaus. Grings grinst. Nach dem dritten Treffer unten rechts jubelt sie kurz. Jetzt drei hoch. Der Ball segelt zweimal im perfekten Bogen durch die Mitte des Lochs. „Ein historischer Moment“, ruft Katrin Müller-Hohenstein, Moderatorin des „Aktuellen Sportstudios“ an diesem Samstagabend im Oktober 2019. Grings läuft an, schießt. Der letzte Ball kracht an die Torwand, zehn Zentimeter neben das Loch, prallt ab. Grings fängt ihn – und knallt ihn mit voller Wucht auf den Boden, brüllt etwas, das klingt wie „Fuck, nein!“. Noch während der Ball aus dem Bild hüpft, lacht sie wieder. Erst acht Gäste haben vor Inka Grings fünfmal an der Torwand getroffen, der letzte 1999. Einer davon war Günter Netzer, keiner eine Frau. Sechsmal hat es noch niemand geschafft. „Ich kam mit dem Druck nicht klar“, sagt Grings dazu. Ein Witz, sie lacht immer noch. Inka Grings ist Druck vorm Tor gewöhnt. In der Bundesliga hat sie 314 Mal getroffen, Rekord bis jetzt, im Nationalteam 64 Mal. Sie war sechsmal Torschützenkönigin und zweimal Europameisterin. Jetzt trainiert sie ein Team der Herren-Oberliga. Wäre Inka Grings ein Mann, wäre das eine etwas enttäuschende Karriere im Profifußball. Als Frau ist sie damit eine Sensation. Der SV Straelen holt Inka Grings 2019 kurz vor dem Abstieg aus der Regionalliga West. Sie ist damit die erste und bislang einzige Trainerin einer Männermannschaft der oberen vier Ligen. Hermann Tecklenburg, Präsident des SV Straelen und Ehemann von Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg, bescheinigt Inka Grings „rechthaberische

Sturköpfigkeit“, nennt sie aber auch: „als Profi ein Vorbild“. Grings kann den Abstieg trotzdem nicht mehr verhindern. In der darauffolgenden Saison kämpft sie mit ihrem Team um den Wiederaufstieg – bis Corona die Saison vorzeitig beendet. Grings’ Erfolgsrezept: grenzenloser Ehrgeiz („Zufriedenheit kenne ich nicht“), Wissen, Leidenschaft. „Ich hatte vor der Saison jedem Spieler gesagt, dass er von mir so gefordert wird, wie vielleicht noch nie zuvor in seinem Leben“, sagt Grings im Interview mit der „Sport Bild“. Aber die Regionalliga reicht Inka Grings nicht. Ihr Ziel: BundesligaTrainerin im Männerbereich. Den Frauenfußball hat sie durchgespielt, mit allen Höhen und Tiefen. Dabei ist die gebürtige Düsseldorferin mit sechs Jahren eigentlich nur zum Fußball gekommen, weil der örtliche Tennisverein sie nicht aufnehmen wollte. Mit 17 wird sie Stammspielerin beim FCR 2001 Duisburg, wo sie bis 2011 bleiben soll, und debütiert in der Nationalmannschaft. Grings’ Profikarriere hält mehreren Verletzungen und einem Kreuzbandriss Stand. Nach Ende ihrer Spielerinnenlaufbahn 2014 trainiert Grings das Frauenteam des MSV Duisburg, steigt mit ihm ab in die 2. und wieder auf in die 1. Bundesliga. In den Männerbereich steigt sie ein als Trainerin der B-Jugend des FC Viktoria Köln. Die Bundesliga scheint da weit entfernt. Zurück zu den Frauen möchte Grings trotzdem nicht. „Ich will auch ein Stück weit Geschichte schreiben“, hat sie kurz nach ihrem Antritt beim SV Straelen gesagt. An der Sportstudio-Torwand war sie zehn Zentimeter davon entfernt. Im echten Leben sind es noch ein paar Meter und noch ein paar Patriarchats-Hürden mehr. Ein sturer Kopf kann da nicht schaden. Anne-Nikolin Hagemann

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Foto: picture alliance

Inka Grings ist Torschützenkönigin, Europameisterin und Torwand-Bezwingerin. Ihr nächstes Ziel: Bundesliga-Trainerin der Männer


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