Tonkünstler-Magazin Nummer 8

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tion, «weil sie den Musikern eine Form gibt, frei zu musizieren.» Man könnte beinahe von komponierter Improvisation sprechen, denn das Neue an kompositorischer Substanz kommt so unerwartet und überraschend, dass es wie aus dem Moment der gerade stattfindenden Aufführung heraus erfunden scheint. Haydn verweigerte dem Pariser Publikum die damals gewohnten «galanten» Melodieketten, er setzte diesem oftmals nur mehr aus Ausschmückungen bestehenden Stil seine konsequente und radikale thematische Verarbeitung entgegen. Noch bevor sich eine Melodie gemütlich ausdehnen kann, bricht Haydn schon ihren Kern auf, gewinnt daraus neue, aufregende Motive und Melodieteile, setzt sie in ungewöhnliches harmonisches Licht und weckt die in ihnen schlummernde Dynamik. «Eine Musik voller Motorik, wie von einem Propeller angetrieben», so Järvi: «Aus dem harmonisch und melodisch minimalistischen Plan entwickelt Haydn eine Menge von Steigerungen.» Järvis Aussage deckt sich förmlich mit einer Beschreibung aus der Zeit Haydns und dessen Konzerten in der Loge Olympique: «Mit jedem Tag wächst das Verständnis und damit die Bewunderung für die Werke dieses großen Genies. Wie gut versteht er sich darauf, einem einzigen Thema die reichsten und verschiedenartigsten Entwicklungen abzugewinnen.» Der aufklärerische Geist Haydns traf sich mit der Offenheit und Neu-Gier der Pariser. Haydn erfasste zudem die Stimmung in Paris und den Charakter der Pariser gut. «Er liebte Frankreich», so Järvi, «und man kann in den Symphonien Paris förmlich riechen.» Haydn gönnte es dem Publikum auch, sich in den Symphonien wiederzufinden. So baute er in die Symphonie Nr. 85 B-Dur, mit der Järvi seinen losen Zyklus der Pariser Symphonien eröffnen wird, die damals in Frankreich beliebte Romanzenmelodie «La gentille et jeune Lisette» ein und widmete dem Thema entzückende und fantasievolle Variationen. Da diese Romanze auch zu den Lieblingsstücken der Königin Marie Antoinette gehörte, die im Übrigen regelmäßig die Konzerte der Loge Olympique besuchte, erhielt die Symphonie den Beinamen «La Reine». Die Publikumswirksamkeit hat auch mit dem durchwegs positiven Grundzug von Haydns Musik zu tun. Järvi: «Die Pariser Symphonien sind lichterfüllt, strahlend und leuchtend.» Und oft mit einer kräftigen Brise Humor gewürzt, wobei Haydns Witz voller Geist ist und aus dem Abwechslungsreichtum seiner Musik kommt. Ein Esprit, wie geschaffen für Paris. PARISER SYMPHONIEN Symphonie B-Dur Hob. I:85 «La Reine» (im Rahmen des Programms VIVE LA FRANCE!) So 12. 3., 16 Uhr, Wiener Musikverein Mo 13. 3., 19.30 Uhr, Festspielhaus St. Pölten Di 14. 3., 19.30 Uhr, Wiener Musikverein Mi 15. 3., 19.30 Uhr, Wiener Musikverein Symphonie C-Dur Hob. I:82 «L’Ours» (im Rahmen des Programms DIE FÜNFTE) Sa 13. 5., 19.30 Uhr, Wiener Neustadt So 14. 5., 16 Uhr, Wiener Musikverein Mo 15. 5., 19.30 Uhr, Festspielhaus St. Pölten Di 16. 5., 19.30 Uhr, Wiener Musikverein Symphonie Es-Dur Hob. I:84 (im Rahmen des Open Airs NIGHT PRAYERS) Sa 26. 8., 18.30 Uhr, Schloss Grafenegg

PRESSESPIEGEL Die Zukunft des Jüngsten Gerichts Große Begeisterung lösten die Aufführungen von Franz Schmidts «Das Buch mit sieben Siegeln» zur Saisoneröffnung 05-06 nicht nur beim Publikum aus, sondern auch die Medien reagierten mit ausgezeichneten Kritiken auf die Interpretation vom Tonkünstler-Orchester und von Kristjan Järvi. «Die Zukunft des Jüngsten Gerichts: Kristjan Järvis ... Blick wurzelt in der Gegenwart – und interessiert sich ... für das Moderne an Schmidts Tonsprache: Klar, scharf umrissen, auch ätzend tönte es da manchmal, wurden die formalen Blöcke durch lange Generalpausen fast zum Fragmentarischen zugespitzt, ohne den Zusammenhalt aufs Spiel zu setzen. Eine vergleichsweise vielleicht nüchterne, aber neugierige, hellwache Auslegung wurde geboten. Sauber, akkurat und engagiert folgDie Presse ten Järvi die Tonkünstler …» «Kristjan Järvi gelingt mit ‹seinem› Tonkünstler-Orchester, dem Wiener Singverein und einer ausgewogenen Solistengruppe eine intensive Wiedergabe. Man konnte das Werk aufnehmen, ohne dass Überinterpretation die Sinne unverhältnismäßig Der Standard bedrängte. Deo gratias!» «Kristjan Järvi inszeniert Schmidt ‹zeitgemäß›, klarlinig, in geschlossenen Blöcken, scharfen Konturen und schöner Klangbalance. Es schadet Schmidt keinen Moment, dass sich Järvi mehr um Strukturen und Farbenspiele kümmert als um den spätromantischen Farbenzauber. Das Klangtheater apokalyptischer Visionen wird auch in dieser Analyse des Schreckens spürbar. Konzentriert und klangschön sind die Tonkünstler im Neue Kronenzeitung Intensiveinsatz … Riesenerfolg!» «Kristjan Järvi spürte nicht nur den Bezügen zu alten barocken Vorbildern nach, sondern führte auch den Farbenreichtum vor, der im ‹Buch mit sieben Siegeln› aufzufinden ist: Bach, der Wagner des ‹Parsifal› und der Neoklassizismus eines Strawinski waren in einer Weise gegenwärtig, die das Besondere der Musik Franz Schmidts hörbar werden ließ. … Weich schmiegten sich die Streicher darunter und selbst das Blech … schien die Noten mit Samthandschuhen anzufassen. Die Aufführung braucht den Vergleich mit berühmter Konkurrenz nicht zu Salzburger Nachrichten scheuen.» «Kristjan Järvi klopfte wacker den spätromantischen Staub aus dem Monumentalwerk: so klar und unprätentiös erklang Franz Schmidts Werk schon lange nicht mehr. … Die Tonkünstler arbeiteten klangschön und mit großem Einsatz. Jubel im ausNiederösterreichische Nachrichten verkauften Haus!»

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