«WENN ICH MEIN INSTRUMENT IN DER HAND HABE, MÖCHTE ICH IM DIALOG SEIN.» Emmanuel Tjeknavorian, Violinvirtuose und Dirigent, und Tonkünstler-Konzertmeister Kirill Maximov über die Kommunikation beim Musizieren, das Begleiten im Orchester, gute Dirigenten und eine Stradivari, die nur einen von beiden glücklich macht
Stellen wir uns folgende Situation vor: Gast
E M M A N U E L T J E K N A V O R I A N Als Künstler
solistin oder -solist, Dirigentin oder Dirigent
spürt man sofort, bei den ersten Tönen, ob sich
und das Orchester treffen sich zur ersten Probe,
Solist und Konzertmeister als Menschen be-
niemand kennt sich. Wann und woran merken
gegnen oder in erster Linie als Geiger. Und ob
Sie, dass die Zusammenarbeit gut wird?
es wirklich darum geht, auf einer gemeinsamen
E M M A N U E L T J E K N A V O R I A N In dieser Situa
Wellenlänge Musik zu machen, sie zu leben und
tion geht es zuallererst um zwischenmenschliche
zu genießen.
Beziehungen – wie im täglichen Leben. Wenn man versucht, sie zu beschreiben, scheitert
Wie macht man es als Solist denn richtig?
man zwangsläufig, denn warum man jemanden
E M M A N U E L T J E K N A V O R I A N Indem man von
sympathisch findet, lässt sich nicht gut in Worte
Anfang an signalisiert, dass es nicht um die
fassen. Mir reichen zwei Sekunden, um das
eigene Person geht. Jemand, der mit Allüren
herauszufinden: ein Händedruck, ein Blick in
kommt, sich prätentiös gibt und den Starvir
die Augen. Der Rest ist Professionalität.
tuosen heraushängen lässt, wird es immer
K I R I L L M A X I M O V Als Konzertmeister spüre
schwer haben. Wenn man dem Orchester aber
ich sofort, ob unsere Gastsolisten viel oder
vermittelt, dass man sich als Teil des Gesche-
wenig Erfahrung haben im Zusammenspiel mit
hens begreift und dass es um das Miteinander
dem Orchester. Besonders deutlich wird das bei
im Musizieren geht, kann eine wunderbare
den symphonisch angelegten Solokonzerten wie
Kommunikation entstehen.
jenen von Brahms oder Tschaikowski. Sind sie noch sehr jung oder zum ersten Mal in Wien,
Apropos Miteinander: Ist die Partnerschaft
kann es sein, dass sie am Anfang etwas nervös
zwischen dem Orchester und dem Solisten
sind. Dann braucht es etwas mehr Zeit als zwei
immer eine gleichrangige?
Sekunden, um entscheiden zu können, ob die
K I R I L L M A X I M O V Das hängt natürlich
Chemie passt oder nicht.
vom Stück ab. In einem Paganini-Konzert beispielsweise ist die Solo-Geige ganz stark im
Was tut ein Konzertmeister, um jemandem über
Vordergrund.
diese erste Unsicherheit hinwegzuhelfen?
E M M A N U E L T J E K N A V O R I A N So etwas spiele
K I R I L L M A X I M O V Keine Ahnung, ob ich wirk-
ich nicht. Aus genau dem Grund: Weil ich ein
lich helfen kann – aber freundlich zu schauen
Partner sein möchte!
ist immer ein Anfang.
Im Gespräch — P 6