turi2 edition #11 Fußball (in schweren Zeiten)

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Kraft für Neues Zwischen Evonik und Borussia Dortmund stimmt die Chemie. Trotzdem geht der Konzern auf Abstand zum Club

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arkus Langer macht sich nichts vor: „Unser Geschäft ist unsexy.“ Es ist in der Tat schwer möglich, die breite Öffentlichkeit mit dem Zauber der Spezialchemie zu verführen. Der einzige Chemiker, für den sich die Welt interessiert, ist Walter White – Protagonist der US-Serie „Breaking Bad“. Deshalb setzt Langer, Leiter der Markenkommunikation bei Evonik Industries, auf den Fußball, um die Marke laut zu machen und emotional aufzuladen. Nicht besonders kreativ, aber effizient. Denn der Fußball lockt mit Riesen-Reichweiten und positiven Attributen – exakt das, was das in Essen beheimatete Unternehmen mit Kunstnamen dringend brauchte. Evonik ist 2007 als Ausgründung des Steinkohlekonzerns RAG entstanden. Der Kernbereich geht aber auf die einstige Goldschmiede Degussa zurück. Die soll historisch tief in viele NS-Verbrechen verstrickt gewesen sein. Eine Degussa-Tochter lieferte Zyklon B, mit dem Juden in Auschwitz vergast wurden. In DegussaSchmelzöfen wurde auch ihr Zahngold verarbeitet. Evoniks Liaison mit dem BVB begann ebenfalls 2007. Dem Kultklub aus dem Pott ging es damals sportlich wie wirtschaftlich miserabel. Das auf Jahre hinaus angelegte, millionenschwere Trikotsponsoring sollte dem Verein Erlösung und Evonik eine Seele verheißen. Für beide Seiten ging die Rechnung auf. Irgendwann jedoch geriet der einstige Herzens-Deal – Evonik war inzwischen auch der größte Anteilseigner von Borussia Dortmund – zum Mühlstein: Der Chemiekonzern saß in der Kostenfalle und der Verein in einer Art goldenem Käfig. „Der Vertrag nahm dem BVB Wachstumspotenzial, daran konnten auch wir kein Interesse haben“, formuliert Langer artig. Der Profi-Fußball ist heute ein Milliarden-Geschäft und und weckt auch beim BVB Begehrlichkeiten. Evonik wollte und konnte die nicht allein befriedigen. Ab der Saison 2020/2021 steigt mit dem Internetdienstanbieter 1&1 aus Montabaur daher ein zweiter Trikotsponsor ein. Als Bühne nutzt er die Bundesliga. Evonik kappt sein Budget – dem Vernehmen nach um gut die Hälfte – und beschränkt sich auf DFB-Pokal und internationale Wettbewerbe. Offizielle Begründung: Ziele national erreicht.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Konzern mit gut 15 Milliarden Euro Umsatz und über 36.000 Mitarbeitern auf eiserne Kostendisziplin dringt. Es passt also ins Bild, dass Evonik Schritt für Schritt als Aktionär beim BVB aussteigt. Der Teilrückzug von den Leibchen schafft Raum und gibt – ganz im Sinne des KonzernClaims – „Kraft für Neues“. Laut Markenchef Langer soll das abgespeckte BVB-Sponsoring „weiter weltweit Türen öffnen, die uns ohne den BVB nicht offenstehen würden“. Der Chemie-Riese will sich auch als Employer Brand stärken. Langer hat Romanistik studiert (Schwerpunkt Französische Literatur), mit Politik und Wirtschaft in den Nebenfächern – das ist eher ungewöhnlich für typische Marketer auf Unternehmensseite. Es könnte aber erklären, warum er das Sponsoring-Engagement seines Hauses eher „sophisticated“ angeht. Neben Fußball fördert Evonik auch gehobene Kultur, von dem Dirigenten Thomas Hengelbrock samt Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble über die Ruhrfestspiele in Recklinghausen bis zum Kammermusik-Festival im Jüdischen Museum Berlin. Letzteres kommt nicht von ungefähr: Aus der Historie der Evonik-Vorläufer heraus und mehr noch im Angesicht der aktuellen Entwicklungen sieht sich der Konzern in der Pflicht. „Wir sind nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern auch zivilgesellschaftlicher Akteur“, betont Langer. In dieser Rolle müsse Evonik dazu beitragen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu stärken. Damit einher geht eine gelebte Erinnerungskultur im Konzern und darüber hinaus, unter anderem mit gemeinsamen Gedenkstättenreisen mit dem BVB. Jedes Jahr besuchen Mitarbeiter beider Seiten das KZ Auschwitz. Es gibt weitere Aktionen – sowohl von Evonik als auch vom BVB. Die Menschen im Konzern und im Stadion sollen sensibilisiert werden. Am gefährlichsten sei nicht die schreiende Minderheit, sondern die schweigende Mehrheit, mahnte eine Überlebende des KZ Theresienstadt einmal. Evonik und der BVB wollen diese Mehrheit ermutigen, ihr Schweigen zu brechen. Der Fußball als Sport kann das nur bedingt: Trikots mögen Marken aufbauen, aber keine Haltung.

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Foto: picture alliance

Von Bijan Peymani (Text)


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