!ticket Februar 2018

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Hunger auf „Afrika! Afrika!“ zeichnet ein erstaunlich heiteres Bild von einem Kontinent, der in Europa tendenziell durch seine dunklen Seiten bekannt ist: Nur zu gut ist etwa die letzte Hungersnot 2016 in Äthiopien in Erinnerung geblieben, mit bis aufs Skelett abgemagerten Menschen. Doch in Äthiopien begegnet man tatsächlich nicht nur dem Schmerz, sondern auch dem Lächeln: Wo viel Schatten, ist fürwahr auch viel Licht. TEXT: STEFAN BAUMGARTNER

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m Disney-Film „Der König der Löwen“ (Seite 28/29) werden sie als „vulgär und beschränkt“ besungen: die Hyänen. In weiten Teilen der Welt gelten die Aasfresser wenig, werden verachtet. Man nennt sie boshaft und verschlagen. Es heißt sogar, selbst gegenseitig würden sich die Tiere derart misstrauen, dass sie niemals hintereinander durch die Steppe laufen, sondern stets Seite an Seite. Doch anderthalbtausend Kilometer nördlich des „geweihten Landes“, dem kenianischen Samburu, liegt im Osten Äthiopiens am Horn Afrikas eine Stadt, in der man so etwas wie Verbundenheit für die Hyäne empfindet: Harar. Beinah ehrfürchtig nennt man sie dort auch „Durma Sheik“: „junger Priester“. Es war der Emir Nur ibn al-Wazir Mujahid, der im 16. Jahrhundert auf die in Ostafrika ausgefallene Idee kam, zum Schutz vor Feinden eine Mauer rund um die Stadt zu bauen. Just zu dem Zeitpunkt, so erzählt die Sage, fielen auch die Hyänen in die Stadt ein und der Hyänenkönig mokierte sich beim Stadtfürst, dass seine Untertanen

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nun nicht mehr in die Stadt kämen, um sich an Abfall zu laben und stellte zwei Bedingungen: „Wenn du Frieden willst, müsst ihr uns auch Tore bauen, wie ihr sie für euch selbst macht. Und zur Besiegelung des Vertrags müsst ihr uns einmal im Jahr mit dem füttern, was ihr selbst esst.“ Tatsächlich hatte der Ältestenrat der Stadt vor knapp 500 Jahren wohl ein schier unlösbares Problem zu lösen: Bereits damals schon litt das Land unter großer Dürre und demzufolge einer schweren Hungersnot, und die Hyänen der Umgebung begannen, Jagd auf die Bewohner von Harar zu machen. Fungieren sie heute als natürliche Müllabfuhr, waren sie damals eine tatsächliche Bedrohung. Ob jetzt eineGeschichte oder dieGeschichte Wahrheit spricht: Bis heute kommen die Hyänen durch Löcher in der Mauer nachts in die Stadt, um die Straßen von Abfall und Aas zu reinigen. Und bis heute bereiten ihnen zum muslimischen Neujahrsfest Aschu-

ra die Priester Genfo, Porridge mit Butter obenauf – rätselhaft, warum Karnivoren Getreidebrei fressen. Das Mahl ist jedoch mehr als ein jahrhundertealter Pakt, er dient den Priestern auch als Orakel für die Zukunft: Wenn die Tiere keinen Appetit zeigen und nichts essen, bedeutet das Unglück im kommenden Jahr. Essen sie dagegen alles, droht den Menschen Hunger. Am besten ist es, die Tiere lassen ein bisschen in der Schale zurück. Mutprobe Doch nicht nur die Priester füttern die Hyänen: Vor den Stadttoren können gewillte Touristen einem Spektakel beiwohnen, das sich in den sagenumwogenen Pakt einfügt: Vor gut 60 Jahren soll der Gerber Dazu aus dem Stamm der Issa ein Haus an der Stadtmauer bezogen haben. Der Gestank seiner Lederhäute lockte naturgemäß die Hyänen an, und er warf ih-


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