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Keine Abkürzung

»Für Entwicklung gibt es keine Abkürzung«

Ulla Holthoff ist Sportjournalistin, Mutter von Mats Hummels und die Erfinderin des Sport-Talks „Doppelpass“. Sie hat persönliche Krisen gemeistert und guten Rat für die Zeit ohne Fußball

Von Heike Turi (Text)

Sie haben als Sportjournalistin den legendären „Doppelpass“ erfunden. Ihre Söhne sind der Weltmeister Mats und der Sportexperte Jonas Hummels. Wie groß ist Ihr Mutterstolz?

Ich freue mich einfach, dass meine Söhne ihr Leben so gut meistern, offenbar hat unsere Erziehung bei ihnen funktioniert. Das gibt mir ein Glücksgefühl, hat aber wenig mit Stolz zu tun. Und ja, den „Doppelpass“ habe ich ins Leben gerufen – auch wenn das kürzlich in der Jubiläums-Sendung zur 1.000. Folge überraschenderweise anders dargestellt wurde.

Was haben Sie Ihren Söhnen mit auf den Weg gegeben?

Sich für die Vielfalt des Lebens zu interessieren, denn das Leben ist die Summe von vielen Erfahrungen. Es gibt nicht nur den einen, geraden Weg. Auch Niederlagen gehören dazu. Das weiß auch Jonas, der wegen zweimaliger Kreuzbandrisse mit Knorpelschaden seine Karrierepläne als Profi-Fußballer aufgeben musste. Und heute die Vielfalt seines Lebens genießt, mit zwei Studiengängen in Psychologie und Internationalem Management, mit seiner Beteiligung an zwei Startups, seinem Job als Fußball-Experte und seinen vielfältigen kulturellen Interessen. Das Leben eines Profis auf dem hohen Niveau wie Mats es lebt, ähnelt dagegen einem Leben im Käfig. Der ist zwar aus Gold, aber es bleibt ein Käfig.

Gibt es im Hause Holthoff/Hummels ein anderes Thema als Fußball?

Auf jeden Fall. Meine Söhne sind auch politisch sehr interessiert. Homophobie und Rassismus erschrecken uns alle.

Was macht die Faszination Fußball aus?

Im Mikrokosmos Fußball spiegelt sich das ganze gesellschaftliche Leben wider. Mir als Sportjournalistin bietet der Fußball eine große Bandbreite an Themen: von der Sportpolitik über die Sportwissenschaft und Medizin bis hin zu juristischen Aspekten.

War Ihnen Fußball in die Wiege gelegt?

Kein bisschen. In meinem Elternhaus hat sich niemand für Sport interessiert. Ich bin in den sechziger Jahren aufgewachsen, zu der Zeit hatten die Menschen andere Sorgen – zumindest auf dem Land, wo ich herkomme. Ich wollte eigentlich Lehrerin werden.

Wie fanden Sie zum Sport?

Seit ich sechs Jahre alt war, habe ich mir gewünscht, ein Junge zu sein. Ich fand das Leben als Junge viel spannender als das von Mädchen. Jungs durften ihre Energie ausleben und wurden nicht ans Haus gefesselt. Mädchen mussten im Haushalt helfen: putzen, einkaufen, kochen, abwaschen, handarbeiten. Ich half mit geballter Faust in der Tasche. Sport war für mich Ausbruch aus der traditionellen Mädchenwelt. Erst viel später habe ich begriffen, wie erzkonservativ Fußball eigentlich ist.

Und warum Fußball?

Damals gab es noch keine Umkleiden am Sportplatz unserer Gemeinde. Die Mannschaften zogen sich in der Schule um und liefen nahe an unserem Haus vorbei. Das Geräusch der Stollen auf Asphalt und die Stimmen von fünfzig Männern, Spielern und Schiedsrichtern brachten Lärm in die heilige Sonntagsstille. Das hatte für mich etwas von Revolution. Ich bat meinen Vater, mit mir Sonntagnachmittag auf den Fußballplatz zu gehen.

Welche Emotionen ruft der Fußball in Ihnen hervor?

Früher bedeutete Fußball für mich relaxen. Seit ich vierzehn Jahre alt war, habe ich gearbeitet, um Schule und Studium zu finanzieren. Mein Tag war komplett durchgetaktet. Fußball war für mich Pause, loslassen, nichts tun. Heute sehe ich dem Fußball nicht mehr ganz so ruhig zu. Ich bin Dortmund-Fan. Wenn ich sehe, dass das Spiel in die falsche Richtung geht, halte ich das kaum aus und muss den Fernseher ausschalten. Ich bekomme sonst tatsächlich Herzrasen.

Die große Spielpause, die wir gerade erleben: Wird sie den Fußball verändern?

Auf Dauer? Kaum. Ich erinnere an den tragischen Freitod von Robert Enke vor zehn Jahren. Für eine kurze Zeit waren alle aufgeschreckt. Irgendwann lief das Fußball-Leben wie gewohnt weiter. Und mit Blick auf die Menschheitsgeschichte: Wir werden von einem Ereignis wachgerüttelt, sind für einen gewissen Zeitraum verunsichert und sensibilisiert, es kommt zu Solidaritätsaktionen. Und dann? Wenn es den Menschen wieder gut geht, kehren sie in ihre Verhaltensmuster zurück.

Was fehlt Ihnen in der fußballfreien Zeit?

Nichts. Ich habe in meinem Leben schon so viel Fußball geschaut, dass ich jetzt auch mit einer Pause gut klarkomme. Denn wenn man mal ehrlich ist: Fußball kann auch zur bloßen Gewohnheit werden. Wie oft sieht man einem Spiel zu, ohne zu hinterfragen, was man stattdessen tun könnte? Jetzt habe ich Zeit, die Schränke und den Keller auszumisten, den Garten auf Vordermann zu bringen und die vielen ungelesenen Bücher zu lesen.

Was war die größte Herausforderung in Ihrem Leben?

Die war privater Natur: Ich musste eine tiefe Depression überwinden. Das war das Anstrengendste und Umwälzendste, was ich je erlebt habe. Alles daneben erscheint leicht. Die Phase war extrem wichtig, um den inneren Frieden zu finden, in dem ich heute lebe. Aber auch ganz allgemein im Leben habe ich die Erfahrung gemacht: Für Entwicklung gibt es keine Abkürzung. Man muss jede Herausforderung lieben lernen.

Berufliche Herausforderungen nehmen Sie spielerisch?

Nicht immer. Der Wechsel zum ZDF Anfang der Neunziger war ein großer Schritt. Ich war vorher Printjournalistin und habe mich zu Beginn sehr schwergetan. Es hat ein Jahr gebraucht, bis ich innerlich akzeptiert hatte, dass Fernsehjournalismus ein anderer Beruf ist.

Was mussten Sie beim Fernsehen lernen?

Als schreibende Journalistin war ich gewohnt, unvoreingenommen loszuziehen, zu jagen und zu sammeln und das Material erst dann zu sortieren. Beim Fernsehen musste ich lernen, vom Bild her zu denken und mir vorab zu überlegen: Was kann bei einem Termin passieren? Was soll der Kameramann für mich einfangen? Ich muss im Vorfeld definieren, was mein Beitrag transportieren soll. Das schränkt die Arbeit einerseits ein. Dafür bietet das Fernsehen mit seinen Bildern ein intensiveres Erleben. Dazu kommt, dass ein Artikel in einer Zeitung oder Zeitschrift von Detailbeschreibungen und Hintergrundinformationen lebt. Mit dieser Arbeitsweise kam ich beim Fernsehen nicht weit. Meine ersten Beiträge habe ich so zugetextet, dass mir die Bilder davongelaufen sind.

Was schätzen Sie an Ihrem Beruf?

Das ist keine leichte Frage, denn mein Beruf heute hat nichts mehr mit dem Beruf zu tun, den ich einmal ergriffen habe. Wir hatten früher direkten Zugang zu Trainern, Spielern und Managern. Heute sind sie abgeschottet. Ich weiß noch, wie ich 1992 bei der Europameisterschaft in Schweden mit der Kamera in den Spielerhotels frei herumgelaufen bin und meine Beiträge gemacht habe. Heute läuft alles nur noch über die Presseabteilung. Als Fernsehjournalistin bin ich der verlängerte Marketingarm von Vereinen und Verbänden. Wir produzieren die Bilder nicht mehr selbst, und im Stadion stehen wir vor der Sponsorenwand. Das hat seine Gründe und vielleicht auch Berechtigung. Aber es ist nicht mehr der Beruf, den ich geliebt habe.

Wie war das damals, als einzige Frau unter Männern?

Wie haben Sie sich Respekt verschafft? Das war nicht schwierig. Ich bin eher der sportliche Typ und habe darauf verzichtet, mich wie eine Püppi zu kleiden. Außerdem wusste ich unglaublich viel über den Sport. Ich kannte den Fußball ja von innen. Mein Mann war selbst Fußballer. Die, mit denen wir an der Sporthochschule studiert hatten, sind Sportler, Trainer oder Manager geworden. Vielleicht blickte ich deshalb auch zu Beginn meiner Karriere nicht so naiv auf den Sport, wie es heute manchmal bei Sportkommentatoren zu beobachten ist.

Welchen Rat geben Sie jungen Kolleg*innen?

Ganz einfach: sich interessieren für das, was man tut – und sich selbst nicht zu wichtig nehmen. Mit der leidigen Tendenz, auch Interviewer und Kommentatoren im Bild einzublenden, nimmt man sich im TV heutzutage wichtiger als das Ereignis an sich. Das macht das Ereignis schwach und damit die Präsentation des Sports.

Was läuft schief im Fußball?

Wieso fragen wir nicht: Was läuft gut im Fußball? Es nervt mich am Journalismus, immer nur das Negative zu beleuchten. Wir zerfleischen uns geradezu in Deutschland, dabei ist das hier das Land unbegrenzter Möglichkeiten. Auch meine Kollegen beim „Sportstudio“ haben in den achtziger Jahren den Fußball so lange negativ geredet, bis die Stadien halb leer waren. Da musste erst ein Reinhold Beckmann mit der Sendung „ran“ kommen, um dem Fußball ein interessantes, positives Image zu geben. Parallel dazu hat sich im Fußball vieles sehr positiv entwickelt. Ich erinnere daran, mit welcher Aggressivität früher die Spieler aufeinander losgegangen sind, welch brutale Fouls es gab, wie oft Spiele unterbrochen werden mussten. Mittlerweile geben sich die Spieler auf dem Feld die Hand und gehen so viel sorgsamer miteinander um. Und als integrative Kraft verschiedener Kulturen ist der Sport ohnehin nicht mehr wegzudenken.

Was wünschen Sie sich aktuell für den Fußball?

Der Fußball sollte seine gesellschaftliche Vorbildfunktion ernst nehmen. Er steht immer noch für Regeln, Fairness, Toleranz und Gemeinsamkeit. Diese Werte dürfen auch in dem Milliarden-Marketing-Business Fußball nicht zu Floskeln werden. Sie sind die tragenden Säulen jeder Gemeinschaft. Sicherlich habe ich kein Patentrezept, wie mit Ultras und Hardcore-Fans umzugehen ist. Doch ich finde, der Fußball sollte mehr Geld in soziale Projekte stecken. Es mag blasphemisch klingen: Der Fußball hat für viele Menschen heute die Funktion von Religion und Kirche.

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