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ÖFFENTLICH-RECHTLICHE QUALITÄT IM DISKURS

PUBLIC VALUE

… ist die Antwort auf die Fragen:

• Wie erfüllen öffentlich-rechtliche Medien ihren gesetzlichen Funktionsauftrag?

• Was leisten sie für Mediennutzer:innen und die Gesellschaft?

• Welchen Nutzen und Mehrwert schaffen sie für Bürgerinnen und Bürger?

• Wie und wodurch garantieren sie Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit und vertrauenswürdigen Journalismus?

Public Value ist mehr als eine Behauptung.

Daher hat der ORF ein umfangreiches Qualitätssicherungssystem etabliert, das die Medienproduktion intensiv analysiert und durch externe, wissenschaftliche Prüfung kontrolliert.

• Public Value-Berichte dokumentieren die Medienqualität des ORF anhand der Arbeit seiner Mitarbeiter:innen und konkreter Medienformate in TV, Radio und Online.

• Public Value-Jahresstudien widmen sich den Herausforderungen der Zukunft.

• Publikums- und Expert:innengespräche garantieren eine externe Reflexion der Medienproduktion des ORF.

Um eine öffentliche und kritische Auseinandersetzung darüber zu führen, hat ORF/Public Value zahlreiche Maßnahmen etabliert:

• Das DialogForum, eine Diskussionsreihe mit internationalen Gästen, bietet einen öffentlichen Debattenraum zu unterschiedlichen Fragen öffentlich-rechtlicher Qualität.

• PUBLIC VALUE TEXTE veröffentlicht Beiträge von Wissenschaftler:innen und Medienexpert:innen aus aller Welt.

• Die internen Informationsreihen FAST FORWARD und DenkRaum wenden sich an ORF-Mitarbeiter:innen, um die Herausforderungen der Zukunft zu thematisieren und praxisnah umzusetzen.

Informationen darüber, News aus der Welt der öffentlich-rechtlichen Medien, Videostatements und jede Menge Zahlen, Daten und Fakten zur Medienproduktion des ORF finden Sie auf dem Online-Auftritt von Public Value: ZUKUNFT.ORF.AT

HERAUSGEBER UND HERSTELLER: Österreichischer Rundfunk, ORF, Würzburggasse 30, 1136 Wien

DESIGN: ORF Marketing & Creation GmbH & Co KG

FÜR DEN INHALT VERANTWORTLICH: ORF-Generaldirektion Public Value REDAKTION Klaus Unterberger, Konrad Mitschka

gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse” des Österreichischen Umweltzeichens, ORF Druckerei, UW 1237

1. Auflage, © ORF 2025 Reaktionen, Hinweise und Kritik bitte an: zukunft@ORF.at

STANDHALTEN – KURS HALTEN

Sie bezeichnen Journalist:innen als „Abschaum“; als „ korrupte Wanzen“ und „Bastarde“, sie drohen ihnen mit existenzgefährdenden Klagen und fordern ihre Entlassung. Sie streichen Förderungen für kritische Medien und sperren unliebsame Reporter:innen von Pressekonferenzen aus. Um ihren Einfluss auf Redaktionen geltend zu machen, betreiben sie „Message Control“, lenken öffentlich finanzierte Inseratenfinanzierung zu ihren Gunsten und unterwandern ehemals unabhängige öffentlich-rechtliche Medien. Ob Donald Trump in den USA, Viktor Orban in Ungarn, Robert Fico in der Slowakei, ob Schweden, Deutschland, Italien oder Österreich: Populistische Politiker:innen und Parteien bekämpfen mit aggressiven und zum Teil vulgären Attacken Medien und Journalist:innen, die nicht ihren Erwartungen entsprechen. Was als singuläre, zumeist rechtspopulistische Propaganda begonnen hat, ist zu einem europäischen, mittlerweile internationalen politischen Flächenbrand geworden.

Gleichzeitig entstehen durch die digitale Transformation alarmierende Disruptionen, die die Grundlagen demokratischer Öffentlichkeit erschüttern, bedrohen oder gar zerstören: Die einst als Durchbruch für gesellschaftliche Vielfalt gefeierten digitalen Technologien sind angesichts der Szenarien von Datenmissbrauch, weitgehend unkontrollierter künstlicher Intelligenz, Massenüberwachung und einer unüberschaubaren Menge an Fake News und Propaganda zu einer ernsten Bedrohung von Meinungsfreiheit und Demokratie geworden. Statt Gebrauch von redaktionellem Journalismus und Massenmedien – so unterschiedlich sie in Qualität und Ausrichtung auch sein mögen – ist Mediennutzung mittlerweile vielfach ein auf personalisierte Kommunikation ausgerichteter Social Media-Konsum, der von einer unsichtbaren Hand unkontrollierter Algorithmen und kommerzieller Interessen gesteuert wird. Die beinahe dominante Herrschaft einer Handvoll globaler Datenkonzerne – und erratischer CEOs – wirkt in Verbindung mit den populistischen Angriffen auf Qualitätsjournalismus wie ein binärer Kampfstoff, der zersetzt, was lange für selbstverständlich gehalten wurde: Medien, die im Wettstreit der Meinungen eine für den demokratischen Diskurs notwendige Meinungsvielfalt garantieren. Kritischen Journalismus, der hinterfragt und aufdeckt, was sonst verborgen bleibt. Freie und unabhängige Medien, die als „Vierte Gewalt der Demokratie“ Politik und Wirtschaft kontrollieren.

Alle, insbesondere öffentlich-rechtliche Medien sind dadurch nicht nur herausgefordert, sondern akut bedroht. Angesichts der durch internationale Geschäftsmodelle geprägten Mediennutzung kämpfen sie um ihre Relevanz beim Publikum, zuweilen um ihre Existenz. Angesichts der Attacken populistischer Parteien, die keinen Zweifel daran lassen, dass sie ihre Drohungen gegenüber kritischen – insbesondere öffentlich-rechtlichen – Medien auch in konkrete Repressionen umsetzen, kämpfen sie um ihre Unabhängigkeit.

Was also tun? Wie können, wie sollen sich Medien wehren? Wie können und sollen öffentlich-rechtliche Medien verhindern, dass der lange Arm der Politik in ihre Redaktionen reicht? Wie kann die zurecht als Bedingung für Qualitätsjournalismus geltende Unabhängigkeit der Medien geschützt und verteidigt werden?

Diese Fragen haben wir Medienexpert:innen, Wissenschafter:innen und Journalist:innen ebenso wie Institutionen und Autor:innen aus den USA und zahlreichen europäischen Staaten gestellt. Geantwortet haben internationale Organisationen wie die OSZE, „Reporter ohne Grenzen”, die „European Federation of Journalists“ und die „European Broadcasting Union“ sowie engagierte Menschen aus jenen Ländern, die aktuell mit einem massiven Anstieg populistischer Parteien konfrontiert sind und – wie in der Schweiz und in Österreich – Initiativen gesetzt haben, um den Zugriff der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in ihren Ländern zu verhindern.

Der Fokus der vorliegenden Kommentare liegt dabei auf einer problemlösenden Perspektive: Was ist von der Medienpolitik zu verlangen? Wie kann den Angriffen und Drohungen begegnet werden? Welche Strategien und Maßnahmen sind geeignet, um disruptive, die Demokratie gefährdende Entwicklungen und Negativeffekte der digitalen Transformation zu verhindern? Und nicht zuletzt: Was können, was sollen die (öffentlich-rechtlichen) Medien und Journalist:innen selbst tun, um ihre Unabhängigkeit zu verteidigen? Wie mit antidemokratischem Populismus redaktionell umgehen? Was können sie aus der Vergangenheit lernen? Was könnte in Zukunft dazu führen, dass die eklatanten Gefahren der Gegenwart nicht nur abgewehrt werden, sondern die Unsicherheiten und Krisen als Chance für redaktionellen Qualitätsjournalismus genützt werden können?

Dabei sollte es kein Missverständnis geben: Journalist:innen, die kritisieren, dürfen selbstverständlich auch kritisiert werden. Journalismus, der es als seine Aufgabe betrachtet, als „Vierte Gewalt der Demokratie“ die Macht im Staat zu kontrollieren, muss selbst auch kontrollierbar und vor allem transparent sein. Wer mit strengem Blick berichtet und mit harten Worten kommentiert, darf sich selbst von öffentlicher Kritik nicht ausnehmen. Der populistische Angriff auf freie Medien ist weder mit Wehleidigkeit noch mit unkritischer Verteidigung des Status Quo zu beantworten, vielmehr ist ein offener, vor allem selbstreflexiver Diskurs nötig, der berechtigte Kritik zulässt und trotzdem Kurs hält, wenn es um die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit des Journalismus, insbesondere um den für öffentlich-rechtliche Medien geltenden demokratiepolitisch relevanten Funktionsauftrag geht. Die Vergangenheit hat gezeigt, wie anfällig demokratische Strukturen sind, wie rasch für selbstverständlich Geltendes zerstört werden kann, wie fragil ein System von „Checks & Balances“ ist. Die Herausforderung für die Zukunft wird darin bestehen, ob wehrhafte Demokratien den Bestand eines öffentlichen Kommunikationsraumes, der auf der Kraft der Argumente und nicht der Lautstärke „alternativer Wahrheiten“ und Hetze beruht, schützen können und in der Lage sind, ihn gegebenenfalls auch zu verteidigen. Für Qualitätsmedien, eben auch öffentlich-rechtliche Medien bedeutet das, gegenüber den Angriffen populistischer Attacken standzuhalten und ihrem öffentlichen Auftrag folgend zuverlässig Kurs zu halten.

Die Beiträge in diesem Sammelband sollen eine konstruktive Auseinandersetzung anregen, wie Politik, Gesellschaft und Medien auf populistische Strömungen und die zeitgleich auftretenden Negativeffekte digitaler Transformation reagieren können und welche Maßnahmen geeignet sind, wenn es um den Bestand einer resilienten demokratischen Öffentlichkeit geht. Gesucht waren – und sind – Empfehlungen, welchen Beitrag insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien dazu leisten können. Wir bedanken uns bei allen Autor:innen, die mit ihren Analysen, Kommentaren und Ratschlägen dazu beitragen, den Diskurs zu (öffentlich-rechtlichem) Qualitätsjournalismus mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft zu führen.

INHALT

MEDIENQUALITÄT AUF DEM PRÜFSTAND

MICHELLE ROVERELLI, EUROPEAN BROADCASTING

DER DEMOKRATIESCHILD

THIBAUT BRUTTIN, FRITZ HAUSJELL & MARTIN WASSERMAIR, REPORTER OHNE GRENZEN

ES IST ZEIT!

MAJA SEVER & RENATE SCHRÖDER, EUROPEAN FEDERATION OF JOURNALISTS 13

VERTEIDIGUNG DER MEDIENFREIHEIT

ANGESICHTS SICH ENTWICKELNDER BEDROHUNGEN

INTERVIEW MIT JAN BRAATHU, OSZE-BEAUFTRAGTER FÜR MEDIENFREIHEIT

LEGITIMITÄT IM ANGESICHT DES GEGENWINDS

GILLES MARCHAND, INITIATIVE MEDIEN & PHILANTHROPIE (IMP) AN DER UNIVERSITÄT

WIR MÜSSEN DIE ÖFFENTLICHEN MEDIEN RETTEN, UM SIE ZU VERÄNDERN

ZWEISEITismus : DAS DOGMA UNSERER ZEIT

ZUR BEDEUTUNG UND ROLLE DES ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN RUNDFUNKS IN DER DEMOKRATIE JÜRGEN BETZ, ERIKA BOCK-ROSENTHAL, INITIATIVKREIS ÖFFENTLICH-RECHTLICHER RUNDFUNK KÖLN E �V� (IÖR)

RECHTLICHE MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DER RESILIENZ DES DEUTSCHEN ÖRR

BERND HOLZNAGEL, UNIVERSITÄT MÜNSTER 47

WENN POPULISMUS POPULÄR WIRD: DIE SCHWEIZ ALS VERSUCHSLABOR ZUR ABSCHAFFUNG DER ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN

LISA MARCHON & SANIJA AMETI, OPERATION

MEINUNG IST BELANGLOS

ES SOLLTE SO SCHÖN SEIN

T. WIELIŃSKI, GAZETA WYBORCZA

MEDIENKAMPF IM OSTEN EUROPAS

POPULISMUS UND ÖFFENTLICHKEIT –

KAMPF UM DEN GUTEN MENSCHENVERSTAND

MEDIENWISSEN: EIN ÖFFENTLICH-RECHTLICHER AUFTRAG

ÖFFENTLICH-RECHTLICHE MEDIEN IN SCHWEDEN

WIE KÖNNEN ÖFFENTLICH-RECHTLICHE MEDIEN DIE DEMOKRATIE AM BESTEN UNTERSTÜTZEN?

UNS IM KRIEG

DAS RUNDFUNKVOLKSBEGEHREN ALS MEILENSTEIN ÖSTERREICHISCHER DEMOKRATIEGESCHICHTE KONSTANTIN

ORF:

WAS IST,

EIN RESILIENTER ORF FÜR EINE WEHRHAFTE DEMOKRATIE

CHRISTIAN HASLINGER & MARIA MAYRHOFER, #AUFSTEHN, #ORFRETTEN

ÜBER ÜBERLEBENSSTRATEGIEN ZUR QUALITÄTSGARANTIE: DIE ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN SENDER DER ZUKUNFT

GERHARD RUISS, IG AUTORINNEN AUTOREN ÖSTERREICH, „INITIATIVE ZUR BEWAHRUNG DER UNABHÄNGIGKEIT

ÖFFENTLICH-RECHTLICHE MEDIEN IN ZEITEN POPULISTISCHER

ANGRIFFE – ERFAHRUNGEN AUS #UNSERORF UND “ORF 2032”

ROBERT SEYFRIEDSBERGER, FORUM INFORMATIONSFREIHEIT, WWW UNSER-ORF AT 2025

MEDIENQUALITÄT AUF DEM PRÜFSTAND

In ganz Europa beobachten wir zunehmend den Aufstieg politischer Bewegungen, oft von der extremen Rechten, die nicht nur öffentlich-rechtliche Medien kritisieren, sondern versuchen, sie zu kontrollieren oder einzuschränken. Das ist eine direkte Bedrohung der Unabhängigkeit des Journalismus und eine Gefahr für die Demokratie. Als öffentlich-rechtliche Medien können wir nicht einfach schweigen. Wir müssen das als das benennen, was es ist. Es besteht die Gefahr, dass öffentlich-rechtliche Medien zu Staatsmedien werden, und das ist in einer Demokratie nicht akzeptabel. Wir müssen klarstellen, dass unsere Rolle darin besteht, der Öffentlichkeit zu dienen, nicht einer Partei oder einer Politikerin, einem Politiker. Das bedeutet, alle Seiten auf der Grundlage von Fakten zur Rechenschaft zu ziehen. Wir müssen weiterhin guten Journalismus machen. Gleichzeitig brauchen wir auch stärkere Schutzmaßnahmen. Dazu gehören stärkere regulatorische, rechtliche Maßnahmen und nachhaltige Finanzierungsmodelle, die sicherstellen, dass Rundfunkanstalten nicht der Gnade derjenigen ausgeliefert sind, die an der Macht sind. Der „European Media Freedom Act“ der EU ist ein Schritt in die richtige Richtung. Er schafft wirkungsvolle Mechanismen zum Schutz der redaktionellen Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, die von der EBU voll und ganz unterstützt werden. Wir glauben auch, dass, wenn ein nationaler öffentlich-rechtlicher Sender angegriffen wird, alle betroffen und angegriffen werden und wir daher unsere Stimme gemeinsam erheben müssen, dass daher Solidarität wichtig ist. Gemeinsam sind wir stärker, und deshalb ist die Arbeit der Europäischen Rundfunkunion so wichtig. Wir müssen uns darauf konzentrieren, zu erklären, warum es öffentlich-rechtliche Medien überhaupt gibt: um zu vertrauenswürdig zu informieren, den Kulturund Bildungsauftrag zu erfüllen, die gesamte Gesellschaft zu repräsentieren, und das auch und besonders dann, wenn es politisch unbequem ist.

Zurzeit erleben wir massive Veränderungen in der Medienwelt. Nicht alles davon ist zum Besseren. Der Aufstieg mächtiger Online-Plattformen, die Verbreitung von KI-generierten Inhalten und die Angriffe auf den Journalismus, oft von populistischen Bewegungen, stellen Europas demokratische Grundlagen auf die Probe. Besorgniserregend daran ist, wie leicht falsche Informationen jetzt den Online-Raum überschwemmen können. Wie wir alle wissen, neigen Algorithmen auf großen Plattformen dazu, die lautesten, extremen Stimmen zu belohnen und nicht die genauesten. Und mit KI ist es noch einfacher, Deep Fakes zu erstellen und die öffentliche Meinung zu manipulieren. Das ist nicht

nur ein technisches Problem, sondern ein demokratisches. Gleichzeitig sehen wir, dass öffentlich-rechtliche Sender und Journalist:innen offen politisch und manchmal leider auch physisch angegriffen werden. In einigen Ländern steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Druck von Regierungen, die versuchen, ihn zu kontrollieren oder zu stoppen. Und wenn unabhängiger Journalismus so untergraben wird, schwächt das eine der Säulen der Demokratie, das Recht der Bürger:innen auf zuverlässige, unparteiische Informationen. Technologieplattformen, die Desinformation verstärken und Qualitätsjournalismus diskreditieren, schaffen eine sehr gefährliche Mischung. Das verwischt die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge und macht es viel schwieriger, sich an einer offenen, informierten Debatte zu beteiligen. Wir glauben, dass öffentlich-rechtliche Medien hier eine entscheidende Rolle spielen. Natürlich sind wir nicht immer perfekt, aber wir sind verpflichtet dem öffentlichen Interesse zu dienen und nicht kommerziellen Gewinnen oder politischen Agenden. Europa braucht gerade jetzt einen wirklich vertrauenswürdigen unabhängigen Journalismus. Jetzt mehr denn je, um die Demokratie zu stärken. Öffentlichrechtliche Medien gibt es seit über 100, die EBU seit 75 Jahren. In 90% der europäischen Staaten sind öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten die vertrauenswürdigste Nachrichtenquelle. Das ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis einer Investition in den Aufbau der Unabhängigkeit, der Zuverlässigkeit der Information, der Nachrichtenqualität. Wenn es ernst wird, wenden sich die Menschen an öffentlich-rechtliche Medien. Aber wir können uns nicht auf vergangene Errungenschaften verlassen. Wir müssen die Menschen, insbesondere jüngere Zielgruppen, dort abholen, wo sie sind. Das bedeutet, in Digitales zu investieren, das bedeutet, KI verantwortungsvoll zu nutzen und Geschichten auf neue, frische, kreative Weise zu erzählen. Wir müssen auch transparenter sein, um zu zeigen, wie wir arbeiten und warum wir vertrauenswürdig sind. Und Initiativen entwickeln, wie „Eurovision Spotlight“, ein Factchecking Tool der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Europa oder das Projekt „European Perspectives“ der EBU, das allein 2024 mehr als 10.000 vertrauenswürdige Nachrichten in einem digitalen Newsroom anbietet.

Fest steht: Unsere Unabhängigkeit ist nicht verhandelbar. Um nicht nur zu überleben, sondern auch in Zukunft effektiv zu arbeiten, brauchen öffentlich-rechtliche Medien eine nachhaltige Finanzierung, damit wir langfristig planen und innovativ bleiben können. Und drittens, dafür ist die EBU da: Wir sollten unsere internationale Zusammenarbeit vertiefen. Wir sollten noch stärker, noch wirkungsvoller kooperieren. Angesichts der Stärke unserer Gegner schafft das niemand alleine. Wir sollten daher gerade jetzt mehr denn je zusammenhalten.

Hinweis

Dieser und alle weiteren englischsprachigen Texte wurden mit Hilfe der ORF-KI „AiDitor” übersetzt.

DER DEMOKRATIESCHILD

Vor dem Hintergrund geopolitischer Umwälzungen haben die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten die militärische Aufrüstung des Kontinents zu einer Priorität erklärt. Ihre Hauptgegner investieren unterdessen in ein anderes Schlachtfeld. Manipulation von Fakten, staatliche Propaganda in den Medien, Desinformationskampagnen in den sozialen Netzwerken – alle Mittel sind recht, um die demokratischen Gesellschaften von innen heraus zu untergraben. Angesichts dessen erscheinen die Reaktionen der EU zu zaghaft. Es ist ein Ruck nötig, um Europa wieder zu einem Raum zu machen, in dem verlässliche Informationen und Journalismus Vorrang vor Lügen und staatlicher Propaganda haben.

Die Informationsoffensive autoritärer Regime zielt darauf ab, die öffentliche Debatte zu kontrollieren, indem sie den Journalismus in ihrem Land unterdrücken, aber auch das Vertrauen in die demokratische Idee durch Manipulation von Informationen zu untergraben. Während Europa Panzer und Raketen für mehrere hundert Milliarden Euro kauft, sind China und Russland damit beschäftigt, digitale Troll-Regimenter aufzubauen, falsche „Journalistinnen“ und „Journalisten“ zu rekrutieren und die Ausstrahlung ihrer internationalen Medien zu fördern.

Im Zeitalter des globalen Informationskrieges haben sich die Attribute der Macht verändert. Sie umfassen digitale Manipulationsoperationen, die soziale Netzwerke mit falschen oder verzerrten Inhalten überschwemmen. Sie beruhen auf der Fähigkeit der mit erheblichen Mitteln ausgestatteten internationalen Staatsmedien, die Vision ihrer Schutzmacht weltweit zu verbreiten. Schließlich gehen sie mit einer sehr gewaltsamen transnationalen Unterdrückung von Journalistinnen und Journalisten im Exil einher.

Eine noch zaghafte Reaktion

Seit März 2022 umfassen die vom Rat der Europäischen Union gegen Russland verhängten Sanktionen ein Verbot der Verbreitung bestimmter staatlicher Medien, darunter „Russia Today“ und „Sputnik“, im europäischen Informationsraum und gelten für eine Reihe von Unternehmen und Persönlichkeiten. Zahlreiche Studien weisen jedoch auf die mangelnde Durchsetzung dieser Sanktionen hin, insbesondere im Internet, wo die Inhalte dieser Medien für europäische Nutzerinnen und Nutzer nach wie vor weitgehend zugänglich sind.[1]

Die Realität sieht so aus, dass die EU Schwierigkeiten hat, die Regeln, die uns schützen sollen – in diesem Fall den Digital Services Act (DSA) –, den amerikanischen sozialen Netzwerken aufzuerlegen, die die wichtigsten Verstärker dieser böswilligen ausländischen Einmischungen sind. Die von der Europäischen Kommission eingeleiteten Untersuchungen dauern zu lange. In der Zwischenzeit überschwemmen Desinformationsprofis weiterhin die sozialen Netzwerke. Schlimmer noch, sie erklären sich offen feindlich gegenüber jeder Form der Inhaltsmoderation, wie beispielsweise „Meta“, das beschlossen hat, sein Fact-Checking-Programm im Jahr 2025 einzustellen.

Die Falle falscher Äquivalenzen

vermeiden

Um ausländische Einmischung und Desinformation besser bekämpfen zu können, schlägt die Europäische Kommission nun die Einrichtung eines „Europäischen Demokratieschildes“ vor. Mit einer Voraussetzung: Die notwendige europäische Kommunikationsstrategie darf nicht dazu verleiten, der Versuchung strategischer Kommunikation nachzugeben; mit anderen Worten: Die schwarze Magie der Propaganda kann nur durch die weiße Magie des Journalismus bekämpft werden.

Demokratien können diesen Informationskrieg gewinnen. Indem sie es vermeiden, in die Falle der falschen Gleichsetzung zu tappen, die die Feindinnen und Feinde des Journalismus stellen, indem sie auf Propaganda nicht mit mehr Propaganda reagieren und über das Fact Checking hinausgehen, ohne ihre Werte zu verleugnen. Dies umso mehr zu einem Zeitpunkt, wenn die Vereinigten Staaten sich aus der Welt zurückziehen und ihre historische Unterstützung für den Journalismus aufgeben.

Im Informationsbereich muss Europa ebenso wie im Verteidigungsbereich seine eigene Autonomie aufbauen. Dabei kann es sich auf den Journalismus als vertrauenswürdigen Dritten stützen, nicht nur um propagandistische Einmischungen aufzudecken, sondern vor allem, um jedem Bürger die zuverlässigen Informationen zu liefern, die er benötigt, um sich in der Welt zurechtzufinden. Drei konkrete Schritte können dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen.

Schützen, fördern, unterstützen Zunächst muss Europa Bedingungen für die Öffnung seines Informationsraums festlegen. Alle Medien aus Drittländern sollten sich bereit erklären, sich den Regeln des europäischen audiovisuellen Marktes zu unterwerfen, wenn sie Zugang zu diesem Markt erhalten möchten, insbe -

sondere den Regeln in Bezug auf Unabhängigkeit, Ehrlichkeit und Pluralismus der Informationen. Das ist eine Frage des fairen Wettbewerbs, aber auch der Souveränität. Gegenüber autoritären Staaten sollte darüber hinaus der Grundsatz der Gegenseitigkeit gelten: Ein Land, das die Verbreitung europäischer Medien in seiner Bevölkerung nicht zulässt, sollte auch nicht berechtigt sein, seine eigenen Medien in der EU zu verbreiten.

Außerdem müssen die wichtigsten digitalen Plattformen verpflichtet werden, zuverlässige Informationsquellen hervorzuheben, das heißt Medien, die nach journalistischen Standards arbeiten und hohen Transparenz- und Unabhängigkeitskriterien entsprechen, wie beispielsweise die „Journalism Trust Initiative“. Solange Plattformen ihr Wachstum und ihre Werbeeinnahmen über Qualität und Integrität der Inhalte stellen, wird die Desinformationsindustrie weiter florieren.

Schließlich ist der weltweite Informationskrieg in vielerlei Hinsicht ein Krieg gegen diejenigen, die trotz schwieriger Umstände versuchen, uns zu informieren. Europa ist ein Zufluchtsort für viele ausländische Journalistinnen und Journalisten und Medien, die aufgrund ihres Berufs ins Exil gehen mussten. Sie sind potenzielle Akteurinnen und Akteure im Kampf gegen Desinformation und ausländische Einmischung, vorausgesetzt, dass die Aufnahmeländer sie vor transnationaler Repression schützen, ihre Wiederaufnahme der Tätigkeit fördern und ihnen helfen, die staatliche Zensur zu umgehen, um ihr Publikum zu erreichen.

Für Europa ist es an der Zeit, dass es sich der Bedrohung seines demokratischen Modells voll bewusst ist – indem es dem Journalismus die Mittel an die Hand gibt, seine wesentliche Aufgabe zu erfüllen: die Bürgerinnen und Bürger zuverlässig, unabhängig und pluralistisch zu informieren.

Quelle

[1] Bericht von Science Feedback „Sanctioned but thriving“, Dezember 2024 https://science.feedback.org/ sanctioned-but-thriving-how-online-platforms-fail-to-address-the-widespread-presence-of-entities-under-eu-sanctions/

ES IST ZEIT!

Öffentlich-rechtliche Medien sind dazu da, der Öffentlichkeit zu dienen - den Bürgerinnen und Bürgern, die sie finanzieren und denen sie Verantwortung, Transparenz und Vertrauenswürdigkeit schulden. In Zeiten demokratischer Instabilität, des Aufstiegs des Populismus und immer häufigerer Angriffe auf die Medienfreiheit sollten die öffentlichrechtlichen Sender das Rückgrat des Medien-Ökosystems sein, dessen stärkste Säule, gerade weil sie nicht oder weniger von Werbeeinnahmen oder politisch beeinflusster Finanzierung abhängig sind als andere Medien. Sie sollten die Hüter der Wahrheit und des offenen Dialogs sein und antidemokratischen Kräften nicht mit Propaganda, sondern mit Fakten, Ethik, Qualität und Integrität entgegentreten. Leider sieht die Realität oft anders aus. Heute stehen die öffentlich-rechtlichen Medien unter großem Druck. Einerseits werden sie zunehmend zur Zielscheibe von politischer Einmischung, politisierter Personalbesetzung, Programmbeeinflussung und Versuchen der Instrumentalisierung. Andererseits leiden die öffentlich-rechtlichen Medien unter Unsicherheit: In vielen öffentlich-rechtlichen Medien in ganz Europa gibt es Umstrukturierungspläne, die Personalabbau, Programm- und Einnahmenkürzungen und eine Verschlechterung der Finanzierungssysteme beinhalten.

Der Mangel an Visionen und politischem Willen, die öffentlich-rechtlichen Medien als Fundament der Medieninfrastruktur zu schützen und zu stärken, stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Gesellschaft und die Demokratie dar – weit über den Bereich der Medien allein hinaus.

Es ist wichtig zu betonen: Es gibt keine Antwort auf Populismus, keine Verteidigung der Wahrheit und keine integrative öffentliche Debatte ohne Journalismus – starken, unabhängigen Journalismus innerhalb der öffentlich-rechtlichen Medien. Aber selbst in den öffentlich-rechtlichen Medien selbst, vor allem in den Führungsetagen, wird eine zentrale Wahrheit oft nicht begriffen: Ohne einen starken, professionellen, unabhängigen Journalismus kann der öffentlich-rechtliche Auftrag nicht erfüllt werden. Aufgrund dieses mangelnden Bewusstseins verlieren die öffentlich-rechtlichen Medien Vertrauen und werden immer anfälliger für Angriffe. Ohne starken Journalismus wird der Raum für Desinformation, Manipulation, Angst und Polarisierung größer. Die öffentlich-rechtlichen Medien müssen mehr bieten als Plattformen zur Verbreitung von Inhalten. Sie müssen aktive Akteure im Kampf für Meinungsfreiheit, Pluralismus, soziale Integration, Publikumsbindung

und Medienkompetenz bleiben oder werden. Zu diesem Zweck müssen

Journalistinnen und Journalisten die Bedingungen, den Schutz und die Unterstützung erhalten, die Arbeit nach höchsten professionellen Standards ermöglicht.

In der Europäischen Journalisten-Föderation und ihrer Rundfunk-Expertengruppe (BREG) bringen wir Vertreter öffentlich-rechtlicher Medien aus ganz Europa zusammen, die erleben, wie anstrengend – aber notwendig – dieser Kampf ist. Wir sehen, wie die redaktionelle Freiheit unterdrückt, die Finanzierung gekürzt und die politische Kontrolle durch „Reformen“ vorangetrieben wird, die die berufliche Autonomie untergraben.

Mit unserem Einsatz für den European Media Freedom Act (EMFA) haben wir dafür gekämpft, dass der rechtliche Schutz der Unabhängigkeit der öffentlichen Medien in den europäischen Rahmen eingebettet wird. Artikel 5 der EMFA sieht Maßnahmen vor, um öffentlich-rechtliche Medien vor politischem Druck zu schützen, und zielt darauf ab, finanzielle Nachhaltigkeit zu gewährleisten, um ihren Auftrag zu erfüllen. Dies ist ein wichtiger Schritt nach vorn. Aber dieser Schutz ist noch nicht Realität. Wir treten jetzt in eine entscheidende Phase der Umsetzung ein. Und während wir darauf warten, dass die EU-Vorschriften in konkrete Schutzmechanismen umgesetzt werden, finden überall in Europa Kämpfe gegen die öffentlich-rechtlichen Medien statt.

In Kroatien erleben wir gerade eine Krise, da Hunderte von Entlassungen bei der öffentlichen Rundfunkanstalt angekündigt wurden – ohne einen klaren Plan, eine öffentliche Debatte oder eine Vision, die solche Kürzungen rechtfertigen würde. Die Konsolidierung findet ohne Auftrag statt – und ohne Auftrag gibt es kein öffentliches Interesse.

In Spanien solidarisieren wir uns jeden Freitag mit den Kollegen in Galicien, die zur Verteidigung der Werte der öffentlich-rechtlichen Medien protestieren. Mehrere Regionen haben das Bündnis RTVs Públicas en Lucha gegründet – eine gemeinsame Front gegen Kommerzialisierung und politische Einmischung.

In Frankreich kämpfen wir gegen eine vom Kulturminister auferlegte Reform zur weiteren Zentralisierung der Verwaltung, die darauf abzielt, die politische Kontrolle über die Redaktionen zu verstärken und die Budgets zu kürzen. Allein in diesem Jahr wurden 150 Millionen Euro an öffentlichen Geldern gestrichen. An dem Tag, an dem das Gesetz ins parlamentarische Verfahren geht, werden die Journalistinnen und Journalisten vor der Nationalversammlung protestieren.

In Italien erleben wir, wie die redaktionelle Unabhängigkeit der RAI schrumpft, während Politikerinnen und Politiker ihre Vertreter und Vertreterinnen in den Vorstand der PSM setzen.

In Deutschland greifen die laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextreme Partei AFD, aber auch Politikerinnen und Politiker einiger anderer Parteien die öffentlich-rechtlichen Medien an und versuchen, ihre Finanzierung zu destabilisieren.

In Finnland läuft jeder sechste Regionaljournalist, jede sechste Regionaljournalistin, der bzw. die für YLE arbeitet, Gefahr, den Arbeitsplatz zu verlieren.

Es gab jedoch noch nie einen größeren Bedarf an unabhängigen Informationen und an Medien, die in der Lage sind, Fakten von Propaganda und Analysen von Manipulationen zu unterscheiden. Was muss also getan werden?

Zunächst müssen wir klar sagen, dass die öffentlich-rechtlichen Medien keine Relikte der Vergangenheit sind. Sie sind keine langsamen Dinosaurier im Zeitalter von TikTok. Sie können die stärkste Säule der Demokratie sein, wenn man ihnen Unabhängigkeit, Stabilität und Möglichkeit zur strategischen Entwicklung gibt. Alle, die Einfluss haben – Politik, Gewerkschaften, Bürgerinnen und Bürger, europäische Institutionen –müssen erkennen, dass das ohne Journalismus in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht geht. Ein Programm ohne freien Journalismus ist kein Dienst an der Öffentlichkeit – es ist PR für die Machthaberinnen und Machthaber. Wir müssen die internationale Solidarität stärken.

Die Angriffe sind lokal, aber der Widerstand muss europäisch sein. Wir brauchen eine ständige Zusammenarbeit, den Austausch von Praktiken, gegenseitige Unterstützung und eine geschlossene Front, die eine klare Botschaft aussendet: Öffentlich-rechtliche Medien sind eine demokratische Infrastruktur und kein politisches Spielzeug. Schließlich müssen öffentlich-rechtliche Medien ihre historische Verantwortung erkennen. Sie können sich nicht hinter Verfahren, Institutionen oder der Architektur der Neutralität verstecken. Sie müssen vor die Öffentlichkeit treten und klar sagen, warum sie existieren, warum sie wichtig sind und was sie tun werden, um ihren Auftrag zu erfüllen.

Wir brauchen mehr, nicht weniger Engagement und Dialog zwischen Journalist:innen einschließlich Freiberufler:innen und dem Management über neue Formate und Programme und darüber, wie wir das vielfältige Publikum besser ansprechen und inspirieren und sein Vertrauen

und Interesse für öffentlich-rechtliche Medien gewinnen können. Wir müssen besser auf Gruppen eingehen, die sozial am Rande, aber Teil unserer bereichernden multikulturellen Gesellschaften sind. Wir müssen Brücken überwinden und Echokammern und Polarisierung bekämpfen. In Zeiten von Desinformation und einem zunehmend toxischen Informations-Ökosystem sind Medienkompetenzprogramme, Faktenchecks und mehr statt weniger Nachrichten dringend erforderlich. Mehrere öffentlich-rechtliche Medien in Europa tun das alles, und ihre Praktiken müssen gezeigt werden.

Wir lieben die Eurovision, aber das wird die Unabhängigkeit oder den Status öffentlich-rechtlicher Medien in der Gesellschaft nicht verteidigen. Dieser Artikel ist auch ein Aufruf zum Handeln. Ein Aufruf zum Handeln – denn die Zeit zum Handeln ist nicht, „wenn der European Media Freedom Act in Kraft tritt“, nicht „nach den Wahlen“, nicht „wenn sich die Dinge beruhigt haben“. Es ist an der Zeit, dass die öffentlich-rechtlichen Medien – und wir alle mit ihnen – klar, laut und professionell auf antidemokratischen Populismus und Angriffe auf die Medienfreiheit reagieren. Nicht aus Verteidigung, sondern aus der Überzeugung heraus, dass Journalismus im öffentlichen Interesse das Fundament einer freien Gesellschaft ist.

VERTEIDIGUNG DER MEDIENFREIHEIT

ANGESICHTS SICH ENTWICKELNDER BEDROHUNGEN

INTERVIEW MIT JAN BRAATHU, OSZE-BEAUFTRAGTER FÜR MEDIENFREIHEIT

Wie wirken sich die aktuellen Entwicklungen des Mediensystems auf Demokratie und Meinungsfreiheit aus?

Damit die Demokratie gedeihen kann, muss das Informationsumfeld Medienfreiheit und Pluralismus fördern und Einzelpersonen und Gesellschaften mit den relevanten und glaubwürdigen Informationen versorgen, die sie benötigen, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Das heutige Informationsökosystem wird jedoch von einigen wenigen sehr großen Plattformen – digitalen Giganten – dominiert, die immense Macht als Gatekeeper angehäuft haben. Sie sind zu privaten Schiedsrichtern und globalen Regulatoren der Rede geworden, die zunehmend KI einsetzen, um Informationen und Nachrichten zu gestalten. Big Tech ist ein großes Geschäft. Die Werbeeinnahmen resultieren aus der Priorisierung von Sensationalismus, Polarisierung und Desinformation – im Widerspruch zu Genauigkeit, Vielfalt oder dem öffentlichen Interesse – und der Monetarisierung, indem die kommerziellen Giganten ihre KIAnwendungen auf Material von Inhaltsanbietern wie den Medien verwenden und trainieren.

Diese Herausforderungen wurden durch das Aufkommen generativer KI verschärft, die eine gemeinsame Wirklichkeit weiter zersplittert; eine gemeinsame Wirklichkeit, ohne die es unmöglich wird, eine engagierte Bürgerschaft und einen sinnvollen demokratischen Diskurs aufrechtzuerhalten. Jüngste politische Veränderungen und zunehmendes ungedeihliches Zusammenwirken zwischen technisch-medialer und politischer Macht wirken sich weiter auf die bereits komplexe Beziehung zwischen Journalismus und Big Tech aus, die durch wachsende Abhängigkeiten und einen Kampf um Nachrichtenpräsenz gekennzeichnet ist. Diese Entwicklungen erschweren es den Medien zunehmend, ihre entscheidende Rolle in Demokratien für Frieden und Sicherheit zu erfüllen: Informationen bereitzustellen, die Mächtigen zu überprüfen, Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen, über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu recherchieren und zu berichten.

Wie können Gesellschaften die Unabhängigkeit der Medien schützen?

Eines der Probleme, die der Populismus für Medien und Journalist:innen darstellt, ist, dass sein öffentlicher Diskurs typischerweise starke anti-mediale Rhetorik beinhaltet, die die Glaubwürdigkeit unabhängiger

Journalist:innen in Frage stellt und faktenbasierte Berichterstattung herabwürdigt. Wie meine Amtsvorgängerin und andere Mandatsträger:innen für Medienfreiheit in ihrer gemeinsamen Erklärung 2023 feststellten, „sollten Politiker und öffentliche Amtsträger davon absehen, Erklärungen abzugeben, die das öffentliche Vertrauen in die Medien als demokratische Institution untergraben oder die Sicherheit von Journalisten und Medienarbeitern gefährden.“ Darüber hinaus betont die gemeinsame Erklärung 2021, dass die zunehmende Häufigkeit von Hate Speech, Desinformation und gefährlicher Rhetorik gegen und Sündenbockbildung der Medien eine existenzielle Bedrohung für das Recht auf Information darstellt und demokratische Institutionen untergräbt.

Medien und Journalist:innen spielen auch eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung antidemokratischer Tendenzen. Medien sollten genau das tun, was sie am besten können: Professionelle und ethische Berichterstattung bieten, über relevante Aspekte der Themen informieren, die sie abdecken, um das Publikum zu informieren, kritische Fragen stellen und allen relevanten Akteuren eine Plattform bieten. Darüber hinaus können Medien die Nachrichtenkompetenz stärken, indem sie zeigen, wie Journalismus funktioniert. Dies beinhaltet auch die Verantwortung für mögliche Fehler zu übernehmen und transparent zu machen.

Die Gesellschaft spielt eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung der Unabhängigkeit der Medien. Dafür muss sich die Gesellschaft zunächst der grundlegenden Rolle bewusst sein, die unabhängiger Journalismus für demokratische Gesellschaften spielt. Dies erfordert Medienkompetenz, das Verständnis des Unterschieds zwischen journalistischen und anderen Arten von Informationen. Wie der Bericht über die Förderung der Medienfreiheitskompetenz, veröffentlicht vom RFoM-Büro im Jahr 2024, feststellt, umfassen Medienkompetenz und Medien- und Informationskompetenz (MIL) eine Reihe von Fähigkeiten, Kompetenzen und Wissen, die Bürger:innen befähigen können, fundierte Entscheidungen in Bezug auf die Medieninhalte zu treffen, die sie konsumieren, erstellen und verbreiten – und damit demokratische Gesellschaften beeinflussen und stärken. Medienkompetenz ist letztlich eine wesentliche Fähigkeit für die Erhaltung und Entwicklung demokratischer Werte und Prinzipien. Sie ermöglicht es der Gesellschaft und insbesondere politischen Akteur:innen, unabhängigen Journalismus als wesentliche Infrastruktur der demokratischen Gesellschaft zu sehen. Diese Infrastruktur kann durch die Bereitstellung eines geeigneten (selbst-)regulatorischen Rahmens aufrechterhalten werden, um die journalistische Unabhängigkeit vor politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Bedrohungen zu schützen. Die Versuche, in redaktionelle Entscheidungen einzugreifen, haben sich in den letzten Jahren

mit der Plattformisierung öffentlicher Informationen und Diskurse intensiviert. Besondere Aufmerksamkeit sollte daher der Rolle von Big-TechPlattformen und ihrem Einfluss auf die Informationen, die Menschen erhalten, gewidmet werden. Plattform-Algorithmen sind darauf ausgelegt, Benutzer:innen auf ihrer Plattform zu halten, indem sie ihnen mehr von dem servieren, was sie bereits lesen, in immer extremeren Formen. Rechtlich verletzen Plattformen oft geistige Eigentumsrechte. Wirtschaftlich absorbieren Plattformen nahezu alle Werbeeinnahmen, die zuvor journalistische Medien unterstützten. Der Schutz des geistigen Eigentums journalistischer Medienorganisationen ist eine Möglichkeit, dies anzugehen; starke öffentlich-rechtliche Medien haben sich als ein weiteres wichtiges Instrument erwiesen. Öffentlich-rechtliche Medien erfüllen eine wesentliche gesellschaftliche Funktion, indem sie zuverlässige und vielfältige Informationen bereitstellen und so allen Individuen die Teilnahme am öffentlichen Diskurs ermöglichen. Mit dem öffentlichen Interesse als Priorität können öffentlich-rechtliche Medien Polarisierung und Hate Speech entgegenwirken und gleichzeitig das öffentliche Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen stärken.

Internationale Organisationen spielen auch eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von unabhängigem Journalismus als Säule der Demokratie und Sicherheit. Die OSZE hat beispielsweise von Anfang an die entscheidende Rolle freier und unabhängiger Medien bei der Aufrechterhaltung demokratischer Werte anerkannt. 1997 haben die teilnehmenden Staaten das Büro des Beauftragten für die Freiheit der Medien eingerichtet, um die Pressefreiheit in allen 57 teilnehmenden Staaten der OSZE zu fördern. Darüber hinaus haben sich die teilnehmenden Staaten der OSZE mit der Annahme der OSZE-Ministerratsentscheidung 3/18 zur Sicherheit von Journalisten verpflichtet, ihre Gesetze, Richtlinien und Praktiken mit internationalen Verpflichtungen und OSZE-Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Diese Verpflichtung unterstreicht die Bedeutung der Förderung eines Umfelds, in dem Journalist:innen unabhängig und ohne unzulässige Einmischung arbeiten können.

Haben Sie eine Empfehlung, was in den nächsten Monaten und Jahren getan werden sollte?

Wir befinden uns in herausfordernden Zeiten, und es ist klar, dass die Komplexität des globalen Informationsumfelds in den kommenden Jahren nur noch zunehmen wird. Die Medien, die einst als Eckpfeiler demokratischer Gesellschaften galten, stehen nun unter wachsendem Druck aus verschiedenen Richtungen. Wirtschaftlicher Druck untergräbt weiterhin die Lebensfähigkeit des unabhängigen Journalismus. Politische Repression und rechtliche Belästigung (SLAPPs) versuchen, kritische

Stimmen zum Schweigen zu bringen. Desinformation, Deepfakes und algorithmische Verstärkung polarisierender Inhalte verändern die Art und Weise, wie Informationen produziert, verteilt und genutzt werden. All diese Dynamiken tragen zu einem wachsenden Vertrauensdefizit zwischen Öffentlichkeit und Medien bei. Dieser Vertrauensverlust bedroht nicht nur die Nachhaltigkeit des unabhängigen Journalismus, sondern trifft auch das Herz des demokratischen Lebens.

Was letztendlich benötigt wird, ist eine Wiederbelebung des kollektiven Anerkennens der unverzichtbaren Rolle der Medien bei der Wahrung von Demokratie, Frieden und Sicherheit. Diese Wiederbelebung muss durch konkrete Maßnahmen unterstützt werden, wie Investitionen in Medienkompetenz und Unterstützung von Journalismus im öffentlichen Interesse. Wir brauchen zukunftsorientierte konzeptionelle und regulatorische Rahmenwerke, die demokratische Werte, gesellschaftliche Stabilität und die Rechtsstaatlichkeit in den Mittelpunkt stellen. Und wir müssen uns über Regierungen, Zivilgesellschaft, Medien und den Technologiesektor hinweg vereinen, um die Medienfreiheit als öffentliches Gut zu bekräftigen und zu schützen. In diesem Sinne entwickeln wir einen Rahmen für das öffentliche Interesse – ein konzeptionelles und politisches Instrument, um sicherzustellen, dass Journalismus und Informationssysteme dem öffentlichen Wohl dienen. Es fördert redaktionelle Unabhängigkeit, ethische Standards, finanzielle Nachhaltigkeit und die Sichtbarkeit faktenbasierter Inhalte. Der Rahmen zielt darauf ab, die demokratische Funktion des Journalismus zu stärken, indem Bedingungen geschaffen werden, unter denen vertrauenswürdige, pluralistische Informationen gedeihen können, selbst angesichts politischen Drucks, wirtschaftlicher Zwänge und technologischer Fehlentwicklungen. Er basiert auf OSZE-Verpflichtungen und ist darauf ausgelegt, sowohl die nationale Resilienz als auch die internationale Sicherheit zu unterstützen.

Medienunternehmen haben auch eine Verantwortung. Wie die norwegische Schibsted Media Group in ihrem Bericht vom November 2024 über „Redaktionelle Medien als Verteidiger der Demokratien“ betont hat, müssen redaktionelle Medien ethische und glaubwürdige, relevante hochwertige Inhalte produzieren, die Vertrauen aufbauen. Sie müssen in der Praxis den Wert freier, redaktioneller Medien demonstrieren. Wenn wir zusammenarbeiten – Regierungen, Medien, Technologieplattformen und internationale Organisationen – mit einem gemeinsamen Verständnis und Engagement, dann können wir das Medienumfeld zum Nutzen demokratischer Gesellschaften schützen. Daran arbeiten wir aktiv mit.

LEGITIMITÄT IM ANGESICHT

DES GEGENWINDS

GILLES MARCHAND

INITIATIVE MEDIEN & PHILANTHROPIE (IMP) AN DER UNIVERSITÄT GENF

In Europa weht ein rauer Wind, der sich direkt gegen die öffentlichrechtlichen Medien richtet. Er ist stark, stürmisch und verunsichert die Gesellschaft. Er stellt grundlegende Werte wie die Unabhängigkeit der Medien, die Achtung von Unterschieden und die Weltoffenheit in Frage. Einfach ausgedrückt: Er erschüttert die demokratischen Strukturen, von denen wir - vielleicht allzu selbstgefällig – glaubten, sie seien fest etabliert.

Die liberalen Gesellschaften der Gegenwart unterliegen einem tiefgreifenden und raschen Wandel – technologisch, ökologisch, geopolitisch und kulturell. Diese Veränderungen sind miteinander verknüpft, und ihre Auswirkungen stellen uns vor zwei entscheidende Herausforderungen. Erstens: Wie können wir den sozialen Zusammenhalt zwischen Individuen aufrechterhalten, die weniger durch Geografie oder Institutionen als durch Gefühle, Identität oder digitale Gemeinschaften miteinander verbunden sind? Zweitens: Wie können wir rationale, zeitaufwändige und kompromissorientierte Ansätze in einem Zeitalter radikaler Ansichten bewahren, die Konflikte und sogar Gewalt fördern?

Die Demokratie ist weder eine Selbstverständlichkeit noch ein von allen anerkannter Dauerzustand. Sie ist kein fertiges Produkt, sondern vielmehr ein Projekt, das ständig überarbeitet werden muss. Ohne sorgfältige und kontinuierliche Pflege kann die Demokratie schwach und inkonsequent werden, ihre eigenen Grundsätze verraten oder sogar den Weg für autoritäre Regime ebnen. Die jüngste Geschichte beweist dies.

Der Staat ist sowohl das Produkt als auch der Garant der Demokratie. Und eine informierte öffentliche Debatte ist von zentraler Bedeutung für jeden demokratischen Prozess. Der Zugang zu qualitativ hochwertigen Informationen ist daher unabdingbar, denn es kann keinen freien Willen ohne Einsicht geben, die es den Bürgern und Bürgerinnen ermöglicht, informierte Entscheidungen zu treffen. Der demokratische Diskurs und die individuellen Freiheiten erfordern Informationen, die zugänglich, überprüft und gut dokumentiert sind – Informationen, die das Verständnis für Geschichte, Wissenschaft, die Komplexität der Welt, politische Dynamik, Ereignisse, Fakten und Zahlen fördern. Unwissenheit ist die Antithese zur Demokratie.

Demokratie und Information bilden ein untrennbares Paar. Diese Verbindung steht heute mehr denn je unter Druck. Die Medienlandschaft – sowohl die öffentlich-rechtliche als auch die kommerzielle – befindet sich in einem tiefgreifenden kulturellen und strukturellen Umbruch. Kulturell betrachtet eine wachsende Zahl von Menschen Journalismus nicht mehr als eine Dienstleistung mit Mehrwert, sondern als einen ständigen Strom, der immer frei verfügbar sein sollte. Strukturell gesehen stören Digitalisierung, soziale Medien und künstliche Intelligenz die traditionellen Medien, untergraben ihre Autorität, zersplittern ihr Publikum und demontieren ihre Wirtschaftsmodelle.

Massenmanipulation war noch nie so einfach und so mächtig. Desinformation war noch nie so allgegenwärtig. Inmitten des Chaos der digitalen Ströme und der Erosion gemeinsamer Bezugspunkte entwickelt sich die Qualität der Informationen zu einer entscheidenden Säule der Demokratie des 21. Jahrhunderts. Die Zukunft der Demokratie hängt von ihrer Fähigkeit ab, glaubwürdigen Journalismus zu generieren, der eine offene, dynamische und gut informierte öffentliche Debatte ermöglicht.

Das Schweizer Laboratorium

In diesem Zusammenhang ist der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Medien grundlegend herausgefordert. Die Schweiz hat diesbezüglich auf ihre eigene Weise als Versuchsstätte gedient. Ihr politisches System basiert auf einem starken Föderalismus und einer direkten Demokratie, die es den Bürgerinnen und Bürgern, politischen Parteien oder organisierten Bewegungen ermöglicht, Gesetze durch Referenden anzufechten oder neue Gesetze durch Initiativen vorzuschlagen. Dazu sind nur einige zehntausend gültige Unterschriften erforderlich. Im Jahr 2018 stimmte die Schweizer Bevölkerung darüber ab, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk SSR weiterhin finanziert und damit erhalten werden soll. Die Initiative wurde letztlich mit 71 % deutlich abgelehnt, aber erst nach einer intensiven Kampagne, Dutzenden von öffentlichen Debatten und Hunderten von leidenschaftlichen Artikeln. Fünf Jahre später ist die Debatte erneut entbrannt. Eine neue Initiative aus denselben politischen Kreisen zielt nun darauf ab, den Haushalt der SVR bis 2026 zu halbieren. Wenn es den Gegnern öffentlich-rechtlicher Medien nicht gelingt, mit ihren Prinzipien zu gewinnen, zielen sie eben auf die Finanzierung der Medien ab. Die Taktik wirkt bekannt.

Das Fünf-Fronten-Modell: ein Rahmen für das Verständnis von Legitimität

Die verschiedenen Kampagnen der Vergangenheit haben die Hauptargumente gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgezeigt. Gemeinsam mit dem Compass-Projekt der EBU haben wir ähnliche Trends in ganz Europa analysiert und ein grundlegendes Modell entwickelt, das die fünf Fronten identifiziert, von denen aus Druck auf die öffentlichrechtlichen Medien ausgeübt wird. Dieser Rahmen ermöglicht es, Angriffe zu kategorisieren, ihre Logik zu verstehen und wirksame Gegenargumente zu entwickeln. Das Modell wird den EBU-Mitgliedern angeboten, die mit ähnlichem politischen Druck konfrontiert sind.

Die erste Front ist ideologischer Natur. Sie betrifft vor allem politische Akteurinnen und Akteure auf der rechten Seite, die den öffentlich-rechtlichen Sendern – insbesondere den Nachrichtenredaktionen und Diskussionssendungen – vorwerfen, sich zu weit nach links zu orientieren. Sie kritisieren auch die Konzentration auf so genannte „woke“-Themen wie Gender und Integration oder Umweltfragen. Einige Stimmen, auch aus den Reihen prinzipieller Befürworterinnen und Befürworter öffentlich-rechtlicher Medien, vertreten eine traditionellere Sichtweise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: nur Kulturprogramme, keine neuen Formate, insbesondere keine digitalen. Kritik bezieht sich hier nicht nur auf die Sendezeit, sondern auch auf die Gestaltung, den Ton und angebliche Voreingenommenheit.

Die zweite Front ist neoliberal und basiert auf der Idee der öffentlich-kommerziellen Subsidiarität.

Nach dieser Auffassung sollten sich die öffentlich-rechtlichen Medien zurückziehen, sobald der kommerzielle Sektor in der Lage ist, einen ähnlichen Dienst anzubieten. Die öffentlich-rechtlichen Medien werden aufgrund ihrer obligatorischen öffentlichen Finanzierung als unfaire Konkurrenz angesehen. Die Kritik richtet sich weniger auf den Inhalt als auf das Finanzierungsmodell. Diese Position hat sich mit der Ausweitung der digitalen Angebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und ihrer kommerziellen Unternehmungen, einschließlich Werbung, noch verstärkt.

Die dritte Front ist digital und spiegelt eine „Pick-and-Choice“Konsumkultur wider.

Zu dieser Gruppe gehören intensive Nutzerinnen und Nutzer von Medien in allen Formen – Rundfunk, soziale Medien, Streaming, Spiele. Viele jüngere Menschen fallen in diese Kategorie. Sie sind nicht unbedingt gegen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten oder deren Inhalte

– oft schätzen sie sie sogar. Aber sie ärgern sich darüber, dass sie für Inhalte bezahlen müssen, die sie nicht persönlich nutzen. Für sie ist das eine Frage des Prinzips.

An der vierten Front geht es um vermeintliche Ineffizienz und Verschwendung.

Kritikerinnen und Kritiker, oft mit neoliberalem oder populistischem Hintergrund, werfen den öffentlich-rechtlichen Sendern Missmanagement, überhöhte Gehälter und aufgeblähte Organisationsstrukturen vor. Sie vergleichen die öffentlich-rechtlichen Medien in ungünstiger Weise mit kommerziellen Unternehmen und ignorieren dabei den öffentlich-rechtlichen Auftrag, den sie haben, wie z. B. die territoriale Ausdehnung, barrierefreie Programme für Menschen mit Behinderungen und Inhalte in Minderheitensprachen. Diese Aufgaben sind selten „wirtschaftlich effizient“.

Die fünfte Front ist radikal und lehnt alles ab. Dies ist die diffuseste und am schwierigsten zu definierende Gruppe. Sie umfasst Anti-Establishment-, Anti-Autoritäts- und konspirative Bewegungen, die nach der COVID-19-Pandemie an Schwung gewonnen haben und jetzt in den sozialen Medien gedeihen. Sie glauben, dass die öffentlich-rechtlichen Medien ihre Ansichten unterdrücken und als Instrumente der staatlichen Kontrolle fungieren. Sie argumentieren, dass auch extreme Meinungen eine gleichberechtigte Behandlung in den Medien verdienen, und sehen die öffentlich-rechtlichen Medien als Teil eines umfassenden Manipulationssystems, das den herrschenden Mächten zugute kommt.

Tiefes Eintauchen und Aufbau glaubwürdiger Gegenargumente

Diese fünf Fronten sind in den verschiedenen nationalen und regionalen Kontexten unterschiedlich ausgeprägt. Um wirksam reagieren zu können, müssen wir eingehende Studien vor Ort durchführen, einschließlich Befragungen und Analysen des politischen und des Medienmarktes, um die Maßnahmen entsprechend anzupassen. Vor allem aber ist es wichtig, zu antizipieren und Gegenargumente zu entwickeln, die auf Resonanz stoßen.

Wir können zum Beispiel auf ideologische Angriffe reagieren, indem wir die redaktionelle Unparteilichkeit deutlich machen. Wir können neoliberalen Argumenten begegnen, indem wir den Begriff des öffentlichen Interesses bekräftigen. Denjenigen, die ein Gesellschaftsmodell à la carte wollen, können wir die wirtschaftliche und soziale Solidarität als

einen zentralen demokratischen Wert präsentieren. Wo Vorwürfe der Ineffizienz aufkommen, können wir durch Daten und öffentliche Berichterstattung Rechenschaft ablegen. Und nur Transparenz und Unabhängigkeit können dem Sturm der Verschwörungstheorien standhalten. Die Argumente für öffentlich-rechtliche Medien müssen durch klare, zuverlässige und messbare Indikatoren gestützt werden – und solche Indikatoren gibt es.

Legitimität als strategische Notwendigkeit begreifen Letztendlich ist es eine Frage der Legitimität. Nach der Definition von Suchman (1995) ist Legitimität die Wahrnehmung, dass die Handlungen einer Organisation innerhalb eines sozial konstruierten Systems von Normen, Werten und Überzeugungen angemessen, akzeptabel oder wünschenswert sind. Leistung allein reicht nicht mehr aus, um das Überleben öffentlicher oder halböffentlicher Einrichtungen zu sichern. Legitimität ist das, was sie in die Lage versetzt, auch in turbulenten Zeiten zu überleben.

Vielleicht müssen sich öffentlich-rechtliche Medien manchmal biegen. Aber: Sie dürfen sich niemals brechen lassen.

WIR MÜSSEN DIE

ÖFFENTLICHEN MEDIEN RETTEN, UM SIE ZU VERÄNDERN

UNIVERSITÄT PENNSYLVANIA

Wir brauchen die öffentlich-rechtlichen Medien mehr denn je – sie sind zu wertvoll, um sie von Trump kaputtsparen zu lassen. Aber um ihrem demokratischen Versprechen gerecht zu werden, müssen wir die öffentlich-rechtlichen Medien unterstützen, damit sie unseren Bedürfnissen dienen: Das US-amerikanische Mediensystem steht unter einem mehrgleisigen Angriff einer feindlichen Regierung. Es wird von der Federal Communications Commission (FCC) wegen angeblich ausgestrahlter Werbespots untersucht und von der Kongressabgeordneten Marjorie Taylor Greene, die kürzlich eine Kongressanhörung – genannt „AntiAmerican Airwaves“ – leitete, um das zu bekämpfen, was sie als liberale Voreingenommenheit der öffentlich-rechtlichen Medien bezeichnet. Unterdessen kursieren Gerüchte und Drohungen, dass das Department of Government Efficiency (DOGE) die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ins Visier genommen hat.

Regierungsangriffe auf öffentliche Medien sind so alt wie Bibo von der Sesamstraße. Seit Richard Nixon in den frühen Tagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit „Big Bird“, wie er in den USA heißt, im Clinch lag, hat jede republikanische Regierung, mit Ausnahme der von Gerald Ford, versucht, die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien zu kürzen. Doch die Schwere der heutigen Angriffe ist anders. Die rücksichtslose Brutalität, die Donald Trump und Elon Musk gegen das, was vom US-amerikanischen öffentlichen Sektor übrig ist, ausüben, deutet darauf hin, dass sie diesmal dort Erfolg haben könnten, wo frühere Bemühungen gescheitert sind.

Angesichts dieser existenziellen Bedrohungen ist jetzt ein günstiger Zeitpunkt, um darüber nachzudenken, warum wir die öffentlich-rechtlichen Medien überhaupt geschaffen haben – und warum sie heute noch gebraucht werden. Die Untersuchung der Geschichte der US-amerikanischen öffentlich-rechtlichen Medien bringt auch die strukturellen Probleme in den Fokus, die seit ihrer Entstehung vorhanden waren: Da wir ihnen nie eine angemessene, dauerhafte und geschützte Finanzierung bereitgestellt haben, war das US-amerikanische Mediensystem immer politisch und wirtschaftlich anfällig. Dies ist ein lösbares Problem, dem wir uns stellen müssen – nachdem wir das, was wir noch haben, gegen erfundene Anschuldigungen verteidigt haben.

Die wenig bekannte Geschichte der US-amerikanischen öffentlichrechtlichen Medien

Der amerikanische Rundfunk entwickelte sich sehr anders als in den meisten Demokratien. Anstatt ein öffentlich-rechtliches System aufzubauen, entschied sich die USA in den frühen 1930er Jahren, die öffentlichen Frequenzen kommerziellen Rundfunkanstalten zu überlassen, insbesondere NBC und CBS, die darauf abzielten, Gewinne durch Werbeeinnahmen zu maximieren. Obwohl diese Entscheidung nicht unstrittig war, wurden Versuche, in den frühen Tagen des Radios einen tragfähigen öffentlich-rechtlichen Sektor zu schaffen, von Unternehmensinteressen und ihren Verbündeten vereitelt.

Doch Medienreformer:innen – insbesondere Pädagog:innen, die glaubten, dass der ungezügelte Kommerz die demokratischen Potenziale des Radios verschwenden würde – gaben nicht auf. Sie wussten, dass ein profitorientiertes Rundfunksystem niemals alle Informations- und Kulturbedürfnisse Amerikas befriedigen könnte. Nach Jahrzehnten der Fürsprache und Aktivismus – sowie Unterstützung durch große Stiftungen – entwickelten Reformer:innen ein alternatives System, das sich dem Bildungsrundfunk widmete, um das zu bieten, was kommerzielle Medien nicht konnten.

Der Kongress formalisierte dieses alternative Netzwerk durch die Verabschiedung des Public Broadcasting Act von 1967, der von Präsident Johnson unterzeichnet wurde und feststellte, dass es „im öffentlichen Interesse liegt, die Entwicklung von Programmen zu fördern, die kreative Risiken eingehen und die Bedürfnisse von unterversorgten Zielgruppen, insbesondere Kindern und Minderheiten, ansprechen.“ Um einen Puffer zwischen der Regierung und den einzelnen Stationen zu gewährleisten, schuf das Gesetz die Corporation for Public Broadcasting (CPB), deren Vorstand aus Mitgliedern beider großen politischen Parteien bestand. Der Kongress finanzierte die CPB, die wiederum einzelne Mitgliedsstationen finanzierte.

Bemerkenswerterweise unterscheidet sich das Einnahmenmodell des US-amerikanischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks von den meisten seiner globalen Gegenstücke. Sein ursprünglicher Entwurf, basierend auf einem früheren Bericht der Carnegie-Kommission, sah eine Verbrauchssteuer von bis zu fünf Prozent auf Fernsehgeräte vor, um einen stetigen Einnahmestrom in einen politisch isolierten Treuhandfonds zu generieren. Aber dieses entscheidende Detail schaffte es nicht in das endgültige Gesetz von 1967. Trotz der Zusicherungen von Präsident Johnson, dass er dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen Plan für

eine langfristigere Finanzierung geben würde, wurde dieses Versprechen nie eingelöst. Stattdessen haben wir das aktuelle Finanzierungsmodell der öffentlich-rechtlichen Medien geerbt: einen jährlichen Bewilligungsprozess, der ständigen Haushaltskämpfen und politischem Gerangel unterliegt.

Unzureichende öffentliche Subventionen haben die Sender gezwungen, verschiedene Formen der Finanzierung durch private Quellen einschließlich Unternehmen, zu suchen, um ihre Programme zu finanzieren. Während der Reagan-Administration ermutigte der Kongress diese Abhängigkeit von kommerzieller Unterstützung, indem er die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten anwies, nichtstaatliche Mittel anstelle von öffentlichen Subventionen zu suchen. Kurz darauf lockerte die FCC die Beschränkungen für Werbung im Programm, was einen rutschigen Weg zu „erweitertem Sponsoring“ schuf. Obwohl sie daran gehindert werden, direkt den Kauf von Produkten zu fördern, können solche Botschaften für gelegentliche Zuhörer:innen und Zuschauer:innen wie Werbung erscheinen.

Die wachsende Abhängigkeit von Unternehmenssponsoring – das in den letzten Jahren mehr als ein Drittel der Finanzierung von NPR ausmacht –macht die öffentlich-rechtlichen Medien marktabhängiger und weniger leicht von kommerziellen Angeboten unterscheidbar. Dieses Dilemma unterstreicht einen grundlegenden Fehler im US-amerikanischen Medienmodell: Die US-Regierung hungert das System aus, während sie es unter Druck setzt, wie ein Unternehmen zu arbeiten.

Letztendlich kann nur eine dauerhafte und sichere Quelle für Bundesmittel den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor politischen Angriffen und wirtschaftlicher Unsicherheit schützen – und ihn befähigen, das demokratische Mediensystem zu werden, das wir brauchen. Aber Konservative möchten die öffentlichen Medien weiter der Disziplin der Marktlogik unterwerfen und die kommerziellen Werte verinnerlichen, die das System eigentlich ablehnen sollte.

Die demokratischen Vorteile öffentlicher Medien weltweit

Nach jedem Maßstab ist die Unterstützung der US-Regierung für öffentliche Medien dürftig. Die 535 Millionen Dollar, die der Kongress derzeit der CPB zuweist, decken etwa 1 Prozent des Budgets von NPR und 15 Prozent des Budgets von PBS. Dies überhaupt als öffentlich-rechtliches System zu bezeichnen, ist ein Missverständnis; die meisten Mittel für öffentlichrechtliche Medien stammen aus privaten Quellen in Form von Einzel-

spenden, philanthropischen Zuschüssen und Unternehmenssponsoring. Das US-amerikanische öffentliche Mediensystem ist ein globaler Ausreißer in Bezug auf die geringe staatliche Finanzierung, die es erhält. Vergleichende Forschung zeigt, dass die USA im Verhältnis zu den meisten demokratischen Nationen fast buchstäblich aus dem Rahmen fallen. Die US-Bundesausgaben von weniger als 1,60 Dollar pro Kopf verblassen im Vergleich zu Ländern wie Norwegen, Schweden und dem Vereinigten Königreich, die fast 100 Dollar oder mehr pro Kopf aufwenden, um starke öffentliche Mediensysteme wie die BBC zu finanzieren.

Warum ist das wichtig? Forschung zeigt, dass der Zugang zu öffentlichrechtlichen Medien mit einem erhöhten politischen Wissen und bürgerlichem Engagement sowie niedrigeren Extremismusniveaus korreliert. öffentlich-rechtliche Medien bieten auch eher eine vielfältige und kritische Berichterstattung über wichtige soziale Themen. Darüber hinaus sind öffentlich-rechtliche Medien im Gegensatz zu kommerziellen Medien, die Renditen auf Investitionen bevorzugen müssen, eher bereit, Geschichten zu behandeln und Zielgruppen anzusprechen, die nicht profitabel sind, wodurch Ungleichheiten in der Nachrichtenversorgung reduziert werden.

In diesen Ländern werden öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten als wesentliche demokratische Infrastrukturen behandelt, die grundlegende Dienstleistungen bieten, die ein kommerzielles System nicht leisten wird. Tatsächlich zeigt die Forschung eine positive Korrelation zwischen der Stärke der öffentlich-rechtlichen Mediensysteme und der Gesundheit der Demokratien. Im Gegensatz dazu neigen „fehlerhafte Demokratien“ wie die USA dazu, schwächere öffentlich-rechtliche Mediensysteme zu haben, die stärker auf kommerzielle Unterstützung angewiesen sind.

Diese universelle Dienstleistungsmission ist ein zentrales Merkmal aller öffentlich-rechtlichen Mediensysteme und unterscheidet sie von ihren kommerziellen Gegenstücken. In den USA erreichen öffentlich-rechtliche Medien mehr als 98 Prozent der US-Bevölkerung. Darüber hinaus bieten öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten ihre Programme allen Mitgliedern der Gesellschaft ohne die Barriere von Bezahlschranken an. Das Engagement der öffentlich-rechtlichen Medien für das öffentliche Interesse über kommerziellen Gewinn hinaus hilft, ihre relativ hohen Vertrauenswerte zu erklären. Umfragedaten zeigen konsequent, dass öffentlich-rechtliche Medien über das politische Spektrum hinweg hoch vertrauenswürdig sind – eine Tatsache, die besonders bemerkenswert ist in einer Zeit, in der die meisten Medieninstitutionen historisch niedrige Vertrauenswerte verzeichnen.

Die notwendige Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien Über messbare demokratische Vorteile hinaus sind öffentlich-rechtliche Medien einzigartig positioniert, um eine Quelle menschlicher Verbindung und Solidarität in einer ansonsten weiten Einöde aus Unternehmensmedien, Clickbait, Pink-Slime-Journalismus und Nachrichtenwüsten zu bieten. Die traurige Ironie ist, dass die Einschränkung der Finanzierung der CPB unverhältnismäßig stark einzelne Sender in ländlichen und konservativen Gebieten in Staaten wie Alaska, Wyoming, Idaho und Texas treffen wird. Einige dieser Sender sind auf die CPB für bis zu 25–50 Prozent ihrer Finanzierung angewiesen.

Diese Sender bieten Notfallkommunikation und öffentliche Sicherheitswarnungen. Während Naturkatastrophen sind sie oft die einzige Quelle potenziell lebensrettender Informationen. Da die Klimakrise sich verschärft, wird der Bedarf an aktuellen Nachrichten über Naturkatastrophen nur noch dringlicher werden.

Tatsächlich illustriert der Zusammenbruch des lokalen kommerziellen Journalismus den verzweifelten Bedarf an einer öffentlich-rechtlichen Alternative. Da kommerzielle Medienmärkte versagen, können öffentlich-rechtliche Medien als fertige Infrastruktur dienen, um Informationsund Kommunikationsdienste in Gebieten bereitzustellen, die nicht nur Nachrichtenwüsten sind, sondern wo oft auch zuverlässige Breitbanddienste fehlen. Die lokale Journalismuskrise ist eine Gelegenheit, die demokratische Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien in der Gesellschaft neu zu definieren, um kritische Informationsbedürfnisse zu bedienen, vielleicht sogar lokale Nachrichtenbeschaffung mit kommunalen Breitbanddiensten in Multimedia-Zentren zu kombinieren, die ich „öffentliche Medienzentren“ nenne.

Bisher haben wir das Potenzial der öffentlich-rechtlichen Medien kaum ausgeschöpft. Mit besserer finanzieller Unterstützung könnten öffentlich-rechtliche Medien sicherstellen, dass engagierte Journalist:innen über relevante Themen berichten, die aufgegeben wurden, als die Zeitungsindustrie zusammenbrach. Dazu gehört die Berichterstattung über Landesparlamente und Schulbehörden, die Untersuchung, wie die Klimakrise lokale Gemeinschaften betrifft, und die Formulierung von politischen Lösungen für dringende soziale Probleme. Während die Vorteile der öffentlich-rechtlichen Medien für die Demokratie nachweisbar sind, ist es auch wahr, dass das US-Modell weit davon entfernt ist, ideal zu sein. Sicherzustellen, dass öffentlich-rechtliche Medien wirklich öffentliches Eigentum und Kontrolle sind, wird eine radikale Demokratisierung von unten erfordern. Aber bevor wir die öffentlich-rechtlichen Medien

für die langfristige Zukunft neu erfinden und revitalisieren können, müssen wir das verteidigen, was wir jetzt haben.

Glücklicherweise versammeln sich immer mehr Menschen zur Verteidigung der öffentlich-rechtlichen Medien. Während eine kürzliche Umfrage des Pew Research Center zeigt, dass mehr Amerikaner:innen die Bundesfinanzierung für öffentlich-rechtliche Medien unterstützen als ablehnen, mobilisieren Advocacy-Kampagnen und Aktivistengruppen, um öffentliche Investitionen in öffentlich-rechtliche Medien zu schützen.

Die Stärkung der öffentlich-rechtlichen Medien sollte ein Kernpfeiler einer pro-demokratischen Bewegung sein, die darauf abzielt, letztendlich unsere gesamte Medienlandschaft zu transformieren. Aber damit die öffentlich-rechtlichen Medien als Bollwerk gegen den Faschismus dienen können, müssen wir sie zunächst gemäß globalen Normen finanzieren. Nur dann können wir das gesamte System umstrukturieren – es widerstandsfähiger, demokratischer und unabhängiger machen – um nach und nach versagende kommerzielle Anbieter und Medienoligarchen zu ersetzen. Dies wird nicht morgen geschehen, aber es muss fest auf unserem politischen Horizont verankert sein.

Hinweis

Dieser Beitrag erschien zuerst am 15. April 2025 in „The Nation“ (https://www.thenation.com/article/society/public-broadcasting-media-democracy/). Wir danken dem Autor für die freundliche Genehmigung zur Verwendung.

ZWEISEITismus : DAS DOGMA UNSERER ZEIT*

TIMOTHY SNYDER

UNIVERSITÄT TORONTO

Warum stellen sich das amerikanische Fernsehen und die Presse auf „beide Seiten“ unserer Politik? Warum werden so unterschiedliche Präsidentschaftskandidaten als gleichermaßen fehlerhaft dargestellt? Warum führen die Ausschreitungen von Trump, zum Beispiel auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee, zur Demütigung von Biden?

Zweiseitismus ist die Angewohnheit, die Welt auf zwei Perspektiven zu reduzieren, beide als grundlegend gleich zu behandeln und Daten, die dazu nicht passen, zu ignorieren oder anzupassen. Eine Ursache für dieses merkwürdige Verhalten ist der Besitz von Medienunternehmen. Eine andere ist Angst.

Aber Zweiseitismus ist nicht nur eine Praxis. Er gilt in den Vereinigten Staaten als ein Grundsatz des Journalismus. In der Tat ist er fast unumstritten. Die Amerikanerinnen und Amerikaner neigen dazu, ihn für selbstverständlich zu halten.

Aber er macht keinen Sinn. Es gibt keine Daten aus der Welt um uns herum, die darauf hindeuten, dass zwei die richtige Anzahl von Perspektiven ist, noch dass zwei Perspektiven, wenn sie einmal gewählt sind, gleich sind.

Es handelt sich vielmehr um eine Glaubensangelegenheit, etwas, das zu einer Religion passt. Einmal akzeptiert, ermöglicht sie etwas, das wir fälschlicherweise „Medien“ nennen. Aber Zweiseitismus vermittelt nicht, sondern mystifiziert. Seine Praktiker:innen, die herkömmlich „Moderator:innen“ oder „Verleger:innen“ genannt werden, sind eigentlich Schaman:innen oder Priester:innen. Mystifizierer:innen.

Natürlich denken die „Medien“-Leute nicht, dass sie mystifizieren. Wir sind auch nicht daran gewöhnt, sie als Anhänger:innen einer Religion zu betrachten.

Aber lassen Sie uns einen Schritt zurücktreten. Nehmen wir einmal an, dass der Zweiseitismus ein dualistischer Kult sein könnte. Stellen wir seine Überzeugungen und Praktiken in den Kontext der Religionsgeschichte und sehen wir, was passiert.

Die Zahl zwei hat den Menschen geholfen, der Welt einen Sinn zu geben, von fernen Zeiten bis in die Gegenwart. Sie hat einen starken Einfluss auf den menschlichen Verstand.

Die Zahl zwei kann das Geheimnis der Schöpfung ansprechen. In den indoeuropäischen Gesellschaften begann das Universum manchmal als eine Verbindung von zwei Wesenheiten, zum Beispiel der Erde und dem Himmel. Oder das erste Wesen war zweigeschlechtlich oder zwillingshaft. In mehreren Mythen reiten Zwillingsgötter zur Rettung der frühen Menschen, die in Gefahr sind.

Die Dualität kann den Menschen auch dabei helfen, das Problem des Bösen zu formulieren, wie im Manichäismus. Sein Begründer Mani (der von einem spirituellen Zwilling erleuchtet wurde) behauptete, dass das Universum in Dunkelheit und Licht unterteilt sei. Das menschliche Handeln wird dann als Kampf zwischen diesen beiden Kräften verstanden. Die Zahl zwei kann uns auch helfen, mit der Zeit umzugehen. Die Römer:innen hatten einen zweigesichtigen Gott, Janus, der für Türen, Durchgänge und somit für Übergänge im Allgemeinen, für Anfänge und Enden zuständig war. Er ist zu Beginn eines jeden Jahres sehr präsent; der Januar ist nach ihm benannt.

Im Daoismus finden wir etwas von alledem in der Vorstellung von Yin und Yang: dunkel und hell, chthonisch und lebendig, weiblich und männlich, nass und trocken, die sich ständig verbinden und einander weichen. Ihr Zusammenspiel lässt die Welt entstehen, ermöglicht natürliches und lenkt menschliches Handeln.

Der Zweiseitismus ist ein weiterer Dualismus. Bei der Konfrontation mit einem Phänomen, z. B. einer Wahl oder einem Parteitag, gehen seine Anhänger:innen in zwei Schritten vor. Sie reduzieren die Ereignisse auf zwei Persönlichkeiten und behandeln sie dann als gleichwertige Aspekte der zweiköpfigen Gottheit, die als „Beide Seiten“ bekannt ist. Auch hier gilt: Dass es nur zwei Seiten gibt und dass sie gleich sind, wird letztlich ohne faktische Grundlage vorausgesetzt; es ist eine Art religiöses Dogma.

Sobald dieses anfängliche Ritual durchgeführt wurde, besteht die Aufgabe der Priesterschaft des Zweiseitismus darin, wahrzunehmen, was die scheinbare Gleichwertigkeit der „zwei Seiten“ stört. Die mythischen Äußerungen der Priester:innen des Zweiseitismus – schlechter Journalismus – lösen die kultische Spannung auf, die entsteht, wenn ein solcher Unterschied auftaucht.

Die Gleichwertigkeit wird auf eine seltsame Weise wiederhergestellt, die den sakralen Charakter des Doppelgottes auf Kosten des Verständnisses der Realität betont. Die Priester:innen können die Taten der einen Seite nicht ungeschehen machen – zum Beispiel einen Putschversuch oder einen Aufruf zur Deportation von Millionen. Im Gegenteil: wenn sie das genau beschreiben würden, würden sie die mystische Ungleichheit zwischen den beiden Seiten nur noch vertiefen. Sie müssen also „normalisieren“.

Unsere Zweiseitismus -Priester:innen korrigieren das mystische Ungleichgewicht mit zwei mantrischen Manövern. Das erste besteht darin, grundlos zu verkünden, dass der Täter seine Lektion gelernt, eine Kehrtwende vollzogen und die Kurve bekommen hat. Das zweite besteht darin, die andere Seite, die nichts getan hat, zu demütigen. Auf diese Weise wird das mystische Gleichgewicht zwischen beiden Seiten wiederhergestellt.

Die Normalisierung hat Folgen. Wenn eine Seite ein großes Übel begangen zu haben scheint, verunglimpfen die Priester des Zweiseitismus rituell immer die andere Seite. Der Preis für die Wiederherstellung der mystischen Gleichheit ist die Rehabilitierung des Kriminellen und die Degradierung des Unschuldigen.

Unsere Medienleute sehen das natürlich nicht so. Die Wiederherstellung des mystischen Gleichgewichts beider Seiten verschafft unseren Priestern eine fromme Genugtuung, die man an den roten Gesichtern der Korrespondenten in Milwaukee in der letzten Woche sehen konnte.

Wenn man sie darauf anspricht, betonen die Schamanen des Zweiseitismus, dass ihre dualistischen Tänze nichts anderes als eine korrekte Methode zur Beschreibung des Universums sind. Der Kult und seine Darbietung werden durch die totemistischen Begriffe „Objektivität“ und „Gleichgewicht“ vor Kritik geschützt.

Alle Schaman:innen tun dies: Sie bestehen darauf, dass ihr Dogma unsere Realität sein muss. Wenn wir jedoch zulassen, dass der Kult des Zweiseitismus unser eigenes Denken prägt, verschwinden ethisches Urteilsvermögen und sachliche Untersuchung und mit ihnen jede Chance auf konstitutionelle Ordnung und Demokratie.

Ethisches Urteilsvermögen würde eine Vorstellung von Recht und Unrecht voraussetzen, die durch die Tätigkeit der Priester:innen des Zweiseitismus ausgehöhlt wird. Je schlimmer das Böse der einen Seite ist, desto kunstvoller muss es verziehen und desto bösartiger muss die ande -

re Seite beschimpft werden. Die Anhänger:innen des Kultes empfinden dies als moralisches Handeln, während in Wirklichkeit der performative Relativismus jede Moral aushöhlt.

Eine sachliche Untersuchung würde bedeuten, andere Perspektiven zu ermitteln, die der Zweiseitismus außer Acht lässt. Sie würde erfordern, die Worte beider Seiten mit den Tatsachen der Welt zu konfrontieren. Für die Anhänger:innen des Zweiseitismus ist es eine als Rechtschaffenheit behauptete Erleichterung, niemals eine solche Arbeit leisten zu müssen. Frühere dualistische Glaubensrichtungen waren nicht abwegiger als unser eigener Kult. Sie hatten in der Tat etwas zu den grundlegenden Fragen zu sagen. Die indoeuropäischen, nahöstlichen und ostasiatischen Glaubensvorstellungen, auf die ich oben kurz eingegangen bin, brachten Geschichten über die Welt hervor, die Philosophie und Wissenschaft inspirierten. Der Kult des Zweiseitismus hingegen ist die dogmatische Ablenkung von den blutigen Opfern einer Republik.

PS: Ich möchte klarstellen, dass es in diesem Essay um das in den amerikanischen „Medien“ vorherrschende Ritual des „Sowohl-als-auch“ geht und nicht um die Arbeit tatsächlicher investigativer Journalist:innen, die ganz andere Methoden anwenden und deren Arbeit die Grundlage für das bildet, was wir heute über Trumps laufenden Versuch eines Regimewechsels wissen. Ich habe mein Buch „Road to Unfreedom“ solchen Reporter:innen gewidmet. Sie sind die wahren Held:innen unserer Zeit.

Hinweis

*Der Text erschien zuerst am 21. Juli 2024 auf https://snyder.substack.com/ und wird mit freundlicher Genehmigung des Autors abgedruckt. Der den Artikel prägende Ausdruck „Both-Sideism“ wird zwecks Passgenauigkeit mit dem Neologismus „Zweiseitismus“ übersetzt.

SENDET DIE WAHRHEIT, SOLANGE IHR NOCH KÖNNT

Rechtsextreme Parteien haben eine klare Strategie: Sie attackieren unter anderem die unabhängige Presse – insbesondere öffentlich-rechtliche Medien – um kritische Stimmen mundtot zu machen und letztlich Kontrolle über den Diskurs und die Meinungsbildung zu erlangen. Die Attacken haben viele Gesichter. Auch der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp forderte jüngst (1) , der Tageszeitung „Der Standard” die Presseförderung zu streichen, nachdem diese kritisch berichtet hatte. Donald Trump, den z.B. Timothy Snyder von der Universität Toronto als Faschisten benennt (https://www.newyorker.com/magazine/dispatches/what-does-it-mean-that-donald-trump-is-afascist), unterstellte gleich, dass kritisch über ihn berichten „illegal” sei (2) .

Auch in Deutschland gehören Angriffe auf die Pressefreiheit längst zum Repertoire der AfD. Die Partei delegitimiert etablierte Medien als „Systempresse“ oder „Lügenpresse“ und beklagt vermeintliche Zensur –während sie gleichzeitig unliebsame Journalisten von eigenen Parteiveranstaltungen ausschließt (3). Tatsächlich zählt die vehemente Ablehnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seit AfD-Gründung zu ihren Kernanliegen (4). In Thüringen etwa beantragte die AfD unter dem Faschisten Höcke wiederholt, sämtliche Rundfunkstaatsverträge zu kündigen und den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk abzuschaffen (5) .

Durch das Klagen über „eingeschränkte Meinungsfreiheit“ bei gleichzeitigem Ausschluss kritischer Presse immunisiert sich die AfD in den Augen ihrer Anhänger gegen jegliche noch so berechtigte Kritik. Rechtsextreme Parteien wollen alleine bestimmen, wie über sie berichtet wird. Die Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit muss daher in erster Linie gegen diese Angriffe geführt werden.

Doch anstatt geeint dagegenzuhalten, versuchen viele Medien, den rechten Angriffen den Wind aus den Segeln zu nehmen, in dem man auf sie zugeht, über die von ihnen gesetzten Themen mehr berichtet und versucht, den nächsten Shitstorm zu vermeiden, in dem man ja nicht so berichtet, dass sie sich aufregen können. Diese Strategie des Entgegenkommens hat fatale Folgen: Einen schleichenden Rechtsdrall in der Medienlandschaft.

Eine Studie zeigte, dass Migration und Schutzsuchende stark überproportional mit Kriminalität und Gewalt in Verbindung gebracht werden (6) -

eine andere, dass Migration als Problem oder Bedrohung präsentiert wird. (7) Eine weitere, dass Medien nicht nur überproportional viel über Gewalt, insbesondere Messerangriffe schreiben, sondern sich dabei auch fast nur auf die Minderheit der nicht-deutschen Tatverdächtigen konzentrieren. (8)

Statt objektiv über Geflüchtete zu berichten, haben die meisten Medien tendenziell die verzerrten Darstellungen rechtspopulistischer Akteure übernommen. Selbst bei inhaltlich korrekten Berichten verstärkt Framing und Auswahl bereits die Wahrnehmung. Obwohl auch eine Studie zeigt (9), dass mehr Migration nicht zu mehr Kriminalität führt, wird diese falsche Verknüpfung medial kaum noch hinterfragt. Rassistische Angriffe, die teilweise fast jeden zweiten Tag verübt werden (10) und dass rechtsextreme Straftaten einen neuen Rekord erreichten (11) kommt da zu kurz

Medienwissenschaftler Thomas Hestermann attestierte vernichtend: „Die deutschen Leitmedien ordnen Gewaltkriminalität nahezu genauso ein wie die AfD.“ (12)

Durch ständige Empörungswellen und Druck auf Redaktionen („Die Lügenpresse verschweigt XY!“) verschieben sie den journalistischen Fokus in ihre Richtung. Auch andere wichtige Themen leiden: Das Klima wird laut einer Studie in den Öffentlich-Rechtlichen in den Jahren 2007 bis 2022 zu wenig thematisiert (13). In den letzten Jahren dürfte es noch schlimmer geworden sein - in Formaten wie dem TV-Duell wurde dem Klima keine zwei Minuten gewidmet (14) .

Dabei vertrauen laut Umfragen vier von fünf Deutschen dem hiesigen Medienangebot – dem Öffentlich-Rechtlichen sogar mit Abstand am meisten (15). Es besteht also kein Grund, einem rechten Rand zuliebe die eigene journalistische Linie zu verbiegen. Das zerstört nur noch bestehendes Vertrauen, ohne die Rechte zurückzugewinnen. Die Aufgabe des ÖRR ist es, objektiv und sachlich zu berichten – und objektiv bedeutet nicht, jeder Desinformation dieselbe Bühne zu bieten.

Besonders deutlich wird das Dilemma beim Umgang mit rechtsextremen Stimmen in Talkshows und Diskussionsrunden. Jede Einladung ist ein Erfolg für die Extremisten. Egal wie scharf ein AfD-Politiker in einer Sendung konfrontiert wird, die Anhängerschaft feiert jeden Auftritt dennoch als Triumph, aus dem Kontext gerissene Schnipsel voll mit unwidersprochener Desinformation kriegen Millionen Aufrufe in Social Media (16) . Live kann kein Fake richtiggestellt werden, denn bei Widerspruch sagt zum Beispiel eine Alice Weidel: Nein, stimmt nicht. Ein Hinweis, dass es

später irgendwo online mal einen Faktencheck geben wird, interessiert niemanden mehr. (17)

Studien belegen diesen Effekt auch: Eine Untersuchung ergab, dass TVInterviews und -Auftritte rechtsextremer Akteure dazu führen, dass ihre Ansichten in der Bevölkerung größere Zustimmung finden (18) .

Klar kann man der Meinung sein, dass “Entlarvung” von Faschisten oder anderen Lügnern nicht die Aufgabe solcher Formate sei. Dann versagen sie aber vielleicht auch grundlegend in ihrem journalistischen Anspruch. Wenn derartige Formate kostenlose PR für Demokratiefeinde sind, anstatt ihrer Aufgabe als Vierte Gewalt gerecht zu werden, und wir das einfach so hinnehmen, sägen wir selbst an dem Ast der Pressefreiheit.

Aus falsch verstandenem Ausgewogenheitsdenken behandelt man demokratiefeindliche, extremistische Positionen wie eine legitime „Seite“ in der Debatte und verstärkt sie dadurch. Egal ob Corona, Klima oder Kriminalität: Wenn die Einstellungen des wissenschaftlichen Konsenses oder manchmal sogar gar der Mehrheit zu kurz kommen, und dafür demokratiefeindliche Narrative, läuft etwas schief.

Talkshows oder Interviews mit Rechtsextremisten oder Populisten sollten nicht mehr live gesendet werden. Eine zeitversetzte Ausstrahlung ermöglicht es, irreführende Behauptungen direkt im Beitrag mit Faktenchecks und Gegendarstellungen zu kontern. Öffentlich-rechtliche Redaktionen sollten die Gleichsetzung von demokratischem Konsens und extremistischen Positionen beenden. Nicht jedes Thema hat zwei legitime „Seiten“, schon gar nicht, wenn eine davon auf Fakes oder der Abschaffung der Demokratie basiert.

Der ÖRR sollte selbstbewusst Themen aufgreifen, die in der öffentlichen Debatte unterbelichtet sind, anstatt passiv der Empörungslogik zu folgen. Einfach nur ohne Einordnung oder Faktencheck Behauptungen zu zitieren ist kein Journalismus. Das ist PR. Wenn in den Schlagzeilen nur noch die Themen und (Falsch)Behauptungen zu sehen sind, bringt auch der beste Journalismus nichts. Insbesondere, wenn kein Faktencheck oder keine Einordnung folgt, sondern ein Staatsstreich wie in den USA als “umstritten” oder als “Verfassungskrise” bezeichnet wird. Als ob das normal sei.

Statt immer wieder über die schrillsten Behauptungen zu diskutieren, sollten die Sender vermehrt jene Sachthemen ins Zentrum rücken, die in den Schatten der Kulturkämpfe geraten sind – etwa soziale Gerechtig-

keit, Klima, Bildung oder konstruktive Lösungen für Migration. Gerade weil man versucht, durch Dominanz ihrer Lieblingsthemen andere Diskurse zu verdrängen, muss der ÖRR diese Lücke füllen. Mehr Berichte über die Folgen rechtsextremer Gewalt, über reale Vorteile von Migration, zum Beispiel wie sie die Sozialkassen stabilisiert (19), über wissenschaftliche Fakten zum Klimawandel – all das, was im Empörungstheater keinen Platz hat. Oh: Und in Zeiten von Social Media sollte es sich breit durchsetzen, wenn gegeben Quellenlinks anzugeben. Nachprüfbarkeit erhöht Vertrauen und erleichtert es, Studien und Primärquellen zu finden.

Unsere Medien tragen eine besondere Verantwortung, dem Druck antidemokratischer Kräfte standzuhalten. Angriffe von rechts zielen darauf ab, den Journalismus einzuschüchtern und letztlich gleichzuschalten – dem muss der ÖRR offensiv entgegenwirken. Denn er wird als erstes Opfer des Kahlschlags werden, wenn die Rechtsextremen die Macht ergreifen. Habt Mut, für die Wahrheit und die Demokratie einzustehen! Ich möchte, dass meine Journalistinnen und Journalisten für die Wahrheit kämpfen, die Mächtigen zur Rechenschaft ziehen und die Demokratie verteidigen und nicht ängstlich neben dem Faschismus stehen und ihn als „umstritten” kommentieren. Sendet die Wahrheit, solange ihr es noch könnt.

Quellen

1 https://orf.at/stories/3382085/

2 https://edition.cnn.com/2025/03/14/media/trump-media-speech/index.html

3 https://www.rnd.de/politik/gerichtsbeschluss-afd-darf-journalisten-nicht-von-akkreditierung-ausschliessen-RSTHYRXISBEZXOFY3NKR6XLZSE.html

4 https://www.nachdenken-im-handgemenge.de/de/article/4209.grundfunk-statt-vielfalt-wie-die-afd-den%C3%B6ffentlich-rechtlichen-rundfunk-radikal.html

5 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/afd-in-thueringen-droht-mdr-mit-kuendigung-dieser-bleibtgelassen-19876807.html

6 https://www.stiftung-mercator.de/de/publikationen/fuenf-jahre-medienberichterstattung-ueber-fluchtund-migration/

7 https://migrant-integration.ec.europa.eu/library-document/die-unsichtbaren-berichterstattung-uebereingewanderte-und-gefluechtete_de

8 https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Expertise_Berichterstattung_ueber_Messerangriffe_Thomas_Hestermann.pdf

9 https://www.ifo.de/pressemitteilung/2025-02-18/mehr-auslaender-erhoehen-die-kriminalitaetsrate-nicht

10 https://www.migazin.de/2024/04/11/sachsen-anhalt-hat-dramatisches-rassismusproblem/#:~:text=Die%20Mobile%20Opferberatung%20hat%20f%C3%BCr,38%20Jugendliche%20 und%2020%20Kinder

11 https://www.tagesschau.de/inland/rechtsextreme-straftaten-106.html

12 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-03/angriff-mannheim-kein-migrationshintergrunddeutscher-medien-afd

13 https://www.ard-media.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2022/2212_Tschoetschel_ Schumann_Roloff_Brueggemann_.pdf

14 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-02/tv-duell-bundestagswahl-merz-scholz-analyse

15 https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/vertrauen-glaubwuerdigkeit-medien-100.html

16 https://www.volksverpetzer.de/aktuelles/alice-weidel-zerstoert-caren-miosga/

17 https://www.volksverpetzer.de/faktencheck/wahlarena-fixed-video/

18 https://osf.io/preprints/socarxiv/urhxy/

19 https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Kurzberichte/PDF/2024/IW-Kurzbericht_2024Bev%C3%B6lkerungsentwicklung-Migration.pdf

ZUR BEDEUTUNG UND ROLLE DES ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN

RUNDFUNKS IN DER DEMOKRATIE

JÜRGEN BETZ, ERIKA BOCK-ROSENTHAL

INITIATIVKREIS ÖFFENTLICH-RECHTLICHER RUNDFUNK KÖLN E �V� (IÖR)

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nach dem 2. Weltkrieg und der NSHerrschaft ganz gezielt zur Förderung der (damals neu aufzubauenden)

Demokratie geschaffen worden. Die bewusst föderale Organisation soll verhindern, dass die Medien gleichgeschaltet werden. Das gilt unverändert bis heute. Diese Funktion für die Demokratie hat der öffentlichrechtliche Rundfunk, wie das BVerfG wiederholt ausgeführt hat, auch heute unverändert, sogar mehr denn je.

Nach § 26 des Medienstaatsvertrages (MedStV) hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Er soll die internationale Verständigung, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie den gesamtgesellschaftlichen Diskurs in Bund und Ländern fördern. Sein Auftrag ist es, Kultur, Bildung, Information und Beratung und einem dem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechende Unterhaltung anzubieten. Diese Auftragsbeschreibung entspricht den Anforderungen, die das BVerfG immer wieder unterstrichen hat.

Gerade in den aktuellen Zeiten ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk als unabhängiges Medium besonders wichtig und mehr denn je gefordert, die Demokratie zu fördern und seinen breiten Auftrag umfassend zu erfüllen sowie sich engagiert gegen antidemokratischen Populismus einzusetzen und Angriffe auf die Meinungs- und Medienfreiheit abzuwehren, die insbesondere durch die sog. sozialen Netzwerke wie X, YouTube, Instagram, Facebook und TikTok massiv gefährdet werden.

Hier kann und muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus Sicht des IÖR noch einiges mehr als bisher leisten.

Im Einzelnen:

1. Bewusstsein für den Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schärfen

Das Bewusstsein in Gesellschaft und Bevölkerung für die Bedeutung des öffentlich-rechtliche Rundfunks muss geschärft und immer wieder unterstrichen werden. Das ist zum einen Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks selbst, zum anderen aber auch Aufgabe der Medienpolitik, die

hier deutlich mehr tun kann und nicht primär Rundfunkbeitragsstabilität oder gar Beitragsreduzierungen in den Vordergrund stellen darf.

2. Aktiv für die Demokratie und ihre Werte eintreten Gerade in Zeiten von zunehmendem Rechtsradikalismus und verfassungsfeindlichen Bestrebungen müssen der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine Journalisten Wächter der Demokratie sein. Sie haben auch die Aufgabe, antidemokratische Entwicklungen sichtbar zu machen und einzuordnen. Hier gilt nicht der vielfach missverstandene Appell von Hans-Joachim Friedrichs, der Journalist dürfe sich nicht mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer Guten. Journalisten des öffentlichrechtlichen Rundfunks haben den verfassungsrechtlichen Auftrag, die Demokratie zu verteidigen und zu schützen. Denn die Demokratie sollte, wie Carlo Schmid schon Mitte der 50er Jahre formuliert hat, „nicht zu schwach, sondern wehrhaft sein und auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen“.

Und es gilt unverändert der Appell, den der erste hessische Ministerpräsident, Christian Stock, 1948 anlässlich der Gründung des Hessischen Rundfunks an Journalisten gerichtet hat; man könnte es heute nicht besser formulieren:

„Hüten Sie aber auch den Äther, eines der heiligsten Güter eines Volkes; vor allem die Freiheit, unter der Sie selbst arbeiten können! Schenken Sie dem Geist der Freiheit und Demokratie Gehör. Wenn Sie einem Geist Gehör schenken, der Freiheit und Demokratie töten will, müssen Sie wissen, dass Sie sich und Ihrem Volke damit den Untergang bereiten. Sie dienen keiner Partei, Sie dienen keiner Sekte, Sie dienen keiner Gruppe von Parteien, Sie dienen dem ganzen Volke. Ihr schärfster Kampf muss daher denen gelten, die die demokratische Freiheit und den Frieden der Welt zu stören versuchen.“

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk als freier unabhängiger Rundfunk muss auch selbst in seinen Angeboten deutlich mehr tun, um seine Funktion und Bedeutung als Teil des Rückgrats für eine freie demokratische Gesellschaft zu vermitteln; er hat eine Mitverantwortung für das Funktionieren der Demokratie. Dies kann z.B. erfolgen durch geeignete Sendungen zur Funktion der repräsentativen Demokratie, zur Bedeutung des Kompromisses als Problemlösungskompetenz in einer Demokratie und zur Gewaltenteilung als ihre Basis. Dafür eignen sich entsprechende Dokumentationen mit der Vermittlung von Hintergrundwissen, auch mit Blick auf Diktaturen und auch das Nazi- und DDR-Regime, eigene kur-

ze Spots und Trailer in Fernsehen und Hörfunk pro Demokratie, durch Publikationen, durch gesellschaftspolitische und medienpolitische Konferenzen und Veranstaltungen, auch im Verbund mit geeigneten Institutionen. Ebenso kann auch im fiktionalen Bereich das Thema Demokratie und ihre Bedeutung aufgegriffen werden.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk muss Daseinsvorsorge für die demokratische Öffentlichkeit sein und demokratische Streitkultur unterstützen. Aus einer „Mediendemokratie darf keine Empörungsdemokratie werden“, wie es der Medienwissenschaftler Prof. Pörksen zutreffend formuliert hat.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte daher auch nicht fragen, was die Demokratie für ihn tun kann, sondern lieber fragen, was er für die Demokratie tun kann.

3. Die eigenen Leistungen herausstellen

Positive Eigenwerbung in vielen unterschiedlichen Formen durch Herausstellen seiner umfangreichen Leistungen für 60 Cent am Tag ist ebenso wichtig. Dazu gehört auch bislang fehlende gezielte Crosspromotion im Fernsehen auf das Gesamtangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seine vielfältigen Angebote, die vielen Menschen nicht bekannt sind. Aber auch im Hörfunk und dem digitalen Angebot ist Crosspromotion sehr wichtig. Die Menschen müssen wissen, was es im Gesamtangebot gibt; gerade die Spartenprogramme erfüllen gut den Auftrag, sind nur kaum bekannt.

4. Auftrag umfassender erfüllen

Gerade angesichts der komplexen und teils unübersichtlichen Weltlage besteht immenser Bedarf an hochwertigem, wirtschaftlich und politisch unabhängigen Journalismus. Deshalb muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Auftrag umfassend erfüllen, z.B. durch

• mehr Information, Dokumentationen, Hintergrundberichte und Analysen zu aktuellen Themen im Fernsehen zu attraktiven Sendezeiten zwischen 19 und 22 Uhr, die auch per Trailer beworben werden.

• mehr Auslandsberichterstattung zum Verständnis der globalen Welt. Bislang spielt die Südhalbkugel, auf der über 80 % der Menschen leben, im Programm so gut wie keine Rolle. Ein Weltspiegel und ein Auslandsjournal pro Woche bei ARD und ZDF sind zu wenig.

• auch konstruktiven Journalismus praktizieren und über das berichten, das positiv und erfolgreich ist statt primär über Negatives, über Streit und über Konflikte in der Welt und in der Gesellschaft. Schon der Newsletter von „good news“ zeigt sehr viel Positives und Erreichtes.

• mediale Brücken bauen angesichts tiefer werdender Gräben und

wachsender Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft und Vielfalt der bestehenden Meinungen abbilden; unser gemeinsames Wertefundament sichern helfen und ein Gegengewicht zu den algorithmengesteuerten kommerziellen sozialen Netzwerken schaffen. „Meinungsfreiheit“ sei nicht schrankenlos gewährleistet, wie offenbar US-Vizepräsident Vance meint, gleichzeitig aber nicht-regierungsgenehme Meinungen am liebsten aus der Öffentlichkeit verbannen will.

• den Auftrag zur Integration erfüllen, d.h. das Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft durch eine Kultur des Verstehens und der Verständigung und des Diskurses zu befördern.

• Talkshowformate überdenken. Die derzeitigen haben oft für die uschauer wenig Erkenntnisgewinn, weil immer wieder dieselben Gäste eingeladen und die gleichen Themen diskutiert werden. Die vielen Talkrunden vor der Bundestagswahl 2025 sind ein beredtes Beispiel dafür und haben viel Kritik erfahren. Viele wichtige Themen außerhalb von Deutschland und Europa werden kaum in den Talkrunden erörtert. Es wäre sinnvoll, viel öfter Bürger einzuladen, die oft bessere Fragen stellen als mancher Moderator. Und auch mehr Wissenschaftler wären gut, weil sie mehr Information und Hintergrundwissen vermitteln.

• Anzahl der immer mehr werdenden Krimis reduzieren und Platz für die oben genannten Beiträge schaffen und in den Krimis weniger Gewalt darstellen; eine Forderung vieler Zuschauer aus dem ARD- Zukunftsdialog 2021. Für das dadurch eingesparte Geld können viele Dokumentation und Informationssendungen produziert werden.

• Das Konkurrenzdenken zwischen ARD und ZDF im Programm sollte rasch beendet und deutlich mehr kooperiert werden.

Um die Kosten für die Erfüllung der oben genannten, zusätzlich zum Status quo erforderlichen Aufgaben zu finanzieren, sollten ARD und ZDF auch eine Reduzierung der Ausgaben für Sportübertragungen und die Vielzahl von hochdotierten Sportexperten in Betracht ziehen, die bis zu 10 % des Gesamtbudgets betragen.

5. Gremienaufsicht intensivieren

Durch den MedStV wurden die Aufgaben und Kompetenzen der Aufsichtsgremien bewusst gestärkt. Die Gremien von ARD und ZDF haben inzwischen gemäß § 31 des MedStV Qualitätsrichtlinien für die Angebote beschlossen. Diese gilt es nun zeitnah anzuwenden, um zu prüfen, ob diese von den Programmverantwortlichen beachtet und die unter 4. genannten Ziele und Aufgaben erreicht werden.

6. Bildungsauftrag besser erfüllen

Zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehört ausdrücklich auch Bildung, vgl. § 26 MedStV. Dies gilt besonders gegenüber der jungen Generation. Mit den unter 4. genannten Angeboten würde auch der Bildungsauftrag besser als bisher erfüllt.

Schüler sollten schon frühzeitig über die Demokratie und ihre Werte informiert werden, insbesondere über Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit, Presse- und Medienfreiheit, Wissenschaftsfreiheit, Schutz von Menschenrechten, Gleichberechtigung u.v.m. Denn in einer zunehmend komplexeren und globalisierten Welt und angesichts der Herausforderungen wie der Digitalisierung und einer wachsenden Polarisierung kommt der Wertevermittlung eine Schlüsselrolle zu. Jugendlichen müssen neben fachlichen Inhalten auch Werte wie Respekt, Verantwortung, Toleranz und Solidarität vermittelt werden. Dies leistet einen entscheidenden Beitrag für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Hier könnte der öffentlichrechtliche Rundfunk aktiv Unterstützung mit seinen Kompetenzen und Beiträgen leisten.

7. Journalismus stärken Gebraucht werden vermehrt Bildungsangebote für Journalisten, um die immer komplexer werdenden Themen unserer Zeit zu verstehen und einordnen zu können. Es bedarf auch mehr Fachjournalisten, die mögliche Folgen von vorgeschlagenen politischen Maßnahmen rechtlich und ökonomisch einordnen und beurteilen können, insbesondere auf deutscher und europäischer Ebene.

In politischen Interviews und ebenso in Talkshows müssen Journalisten nachhaken, wenn auf ihre Fragen keine oder nur ausweichende Antworten gegeben werden. Sofern von Interviewten Begriffe verwendet werden, die im rechtsradikalen Kontext eine besondere Bedeutung haben, muss direkt eine Übersetzung erfolgen. Wenn Begriffe „gekapert“ werden, muss geprüft werden, ob eine Übernahme quasi in Anführungszeichen sinnvoll ist oder die direkte Ablehnung. Der Begriff „Meinungsfreiheit“ ist so ein Beispiel, das in unserem Grundgesetz eine ganz andere Bedeutung hat als in der Rede eines Extremisten. Wichtig ist in jedem Fall eine gute Vorbereitung von Interviews und Moderationen mit Personen und Parteien, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen; das muss auch deutlich gemacht werden. Die diversen Sendungen bei ARD und ZDF vor der Bundestagswahl 2025 haben gezeigt, wo die Defizite des Journalismus bestehen und deshalb haben sie zurecht auch viel Kritik erfahren, weil nur wenige der aktuellen Probleme und Herausforderungen thematisiert wurden und viel Fragen von den Politikern nicht

beantwortet wurden. Es muss – siehe das Zitat von Stock – zu bestimmten politischen Positionen auch deutlich und mutig gesagt werden, dass diese rechtsextrem oder verfassungswidrig sind. Und Lügen müssen als solche auch klar bezeichnet werden und dürfen nicht einfach stehen gelassen werden.

8. Jugend ansprechen

Die Jugend ansprechen und die Werte der Demokratie vermitteln, auch in geeigneter Form auf Social-Media-Kanälen, ist wichtig. Jugendmedientage sind dafür z.B. ein sehr gutes Instrument, wie sie die ARD wieder am 12.11.2025 plant.

Ebenso wichtig sind Kooperationen mit Schulen, um frühzeitig Demokratie zu vermitteln und zu fördern. Dazu kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk etwas beitragen; es gibt dazu bereits sehr gute Sendungen, z.B. bei ARTE, die genutzt werden können. Auch eine Kooperation mit dem Projekt „Journalismus macht Schule“ wäre sinnvoll.

9. Medienkompetenz fördern

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte auch Medienkompetenz durch geeignete Sendungen und sonstige medienpädagogische Angebote fördern, auch in seinen Regionalstudios, gerade für Kinder und Jugendliche, ihre Eltern und Lehrer. Ohne Medienkompetenz ist der einzelne der heutigen Medienwelt, insbesondere den sog. sozialen Netzwerken, hilflos ausgeliefert. Es gibt dazu bereits gute Beiträge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, über sie sollte viel mehr informiert werden. Hier sind Kooperationen mit Schulen, Schulträgern und Bildungseinrichtungen wichtig.

Mehr Nähe zum Publikum zum Beispiel könnte auch zur Medienkompetenz beitragen. Wenn auf Stadtfesten ein Ü-Wagen steht, wäre es sicher möglich Interessierten nicht nur die Technik zu zeigen, sondern auch, was aufgenommen und wie berichtet wird, also wie eine Sendung entsteht.

10. Fakenews aufdecken

Unsere Zeit und unsere Meinungsbildung wird immer stärker durch Fakenews, von Algorithmen gesteuerte einseitige Informationen, vor allem durch die Socialnetworks, beeinflusst, die aufgedeckt und erklärt werden müssen. Medien müssen nicht neutral, sondern wahrhaftig sein; offensichtliche Lügen müssen so auch als solche genannt werden.

Was bislang vor allem im Fernsehen fehlt, ist eine sofortige Aufdeckung und Entlarvung von Falschbehauptungen in derselben Sendung, sei es durch entsprechende Einblendungen oder sofortige Klarstellung und

Konfrontation des Interviewpartners durch die Moderatoren. Es genügt nicht, Falschbehauptungen erst nach einer Sendung und das nur online zu widerlegen.

Hier sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk viel aktiver und nicht nur online tätig sein. Eine Gemeinschaftsredaktion von ARD, ZDF, DLR und DW könnte hier schlagkräftiger agieren und Doppel- oder gar Mehrfacharbeit bei der Aufdeckung von Falschinformationen vermeiden helfen.

11. Extra Sendung

Leider gehen Richtigstellungen oft unter, während reißerische Daten, haarsträubende Behauptungen oder verwunderliche Bilder in Erinnerung bleiben. Deshalb sollte darüber nachgedacht werden,eine richtige kleine Sendung auf einem guten Sendeplatz zu entwickeln. Da könnte dann „Die falscheste Zahl der Woche“ illustriert werden oder die abgefahrenste Lügengeschichte. Die „alternativen Wahrheiten“ und Verschwörungserzählungen könnten mit KI, guten Karritaturen oder Schauspielern dargestellt werden. KI Fakes könnten vorwärts und rückwärts weitergesponnen werden. Es müsste auch Spaß machen, sich so eine Sendung anzusehen.

12. Mitarbeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an der Entwicklung eines europäischen unabhängigen, gemeinnützigen Socialnetworks als Gegenstück und Alternative zu X, Instagram, TikTok und Co.

Im März 2025 hat sich in Deutschland ein großes Bündnis von 75 zivilgesellschaftlichen Initiativen, Organisationen, Verbänden und Bündnisses gegründet und zurecht darauf hingewiesen, dass die genannten amerikanischen und chinesischen Plattformen gezielt europäische Regelungen wie den Digital Services Act ignorieren, sogar mit Unterstützung der Trump-Regierung. Das Bündnis hat unter dem Titel „Demokratie schützen, Gemeinwohl fördern: Online Plattformen brauchen Kontrolle“ die Herren Merz, Klingbeil und Söder angeschrieben und gefordert, dass diese sich dafür einsetzen, dass Onlineplattformen das gesellschaftliche Gemeinwohl und den demokratischen Diskurs fördern und auf europäischer Ebene eine gemeinwohlorientiere digitale Plattform aufgebaut und gestärkt wird, um eine Alternative zu den bestehenden, immer gefährlicher werdenden amerikanischen und chinesischen Plattformen zu schaffen.

Hier sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk im eigenen Interesse angesichts seiner Mitverantwortung für unsere Demokratie in Zusammenarbeit mit der Europäischen Rundfunk Union tatkräftig mitarbeiten und möglicherweise eine Federführung für die Entwicklung einer solchen Plattform und ihrer Regularien übernehmen.

RECHTLICHE MASSNAHMEN

ZUR VERBESSERUNG DER RESILIENZ DES DEUTSCHEN ÖRR

1. ÖRR vor neuen Herausforderungen

Populistische Strömungen befinden sich derzeit in Europa im Aufwind, in Deutschland ablesbar an den Wahlerfolgen der Alternative für Deutschland (AfD). Die Partei erzielte bei der Bundes-tagswahl 2025 20,8 Prozent der Wählerstimmen und eroberte damit hinter der CDU den zweiten Platz. In den fünf ostdeutschen Bundesländern belegte die Partei den ersten Platz. Mit Ausnah-me Berlins gewann die AfD fast alle Wahlkreise in Ostdeutschland. Die AfD sieht den ÖRR als einen „strukturell, personell und finanziell eng mit den etablierten Parteien vernetzte[n] Appa-rat“ an, der seine Macht „gezielt zur Meinungsmache bis hin zur Manipulation“ nutze (AfD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl, S. 174) In seiner jetzigen Form sei „der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht mehr zeitgemäß. Er muss grundlegend reformiert, verschlankt und entideologisiert werden. Die AfD setzt sich vehement für eine nachhaltige Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein, dessen Aufgabe allein eine gebührenfreie Grundversor-gung mit Informations-, Kultur- und Regionalprogrammen sein soll.“ Gelegentlich wird auch schlicht dafür plädiert, den ÖRR abzuschaffen. Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwun-dern, dass eine Diskussion darüber begonnen hat, wie der ÖRR mit rechtlichen Mitteln besser vor solchen Umgestaltungsplänen geschützt werden kann.

2. Föderales Mediensystem als Bollwerk

Die Bundesrepublik ist ein föderaler Bundesstaat. Dem folgt das Rundfunksystem. Die Rund-funkanstalten, die wie z.B. der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) kurz nach Kriegsende von den Alliierten gegründet wurden, hatten von vornherein nur einen auf die jeweilige Besat-zungszone bezogenen Programmauftrag. Dieser orientierte sich am Modell der BBC, um die notwendige Unabhängigkeit von der Politik sicherzustellen. Dies ist anfänglich auf erbitterte Kritik einiger Landesregierungen gestoßen. Auch der Bund versuchte Anfang der 60er Jahre mehr Einfluss auf das Rundfunksystem zu erlangen. Bundeskanzler Adenauer setzte sich für ein bundesweites Fernsehprogramm mit dem Namen „Deutschland-Fernsehen“ ein. Dieses Vorha-ben scheiterte am Bundesverfassungsgericht. Das Gericht stellte klar, dass der ÖRR allein dem Vielfaltsziel verpflichtet ist. Für die Rundfunkgesetzgebung sind die Bundesländer zuständig. Dem Bund ist es daher untersagt, ein eigenständiges Rundfunkprogramm zu

übertragen. Eine Ausnahme gilt nur für den Auslandsrundfunk, das Programm der Deutschen Welle. Dieses erste Rundfunkurteil gilt als „Magna Carta“ der verfassungsrechtlichen Rundfunkordnung in Deutschland. Seitdem kommt dem Bundesverfassungsgericht in der Ausgestaltung des Rund-funksytems eine zentrale Rolle zu.

Ein föderales Mediensystem ist per se ein beachtliches Hindernis für autokratische politische Strömungen, wenn sie auf der Ebene des Gesamtstaates beabsichtigen sollten, die mediale Macht zu übernehmen. Insofern sind die richtigen Lehren aus der Nazi-Herrschaft gezogen worden. Damals konnte das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda den Hör-funk wirkungsvoll für seine politischen Ziele einsetzen. Dies ginge im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung heute nicht mehr.

3. Kooperativer Föderalismus als Angriffspunkt

• Staatsverträge zwischen den Ländern als Grundlage. Um den ÖRR grundlegend umzugestalten oder gar abzuschaffen, kann daher nur auf Ebene der Bundesländer angesetzt werden. Zerbrechlich ist das öffentlich-rechtliche System vor allem dann, wenn es auf Kooperation zwischen den Bundesländern angewiesen ist. Vereinbarungen zwischen den Ländern werden durch den Abschluss von bindenden Staatsverträgen abgesichert. Den Sendungen des ZDF liegt deshalb ein Staatsvertrag zugrunde, der von allen 16 Bundeslän-dern abgeschlossen wurde. Auch die Programme der Mehrländeranstalten MDR, rbb, NDR und SWR basieren auf den einschlägigen Staatsverträgen der betroffenen Länder. Staatsverträge werden in einem zweistufigen Verfahren in Kraft gesetzt. Zunächst bedarf es ei-ner Einigung auf den Vertragstext durch die betroffenen Landesregierungen. Sodann müssen die Länderparlamente zustimmen, bevor der Staatsvertrag in den Gesetzesblättern der Länder veröffentlicht wird. Der Vertragsinhalt erlangt so in allen Ländern Gesetzesqualität.

Dieses System der Kooperation und Koordination ist voraussetzungsvoll. Es unterstellt, dass die Länder untereinander zu einem tragfähigen Kompromiss kommen. Auch wird davon ausgegan-gen, dass die Länderparlamente einem Vertragstext zustimmen, den sie inhaltlich kaum beein-flussen können. Dies lässt Unmut erwarten. Denn für viele Abgeordnete ist es eine Zumutung, nur eine Art notarielle Beurkundung des Verhandlungsergebnisses vornehmen zu können. Dennoch ist es den Ländern in den letzten Jahrzehnten gelungen, eine große Zahl an Staatsver-trägen auszuhandeln und in Kraft zu setzen. Diese Praxis ist Ausdruck einer Herrschaft der „Parteien der Mitte“. Eine Trendwende hat erst eingesetzt, als sich eine zunehmende Zersplitte-rung und die Polarisierung des Parteiensystems abzeichneten.

• Streit um die Beitragserhöhung

Wie zerbrechlich dieses konsensbasierte System eigentlich ist, wurde einer breiten Öffentlichkeit erstmals anlässlich der Debatte um die Beitragserhöhung im Jahre 2020 bewusst. Nachdem be-reits 15 Bundesländer dem erforderlichen Finanzierungstaatsvertrag zugestimmt hatten, zeichne-te sich ab, dass es hierfür keine mehrheitliche Zustimmung des Landesparlaments von Sachsen-Anhalt geben wird Erst das Bundesverfassungsgericht ordnete eine Erhöhung des Rundfunk-beitrags auf monatlich 18,36 Euro an, der für jeden Haushalt anfällt. Aus Sicht des Gerichts sei eine Abweichung von den Vorschlägen der Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) nur durch alle Länder einvernehmlich möglich. Denn die staatliche Finanzierungsgewährleistungspflicht obliege den Ländern als föderaler Ver-antwortungsgemeinschaft, wobei jedes Land ein Verantwortungsträger sei.

Auch für eine Erhöhung des Beitrags auf 18,94 Euro, die die KEF für die aktuelle Beitragsperi-ode vorgeschlagen hatte, gibt es keinen Konsens unter den Bundesländern. Einige Anstalten haben daher erneut Verfassungsbeschwerde erhoben, um ihren verfassungsrechtlichen An-spruch auf funktionsgerechte Finanzierung durchzusetzen. Es bleibt abzuwarten, wie das Bun-desverfassungsgericht diesmal entscheiden wird. Vorschläge, den Finanzierungsstaatsvertrag so zu ändern, dass der Rundfunkbeitrag ohne Zustimmung der Parlamente festgelegt werden kann, sind bisher gescheitert. Ein solches Vorhaben bräuchte wiederum die Zustimmung aller Bundes-länder. Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht auch zu dieser Frage in seinem mit Spannung erwarteten Urteil zur aktuellen Beitragshöhe wegweisende Antworten geben wird. Schon in der Vergangenheit hat das Gericht medienpolitische Blockaden auf Seiten der Bundesländer mit Hilfe des Verfassungsrechts aufgelöst.

• Kündigung von Staatsverträgen zwischen den Ländern Mit den Wahlergebnissen der AfD in Ostdeutschland besteht die reale Möglichkeit, dass die Partei in einzelnen Bundesländern künftig die Regierung stellt oder zumindest an ihr beteiligt wird. Dies kann unmittelbare Konsequenzen für den Fortbestand des ÖRR haben, da Staatsver-träge einseitig gekündigt werden können. Es bedarf hierzu also keiner gemeinsamen Erklärung der vertragsschließenden Länder. Die meisten Staatsverträge enthalten Kündigungsklauseln, die eine ein- bis zweijährige Frist vorsehen. Anders als der Abschluss des Vertrags bedarf dessen Kündigung auch keiner parlamentarischen Zustimmung. Sie kann vielmehr durch die Regierung eines Bundeslandes einseitig ausgesprochen werden.

Zum Schutz der Stabilität des ÖRR werden verschiedene Maßnahmen diskutiert (für die Einzel-heiten vgl. Tobias Mast, Archiv für Presserecht 2024, 469-479). Zunächst könnte an die Ein-führung eines Parlamentsvorbehalts für die Kündigung von Staatsverträgen gedacht werden. Dann würde ein bloßes Schreiben einer Ministerpräsidentin bzw. eines Ministerpräsidenten für eine Kündigung nicht mehr ausreichen. Der Vorgang müsste vielmehr im Parlament diskutiert werden, was einen vor der Öffentlichkeit „versteckten“ Austritt erschwert. Auch durch längere Kündigungsfristen könnten plötzliche politische Umbrüchen vermieden werden, so dass eine breitere Debatte ermöglicht wäre. Auch könnte bei Staatsverträgen, die mehrere Länder betreffen, das Einstimmigkeitsprinzip durch ein Mehrheitsprinzip ersetzt werden. Auch sind die Fol-gen einer Kündigung im Einzelnen nicht geklärt. Bei Mehrländeranstalten ist z.B. fraglich, ob die Kündigung eines Staatsvertrags lediglich zum Austritt eines Bundeslandes führt oder ob sie die gesamte Anstalt auflösen kann. Von Seiten der Politik sind diese Vorschläge noch nicht aufgegriffen worden. Die westlichen Bundesländer sehen derzeit keinen Handlungsbedarf, weil die Wahlergebnisse der AfD als beherrschbar erscheinen. In den östlichen Bundesländern kann für diese Vorschläge offenbar keine politische Mehrheit mehr erreicht werden.

4. Umgestaltung oder Abschaffung einer Rundfunkanstalt

• Übernahme der Geschäftsleitung

Ein weiteres Einfallstor für eine Umgestaltung einer Rundfunkanstalt entsteht, wenn ihre Lei-tung (partei)politisch bestimmt oder kontrolliert werden kann. Eine wichtige Sicherung hierge-gen ist, dass eine Landesregierung nicht befugt ist, die Intendantin oder den Intendanten zu ernennen. Die Wahl der Intendantin oder des Intendanten ist vielmehr die Aufgabe der Rund-funkräte. Der Rundfunkrat setzt sich aus Vertretern gesellschaftlicher Gruppen zusammen, die im Gesetz im Einzelnen aufgeführt sind. Die sog. Staatsbank, zu der auch Parteienvertreter ge-hören, ist auf ein Drittel der Mitglieder beschränkt. In der Praxis limitieren diese Regelungen den Einfluss extremer politischer Strömungen auf die Auswahl des Leitungspersonals in einem erheblichen Umfang.

Die Intendantin oder der Intendant selbst verfügt allerdings über eine große Machtfülle, die sich potenziell im Sinne einer populistischen Agenda nutzen ließe. Die Rundfunkräte können die Leitungsperson zwar abrufen. Die hierzu gewöhnlich erforderliche 2/3 Mehrheit ist jedoch nicht ohne weiteres zu erreichen. Die Aufsicht der Staatskanzleien der Länder ist aufgrund des Grundsatzes der Staatsferne des Rundfunks schwach. Sie ist umfasst nur die Rechtsaufsicht. Dies bedeutet, dass

nur Verstöße gegen das geltende Recht beanstandet werden können. Sankti-onen für Fehlverhalten können zwar über das Haftungsrecht erfolgen. Dies aber greift nur nach-träglich und kann deshalb nur bedingt gegen die Umsetzung einer populistischen Agenda in Stellung gebracht werden.

Eine mögliche Alternative zu dem Modell der Intendantenverfassung wäre die Einführung einer Kollegialverfassung, bei der nicht eine einzelne Person, sondern z.B. ein mehrköpfiges Direkto-rium die Geschäftsleitung übernimmt. Eine Machtbalance der einzelnen Akteure müsste in der Geschäftsordnung des Direktoriums festgeschrieben werden. Bisher wurde diese Option nicht als Mittel gegen eine politisch motivierte Einflussnahme diskutiert. Hier besteht konzeptioneller Nachholbedarf.

• Abschaffung durch Landesrundfunkgesetz

Die wohl weitreichendste Frage ist, ob ein Landesparlament eine Rundfunkanstalt durch einfa-ches Gesetz abschaffen könnte. Ein denkbares Gegenmittel wäre, den ÖRR explizit in der jewei-ligen Landesverfassung zu verankern. Einige Bundesländer haben dies bereits getan, um den Bestand ihrer Landesrundfunkanstalten zu gewährleisten. Eine Abschaffung des ÖRR wäre dann nur durch eine Verfassungsänderung möglich, die selbst nur mit einer qualifizierten Mehr-heit erfolgen könnte.

5. Fazit

In Deutschland gibt es keine einheitliche Strategie, um den ÖRR gegen populistische Heraus-forderungen resilienter als bisher zu machen. Dies liegt wohl auch daran, dass hierzulande ins-besondere auf die Überzeugungskraft der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ge-setzt wird. Das Karlsruher Gericht hat in zahlreichen Beschlüssen und Urteilen Vorgaben für die Ziele, Organisation und Finanzierung des ÖRR aufgestellt. Sie stellen in der Praxis auf der Länderebene das zentrale Hindernis für eine grundlegende Veränderung oder gar die Abschaf-fung des ÖRR dar.

Allerdings stellt sich die weitergehende Frage, ob künftig weiterhin alle wesentlichen politischen Akteure die Urteile des Bundesverfassungsgerichts respektieren werden. In Zeiten starker popu-listischer Strömungen kann dies nicht mehr als selbstverständlich angesehen werden. Zudem ist die Resilienz des Bundesverfassungsgerichts selbst nicht unbegrenzt. Die jüngsten Absicherun-gen zur Stärkung seiner Unabhängigkeit im Grundgesetz sind daher sehr zu begrüßen. Indem das Bundesverfassungsgericht als unabhängige Instanz gestärkt wird, profitiert auch der öffent-lichrechtliche Rundfunk mittelbar von einem effektiveren Schutz durch Verfassungsrecht gegen politische Einflussnahmen.

WENN POPULISMUS POPULÄR WIRD:

DIE SCHWEIZ ALS VERSUCHSLABOR ZUR ABSCHAFFUNG DER ÖFFENTLICHRECHTLICHEN

1. Einleitung

Die Schweiz hat keine gemeinsame Sprache, keine gemeinsame Religion, keine gemeinsame Kultur. Was das „Schweizervolk” als Nation zusammenhält, ist sein gemeinsamer Wille. Die Schweiz ist der klassische Fall einer „Willensnation”, deren republikanische Idee die Grundlage für eine pluralistische Demokratie ist. Sie beruht darauf, dass niemand über die absolute Wahrheit in politischen Fragen verfügt 1, womit alle Zugehörigen der Willensnation den gleichen Anspruch haben, sich zu ihnen zu äussern. Dies setzt voraus, dass alle Bürger:innen als gleich frei anerkannt und allen die gleichen Mitwirkungsrechte eingeräumt werden.2

Als Informationsdrehscheibe ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) eine zentrale Infrastruktur der Willensnation und damit der demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Der verfassungsmässig verankerte Auftrag der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) „zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung beizutragen [und…] die Ereignisse sachgerecht darzustellen und die Vielfalt der Ansichten widerzuspiegeln” 3 bildet die Basis, auf welcher die Mitwirkungsrechte in einer pluralistischen Demokratie erst wahrgenommen werden können. Gerade deshalb ist die SRG den antidemokratischen Kräften ein Hindernis: Die Vorstellung der Rechtspopulisten, die alleinige legitime Vertretung eines fiktiven, als homogen verstandenen Volkes zu sein,4 widerspricht der Willensnation in einer pluralistischen Demokratie diametral.

Der politische Druck auf die SRG ist kein isoliertes schweizerisches Phänomen, sondern Teil einer internationalen Entwicklung: Antidemokratische Kräfte versuchen systematisch, öffentlich-rechtliche Medien zu delegitimieren, um alternative – oft parteiisch kontrollierte – Desinformationskanäle zu stärken. Wachsende geopolitische Spannungen verschärfen die hybride Kriegsführung. In diesem Umfeld wirken autokratische Einflüsse mittels

1 Kelsen, 1929.

2 Möllers, 2008.

3 BV, Art. 93 Abs. 2.

4 Mudde, 2004.

Desinformation gezielt auf die Spaltung der Zivilgesellschaft und unterminieren das Vertrauen in demokratische Institutionen. Angesichts der Desinformations-Angriffe, die täglich auf die liberalen Demokratien Europas ausgeübt werden, ist der ÖRR als kritische Infrastruktur nicht nur demokratiepolitisch, sondern auch sicherheitspolitisch von höchster Relevanz.

Dieser Beitrag zeigt auf, wie es den Rechtspopulisten gelungen ist, den Diskurs in der Schweiz mittels Volksinitiativen gezielt zu verschieben, um die Öffentlich-Rechtlichen zu antagonisieren, wie die Zivilgesellschaft sich wehren kann und wie vorauseilender Gehorsam gegenüber den Forderungen der Rechtspopulisten den ÖRR und die Demokratie nachhaltig schwächt.

2. Die Schweiz als Versuchslabor für rechtspopulistische Narrative Um die Angriffe von Rechtsaussen auf den ÖRR zu verstehen, muss man die Dynamiken zwischen Rechtspopulismus und dem demokratischen System sowie den Kampf um Deutungshoheiten verstehen. Bei der rechtspopulistischen Sehnsucht nach dem Ende des ÖRR geht es um Kontrolle und den Sieg der eigenen Erzählung. Diese Sehnsucht ist keine Eigenheit der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Schweiz – die Deutungsmacht der rechtspopulistischen SVP ist jedoch aussergewöhnlich.

Seit 1999 ist die SVP die mit Abstand stärkste Fraktion im Parlament. Diese fortdauernde Machtposition hat der SVP erlaubt, über Jahrzehnte hinweg identitätsstiftende nationale Narrative zu stricken, die bis heute das Selbstverständnis der Schweiz prägen. 5 Eine Auswertung von 14’000 Dokumenten der letzten 40 Jahre – Parteiprogramme, Reden, parlamentarische Debatten etc. – hat ergeben, dass rechte Parteien, allen voran die SVP, den Narrativ-Diskurs seit den 1990er-Jahren dominieren und mit ihrer politischen Agenda verknüpfen.6 Sie besetzen das Narrativ der Schweiz als wehrhaftes, unabhängiges und freiheitsliebendes Alpenland, das sich vor Bedrohungen verteidigt und so anhaltenden Wohlstand sichert. Die Erzählung lebt von der Abgrenzung zum Fremden, um die identitätsstiftende Funktion zu erfüllen. Durch Begriffe wie „Asylchaos“ oder „Überfremdung“ wird ein Bild der konstanten Gefahr gemalt. Diese Wortmalerei erweckt eine verzerrte Wahrnehmung der Realität.

Durch ihre ewige Wiederholung im öffentlichen Diskurs werden rechtspopulistische Narrative langsam von demokratischen Parteien und

5 Pro Futuris, 2023, S. 3.

6 Pro Futuris, 2023.

der Gesellschaft internalisiert, übernommen und zur allgemeingültigen Realität erklärt: auch bekannt als das Phänomen der „kollektiven Normabwertung” 7. Wer gegen diese Politik antreten möchte, muss das Narrativ korrigieren, bevor politische Massnahmen auf einer Faktengrundlage erfolgen können. So verschiebt sich der politische Diskurs für die gesamte Gesellschaft nach rechts. Eine Besonderheit der Schweizer Demokratie vereinfacht die Verschiebung des Diskurses zusätzlich: Volksinitiativen.

Wer innert 18 Monaten 100’000 Unterschriften für ein politisches Anliegen sammelt, kann eine nationale Abstimmung erzwingen. Auch wenn seit 1891 nur knapp 11 % der Initiativen von den Stimmbürger:innen angenommen wurden8 , lohnen sich Initiativen trotz ihres hohen Ressourcenaufwands auch bei einer Nicht-Annahme. Neben der potenziellen Verfassungsänderung erfüllen sie einen anderen, eigentlichen Hauptzweck: die Diskursverschiebung. Initiativen erlauben es, bis zu deren Abstimmung, oft während mehrerer Jahre, einen bestimmten Diskursrahmen öffentlichkeitswirksam abzustecken. Die Initiativ-Gegner bewegen sich stets im Rahmen der Initiative und agieren folglich aus der Defensive. Initiativen werden von der SVP rege als Instrument zur Diskusverschiebung eingesetzt, insbesondere dort, wo die Bruchlinien der Willensnation verlaufen: in der Europa-, Migrations- und Medienpolitik.

3. Erkenntnisse aus der No-Billag-Kampagne 2018: Eine starke Zivilgesellschaft kann rechtspopulistische Narrative kontern

Das System der direkten Demokratie, wie es die Schweiz kennt, setzt voraus, dass Bürger:innen über die Tragweite ihrer Entscheidung ausreichend informiert sind. Der ÖRR ist ein mächtiges Instrument der Informationsvermittlung, um populistische Narrative zu durchschauen und zu filtern. Als solches ist er der „Antidot für Polarisierung”. Das zeigt ein Bericht der European Broadcasting Union (EBU), der die Korrelation zwischen der Stärke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der Qualität einer Demokratie analysiert hat.9

Der erste grosse Angriff auf den Schweizer ÖRR erfolgte 2018 mit der sogenannten „No-Billag-Initiative”. Die Initiative sah vor, Empfangsgebühren für Radio und Fernsehen in der Schweiz, und damit faktisch die SRG, abzuschaffen. Aus der Überzeugung heraus, dass die SRG als Sprachrohr

7 Der Begriff wurde von der Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan geprägt und beschreibt, wie Norm und Realität mit dem Erstarken rechtspopulistischer Kräfte auseinandergezerrt werden; Vgl. Foroutan, 2019.

8 Bundeskanzlei, 2025

9 EBU, 2024.

und Infrastruktur der Willensnation nicht zur Funkstille gebracht werden soll, engagierte sich die politische Bewegung Operation Libero 2018 im Abstimmungskampf gegen die No-Billag-Initiative.

Die grosse Herausforderung war, die Diskurshoheit der Rechtspopulisten zu durchbrechen, die das Narrativ der „Zwangsgebühren” seit Jahren besetzt hatten. Vier Monate vor dem Abstimmungstermin sagten Umfragen die Annahme der Initiative voraus.

Operation Libero stieg mit einem ungewöhnlichen Slogan in den Abstimmungskampf ein: „Die SRG ist uns egal”. Um dann auszuführen: „Was uns nicht egal ist, ist unsere Demokratie, auf die mit der No-Billag-Initiative ein verheerender Anschlag verübt werden soll.” Damit war die Strategie der Kampagne eindeutig: Es ging nicht um das Kleinklein und nicht darum, wie hoch die Beträge für den öffentlichen Rundfunk auf den Rappen genau sein sollen oder ob es sinnvoll ist, dass in den Haushalten des Landes Feel-good-Fernsehen mit Bildungsjournalismus konkurriert. Sondern dass es beim ÖRR um eine der zentralen Säulen unserer modernen Demokratie und um die Informationsversorgung der Bürger:innen geht.10

Dieses Framing wirkte. Die Mobilisierung zeigte sich nicht nur anhand eines Rekord-Crowdfundings mit über 600’000 Franken an Kleinspenden innert Kürze. Sondern anhand des Engagements unzähliger Menschen –nicht nur bei Operation Libero, sondern in Parteien, in der Musikszene, Sportvereinen, Zivilgesellschaft usw. Die Willensnation Schweiz mobilisierte. Daraus resultierte im März 2018 eine überwältigende Ablehnung von 71,6 Prozent Nein.

4. Wenn Populismus populär wird: Der vorauseilende Gehorsam gegenüber den Forderungen der ÖRR-Gegner

Trotz deutlicher Ablehnung hat die No-Billag-Initiative ihr Hauptziel erreicht: die Normalisierung ihres Narrativs. Indem die Initiative forderte, die Gebühren gänzlich abzuschaffen, war sie der radikalste Angriff und hatte das grösste Potential, den Diskurs zu verschieben.

Die Strategie der Rechtspopulisten ging auf. 2019 wurden die Rundfunkbeiträge zuerst von 451 auf 365 Franken und 2021 nochmals um 10 % auf 335 Franken im Jahr pro Haushalt gekürzt. 11 Wer nun denkt, dass die Beiträge im Vergleich zu den Nachbarländern der Schweiz weiterhin sehr

10 Operation Libero, 2017.

11 Statista, 2021.

hoch sind, hat zwar recht, sollte aber auch eine Eigenheit der Schweiz mitbedenken: Die Multikulturalität – die der Willensnation zugrunde liegt. Die SRG agiert als inklusive Plattform für die gesamte Schweiz und berücksichtigt alle Sprachregionen in ihrem Angebot. Die Gestaltung des Programms erfolgt in vier Sprachen. Entsprechend schlägt sich der Aufwand dahinter in den Kosten pro Haushalt nieder. Eine Kürzung der Gelder bedeutet auch, die kulturelle Vielfalt der Schweiz zu übergehen und die Willensnation zu schwächen.

Im Frühjahr 2022 lancierte die SVP als Teil eines überparteilichen Komitees eine weitere Initiative gegen den ÖRR. Die sogenannte „Halbierungsinitiative” zielt darauf ab, die Rundfunkbeiträge auf 200 Franken pro Jahr und Haushalt zu senken. Darüber wird in der Schweiz voraussichtlich im Jahr 2026 abgestimmt. Beim genauen Hinsehen wird klar: Die Halbierungsinitiative ist die logische Weiterführung der No-Billag-Initiative. Denn ist die Verschiebung des Diskurses erstmal erfolgt, erscheint der zweite Angriff mit milderen Forderungen als gemässigter Kompromiss. Durch die Diskusverschiebung steigen die Chancen einer Annahme und damit das Durchbringen der rechtspopulistischen Agenda mit jeder Initiative.

Daraus folgt vorauseilender Gehorsam der demokratischen Kräfte: Angeführt vom heutigen SVP-Bundesrat und Mit-Initiant der Halbierungsinitiative, Albert Rösti, reagierte der Bundesrat im Sommer 2024 mit einer Verordnung auf die Halbierungsinitiative, bevor diese überhaupt vom Parlament und der Stimmbevölkerung beurteilt werden konnte. Ohne die Möglichkeit eines Referendums wurde über den Verordnungsweg eine erneute Sparkur für die SRG auf 300 Franken pro Haushalt entschieden. Mit der Kürzung der Gelder werde der Initiative der Wind aus den Segeln genommen, so die Argumentation.12 Dieser vermeintliche Kompromiss zwischen den aktuellen Beiträgen und ihrer Halbierung soll alle zufriedenstellen. Das ist jedoch ein trügerischer Fehlschluss.

Das eindeutige Votum der Stimmbürger:innen scheint nicht gereicht zu haben, um den rechtspopulistischen Druck hinter den Kulissen von Regierung, Parlament – insbesondere einiger Parteien – und des Konzernjournalismus auf die SRG zu schmälern. Vorauseilender Gehorsam gegenüber rechtspopulistischen Narrativen statt Vertrauen in (direkt-)demokratische Prozesse ist eine riskante Strategie. Die Politik, der ÖRR, die Medien – sie haben sich der Drohung der Halbierungsiniative gebeugt, ehe diese zur Abstimmung gekommen ist. So hat der rechtspopulistische Angriff bereits sein wesentliches Ziel erreicht, ohne die Abstimmung gewinnen zu müs-

12 Schweizerische Eidgenossenschaft, 2024.

sen: die Schwächung des ÖRR. Auf den medialen Service public wird so lange eingehämmert werden, bis er seinen verfassungsmässigen Auftrag nicht mehr erfüllen kann und zusammenbricht.

Die Internalisierung populistischer und antidemokratischer Narrative führt, wie oben beschrieben, zur „kollektiven Normabwertung”. Diese Normabwertung äussert sich etwa in einer latenten Angst des ÖRR vor rechten Shitstorms, weil selbst berechtigter kritischer Journalismus als zu politisch gefärbt eingestuft wird. Das führt zum Verlust von Unabhängigkeit und Qualität, was in einer Abwärtsspirale wiederum in mehr Kritik selbst von Akteuren aus dem breiteren politischen Spektrum mündet. Das wiederum befeuert Sparrunden beim ÖRR.

5. Fazit

Die Schweiz mag zwar Versuchslabor für populistische Narrative sein, doch die schmerzhafte Lektion, die dieses Land mit seiner SRG erlebt, betrifft alle liberalen Demokratien. In Zeiten, in denen Autokraten Desinformation zugunsten ihrer politischen Agenda nutzen, wächst die politische Instabilität und die gesellschaftliche Spaltung. Für eine Willensnation ist dies umso fataler, weil sowohl die Demokratie wie auch die Sicherheit des Landes den gesellschaftlichen Zusammenhalt voraussetzen. Meinungsfreiheit und Medienvielfalt bilden den Grundstein der Verteidigung gegen die Spaltungsversuche des Autoritarismus. Eine Willensnation kann in einem hybriden Krieg ohne Investitionen in die Infrastruktur genauso wenig bestehen, wie ein konventioneller Krieg ohne Investitionen in Rüstung gewonnen werden kann.

Das klare Nein zur No-Billag-Initiative war zwar eine eindeutige Message an die Rechtspopulisten der Welt: Ihr könnt nicht einfach die vierte Säule der Demokratie in die Luft sprengen. Die Bürger:innen der liberalen Demokratien lassen sich ihre Medien und Informationsversorgung nicht einfach so wegnehmen.

Doch die direkte Demokratie der Schweiz lehrt auch: Ein gewonnener Abstimmungskampf sichert nichts langfristig. Während die SVP immer wieder Initiativen lanciert und dadurch die Diskurshoheit behält, verpassen es die anderen Parteien, die Diskurshoheit zurückzuerlangen und den ÖRR zu stärken.

Durch den vorauseilenden Gehorsam nimmt der ÖRR der Zivilgesellschaft den Grund, sich für den ÖRR einzusetzen. Anstatt Appeasement bei den rechtspopulistischen Kräften zu betreiben, liegt der Schlüssel darin, die

(Zivil-)Gesellschaft abzuholen. Langfristig sind Initiativen zugunsten des ÖRR Demokratie-essenziell. Doch es setzt voraus, dass die demokratischen Kräfte aus der Defensive kommen, selbst Initiativen lancieren und damit das Narrativ bestimmen.

Solange diese Einsicht fehlt, geht die Strategie der Rechtspopulisten, die liberalen Demokratien zu spalten und dadurch zu lähmen, auf. Der ÖRR muss als zentrale Infrastruktur der Willensnation und der demokratischen und pluralistischen Gesellschaft von allen demokratischen Akteuren – von der Politik, über die Medien und die Zivilgesellschaft – verteidigt und weiter gestärkt werden. Für und mit der Willensnation.

Quellen

• Bundeskanzlei. (2025). Übersicht in Zahlen. https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis_2_2_5_9.html (Zugriff am 13. Mai 2025)

• EBU. (2024). Public service media as an antidote to polarization. https://www.ebu.ch/files/live/sites/ ebu/files/Publications/MIS/login_only/psm/EBU-MIS-PSM_as_an_Antidote_to_Polarization-public.pdf (Zugriff am 9. Mai 2025)

• Pro Futuris. (2023). Geschichten der Heimat: Eine Analyse nationaler Narrative in der Schweiz. https:// cdn.prod.website-files.com/6480bcacab1d8c4d1df5e6d1/64cb7007ac85ba1a5594f8a5_230727_ProFuturis_Studie_Narrativstudie_FIN.pdf (Zugriff am 12. Mai 2025)

• Operation Libero. (2017). Nein zum Anschlag auf die Demokratie [Medienmitteilung]. https://www. operation-libero.ch/de/medien-mitteilungen/2017-12-05/nein-zum-anschlag-auf-die-demokratie (Zugriff am 14. Mai 2025)

• Statista. (2021). Entwicklung der Abgabe für Radio und Fernsehen für Privathaushalte in der Schweiz von 1987 bis 2021. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/316553/umfrage/private-radio-undfernseh-empfangsgebuehren-pro-haushalt-in-der-schweiz/#:~:text=Seit%20dem%201.,Abgabe%20 von%20365%20Franken%20entrichten (Zugriff am 12. Mai 2025)

• Schweizerische Eidgenossenschaft. (2024). Bundesrat lehnt SRG-Initiative ab und schlägt stattdessen Abgabesenkung auf 300 Franken vor [Medienmitteilung]. https://www.news.admin.ch/de/nsb?id=101502 (Zugriff am 20. Mai 2025)

MEINUNG IST BELANGLOS

INTERVIEW MIT ROGER DE WECK, FRÜHERER CHEFREDAKTEUR DER „ZEIT“, GENERALDIREKTOR DER SRG/SSR UND AUTOR MEHRERER SACHBÜCHER, DARUNTER „DAS PRINZIP TROTZDEM� WARUM WIR DEN JOURNALISMUS VOR DEN MEDIEN RETTEN MÜSSEN�“, ERSCHIENEN BEI SUHRKAMP 2024�

Herr de Weck, wie sollen öffentlich rechtliche Medien mit antidemokratischem Populismus umgehen?

Wie mit jedem anderen Gegenstand der Berichterstattung.

Damit stehen Sie im Widerspruch zu manchen Autoren der Beiträge in diesem Heft, die z.B. fordern, Antidemokratische Personen nicht zu Gesprächssendungen einzuladen o.ä.

Wir Journalisten und Journalistinnen sollten uns nicht zu ernst nehmen. In Ländern, in denen die Rechtsautoritären offenen Zugang zum öffentlichen Medienhaus haben, sind sie stark, und in Ländern, wo sie von den öffentlichen Medien eher ausgegrenzt werden, sind sie stark.

Wie sollte man als Medienhaus mit Vorwürfen umgehen, etwa, man würde zu wenig oder zu gerichtet berichten?

Vorweg eine Erfahrung aus der Schweiz. Wegen der Volksbegehren, die gerade von der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei lanciert werden, sind die Anliegen dieser Partei allgegenwärtig in den Medien, auch bei der Schweizerischen Radio und Fernsehgesellschaft. Es ist undenkbar, dass sie unterbelichtet würden, weil sie mit ihrem Volksbegehren im Zentrum der Politik stehen. Und das ist Gift, weil so manche Debatte beschädigt wird. Ebenso ist es Gift, wenn man sie ausgrenzen würde, wie das beispielsweise von manchen Medien zu Beginn der AFD getan wurde. Das birgt auch die Gefahr, dass man sie später fast überkompensatorisch darstellt, und einzelne Ansätze dazu sehe ich inzwischen in Deutschland. Mit anderen Worten: Wenn Rechts- oder Linksautoritäre in der Gesellschaft stark sind, dann ist es Gift, egal wie die Medien damit umgehen. Nun aber zur eigentlichen Frage. Da müssen wir Freunde der öffentlichen Medienhäuser illusionslos sein. Autoritäre funktionieren da nach dem Prinzip: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich.“ Das heißt, wer eine journalistisch kritisch unabhängige Haltung einnimmt, der ist gegen mich. Und wir sehen gerade auch in USA aber nicht nur dort, dass dann versucht wird, den Journalismus schlicht und einfach kaputtzuschlagen. Es kommt hinzu: Die Leistungsaufträge der öffentlichen Medienhäuser gründen in den Werten der Aufklärung. Gute Information für eine gute Demokratie, Respekt der Menschenwürde, Darstellung der Minderheiten, Förderung der Kultur, etc. Und die anti-aufklärerischen Parteien und Politiker empfinden solche Leistungsaufträge als tendenziös. Sie wollen das Prinzip Journalismus nicht und sie wollen das Prinzip Öffentlich-Rechtli-

che nicht. Sie wollen nicht, was auch immer Öffentlich-Rechtliche tun. Die Angriffe werden nicht nachlassen. Das sieht man gerade auch wieder in meinem Land, der Schweiz. Erst gab es ein Volksbegehren zur faktischen Beseitigung des öffentlichen Medienhauses. Jetzt folgt ein Volksbegehren zur Halbierung der Beiträge an das öffentliche Medienhaus, was weitgehend auf dasselbe Resultat hinausliefe. Und der Medienminister, ein Mitglied der Schweizerischen Volkspartei, macht Medienpolitik auf dem Verordnungsweg, die dazu angetan ist, die SRG weiter zu destabilisieren. Diese Leute sind Feinde der offenen Gesellschaft und mithin Feinde der öffentlichen Medienhäuser.

Wenn die Angriffe nicht nachlassen, was gilt es zu tun?

Das Wichtigste ist, unabhängig und kritisch zu bleiben. Sehr viele Nutzerinnen und Nutzer, Zuschauerinnen und Hörer spüren, dass ein beträchtlicher Teil der privaten Medienlandschaft unter Einfluss steht. Und sie sehnen sich nach einem unabhängig kritischen Angebot. Das heißt: Die Generalangriffe der Links- oder Rechtsautoritären sind eine Einladung, noch kritischer zu werden. Noch unbequemer. Noch unabhängiger. Das wird vom Publikum honoriert, auch wenn es natürlich in der Politik ein Ächzen und Krächzen da und dort geben mag.

Und man muss die eigene Leistung richtig argumentieren: Viele Medienhäuser beschränken sich darauf, ihr Angebot als gutes Angebot darzustellen. Das stimmt. Aber das ist nicht das Wesentliche. Menschen, die einen Beitrag zahlen, erwarten selbstverständlich ein gutes Angebot. Problematisch wäre es, wenn es ein schlechtes Angebot wäre. Das Hauptargument ist: Wir bleiben dem Journalismus treu. Wir sind unabhängig und unbequem Auch und erst recht, weil sich natürlich in den Redaktionen nicht wenige Kolleginnen und Kollegen ein Stück weit verunsichern, einschüchtern lassen.

Gibt es konkrete Programmvorschläge, die im Zusammenhang mit antidemokratischem Populismus für die Demokratie nützlich wären? Vorab will ich zum Ausdruck bringen, dass ich die Arbeit des ORF sehr schätze. Ich finde, dass der ORF unter den kleineren öffentlich-rechtlichen Medien trotz aller Anforderungen ein Leuchtturm ist. Eine wunderbare Idee für die Zukunft könnte ein Faktencheck in zeitversetzten Debattensendungen sein. Eine Idee, die bislang meines Wissens noch nirgends praktiziert wird. Man sollte sie in die Tat umsetzen, auch wenn sich wahrscheinlich dann Populisten verweigern werden. Der Journalismus kann gar nicht faktisch genug sein - ich sage es zugespitzt: Meinung ist belanglos. Es kommt auf die Fakten an. Der Berufsstand des Journalismus muss die Kraft des Faktischen auf Schritt und Tritt behaupten.

Danke für das Gespräch.

ES SOLLTE SO SCHÖN SEIN

Am 6. Januar 2016 erschien Jacek Kurski, frisch gebackener Fernsehintendant, im Hauptgebäude des öffentlich-rechtlichen Senders Telewizja Polska (TVP) in der Warschauer Woronicza-Straße und verkündete den wartenden Journalisten, er werde den Sender auf Vordermann bringen und zu einer zweiten BBC machen.

Die BBC, die britische öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, galt in Polen als Vorbild für journalistische Objektivität und politische Unabhängigkeit. Deshalb klang die Erklärung des neuen TVP-Intendanten nicht glaubwürdig. Kurski war ein einflussreicher Politiker von Recht und Gerechtigkeit (PiS), der populistisch-nationalistischen Partei, die bei den Wahlen im Oktober 2015 die Mehrheit im polnischen Parlament errang. Unmittelbar danach wurde er zum Staatssekretär im Kulturministerium ernannt. Zuvor war er eine der Hauptfiguren der rechten Propaganda und galt als der Bullterrier, der rücksichtsloser Spindoktor, der vor nichts zurückschreckte, um den Gegnern seiner Formation zu schaden. Wie konnte jemand wie er ein unabhängiges, missionarisches öffentliches Medium schaffen?

Nun, so war es. Unter Kurski wurde aus dem Sender kein BBC-Klon, sondern ein Propagandasender russischer Prägung. Am Anfang stand eine große Säuberung. - Der Wind des Wandels hat geblasen - sagten die von den TVP-Behörden eingesetzten Senderchefs lächelnd zu den Journalisten, denen sie die Kündigung überreichten. Den PiS-Politikern waren neugierige Parlamentsjournalisten, die sie mit Kameras durch die Gänge des Parlaments jagten und unangenehme Fragen stellten, ein Gräuel. Schon Monate vor der Wahl hatten sie ihnen öffentlich angekündigt, dass viele von ihnen ihren Job verlieren würden. Und sie haben ihr Versprechen gehalten. Mehrere hundert Journalisten wurden entlassen oder mussten gehen. Ersetzt wurden sie durch absolut parteitreue Mitarbeiter, die alles durften. Alles, das zum Beispiel heißt mit einer Kamera hinter dem Danziger Bürgermeister Paweł Adamowicz herzulaufen und die Behauptung laut zu verbreiten, der Bürgermeister mache Geschäfte mit der Mafia. Eine solche Hetzkampagne dauerte sechs Monate und endete mit der Ermordung von Bürgermeister Adamowicz. TVP verklagte diejenigen, die behaupteten, die Fernsehen stehe in irgendwelchen Verbindung mit diesem abscheulichen politischen Mord, wegen Verleumdung.

Anderes Beispiel: es wurde öffentlich durch TVP gemacht, dass der Teenager-Sohn einer Abgeordneten, die Unregelmäßigkeiten in von PiS-Leute

geführten staatlichen Unternehmen aufgedeckt hatte, einem Pädophilen zum Opfer gefallen war. Der Junge konnte danach das Trauma nicht ertragen und erhängte sich. Das Fernsehen machte seine Mutter für seinen Tod verantwortlich.

Noch ein Beipiel: TVP wiederholte zur besten Sendezeit ständig einen Ausschnitt aus einer Erklärung von Donald Tusk, dem von PiS-Partei verhassten Ex-Premier, der nach seiner Zeit als Präsident des Europäischen Rates in die polnische Politik zurückgekehrt ist, um die Opposition anzuführen. In dem Ausschnitt sagte Tusk auf Deutsch „für Deutschland“, was für die TVP-Mitarbeiter der Beweis war, dass er ein deutscher Agent war. Diese Worte wurden auf jede seiner Aussagen geklebt. Tusk musste Personenschutz in Anspruch nehmen.

Dies sind nur einige drastische Beispiele für Propaganda. TVP konnte jeden, der sich öffentlich gegen die PiS-Regierung stellte, als Feind des Volkes brandmarken. Schauspieler, Schriftsteller, Journalisten, gesellschaftliche Aktivisten, Wissenschaftler - wenn sie es wagten, die Regierung zu kritisieren, wurden sie gnadenlos angegriffen, PiS-Politiker wurden in der Sendung mit Schmutz beworfen, aus ihren Lebensläufen wurde Schmutz gezogen, und wenn es keinen Lebenslauf gab, dann aus dem ihrer Verwandten. All das geschah nicht umsonst. Die Stars der PiS-Propaganda verdienten buchstäblich Millionen von Zloty, Ministerien subventionierten ihre Bücher und Stiftungen. Bei antisemitischen oder rassistischen Äußerungen drückten die Behörden ein Auge zu. Und als einer der Angeprangerten das Propagandaduo wegen Verleumdung verklagte, das Gericht sie für schuldig befand und zu einer Geldstrafe verurteilte, griff Präsident Andrzej Duda sofort ein und begnadigte das Duo.

Die Propaganda in den öffentlichen Medien erreichte vor den Wahlen ihren Höhepunkt. Bei den Kommunalwahlen 2018 wurde gegen Ausländer gehetzt, ein Jahr später vor den Wahlen zum Europäischen und dann zum polnischen Parlament gegen Schwule und Lesben, die angeblich polnische Kinder vergewaltigt hätten. Die Wirkung ließ nach. 2020 gewann Andrzej Duda, den die TVP bis an die Grenze der Peinlichkeit unterstützte, mit einer Mehrheit von nur 400.000 Stimmen eine weitere Amtszeit als Präsident. 2023 pisste die TVP auf alles und jeden, allen voran Deutschland. Dennoch verlor die PiS die Macht. Jacek Kurski war zu diesem Zeitpunkt nicht Intendant des Senders. Er wurde 2022 entlassen. Nach der Wahlniederlage schrieb er in einer Analyse für die PiS-Führung, die Niederlage sei das Ergebnis des Missmanagements des öffentlich-rechtlichen Fernsehens durch diejenigen, die ihn ersetzt hätten. Damit gab er offen zu, wofür TVP von der PiS genutzt wurde. Von einer zweiten BBC konnte keine Rede sein.

Im Jahr 2016 konnte sich niemand vorstellen, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu einem Propagandaorgan der Partei werden könnte oder dass durch seine Berichterstattung zu menschlichem Leid und Tod sich beitragen würde. Als die Leute, die mit Kurski zu TVP kamen, begannen, Journalisten zu entlassen, und der Sender anfing, die Regierung zu loben, haben wir das eigentlich mit Amüsement verfolgt. Schließlich waren diese Sendungen unbeholfen, primitiv. Meine Eltern sagten, dass die gleiche Rhetorik verwendet, wurde als in dem Zeiten der Volksrepublik, als Polen kommunistisch war. Wir hatten den Eindruck, dass die Zuschauer das nicht glauben würden... Gleichzeitig aber setzte TVP auf populäre - wenn auch völlig anspruchslose - Unterhaltung, kaufte Lizenzen für die Übertragung großer Sportereignisse. Kurski verstand es, die Polen vor den Fernseher zu locken. Und saßen sie erst einmal davor, träufelte er ihnen Lügen ein.

Schon Josef Goebbels, der Propagandachef des Dritten Reiches, lehrte, dass eine Lüge, tausendfach wiederholt, zur Wahrheit wird. Es ist ein alptraumhaftes Paradox, dass diese Methode ausgerechnet in Polen eingeführt wurde, einem Land, in dem während des Krieges sechs Millionen Menschen durch die Hand von Goebbels‘ deutschen Zeitgenossen starben. Vor den berühmten Präsidentschaftswahlen 2020 hat sich herausgestellt, dass bis zu 40 Prozent der Polen ihr Wissen über die Welt um sie herum aus den öffentlich-rechtlichen Medien beziehen. Wenn man Kurskis Leuten täglich erzählt, dass die PiS-Regierung die beste Regierung in der Geschichte Polens ist, dass die Opposition schwach und verräterisch ist und dass die größte Bedrohung für die polnische Souveränität Deutschland und die von Berlin kontrollierte Europäische Union sind, ist es kaum verwunderlich, dass die PiS acht Jahre lang an der Macht blieb. OSZE-Beobachter schrieben regelmäßig in ihren Berichten, dass die Wahlen in Polen nicht fair seien, weil die öffentlichen Medien die PiS im Wahlkampf unterstützten und die Opposition bekämpften.

Wir haben ungläubig und hilflos zugesehen. Wir demonstrierten für Rechtsstaatlichkeit, Frauenrechte und die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, aber in den ersten Jahren der PiS – Regierung haben wir nie gegen die Lügen und den Hass im Fernsehen protestiert. Die polnischen Demokraten flohen vor TVP und wechselten zu anderen Fernsehsendern. Doch die Behörden waren sich dessen bewusst und versuchten die unabhängigen Medien gleichzuschalten. Der private Fernsehsender Polsat beschloss, sich nicht mit der PiS anzulegen, um Ärger zu vermeiden. Der widerspenstige TVN wurde von der PiS an die Kandare genommen. Die Partei verabschiedete ein Gesetz zur Enteignung der amerikanischen Eigentümer. Erst jetzt gingen die Polen in Massen auf die Straße. Die PiS trat zurück, aber nur, weil die russische Invasion in der Ukraine bevorstand und Polen amerikanische Unterstützung brauchte.

Was TVP widerfahren ist, ist kein Einzelfall. Bereits 2004 wurde der unabhängige Fernsehsender NTW vom russischen Präsidenten Putin brutal übernommen. Im von Viktor Orban regierten Ungarn gibt es praktisch keine freien Medien, ebenso in der Türkei. In der Slowakei will die Regierung von Robert Fico ähnlich wie in Polen gegen die öffentlich-rechtlichen Medien vorgehen. Und auch Politiker der österreichischen FPÖ träumen von der Übernahme und Gleichschaltung der öffentlich-rechtlichen Medien. Was ist zu tun? Zunächst darf die Bedrohung nicht unterschätzt werden. Öffentliche Medien in den Händen von Populisten werden zu einer Waffe im Kampf gegen ihre Gegner. Das Beispiel Polen zeigt, dass sie sogar tödlich sein können. Deshalb muss im Vorfeld ein sicherer Rechtsrahmen geschaffen werden, der es den Behörden schlicht unmöglich macht, die Medien zu übernehmen und ihre Programme manuell zu steuern. Es ist notwendig, im Voraus entschlossen zu reagieren, wenn Politiker Journalisten bedrohen, wenn sie Kampagnen in den sozialen Medien orchestrieren, wenn sie versuchen, sich in ihre Arbeit einzumischen. Es müssen Institutionen geschaffen werden, die über die Einhaltung ethischer Standards im Journalismus wachen und die Verantwortung für die Ausbildung des journalistischen Nachwuchses übernehmen.

Die Ereignisse in Polen zeigen, dass Journalismus nicht nur ein Geschäft ist, zumal die Redaktionen angesichts der Digitalisierung und des Drucks der Bigtechs keine Hühner mehr sind, die goldene Eier legen. Journalismus ist eine Aufgabe, er ist ein Dienst an der Gesellschaft. Deshalb muss er geschützt werden. Leider wird in meinem Land wenig getan, um Journalisten zu schützen. Schließlich waren es unabhängige Journalisten, die die Skandale der PiS-Politiker und ihre korrupte Inkompetenz aufdeckten, die zur Niederlage der Partei führten. Sollte die Partei Recht und Gerechtigkeit wieder an die Macht kommen, wird man den Journalisten nicht verzeihen…

MEDIENKAMPF IM OSTEN EUROPAS

Die freien Medien in der Slowakei sind unter der nationalpopulistischen Robert Fico-Regierung wieder im Wandel. Welchen Einfluss üben die Machthaber auf sie aus? Wie steht es um die Vielfalt öffentlichen-rechtlicher und privater Medien in postkommunistischen Nachbarland Österreichs?

Abbau der Rechtsstaatlichkeit, Beleidigungen, Klagen, Zugangsverbote, redaktionelle Einflussnahme: Eineinhalb Jahre von Robert Ficos vierter Amtszeit sind geprägt von einer beispiellosen Reihe von Angriffen auf die Pressefreiheit. Mit der nationalpopulistischen Regierung Ficos wurde der Abbau von Medienfreiheit beschleunigt, was zu einer Situation führt, wie man sie bereits in Ungarn, der Türkei oder Russland antreffen kann. Die Zähmung der heimischen Medien durch die ungarische Regierung unter Viktor Orbán scheint Fico als Vorbild zu dienen. Der öffentlich-rechtliche Sender RTVS wurde im August 2024 per Gesetz aufgelöst, unbenannt und durch ein Staatsmedium ersetzt. Die Oppositionsparteien kündigten eine Beschwerde beim Verfassungsgericht gegen das Gesetz an. Sie warfen der Regierung vor, ein Propagandamedium für sich zu schaffen. Vor allem das Fernsehen bevorzugt seitdem im Programm klar die regierenden drei Koalitionsparteien Smer-SSD, Hlas (Die Stimme) und SNS (Slowakische Nationalpartei), während private Fernseh- und Radiosender durch neue Lizenzvergabepolitik sowie zahlreichen Strafzahlungen immer wieder eingeschüchtert würden. Zudem sei, so die Oppositionsparteien, der wachsende Einfluss der regierungsnahen Oligarchen wie durch die „Penta Group“ im Medienbereich politisch motiviert, genau wie zahlreiche strafund zivilrechtliche Klagen gegen kritischen Journalistinnen und Journalisten wie Martin M. Šimečka oder Matúš Kostolný. Fico und seine Parteikollegen nutzen juristische Klagen, um die kritischen unabhängigen Medien einzuschüchtern und für unliebsame Berichterstattung zu bestrafen. Zugleich begannen Behörden und staatliche Unternehmen damit, keine Anzeigen mehr in kritischen Medien zu veröffentlichen.

Die Fico-Regierung schränkt auch den physischen Zugang von JournalistInnen zu Regierungsinformationen ein. Mit der Begründung, sich gegenüber neuen und anderen Medien (hauptsächlich den Fake-News-Sendern wie Hlavné správy oder Hlavný denník) zu öffnen, führte sie eine neue Regelung ein und warf etablierte Medienhäuser aus dem Regierungsgebäude am Platz der Freiheit in Bratislava. Die Regierung wollte damit den Zugang zu Informationen erschweren und Redaktionen sowie einzelne Reporter,

wenn sie nicht nach ihren Vorstellungen berichten, bestrafen. Zutritt erhalten diese Medienschaffenden vorerst nun doch. Sie hatten sofort mit Klagen gedroht.

„In einem beschleunigten Verfahren hat die Regierung von Ministerpräsident Robert Fico einen in der Geschichte der slowakischen Demokratie beispiellosen Versuch unternommen, heimlich die politische Kontrolle über den öffentlichen Rundfunk zu erlangen. Dieser Gesetzesentwurf, der den Empfehlungen des jüngsten Berichts der Europäischen Kommission über die Rechtsstaatlichkeit in der Slowakei und dem Europäischen Medienfreiheitsgesetz (EMFA) völlig zuwiderläuft, ist ein Affront gegen das europäische Recht“, kommentierte die Vorstandssprecherin von „Reporter ohne Grenzen“, Katja Gloger.

Ja, die Medienfreiheit in der Slowakei gerät seit eineinhalb Jahren immer mehr unter Druck. Doch nach wie vor können sich die slowakischen BürgerInnen aus vielfältigen Quellen informieren - ganz anders als in Ungarn oder Russland. Regierungskritische Medien erreichen weiterhin einen Großteil der Bevölkerung. Die zwei wichtigen mitte-links-liberalen Tageszeitungen SME und Denník N sowie die populäre Online-Zeitung Aktuality.sk können auf keinen Fall dem Regierungslager zugerechnet werden. Für Aktuality hatte auch der ermordete Journalist Ján Kuciak gearbeitet. Investigative Berichte finden über zahlreiche Online-Portale eine weite Verbreitung. Regierungsnah ist wiederum die postkommunistische Tageszeitung Pravda.

Ich schreibe seit zehn Jahren für Denník N. In der Slowakei haben sich auch schon vor einem Jahrzehnt hochrangige Politiker derart auf JournalistInnen eingeschossen, dass viele BürgerInnen genug davon hatten. Von dieser Stimmung zeugt auch der erstaunliche Erfolg der Zeitung N, die mittlerweile 91.000 Digitalabonnenten zählt. N beschäftigt in Bratislava und auch in den Regionen des Landes mehr als 100köpfige Redaktion. Die innovative slowakische Zeitung ist eines der Vorzeigebeispielen für den profitablen, durch die LeserInnen finanzierten kritischen Digitaljournalismus des 21. Jahrhunderts. Seit Anfang 2018 schreibt das erst im Januar 2015 gegründete Medium auch wirtschaftlich schwarze Zahlen. Weiterhin erscheint eine kleine Printauflage. Die Erlöse aus Werbung spielen eine wichtige Rolle. Drei Viertel des Umsatzes (7,9 Millionen Euro im Jahr 2024!) kommen aus den Digitalabos. Der hauseigene Buchverlag verkaufte in drei Jahren 140.000 Exemplare.

„Es ist unsere Pflicht über Themen wie Korruption und Vetternwirtschaft zu schreiben, und das werden wir auch weiter tun”, sagte mir Lukáš Fila,

Chef des Medienhauses N Press. „Einige Politiker der Koalition nutzen die Situation, um zu unterstellen, dass es diese Art der Berichterstattung sei, die zu dem Attentat auf den Premierminister Fico geführt hat. Viele von denen, die ‚Versöhnung‘ fordern, wollen in Wirklichkeit, dass die Medien jede kritische Äußerung unterlassen. Das kann und wird natürlich nicht passieren.”

Leider sind nicht alle Medien so entschlossen, frei und kritisch weiter zu berichten. Ende Mai 2024 strich TV Markíza, der beliebteste slowakische private Fernsehsender, die Talkshow Na Telo (Auf den Körper), nachdem der Moderator Michal Kovačič live sagte: „Ein Kampf um die Orbánisierung unseres Senders hat begonnen”. Kovačič gründete das eigene Online-Medium 365, er will weiterhin frei berichten und den Politikern auch die kritischen Fragen stellen.

Auch der slowakische Premierminister Robert Fico kontaminiert den Diskurs mit sprachlicher Gewalt, verbreitet Verschwörungstheorien, Lügen und Halbwahrheiten, beschimpft politische Gegner und kritische „Presstituierte“. Ob Proteste gegen Corona-Massnahmen, die globale Migration, steigende Inflation oder der russische Krieg gegen die Ukraine: Fico nutzte die zahlreichen Krisen für sein großes Comeback und wurde im Oktober 2023 erneut zum Regierungschef gewählt.

Im digitalen Zeitalter hat sich Fico zum politischen Influencer verwandelt. Seine Monologe dominieren auf fast allen Online-Kanälen. Er will nun einen autoritären Staat aufbauen, nicht nur regieren, sondern ein Regime etablieren. Dazu braucht er unbedingt eine volle Kontrolle über die öffentlich-rechtlichen Medien, die die Regierung nun rasant zu PropagandaSendern umbaut. Die Oppositionsparteien sprechen von einer unerhörten Arroganz seiner Macht und von immer mehr autoritären Eingriffen.

Ähnlich starke Affinität zum Internet wie Fico hat seit einem Jahrzehnt auch die Kulturministerin Martina Šimkovičová, die auch für öffentlichrechtliche Medien zuständig ist. Nachdem die ehemalige populäre Fernsehmoderatorin von TV Markíza im Jahr 2015 wegen rassistischer Hetze entlassen wurde, startete sie eine neue Karriere als Star der Szene der neuen Rechten. Im Netz konnte sie ihr völkisch-nationales Gedankengut frei präsentieren, ihre YouTube-Botschaften im TV Slovan (Slawe) erreichten immer mehr FollowerInnen. „LGBTQ-Ideologie“ als Grund für den Niedergang Europas und „das Aussterben der weissen Rasse“, KremlPropaganda über Maidan und Selenskyi, Impfgegnerschaft, lauter Antiamerikanismus, Aufrufe zum NATO-Austritt... ihr Einstieg in die Politik ließ nicht lange auf sich warten. 2023 setzte sie Andrej Danko (SNS) mit

weiteren ähnlichen obskuren Onlinestars aus dem ultrarechten Spektrum auf die Wahlliste der schwachen und jahrelang korrupten Slowakischen Nationalpartei in der Hoffnung, so den Wiedereinzug ins Parlament zu schaffen. Das hat zwar nur knapp geklappt, doch die unwahrscheinlichste aller Ministerinnen wurde geboren.

Zusammenfassend lässt sich festhalten; seit Fico und Šimkovičová an die Regierung kamen, haben sie die öffentlich-rechtliche Medienlandschaft der Slowakei Schritt für Schritt unter ihre Kontrolle gebracht. Auch deswegen gehen in der Slowakei seit Monaten jeden zweiten Freitag zehntausende Menschen für die freien Medien und die Demokratie auf die Straße, um sie gegen das Erstarken rechter Kräfte zu verteidigen. Fico und Šimkovičová haben alle Demonstrationen als vom Ausland gesteuert bezeichnet.

Ich sage: Bitte, lieber nicht. In kurzer Zeit wurden tiefgreifende Änderungen mit langjährigen Konsequenzen in der Medien- und Kulturlandschaft unternommen. Keine öffentlich geförderte Institution ist frei von der Bevormundung im Zeichen einer gefährlichen Ideologie.

Es ist Zeit, dass der politische und öffentliche Widerstand lauter wird. Wie es der österreichische Reporter Martin Pollack klar formulierte: „Was derzeit in der Slowakei passiert, geschieht gegen uns alle, es geht uns alle an. Er wirkt sich auf uns alle aus.”

POPULISMUS UND ÖFFENTLICHKEIT –

DER KAMPF UM DEN GUTEN

MENSCHENVERSTAND

GÁBOR POLYÁK

EÖTVÖS LORAND UNIVERSITÄT BUDAPEST

Vielleicht wird der gesamten demokratischen Welt jetzt wieder klar, dass die Demokratie sich nicht von selbst erhält. Die Demokratie als Herrschaftssystem kann die gesellschaftliche Unterstützung verlieren, und es wird immer politische Kräfte geben, die versuchen, diese historischen Momente auszunutzen. Ich habe direkte Erfahrungen mit Ungarn, und diese zeigen eindeutig, dass die Wiederherstellung der Demokratie aus einem autoritären Staat heraus fast unmöglich ist oder zumindest von einer Reihe von Faktoren abhängt, die die Zivilgesellschaft, Oppositionspolitiker und unabhängige Journalisten nicht beeinflussen können.

Gegenseitige Abhängigkeit

In Friedenszeiten mag es überflüssig erscheinen, die Tugenden der Demokratie bei jeder Gelegenheit zu preisen. Selten wird erwähnt, dass die Demokratie die besten Voraussetzungen dafür bietet, dass sich sowohl die Gemeinschaft als auch der Einzelne friedlich entfalten kann. Die freie Meinungsäußerung und der Zusammenstoß von Meinungen, die Entdeckung der Wahrheit und die öffentliche Kontrolle der Machtausübung sind ebenfalls Güter, die nur im Rahmen der Demokratie erreicht werden können. Es gibt keine autoritäre Macht, die den freien Fluss von Informationen nicht unterbindet. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass das Fehlen eines Diskurses über Demokratie zu einer zunehmenden Gleichgültigkeit der Wähler gegenüber der Behandlung der öffentlichen Angelegenheiten führt. In der Tat stellen immer mehr von ihnen die Demokratie als Regierungssystem in Frage. Eine Reihe sozialer Probleme und globaler Krisen haben dazu geführt, dass (nicht zum ersten Mal in der Geschichte) die demokratische Entscheidungsfindung von vielen nicht mehr als Garantie für Sicherheit und Wohlstand angesehen wird.

Auch der professionelle Journalismus ist ein Kind der Demokratie. Er wird vergeblich als Wächter der Demokratie, als vierte Gewalt angesehen. Denn wenn die Bedingungen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht erfüllt sind, wird der Journalismus allmählich unmöglich werden. Dieser Prozess kann lange dauern, und das Beispiel Ungarns zeigt, dass es Inseln geben kann, die die professionellen und ethischen Standards des Journalismus bewahren. Sie können jedoch nicht verhin-

dern, dass sie in die polarisierte Öffentlichkeit eingebunden werden, die ein grundlegender Bestandteil des Funktionierens der populistischen politischen Kräfte ist. Qualitätsjournalismus ist machtlos gegenüber politischen Kräften, die jegliche Zusammenarbeit verweigern, die den kritischen Journalismus als Feind sehen und ihn ständig als Feind stigmatisieren und die die Öffentlichkeit ausschließlich dazu nutzen, ihre eigenen Ansichten zu untermauern.

Die öffentlich-rechtlichen Medienanbieter befinden sich in einer besonders verletzlichen Lage. Politische Zurückhaltung ist für den Betrieb der öffentlich-rechtlichen Medien unerlässlich. Es ist für jede Regierung äußerst verlockend, im Gegenzug für öffentliche Gelder Loyalität zu verlangen. In Ermangelung einer demokratischen politischen Kultur gibt es kein organisatorisches und finanzielles Garantiesystem, das die öffentlich-rechtlichen Medien vor politischer Einflussnahme schützt. In Ungarn haben wir diese Erfahrung bereits vor 2010 gemacht.

Rechtlicher Schutzwall

Schutz der öffentlich-rechtlichen Medien ist unter anderem darin verankert, an welche gesetzlichen Bedingungen die Umstrukturierung oder die Festlegung der Finanzierungsquellen geknüpft ist. Das ungarische Beispiel zeigt, dass das bloße Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit im Parlament nicht ausreicht, um Machtmissbrauch zu verhindern, wenn die Mehrheit der Regierung über diese Mehrheit verfügt. Vor allem, wenn durch diese Parlamentsmehrheit auch die Möglichkeit einer wirksamen verfassungsgerichtlichen Kontrolle oder gar die Möglichkeit einer Verfassungsänderung selbst abgeschafft werden kann. Dennoch könnte die Verankerung der wichtigsten Grundsätze für die Organisation und Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien in der Verfassung eine wichtige Garantie darstellen. Dies schränkt nicht nur das formale Gesetzgebungsverfahren ein, sondern stellt auch ein klares Bekenntnis zu unparteiischen und autonomen öffentlich-rechtlichen Medien als demokratischem Wert dar.

Der Europäische Medienfreiheitsgesetz könnte eine wichtige Stütze für diesen verfassungsrechtlichen Schutz sein. Als verbindliche europäische Verordnung legt sie nicht nur die Grundprinzipien des öffentlich-rechtlichen Medienangebots fest, sondern gibt auch die Rahmenbedingungen für die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien und die Auswahl ihrer Manager vor. Die tatsächliche Stärke der Verordnung wird davon abhängen, ob die Europäische Kommission ihre Umsetzung konsequent erzwingt.

Unkontrollierte lange Monologe

Politiker finden nunmehr ihre eigene Öffentlichkeit, ihr eigenes Publikum auf den Plattformen der sozialen Medien. Die Medien als Ganzes, die nach einer redaktionellen Logik funktionieren, werden so umgangen und befinden sich im Kampf um die Aufmerksamkeit der Wähler in einer immer schwierigeren Position. Dennoch halten es die aufstrebenden Populisten vorerst für wichtig, die traditionellen Medien, einschließlich der öffentlich-rechtlichen, ständig anzugreifen und ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben. Und wenn sie erst einmal an der Macht sind, besteht einer ihrer ersten Schritte darin, so viele dieser Medien wie möglich unter ihre eigene unkontrollierte Herrschaft zu bringen.

Populistische Bewegungen in Westeuropa haben in der Regel die Form einer neuen Partei, die versucht, durch Wahlen an die Macht zu kommen. Das ungarische Beispiel zeigt jedoch einen anderen Weg: Seit dem Regimewechsel von 1989/1990 ist die Fidesz eine dominante politische Kraft, und selbst ihre schärfsten Kritiker konnten nicht vorhersehen, dass ihr wichtigstes politisches Programm ab 2010 darin bestehen würde, den Regimewechsel rückgängig zu machen und eine neue Staatspartei und einen totalen Staat zu schaffen. Wenn das Populisten nicht gelingt, thematisieren sie die Deligitimierung der traditionellen Medien und suchen gleichzeitig nach Möglichkeiten, in diesen Medien aufzutreten. Auf derartige Situationen sollten und können sich journalistische Werkzeuge vorbereiten.

Enthüllung der Wundertäter

Zuallererst ist festzustellen, dass die unkritische Übernahme von Aussagen und Videos, die in sozialen Medien veröffentlicht werden, kein Journalismus ist. Journalisten müssen sich der Einsicht stellen, dass das News-Rennen so gut wie verloren ist. Keine Nachrichtenredaktion kann schneller sein als die in den sozialen Medien veröffentlichten Primärinhalte. Aber wenn dieser Wettlauf verloren ist, lohnt es sich, sich darauf zu konzentrieren, was der Journalismus zu solchen Inhalten beitragen kann. Und das ist die Überprüfung der Fakten, die Interpretation, die Kontextualisierung, die Ausweitung der Diskussion mit denjenigen, die in dem Social-Media-Beitrag zwar genannt, aber nicht angesprochen werden, und das Einholen von Feedback. Soziale Medien liefern Rohmaterial, keine fertigen Berichte.

Der größte Fehler, der gemacht werden kann, um populistische autoritäre Bestrebungen zu verstärken, ist die Relativierung ihrer Bestrebungen. Sobald populistische politische Kräfte auftauchen, müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass ihre antidemo-

kratischen Absichten von so vielen Wählern wie möglich erkannt und verstanden werden. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien können es sich nicht leisten, über die Gefahren des Populismus, die Grundlosigkeit der populistischen Versprechungen und die demokratiezerstörenden Auswirkungen des Populismus zu schweigen. Die Absurdität populistischer Versprechen zu enthüllen, ist in den meisten Fällen klassischer faktenbasierter Journalismus. Vergleicht man Versprechen und Behauptungen mit der Realität, kommt man oft zu dem Schluss, dass Populisten Institutionen und Leistungen fordern, die bereits existieren. Durch die Quantifizierung der Versprechungen wird deutlich, dass ihre Umsetzung in anderen Bereichen zwangsläufig mit Abstrichen verbunden ist. Komplexe gesellschaftliche Fragen, die sich nicht in wenigen richtigen oder falschen Aussagen zusammenfassen lassen, müssen in ihrer Komplexität behandelt werden. In jedem Fall müssen die Ein-Satz-Lösungen der Populisten aufgedeckt werden, z. B. durch die Darstellung eines hypothetischen Szenarios, das sich direkt aus den vereinfachenden Aussagen ergeben würde. Satire und Humor sind dabei wichtige Instrumente.

Es liegt auf der Hand, dass Aufklärungsarbeit über das Phänomen Populismus mit der Verpflichtung zu unparteiischer, sachgerechter Information in Konflikt geraten kann. Bei den populistischen politischen Kräften handelt es sich um Parteien, die rechtmäßig zu Wahlen antreten und eine echte gesellschaftliche Unterstützung haben. Die Manifeste dieser Parteien enthalten natürlich eine Reihe von kritischen Bewertungen, die legitime Erwartungen an das politische, wirtschaftliche und rechtliche System zum Ausdruck bringen. Diese können genutzt werden, um einen echten Dialog über kritische Themen zu beginnen. Auch die etablierten Parteien müssen ständig mit dieser Kritik konfrontiert werden. Man muss ihnen auch mit einer festen journalistischen Haltung begegnen, und zwar mit einer Erwiderung auf sinnlose Antworten, die am Thema vorbeigehen. Journalisten müssen echte politische Antworten auf schwierige soziale Fragen wie Migration, die Kosten und die Bedeutung des Kampfes gegen den Klimawandel, das internationale Kriegsumfeld oder auch die Frage der wachsenden sozialen Ungleichheiten erzwingen. Die Populisten schlagen sofort radikale Mittel vor, um die festgestellten Probleme zu beheben. Sie betrachten Wahlen nicht einfach als selbstverständliches Mittel des friedlichen Machtwechsels, sondern als Anstoß für einen revolutionären Wandel. Sie bezeichnen jede Wahl als einen Schicksalskampf auf Leben und Tod und vertreten die Auffassung, dass alle anderen politischen Kräfte, die sich an den Wahlen beteiligen, den Ruin und die Zerstörung der Nation verursachen oder sogar wünschen. Sie selbst sind somit die einzigen glaubwürdigen Vertreter und Retter der Nation, ohne eine gültige Alternative zu haben. Diese Selbstinterpretation steht notwendigerweise im Widerspruch

zur Vielfalt, die das wichtigste Prinzip nicht nur der Medienpolitik, sondern auch der demokratischen politischen Prozesse ist. Journalisten müssen sich gegen jede Art von Kommunikation wenden, die die Nation mit einer einzigen politischen Partei identifiziert. Populisten versuchen auch, die Öffentlichkeit auf der Ebene der Worte zu kontrollieren. Sie definieren bereits verwendete Begriffe neu, sie führen neue Begriffe ein, und einige Begriffe werden ausdrücklich vermieden. Die Aufgabe von Journalisten besteht in diesem Zusammenhang darin, nicht zuzulassen, dass unsere Sprache und unsere Ideen gestohlen und umgeschrieben werden. Wir müssen die von den Populisten auferlegten Verdrehungen und Wendungen bewusst vermeiden und auf ihre wahre Bedeutung hinweisen.

Achten Sie auch auf die Emotionen!

Populismus darf nicht nur mit Argumenten und Rationalität bekämpft werden. Da der Populismus selbst fast ausschließlich auf Emotionen und Leidenschaften abzielt, ist es notwendig, Antworten zu geben, die an Emotionen appellieren. Neben dem bereits erwähnten Humor sind das Wecken von Sympathie für die von den Populisten angegriffenen Gruppen, das Loben der individuellen Freiheit, das Betonen der Berechenbarkeit der Demokratie angesichts des populistischen Chaos alles Themen, die genutzt werden können, um positive Gefühle hervorzurufen. Die Massen für die Demokratie zu begeistern ist keine leichte Aufgabe, aber einige der Bausteine der Demokratie können in positive Emotionen übersetzt werden. Außerdem ist die europäische Geschichte voll von Beispielen, die auf schmerzhafte Weise die Folgen des Fehlens von Demokratie verdeutlichen. So viel Populismus ist durchaus akzeptabel. Um Populismus zu entzaubern, braucht man eigentlich nur ausgebildete Journalisten und gute journalistische Fragen, mehr nicht. Wie kann es sein, dass alle anderen Parteien darauf aus sind, der Nation zu schaden, ausländischen Interessen zu dienen, Verräter zu sein? Wie kommt es, dass die einfachen Lösungen der Populisten den anderen nicht einfallen? Wie kann es sein, dass eine Partei die Interessen aller Gruppen der Gesellschaft vertritt? Wie kann es sein, dass jede Kritik, jede Frage als ausschließlich feindlicher Angriff interpretiert werden kann? Woher kommt die latente oder erklärte Überlegenheit der Populisten?

Allerdings kann der populistische Durchbruch nicht allein durch Journalisten und die öffentlich-rechtlichen Medien verhindert werden. In der populistischen Rhetorik sind sie selbst Teil der Elite, die es loszuwerden gilt. Was wir brauchen, ist eine Erneuerung der etablierten Parteien, der Zivilgesellschaft und der Medien, die eine Vielzahl engagierter Demokraten mobilisieren können, um den klaren Verstand und einen fairen politischen Wettbewerb zu verteidigen.

MEDIENWISSEN: EIN ÖFFENTLICH-RECHTLICHER AUFTRAG

Vom Broadcasten zum Browsen

Ist die Verbindung zwischen öffentlich-rechtlichen Medien und Demokratie zwingend? Oder sollten wir angesichts des unbestreitbaren Umfangs der Medien in nicht-demokratischen Ländern nicht eher eine umgekehrte Beziehung bescheinigen, wonach es die Demokratie ist, die den öffentlich-rechtlichen multimedialen Kommunikationssystemen Stimme und dialektische wie bürgerliche Kraft verleihen kann?

Um diese Fragen zu beantworten, ist es wichtig, den Übergang zu der neuen Phase der digitalen Gesellschaft zu untersuchen, in der sich generalistische Fernsehsender wie die Mehrheit der europäischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Strudel asynchroner Modelle und medialer Verhaltensweisen, in dem Produzent:innen und Zuschauer:innen Rollen und Informationen (aus)tauschen, orientierungslos wiederfinden.

Eine Verlegenheit, die in erster Linie, und nicht ohne verdienstvolle Ausnahmen, aus einer kulturellen Scheu und folglich einem professionellen Widerstand resultiert, sich genau jener Verhaltensänderung zu stellen, die wir im Übergang vom Modell der industriellen Medien des Rundfunks – von einem Sender zu vielen Empfänger:innen – das das öffentlich-rechtliche Fernsehen aus der Taufe gehoben und seine Organisationsstrukturen und Produktionssprachen zutiefst geprägt hat – zu dem, was wir als Browsing definieren, bei dem jede:r Nutzer:in individuell die Modalitäten, Zeiten und Inhalte seines Medienkonsums definiert, zusammenfassen können. Eine echte kopernikanische Revolution, die aufgrund ihrer sozialen Matrizen und Marken das demokratische System selbst betrifft und nicht unwesentliche Aspekte seiner Unzulänglichkeiten aufdeckt.

Wir sprechen von einem Prozess der Personalisierung von Verhaltensweisen, in unserem Fall multimedialer Art, der sich zuerst in der Welt der Redaktionen zeigte, mit einer langen Reifezeit ab Ende der 70er Jahre und dem abrupten Übergang, der von den Computern in den Redaktionen generiert wurde. Diese ersetzten die Bleidruckmaschinen und gestalteten die Phasen der Erstellung, Ablage und Übermittlung von Seiten und Berichten neu. Eine allmählichere, aber ebenso einschneidende Entwicklung war der Übergang von der Film- zur elektronischen

Programmproduktion im Fernsehen. Bei diesem Wandel wurde später erkannt, wie sehr und wie sehr sich die Arbeit der Journalist:innen durch die neuen Produktionsmethoden verändert hat.

In der Zwischenzeit grub sich eine andere Dynamik unbemerkt in unser Ausdrucksvermögen ein, wie Jean-Francois Lyotard in seinem Essay „La condition postmoderne: rapport sur le savoir“ (1979), in dem er bereits die „Hegemonie der Informationstechnologie über das Wissen” als beschrieb, als vorausschauender Sensor für den bevorstehenden Szenenwechsel festhielt. Im Einzelnen schrieb der französische Philosoph: „Unsere Arbeitshypothese ist, dass das Wissen seinen Status ändert, wenn die Gesellschaften in das so genannte postindustrielle Zeitalter und die Kulturen in das so genannte postmoderne Zeitalter eintreten...Diese Transformation lässt die Natur des Wissens nicht unangetastet. Es kann nur dann auf den neuen Kanälen zirkulieren und funktionsfähig werden, wenn es sich um Wissen handelt, das in Informationsmengen übersetzt werden kann.“ Eine Aktion, die man als subversiv bezeichnen könnte, weil sie in Ermangelung eines weit verbreiteten sozialen Bewusstseins eine Homologisierung der kognitiven Struktur noch vor dem kommunikativen Verhalten bewirkt.

Die Bedrohung der Demokratie und des sozialen Zusammenlebens selbst durch eine passive Unterwerfung unter die Vorherrschaft eines sprachlichen Determinismus, der durch die „numerische“ Hegemonie in den sozialen Beziehungen hervorgerufen wird, wurde auch in der Botschaft des jüngst verstorbenen Papstes an den Pariser Gipfel über künstliche Intelligenz angeprangert, der die Entscheidungsträger:innen und Expert:innen davor warnte, sich auf eine Nutzung von Ressourcen zu beschränken, die „die Vision der Welt auf Realitäten beschränkt, die in Zahlen ausgedrückt und in vorgefertigte Kategorien eingeschlossen sind“.

Die Mediamorphose der Bedeutung

Vierzig Jahre nach dem Beginn dieser genetischen Mutation der Vokabeln erscheint es uns heute offensichtlich, wie sehr die populistische und souveräne Bedrohung der repräsentativen Demokratie und des Meinungspluralismus nicht von der Unkontrollierbarkeit dieser so genannten „Mediamorphose“ zu trennen ist, die keine Form der Korrektur oder dialektischen Integration durch andere gesellschaftliche Visionen, geschweige denn durch den Fernseher gefunden hat (Mezza, 2024).

Die sich abzeichnende Mediamorphose ist also die Folge von zwei Phänomenen. Das erste wird von Maurizio Ferraris (2021) zusammengefasst,

der darauf hinweist, dass unser gesamtes digitales Leben durch die Einschreibung von Dokumenten im Netz realisiert wird und dass die Manipulation und Veränderung dieser Dokumente die Art und Weise ist, in der die sogenannte hybride Kriegsführung umgesetzt wird, die darauf abzielt, die demokratische Ordnung ganzer Gemeinschaften zu destabilisieren. Der zweite Aspekt wird am besten von Jill Abramson (2019) dokumentiert, die uns zeigt, wie eine Fülle von Inhalten den Kommunikationsmarkt überschwemmt und wie dies die Folge davon ist, dass die Nutzer:innen zu Produzent:innen werden und die Technologien es allen ermöglichen, Mediendateien zu manipulieren. Qualität und Quantität bedingen sich gegenseitig in der anthropologischen Transformation von Wissen und Information.

All dies setzt einen automatischen Prozess der Neudefinition der Gesamtbedeutung durch die Zerlegung und Neuzusammensetzung von Inhaltseinheiten in Gang, das, was wir heute in Trainingsprogrammen für künstliche Intelligenz als semantische Parameter bezeichnen, in denen infinitesimale digitale Partikel, einzelne Bytes, die materiell jede lineare Kontinuität von Autoreninhalten zerbröckeln, von denjenigen, die zur Verwaltung der Referenzplattformen befugt sind, gleichgültig ersetzt oder verändert werden können. Es handelt sich um ein Phänomen, das als ein ständiges Wiederkäuen des Netzes identifiziert wurde, bei dem das gesamte Material ständig manipuliert und integriert wird, wobei seine Bedeutung von den Zielen der Autor:innen abweichen kann.

Ein mehrdeutiges und komplexes Phänomen, das von zwei spezifischen Kräften bestimmt wird. Einerseits ein außerordentlicher Schub in Richtung Beteiligung des Publikums, dessen Fähigkeit, in die öffentliche Meinungsbildung einzugreifen – sowohl quantitativ als auch qualitativ – enorm zugenommen hat, insbesondere über soziale Plattformen. Auf der anderen Seite agieren bei diesem Vorstoß die Eigentümer:innen der automatischen Katalogisierungs- und Redaktionsapparate, die im Gegensatz zu den normalen Nutzer:innen Zugang zur parteiischen Blackbox der digitalen Systeme haben, mit asymmetrischen und gesteigerten Befugnissen (Pasquale 2015).

Dieses System wurde dann in der zweiten Generation der Digitalisierung um die Jahrtausendwende durch das Auftauchen dieser völlig unsichtbaren Ressource Big Data überlastet, d. h. dieser unerschöpflichen Schleife zwischen der Sammlung und Verarbeitung von Daten über jede:n einzelne:n Nutzer:in und der Anpassung eines Medienangebots, das für jede:n einzelne:n Verbraucher:in anders strukturiert und aufbereitet ist, und zwar genau auf der Grundlage des Flusses dieser Daten, die die An-

nahme von sprachlichen Formen und Arten von Inhalten ermöglichen, die den Endnutzer:innen immer mehr entsprechen.

Die Interaktivität, die zusammen mit der Konnektivität die anspruchsvollste Funktion unserer Zeit ist, manifestiert sich als Sprache eines neuen sozialen Pakts, der das materielle Statut des Kommunikationssystems reformiert: Wir geben intime Daten im Austausch für eine willkommene Personalisierung des Medienangebots preis.

Wer die Daten regiert, regiert den gesunden Menschenverstand?

Das Phänomen sprengt unweigerlich den Horizont des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems, das auf dem Höhepunkt des industriellen Fordismus entstand und in einer vertikalen Geometrie konzipiert und organisiert wurde.

Das Agens und der Motor dieser Revolution des Selbst ist die Macht, die Daten aller Bestandteile einer Gemeinschaft von Nachrichtenempfänger:innen, seien es Hörer:innen, Nutzer:innen, Kund:innen oder Patient:innen, zu sammeln und zu verarbeiten, und zwar kraft eines ungleichen Paktes, in dem wir, wie wir bereits gesagt haben, gezwungen sind, Informationen über unsere Identität und unsere Diskretion im Austausch für zugängliche und tendenziell kostenlose (digitale) Dienste preiszugeben.

Lev Manovich (2020) schreibt über ständige Umwälzung durch digitale Systeme, die nicht nur Dateien transportieren, sondern die Produkte von Autor:innen mitproduzieren: „Algorithmen korrigieren automatisch den Kontrast, den Ton und die Farben von Bildern; sie erkennen Gesichter und machen ein Foto, wenn Menschen lächeln; und sie passen alle Belichtungsparameter an, nachdem sie die Art der Szene erkannt haben... Deshalb ist die Postproduktion heute wichtiger als die Produktion.“

Dieses ungleiche Geschäft, bei dem auf dem Medienmarkt Autor:innen, Programmierer:innen und Nutzer:innen ihre Souveränität an die Eigentümer:innen der digitalen Plattformen abtreten, die so die Sprachen genau an die individuellen Profile ihrer Nutzer:innen anpassen können, wird durch die Möglichkeit der Profilierung jedes einzelnen Subjekts besiegelt. Die Informatik, die Statistik und die neuen Rechenkapazitäten unterstützen Geräte der künstlichen Intelligenz, die eine totale Durchleuchtung von Gemeinschaften und Territorien ermöglichen, indem sie den Geschmack, die Neigungen, die Gedanken und die sprachlichen Formen jedes Bewohners, jeder Bewohnerin dieser Realitäten erfassen.

Darüber hinaus waren Elemente eines kritischen Bewusstseins in Bezug auf eine neue Rolle der Nutzer:innen sogar in der Zeit der größten Macht des Fernsehens als Massenmedium zu erkennen. In der Tat, in dem, was Manuel Castells noch in den 1990er Jahren in seiner monumentalen Trilogie über den Aufstieg der Netzgesellschaft (1996) als „ein grundlegend neues Medium, das sich durch den verführerischen Charakter der sensorischen Simulation der Realität sowie durch die leichte Kommunizierbarkeit auszeichnet, mit weniger psychologischem Widerstand“ beschrieb, war eine Unruhe des Zuschauers, der Zuschauerin spürbar, die bzw. der bereits einer totalisierenden Homologisierung entkommen zu wollen schien, wie Umberto Eco schrieb, der wiederum in Castells‘ Essay zitiert wird: „Es wurde der Verdacht geäußert, dass der Sender die Fernsehnachricht auf der Grundlage seines eigenen Codes organisierte, der mit dem der vorherrschenden Kultur übereinstimmte, während die Rezipienten sie mit abweichenden Bedeutungen füllten, entsprechend ihren eigenen kulturellen Codes“.

Der neue öffentlich-rechtliche Auftrag

In diesem komplexen Wandel besteht die erste Herausforderung darin, die Stimme der öffentlich-rechtlichen Medien in der Medienwelt zu erhalten.

Für die öffentlich-rechtlichen Medien stellt sich die Situation so dar, dass sie einerseits selbst zu Plattformen werden und andererseits als ContentAgenturen für alle Plattformen zur Verfügung stehen. Dies sind zwei Modi, die unterschiedliche technologische Strukturen und Fähigkeiten und vor allem eine Beziehung zu Daten und Algorithmen voraussetzen, die in gewisser Weise gegensätzlich sind. Es ist daher notwendig, an eine hybride Mission zu denken, die in der Lage ist, sowohl im täglichen Ablauf als auch in der Langzeitprogrammierung eine noch nie dagewesene und länderspezifische Mischung aus Gemeinschafts- und Vereinigungssprachen zu kombinieren, bei der die Autonomie eines nationalen Common Sense in Bezug auf wichtige Themen und Erzählungen mit einer Artikulation von hochgradig anpassbaren Formaten durch eine allgegenwärtige Präsenz auf allen Arten von Plattformen zementiert wird.

Doch über die Herausforderung des „bloßen“ Überlebens hinaus geht es um die Relevanz einer öffentlichen Stimme des Bürgersinns und des sozialen Zusammenhalts, d. h. um den öffentlich-rechtlichen Auftrag (Rai Ufficio Studi, 2021). Dieser ist einer doppelten Bedrohung ausgesetzt.

Intern durch diejenigen, die diese Rolle öffentlich-rechtlicher Medien nicht anerkennen und dazu neigen, ihre Tragweite und Berufung zu schmälern, um das Konzept der Universalität als Annäherung zu ande -

ren Medien plump zu deklinieren. Und „extern“ durch die Flut von Gesprächen, die die öffentliche Sphäre mit Desinformation verstopfen, die das Vertrauen derjenigen untergräbt, die daran teilnehmen, und gegen die es immer schwieriger wird, öffentliche Instrumente zu finden, um sie zu bekämpfen.

Diese doppelte Herausforderung betrifft die soziale und kulturelle Legitimität des öffentlichen Kommunikationssystems und erfordert ein radikales Überdenken seiner organisatorischen und professionellen Architekturen.

In diesem Sinne hat Rai Ufficio Studi eine Untersuchung durchgeführt (2024), die unter anderem eine Vision des Wandels zu definieren versuchte, die im Folgenden in sieben Punkten zusammengefasst wird: 1. Sprachliche Innovation. Wir müssen die Technologie neu denken. Durch Investitionen in Anpassungswerkzeuge, die die technologischen Prozesse der digitalen Transformation mit ethischen Überlegungen verbinden können. Insbesondere muss jeder Prozess auf Folgendes geprüft werden: redaktionelle Unabhängigkeit, Transparenz, Vielfalt, Pluralismus, Inklusion, Gegensatz zu Fake News und „Echokammern”. Einerseits bedeutet dies, an der Technologie zu arbeiten, neue Dialoge mit KI zu testen, einschließlich neuer Empfehlungssysteme (mit denen viele europäische öffentliche Dienste experimentieren – siehe Rai Ufficio Studi, 2023), und andererseits sicherzustellen, dass Journalist:innen eine zentrale Rolle bei der Produktion und Verbreitung von Informationen und der Überprüfung von Quellen behalten.

2. Aufbau von Kompetenzen. Überdenken wir die sozialen Auswirkungen der Medien, indem wir die digitale Kompetenz und den Aufbau von Medienkompetenz fördern, was in einer Welt, in der die Fähigkeit, in die fiktionale Dimension ein- und aus ihr auszusteigen, zunehmend gefährdet ist, immer dringlicher wird. In diesem Sinne geht es bei Medienkompetenz nicht nur um die Fähigkeit, Fake News zu bekämpfen, sondern – und das ist von zentraler Bedeutung – darum, sich von den von den Plattformen angebotenen Inhalten zu distanzieren, um eine klare Vorstellung vom Unterschied zwischen Realität und Fantasie zu haben. Es ist auch wichtig, die Wege der Vereinfachung und Trivialisierung zu dekonstruieren, nicht nur durch die Förderung der Komplexität, sondern auch durch die Unterstützung eines neuen Narrativs, das die Komplexität als ein der Geschichte der Menschheit innewohnendes Ziel betrachtet. In dieser Frage können die öffentlichrechtlichen Medien neue Allianzen mit der audiovisuellen Wertschöpfungskette eingehen.

3. Sozialer Zusammenhalt. Bei der sozialen Wirkung der Medien geht es auch entscheidend um die Bekämpfung von Fragmentierungsprozessen und die Förderung von Instrumenten zur Aushandlung von Bedeutung (Barca 2023). Die Aufgabe, Generationen und geschlossene Blasen zu verbinden und die Koexistenz von Identität und Vielfalt zu fördern, ist dringlich und markiert eine gleiche und entgegengesetzte Richtung zu der, in die sich kommerzielle Plattformen bewegen. Öffentlich-rechtliche Medien können ein wettbewerbsfähiger Raum werden, in dem verschiedene soziale und kulturelle Werte miteinander in Dialog treten, ein Raum der Verhandlung (Barca 2024).

4. Beteiligung. Öffentlich-rechtliche Medien müssen die Beteiligung und das Engagement der Bürger:innen fördern, um Kreativität und Vertrauen zu stärken Öffentlich-rechtliche Medien können den Dialog mit der Gesellschaft stärken, auch durch direkte Kommunikationskanäle: eine gute Strategie, um dem wachsenden Misstrauen gegenüber den Institutionen zu begegnen. Indem sie wie in einer therapeutischen Beziehung auf das Vertrauen zwischen sich selbst und dem sozialen Gefüge einwirken, können öffentlich-rechtliche Medien daran arbeiten, die Verbindungen zwischen den Bürger:innen und den grundlegenden Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, wie Verwaltung, Umwelt und Gesundheit, wiederherzustellen. In diesem Sinne kann die lokale Dimension der öffentlich-rechtlichen Medien zu einem privilegierten Gebiet für den Austausch und die Definition eines neuen Sozialpakts werden.

5. Datenschutz und Verwaltung von Big Data. Die Verbreitung von Big Data und allen Informationen, die Menschen betreffen, neu zu überdenken, ihnen die Möglichkeit zu geben, selbst zu entscheiden, was mit ihren persönlichen Daten geschehen soll, und sie mit Transparenz zu behandeln, ist eine Frage der ethischen Nutzung der Technologie. In dieser Frage, die zahllose Auswirkungen hat (wirtschaftlich, rechtlich, ethisch usw.), sind wir weit im Rückstand, und die multinationalen Unternehmen diktieren den Weg. Daher „können die öffentlich-rechtlichen Medien vor der Öffentlichkeit als Garanten für Rechenschaftspflicht, Transparenz, den korrekten Umgang mit persönlichen Daten, aber vor allem für das Bewusstsein für die Formen, die der technologische Kapitalismus angenommen hat, auftreten“ (Barca 2024). Die öffentlich-rechtlichen Medien könnten auch einen „Big-Data-Big-Society-Deal“ vorantreiben, bei dem sie zu akkreditierten Datenspeichern werden, auf die Gemeinschaften, Gebiete und alle Bürger:innen zugreifen können, so wie sie ihr Geld auf der Bank verwalten (Mezza 2020). Während private Plattformen (zunehmend auch durch „öffentliche“ Überwachungssysteme) die Erstellung von Nutzerprofilen zum Kern ihres Geschäfts machen, haben öffentlich-recht-

liche Plattformen die Möglichkeit, einen Schritt zurück zu machen, indem sie das Konzept der Profilerstellung selbst in Frage stellen. Ein ethischer Blick auf die Profilerstellung muss ihre Ziele und Modelle neu gestalten und sie in einen Prozess des Zuhörens und der Unterstützung des Kompetenzaufbaus umwandeln. Zu diesem Zweck muss einerseits die Transparenz, die Teilbarkeit und die Verhandelbarkeit der Algorithmen gewährleistet und andererseits in die Datenbanken eingegriffen werden, auf denen die generativen KI-Systeme trainiert werden, d.h. in die eigentlichen Wurzeln des Wissens, von deren „Verschmutzungsgrad“ die Zukunft des Planeten abhängt.

6. Die Nachhaltigkeit. Es handelt sich um ein zweifaches Thema, da es nicht nur die Auswirkungen der digitalen Technologien auf die Umwelt betrifft, sondern auch im weiteren Sinne den grundlegenden Beitrag, den die Medien zur Erreichung des Ziels einer nachhaltigen Wirtschaft leisten können. Die öffentlich-rechtlichen Medien könnten beispielsweise eine groß angelegte Slow-Media-Kampagne starten, um der stark beschleunigten Produktion, Übertragung, Speicherung und Nutzung von Medieninhalten und digitalen Geräten entgegenzuwirken (Moei et al. 2024). Öffentlich-rechtliche Medien könnten auch die Kreativität der Wiederverwendung fördern, als Konzept der Allmende und als innovative redaktionelle Angebotsstrategie. Und sie könnten „die Blackbox öffnen“, indem sie eine transparente Berichterstattung über den CO2-Fußabdruck von KI-gesteuerten Geräten in Form eines „Tech Carbon Footprint Label“ einführen, um das Bewusstsein zu schärfen und Regulierungsbehörden und die Öffentlichkeit über die Auswirkungen jeder KI-gesteuerten Aktion zu informieren (Barca 2024).

7. Forschung und Entwicklung. Die freie, auf das Gemeinwohl ausgerichtete Forschung muss weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Es geht um die Erforschung und das Experimentieren mit neuen technologischen, künstlerischen, ästhetischen usw. Praktiken. Es bedeutet auch die Wiederaufnahme jener Funktion, die einen Großteil der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt hat, nämlich die Verbindung zwischen wissenschaftlicher und humanistischer Kultur, zwischen Maschinen und (Post-)Humanismus. Wenn die Kultur heute den technologischen Diskurs in die Hände von Wissenschaftler:innen und digitalen Unternehmer:innen gelegt hat, ist es vielleicht an der Zeit, ein öffentliches Entwicklungsprojekt für die kommenden Jahrzehnte neu zu definieren.

Schließlich können öffentlich-rechtliche Medien den neuen Auftrag übernehmen, die digitale Technologie für die Ziele des Gemeinwohls zu „domestizieren“ (Barca, 2024).

Literatur

Jill Abramson (2019) Merchants of Truth: Inside the News Revolution, Bodley Head

Flavia Barca (2023) “La sfida del digitale alla missione dei media di servizio pubblico” in La televisione del futuro. Le prospettive del mercato televisivo nella transizione digitale, a cura di Fernando Bruno, Vincenzo Lobianco, Antonio Perrucci, Augusto Preta, Il Mulino

Flavia Barca (2024) “A Cohesive Voice for Europe: Public Service Media responding to contemporary challenges” in The Future of Public Service Media in Europe, Public Value Text, ORF

Manuel Castells (1996), The Rise of The Network Society, Wiley-Blackwell

Maurizio Ferraris (2021), Documanità, Filosofia del mondo nuovo, Editori Laterza

Jean-Francois Lyotard (1979), La condition postmoderne: rapport sur le savoir, Les Éditions de Minuit

Lev Manovich (2020) Cultural Analytics, Raffaello Cortina editore

Michele Mezza (2020), Il contagio dell‘algoritmo, Donzelli

Michele Mezza (2024), Connessi a morte, Guerra, media e democrazia nella società della cybersecurity, Donzelli

Moei H., Enli G. & Syvertsenii T. (2024), “The dark side of the media welfare state”, in Jakobsson P., Lindell J. & Stiernstedt F. (ed.), The Future of the Nordic Media Model: A Digital Media Welfare State? Nordicom, 2024, 1, p. 241-260

Frank Pasquale (2015) The Black Box Society: The Secret Algorithms That Control Money and Information, Harvard Univ Pr

Rai Ufficio Studi (2021) Coesione sociale. La sfida del servizio pubblico radiotelevisivo e multimediale, Rai Libri

Rai Ufficio Studi (2023), Algoritmi di Servizio Pubblico, Sistemi di raccomandazione ed engagement per le nuove piattaforme multimediali pubbliche, Rai Libri

Rai Ufficio Studi (2024), Trasformazione digitale e Intelligenza Artificiale, Una mappa delle sfide per i media di Servizio Pubblico, Rai Libri

ÖFFENTLICH-RECHTLICHE MEDIEN

IN SCHWEDEN

FREDRIK STIERNSTEDT

SÖDERTÖRN UNIVERSITY STOCKHOLM

Schwedens öffentlich-rechtliche Medien sind nach wie vor die Säulen dessen, was Wissenschaftler:innen als „nordischen Medienwohlfahrtsstaat” bezeichnet haben. Im Gegensatz zu vielen ihrer europäischen Pendants sind die schwedischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nach wie vor robuste, gut finanzierte Institutionen. Sie genießen ein bemerkenswert hohes Maß an öffentlichem Vertrauen und erreichen landesweit ein großes, vielfältiges Publikum (Stiernstedt et al. 2024).

Bemerkenswert ist, dass Schweden das einzige Land in Europa ist, in dem eine öffentlich-rechtliche VOD-Plattform Netflix in Bezug auf den Zuschaueranteil übertrifft.

Dieses starke Fundament wird nun jedoch von denselben Kräften auf die Probe gestellt, die die Mediensysteme auf dem gesamten Kontinent umgestalten. Die schwedischen öffentlich-rechtlichen Medien stehen unter wachsendem Druck: schneller technologischer Wandel, zunehmende Dominanz der Plattformen, globalisierter Wettbewerb, veränderte Publikumsgewohnheiten und wachsende politische Anfeindungen - insbesondere durch rechtspopulistische Akteur:innen. Diese Herausforderungen sind nicht theoretisch, sondern real und werden immer größer.

Im Mai 2025 stellte die schwedische Regierung ihren neuen Rahmen für die öffentlich-rechtlichen Medien für die nächsten acht Jahre vor. Dieser Ankündigung ging die Arbeit eines parlamentarischen Ausschusses voraus, der das System der öffentlich-rechtlichen Medien überprüfen und Reformen vorschlagen sollte. Der Prozess verlief jedoch alles andere als reibungslos. Er löste weit verbreitete Besorgnis aus, insbesondere bei Beobachter:innen, die sich über den wachsenden Einfluss von Parteien sorgen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk seit langem kritisieren. Die rechtsextremen Schwedendemokraten - zusammen mit den Christdemokraten und der traditionellen Mitte-Rechts-Partei der Moderaten - haben immer wieder auf tiefe Einschnitte, eine Einschränkung des öffentlich-rechtlichen Auftrags und eine stärkere politische Kontrolle gedrängt (Stiernstedt 2024).

Am Ende waren die Vorschläge weniger radikal als viele befürchtet hatten. Ja, es wird Mittelkürzungen geben, aber nicht so drastisch wie erwartet. Der breit angelegte öffentliche Auftrag wird beibehalten. Dennoch ziehen dunkle Wolken am Horizont auf. Es ist die Rede von einer

verstärkten Überprüfung der Effizienz und politischen Neutralität der öffentlich-rechtlichen Medien und von neuen Beschränkungen ihrer Möglichkeiten, digitale Plattformen zu nutzen, um ihr Publikum zu erreichen. Solche Maßnahmen drohen sowohl die Unabhängigkeit als auch die Vitalität der öffentlich-rechtlichen Medien zu untergraben.

Eine der auffälligsten Entwicklungen in diesem Prozess war die politische Zersplitterung, die dabei zutage trat. Der Parlamentsausschuss konnte keinen Konsens erzielen. Stattdessen wurden zwei verschiedene Vorschläge vorgelegt: einer von der rechten Mehrheit, ein anderer von der Mitte-Links-Opposition. Als die Ergebnisse bekannt gegeben wurden, hielten die beiden Fraktionen sogar getrennte Pressekonferenzen ab. Eine derartige politische Spaltung in Bezug auf die öffentlich-rechtlichen Medien hat es in der modernen schwedischen Geschichte noch nie gegeben. Fast ein Jahrhundert lang gab es einen breiten, parteiübergreifenden Konsens über den Wert des öffentlichen Dienstes. Dieser Konsens scheint nun zu zerbrechen.

Unabhängig davon, was die neue Lizenzperiode letztendlich bringt, ist eine Tatsache unübersehbar: Die politische Einigkeit, die einst die Grundlage für die öffentlich-rechtlichen Medien in Schweden bildete, erodiert. Und damit vielleicht auch die Idee des öffentlichen Dienstes als gemeinsames gesellschaftliches Projekt.

Wie Ursula Huws (2020: 3) bemerkt, „kann es schwierig sein, die spezifischen Merkmale von [Wohlfahrts-]Institutionen von den sozialen Zielen zu trennen, die ihre Gestaltung inspiriert haben”. Wenn wir uns die öffentlich-rechtlichen Medien als Teil eines „Medienwohlfahrtssystems” vorstellen, gilt das Gleiche. Bei der Erhaltung der öffentlichrechtlichen Medien kann es nicht nur um den Schutz und die Stärkung der bestehenden Institutionen gehen – obwohl auch das von immenser Bedeutung ist. Diese Institutionen wurden in einer grundlegend anderen Medienlandschaft geschaffen und sollten Herausforderungen bewältigen, die sich nur teilweise mit denen der heutigen Mediensysteme überschneiden.

Dies wirft entscheidende Fragen auf: Welchen gesellschaftlichen Zielen sollten die öffentlich-rechtlichen Medien heute dienen? Welche institutionellen Rahmenbedingungen und politischen Instrumente sind erforderlich, um diese Ziele zu unterstützen? Und wie kann die Legitimität der öffentlich-rechtlichen Medien in einer Zeit der digitalen Dominanz und ideologischen Polarisierung wiederhergestellt werden? Ich glaube, dass die Beschäftigung mit diesen Fragen in einer Situation, in

der die öffentlich-rechtlichen Medien sowohl mit der überwältigenden Macht der digitalen Giganten als auch mit zunehmenden Angriffen von rechten Politiker:innen konfrontiert sind, von entscheidender Bedeutung ist.

Eine realistische politische Philosophie für öffentlich-rechtliche Medien

Während die Reith‘schen Grundsätze „Informieren – bilden – unterhalten” oft als Kern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angesehen werden, sind seine sozialen Ziele allgemeiner und weitreichender. Die Idee der öffentlich-rechtlichen Medien könnte als ein systematischer Eingriff in die Medienlandschaft formuliert werden, um das Mediensystem als Ganzes so umzugestalten, dass es dem öffentlichen Interesse besser gerecht wird. Aber was würde das in der heutigen Gesellschaft bedeuten?

An anderer Stelle habe ich für die Notwendigkeit einer „realistischen politischen Philosophie” (Guess 2008) in Bezug auf die Medienpolitik plädiert (siehe z.B. Stiernstedt et al 2024, S. 326; Jakobsson et al 2023).

Bei der Ausarbeitung einer realistischen Position zur Zukunft müssen wir von Folgendem ausgehen: einem privaten Mediensektor, der von globalen Unternehmen beherrscht wird, mit wenig bis gar keiner demokratischen Kontrolle oder Rechenschaftspflicht; einer immer noch beliebten öffentlich-rechtlichen Institution, wenn auch mit einem alternden Publikum und mit begrenzten Möglichkeiten, ihr Angebot in den digitalen Bereich auszuweiten; und einer politischen Landschaft, die immer noch von fest verwurzelten neoliberalen Idealen der Privatisierung und Marktlösungen beherrscht wird, mit einigen Anzeichen, dass diese Ära zu Ende gegangen sein könnte, aber mit neuen politischen Herausforderungen in Form von Rechtspopulismus. Nach dieser Beschreibung könnte man versucht sein zu sagen, dass eine realistische Position gleichbedeutend mit der fatalistischen Position sein sollte, dass das Ende der öffentlich-rechtlichen Medien – und der öffentlichrechtlichen Institutionen – unvermeidlich ist. Anstelle dieser negativen Schlussfolgerung denke ich jedoch, dass eine Alternative möglich ist.

Diese beruht auf zwei unterschiedlichen, aber komplementären Strategien – zum einen, eine Veränderung des Geschäftsmodells der dominierenden digitalen Plattformen zu erzwingen, das die Ursache für viele Probleme ist, und zum anderen, eine attraktive Alternative zu denselben Plattformen anzubieten. Dies sind keineswegs originelle Ideen, aber sie scheinen mir am wichtigsten zu sein. Das Geschäftsmodell vieler marktbeherrschender digitaler Plattformen erfordert, dass die Unternehmen

so viele Informationen wie möglich über ihre Nutzer:innen sammeln und diese Informationen nutzen, um den Verkehr auf ihren Plattformen zu maximieren. Nur so können diese Unternehmen ihre Einnahmen steigern, die hauptsächlich aus der Werbung stammen.

Es ist dieses Geschäftsmodell, das die Unternehmen dazu bringt, Dinge wie den Wert eines wahrheitsgemäßen und respektvollen Dialogs zu vernachlässigen oder herunterzuspielen und stattdessen die Besuchszahlen zu optimieren, unabhängig davon, ob dies auch bedeutet, dass Dinge wie Desinformation und Hassreden maximiert werden. Es ist auch dieses Geschäftsmodell, das es für die Unternehmen notwendig macht, Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes herunterzuspielen, und das es ihnen ermöglicht, Filterblasen zu schaffen und algorithmische Diskriminierung zu betreiben. Viele der politischen Lösungen, die in diesem Bereich vorgeschlagen werden, konzentrieren sich auf einzelne Anliegen wie Desinformation, Hassreden, Datenschutz, algorithmische Diskriminierung usw., ohne jedoch das zugrunde liegende Problem zu berücksichtigen. Es stimmt, dass einige der von der Europäischen Union in den letzten Jahren vorgeschlagenen Maßnahmen Auswirkungen auf das Geschäftsmodell der Werbebranche hatten, aber dies scheint nicht das Hauptanliegen gewesen zu sein, sondern eher eine Folge des Versuchs, andere Probleme zu lösen.

Der Europäische Datenschutzbeauftragte schlug 2021 vor, dass „die europäischen Gesetzgeber ein Verbot von gezielter Online-Werbung auf der Grundlage von allgegenwärtigem Tracking in Betracht ziehen und die Datenkategorien einschränken sollten, die für solche Werbemethoden verarbeitet werden können” (Woollacott, 2021). Dies könnte als eine zu radikale Lösung angesehen werden, sollte aber gründlich in Erwägung gezogen werden, da die Umstellung des Geschäftsmodells der Werbung einer Einheitslösung am nächsten kommt, die wir erreichen können. Die Regulierung der marktbeherrschenden Plattformen reicht jedoch nicht aus; es müssen auch Alternativen gefunden werden.

Graham Murdock (2018) hat argumentiert, dass die öffentlich-rechtlichen Medien der strategisch am besten positionierte Akteur sind, um eine Zukunft zu fördern, die auf der Idee des Universalismus und der demokratischen Teilhabe aufbaut, als Alternative zu den geschlossenen Räumen der kommerziellen digitalen Medienplattformen. Murdock argumentiert, dass der universelle Zugang eine zentrale Idee bei der Entwicklung des Internets war, wie das World Wide Web, die Open-SourceBewegung und Wikipedia zeigen. Obwohl diese Ideen und Technologien auf ihre Weise erfolgreich waren, wurden sie durch spätere Entwicklun-

gen abgelöst, die Internetnutzer:innen in ummauerte und private Ökosysteme einschlossen, deren Hauptziel die Gewinnmaximierung durch die Verwertung der von den Nutzer:innen innerhalb dieser Ökosysteme erzeugten Daten ist. Öffentliche Einrichtungen wie öffentlich-rechtliche Medienunternehmen, Museen, Bibliotheken und Universitäten sind zwar online präsent, aber sie agieren nicht gemeinsam, um den Bürger:innen eine Alternative zu den zentralisierten Plattformen der dominierenden privaten Akteur:innen zu bieten; stattdessen verlassen sie sich zunehmend auf die von diesen kommerziellen Unternehmen errichteten Infrastrukturen. Murdocks Idee, die er mit vielen anderen teilt, ist daher, dass die öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen in einer einzigartigen Position sind, um als Drehscheibe oder Plattform zu dienen, über die die Öffentlichkeit Zugang zu der breiten Palette von Angeboten dieser verschiedenen öffentlichen Einrichtungen erhalten kann. Darüber hinaus sollten sie so zur Verfügung gestellt werden, dass sie zu einer öffentlichen Diskussion und weiteren kreativen Produktionen einladen, die durch diese Angebote inspiriert oder provoziert werden.

Dies steht auch im Einklang mit den Ideen, die in einem vom Nordischen Ministerrat veröffentlichten Bericht des Nordic Think Tank for Tech and Democracy (2023: 6) skizziert werden. Darin wird empfohlen, „Innovation und Implementierung von Technologien zu fördern, die eine offene digitale öffentliche Debatte unterstützen, um Alternativen zu großen Online-Plattformen zu schaffen” und „öffentlich-rechtlichen Medien ein starkes digitales Mandat für die Online-Präsenz, die Erstellung von Inhalten und die Entwicklung von Plattformen für die demokratische Online-Debatte” zu geben. Bei dieser Vision geht es, wie Murdock (2018) betont, nicht nur um Inhalte und öffentliche Gespräche, sondern auch um die Infrastruktur, die diese Gespräche und die gemeinsame Nutzung dieser Inhalte möglich macht. Es ist wohl nicht möglich, die Idee des öffentlichen Dienstes von der materiellen Infrastruktur zu trennen, die diese Idee fundiert. Sich auf die kommerzielle Infrastruktur zu verlassen, die derzeit von den globalen TechUnternehmen aufgebaut wird, stärkt nicht nur die Machtposition dieser Unternehmen, sondern reproduziert auch die sozial, kulturell und ökologisch unhaltbare - und letztlich undemokratische - Natur dieser Infrastruktur.

Auch wenn eine solche Zukunft für die öffentlich-rechtlichen Medien unrealistisch oder sogar utopisch klingen mag – ich glaube, dass dies der realistischste Weg für die öffentlich-rechtlichen Medien in Europa ist.

Quellen

Geuss R. (2008) Philosophie und reale Politik. Princeton, NJ: Princeton University Press. Jakobsson, P., Lindell, J., & Stiernstedt, F. (2023). Normative Grundlagen der Medienwohlfahrt: Perspectives from the Nordic countries. Media, Culture & Society, 45(2), 305-322. Murdock, G. (2018). Reclaiming digital space: From commercial enclosure to the broadcast commons. In G. F. Lowe, H. Van den Bulck, & K. Donders (Eds.), Public service media in the networked society: RIPE@2017 (pp. 43-58). Nordicom, University of Gothenburg. https://urn.kb.se/resolve?urn=urn:nbn:se:norden:org:diva-5291 Stiernstedt, F. (2024). Vägval väntar public service. [Öffentlicher Dienst am Scheideweg] I: Mediestudiers Årsbok 2024: Haltande affärsmodeller & nytt mediestöd. Stockholm: Institutet för Mediestudier, S. 70-84. Stiernstedt, F., Jakobsson, P. & Lindell, J. (eds.) (2024). Die Zukunft des nordischen Medienmodells: ein digitaler Medienwohlfahrtsstaat? Gothenburg: Nordicom. Der nordische Think Tank für Technologie und Demokratie. (2023). Ein nordischer Ansatz zur demokratischen Debatte im Zeitalter von Big Tech: Recommendations from the nordic think tank for tech and democracy. Nordic Council of Ministers. http://dx.doi.org/10.6027/nord2023-004 Woollacott, E. (2021). Europäische Regulierungsbehörde fordert Verbot von Ad-Targeting. Forbes. https:// www. forbes.com/sites/emmawoollacott/2021/02/11/european-regulator-calls-for-ad-targeting-ban/

WIE KÖNNEN ÖFFENTLICH-RECHTLICHE MEDIEN

DIE DEMOKRATIE AM BESTEN UNTERSTÜTZEN?

Der Democracy Index 2024 der Economist Intelligence Unit bewertet die politischen Systeme von 167 Ländern anhand von fünf Dimensionen: Wahlverfahren und Pluralismus, Funktionsweise der Regierung, politische Partizipation, politische Kultur und bürgerliche Freiheiten. Nur 25 Länder – darunter sowohl Österreich als auch Großbritannien – werden als „vollwertige Demokratien“ bezeichnet, die einen Demokratie-Index (Durchschnittswert für die fünf Dimensionen) von mindestens 8,0 von 10 Punkten aufweisen. Alle 25 sind entwickelte Länder, abgesehen von drei Grenzfällen (Uruguay, Costa Rica, Mauritius). Nur 6,6 Prozent der Weltbevölkerung leben in einem dieser „vollwertig demokratischen“ Länder. Nimmt man die „mangelhaften Demokratien“ mit einer Punktzahl zwischen 6,0 und 8,0 hinzu, erhöht sich die Zahl der Demokratien auf 71, die 45 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Zu den 46 „mangelhaften Demokratien“ gehören mehrere hoch entwickelte Länder (Frankreich, USA, Belgien, Italien), aber die meisten befinden sich in Lateinamerika, Asien, Afrika und Osteuropa (ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten, die jetzt zur EU gehören, wie Polen und Ungarn). Die anderen 55 Prozent der Weltbevölkerung leben entweder in so genannten „hybriden Regimen“ mit einem Wert von 4,0-5,0 (36 Länder, 15,7 Prozent der Bevölkerung) oder in „autoritären Regimen“ mit einem Wert von unter 4,0 (60 Länder, 39,2 Prozent der Bevölkerung), wie es die EIU nennt. Die 36 „autoritären Regime“ befinden sich alle in Asien, Afrika oder Lateinamerika, mit Ausnahme von Belarus (ganz in Europa) und den europäischen Teilen Russlands und Aserbaidschans.1

Alle 25 „vollwertigen Demokratien“ und die meisten der 46 „lückenhaften Demokratien“ verfügen über öffentlich-rechtliche Medien, auch wenn das Ausmaß der tatsächlichen Unabhängigkeit von der Regierung unterschiedlich ist. Im Gegensatz dazu werden die staatlichen Rundfunkanstalten in den 60 „autoritären Regimen“ vollständig von der Regierung kontrolliert - und dies wird auch allgemein so gesehen. Bei der Korrelation zwischen öffentlich-rechtlichen Medien und Demokratie besteht ein gewisser Zusammenhang zwischen Huhn und Ei. Gut finanzierte, politisch unabhängige öffentlich-rechtliche Medien sind teilweise ein Symptom für eine gesunde Demokratie, aber die hier behandelte

Frage bezieht sich auf die umgekehrte Kausalität: Wie können öffentlichrechtliche Medien die Demokratie in ihren eigenen Ländern am besten unterstützen?2

Die Herausforderung: starke Demokratie, geringes Vertrauen

Der Untertitel des EIU-Berichts lautet „What‘s wrong with representative democracy?“ Darin wird „ein Zwiespalt zwischen den hohen Werten vieler Länder in der oberen Hälfte der weltweiten Rangliste – die über die formalen Institutionen, Verfahren und rechtlichen Voraussetzungen der Demokratie verfügen – und der geringen Wertschätzung, die viele Bürger ihren demokratischen Systemen entgegenbringen“ (Seite 6), deutlich. Die meisten Menschen in diesen Ländern halten die Demokratie im Prinzip immer noch für die beste Regierungsform, aber viele sind inzwischen der Meinung, dass sie in der Praxis für sie nicht funktioniert. So ergab eine große Studie, die sich auf mehrere Datensätze stützt, dass der Anteil der Menschen, die angaben, mit der Demokratie in ihrem Land unzufrieden zu sein, weltweit von 38,7 Prozent im Jahr 2005 auf 57,5 Prozent im Jahr 2020 stark gestiegen ist. Dieser Anstieg war in den entwickelten Demokratien besonders ausgeprägt.

Der Bericht hebt zwei Hauptursachen für die wachsende Unzufriedenheit mit der Demokratie hervor: das geringere Vertrauen in die Regierung und die Wahrnehmung, dass Politiker:innen und politische Parteien es versäumt haben, auf die Anliegen der Wähler:innen einzugehen.3

Das Vertrauen in die Regierung ist und war in den Entwicklungsländern schon immer höher (durchschnittlich 58 Prozent im Jahr 2024) als in den Industrieländern (44 Prozent). Von 2014-21 waren beide Länder in einem stetigen Aufwärtstrend. In den Industrieländern erreichte sie 2021, während der Pandemie, einen Höchststand von 51 Prozent - nur 6 Prozentpunkte niedriger als in den Entwicklungsländern mit 57 Prozent. Seitdem ist sie jedoch in den Industrieländern stark zurückgegangen, während sie in den Entwicklungsländern weiter gestiegen ist, was zu dem 14-Punkte-Abstand (58 gegenüber 44) im Jahr 2024 geführt hat.

Die EIU führt den jüngsten Rückgang des Vertrauens in die Regierungen der Industrieländer auf mehrere Ursachen zurück. Eine davon ist die Zunahme der wahrgenommenen wirtschaftlichen Ungleichheit und die geringeren Aussichten für jüngere Menschen. Ein weiterer Grund ist die Wahrnehmung, dass das politische System zugunsten der Reichen und Mächtigen „manipuliert“ ist. Diese Wahrnehmung spiegelt zum Teil falsche Verschwörungstheorien wider, ist aber zum Teil auch durch das Wachstum von Lobbying-Firmen gerechtfertigt, die dafür sorgen, dass

die Stimmen der Wenigen (reiche Einzelpersonen und Unternehmen) mehr Gehör finden als die der Vielen (normale Bürger:innen). Außerdem gab es in den letzten Jahren einige schädliche Korruptions- und Insiderhandelsskandale, auch in den Industrieländern. In der Zwischenzeit sind die Bindungen an politische Parteien schwächer geworden, vor allem bei den sozialdemokratischen Parteien der linken Mitte, deren enge Beziehung zur weißen Arbeiterklasse allmählich durch eine lockerere Verbindung zu jüngeren, sozial liberalen Wähler:innen mit Hochschulbildung ersetzt wurde. Die „Anti-woke“-Kulturkämpfe können als sozialkonservative Reaktion auf damit zusammenhängende langfristige Trends wie die Legalisierung und zunehmende Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Beziehungen und der Ehe betrachtet werden.

Auf politischer Ebene haben diese Trends zu einer Gegenreaktion gegen die etablierten Parteien und zu einer wachsenden Unterstützung für Populismus auf der äußersten Linken und insbesondere auf der äußersten Rechten geführt. Diese Parteien haben unterschiedliche Programme: Die Parteien der extremen Linken befürworten bessere öffentliche Dienstleistungen, die durch höhere Steuern finanziert werden, und eine fortschrittliche Politik in sozialen Fragen wie den Rechten von Transsexuellen, während die Parteien der extremen Rechten eher sozialkonservativ sind und niedrige Steuern und einen kleinen Staat befürworten – auch wenn sie ihre Wirtschaftspolitik, die in der Praxis die Wenigen gegenüber den Vielen begünstigen würde, meist nicht hervorheben. Aber sie alle präsentieren sich als Anti-Establishment, bieten den Wähler:innen scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme und diskreditieren alle Fachleute, die auf die Grenzen ihrer Vorschläge und die Notwendigkeit schwieriger Entscheidungen hinweisen. All dies ist ein Problem für öffentlich-rechtliche und andere Medien, die Fakten und Fachleuten mehr Glauben schenken als Gerüchten und Laien, aber oft zu Recht als Teil des Establishments angesehen werden.

Soziale Medien und Trump 2.0

Das schwindende Vertrauen in die Demokratie wurde durch werbefinanzierte soziale Medien, die Online-Desinformationen und Verschwörungstheorien verbreiten, verstärkt. Anstatt falsche, irreführende und schädliche Inhalte herauszufiltern, bevorzugen die dominierenden Akteure Meta (Facebook, Instagram, WhatsApp usw.) und X diese Inhalte, weil sie mehr „Klicks“ und damit mehr Einnahmen generieren.4

Dank Frances Haugen und Sarah Wynn-Williams, ehemaligen leitenden Angestellten von Facebook, die beide eng mit dem Gründer und Mehr-

heitsaktionär Mark Zuckerberg zusammenarbeiteten, das Unternehmen jedoch verließen und 2021 bzw. 2025 zu Whistleblowern wurden, wissen wir jetzt mehr darüber, wie dies geschieht. Beide beschreiben Zuckerbergs völlige Gleichgültigkeit gegenüber den sozialen und politischen Schäden, die durch Lügen und schädliche Inhalte verursacht werden, die in den von ihm kontrollierten Netzwerken verbreitet werden, und wie die gewinnmaximierenden Algorithmen des Unternehmens den Schaden aktiv vergrößern. Weitere Belege liefert eine große, von Fachleuten begutachtete Studie (840.000 Personen in 116 Ländern), die zeigt, wie die Ausbreitung des mobilen Internets – des wichtigsten Social-Media-Kanals – in den zehn Jahren nach der Markteinführung des iPhones 2007 zu einem Rückgang der Zustimmung zur Regierung und einem Anstieg der Unterstützung für Anti-Establishment-Populismus führte, insbesondere in Europa.5

Die Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im Jahr 2024, mit Elon Musk (Vorstandsvorsitzender und Mehrheitsaktionär von X) und anderen führenden US-Tech-Unternehmen in der neuen Regierung oder in deren Nähe, könnte diese Herausforderungen für die westliche Demokratie noch verstärken. Viele von Trumps Maßnahmen, darunter die Streichung der Mittel für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in den USA, untergraben unabhängige Medien, die Justiz und andere demokratische Kontrollmechanismen. Die politischen Auswirkungen außerhalb der USA sind jedoch aufgrund der Sprunghaftigkeit des Weißen Hauses und der – oft unbeabsichtigten – Folgen seiner Maßnahmen unvorhersehbar. (Die Drohungen gegenüber Kanada haben beispielsweise den kanadischen Patriotismus und möglicherweise die Unterstützung für den nationalen Fernsehsender CBC gestärkt). Sicher ist jedoch, dass die Herausforderungen für die Demokratie weiter bestehen werden.

Ein Fünf-Punkte-Aktionsplan zur Bewältigung dieser Herausforderungen für öffentlich-rechtliche Medien

Öffentlich-rechtliche Medien sollten auf diese Herausforderungen auf fünf Arten reagieren:

1. Gewissenhaft faire und ausgewogene Berichterstattung und Analyse, wie immer

2. Verstärkte Anstrengungen zur Steigerung der Effizienz und des PreisLeistungs-Verhältnisses, auch durch digitale Transformation

3. Suche nach neuen, kreativen Wegen, um sicherzustellen, dass ihre Berichterstattung und Analysen ein jüngeres Publikum erreichen

4. Verstärkte Publikums- und Nutzungsforschung

5. Selbstbewusstere Kommunikation, basierend auf 1-4.

Punkt 1 ist selbstverständlich und stand schon immer im Mittelpunkt des Wertesystems der öffentlich-rechtlichen Medien. Ebenso stehen alle öffentlich-rechtlichen Medien unter starkem und in den meisten Fällen wachsendem finanziellen Druck, so dass Punkt 2 bereits ganz oben auf ihrer Agenda steht. Zu Punkt 3: „Not macht erfinderisch“. Ein ermutigendes Beispiel ist das BBC-Flaggschiff „Newsnight“, das seit 1980 jeden Wochentag die Nachrichten des Tages analysiert und kommentiert. Im November 2023 wurde als Reaktion auf die anhaltenden Kürzungen der Gesamtfinanzierung der BBC das Budget von „Newsnight“ und die Sendezeit von 45 auf 30 Minuten verkürzt, das Personal von 57 auf 23 reduziert und die spezialisierten Untersuchungsteams entlassen, was zu heftiger öffentlicher Kritik an der BBC führte. Doch „Newsnight“ hat den Vorhersagen getrotzt und seine Zuschauerzahlen um 30 Prozent gesteigert.6 Zwei Gründe für diesen Zuschauerzuwachs sind die Vorliebe der jüngeren Zuschauer:innen für das kürzere Format und die aktive Nutzung der sozialen Medien durch die Sendung. Ein weiterer Grund war die Ernennung einer beliebten Hauptmoderatorin, Victoria Derbyshire, die es geschafft hat, hochkarätige Interviewpartner:innen einzuladen und zu zeigen, dass sie die Macht zur Rechenschaft ziehen kann, ohne als übermäßig konfrontativ zu gelten. Die Sendung bereitet ihre großen Interviews für den Online-iPlayer der BBC auf, wo die Einschaltquoten um 50 Prozent gestiegen sind.

Öffentlich-rechtliche Medien sollten darauf abzielen, Schlüsselthemen wie den Klimawandel so ansprechend wie möglich zu erklären, damit mehr Menschen aller Altersgruppen die Grundlagen verstehen, wie Treibhausgase die globale Erwärmung verursachen und warum Wissenschaftler sich Sorgen über mögliche Kipppunkte machen, z. B. dass die schmelzenden Polkappen irgendwann zu einem außer Kontrolle geratenen Klimawandel führen werden, weil die Sonneneinstrahlung abnimmt und sich die Meeresströmungen umkehren.

Zu Punkt 4: Die Forschung kann als Grundlage für die Entwicklung von Strategien und Programmen dienen, aber auch die Kommunikation unterstützen. Mein Rat ist, der Öffentlichkeit zu vertrauen, auch wenn das viel Mut erfordert. Zwei Beispiele:

• Die rechtsgerichteten Kritiker der BBC werfen der BBC ständig vor, dass ihre Berichterstattung linkslastig sei. Unabhängige Umfragen, bei denen neutrale Formulierungen verwendet werden, zeigen jedoch immer wieder, dass nur etwa 20 Prozent der britischen Öffentlichkeit dieser Behauptung zustimmen und ebenso viele das genaue Gegenteil denken, nämlich dass die BBC rechtslastig ist. Die 60 Prozent, die

dazwischen liegen, sagen entweder ausdrücklich, dass die BBC ausgewogen ist, oder sie wissen es nicht - was kaum mit dem oft wiederholten Narrativ der „linksgerichteten BBC“ vereinbar ist.7

• Eine zweite Angriffslinie ist, dass die BBC ein schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis bietet. Als jedoch die Haushalte, die diese Behauptung aufstellten, im Gegenzug für neun Tage Rundfunkgebühren neun Tage lang keine BBC-Dienste empfangen konnten, änderten mehr als zwei Drittel ihre Meinung: 69 Prozent im Jahr 2015, 70 Prozent im Jahr 2022).8

Vertrauen in die Öffentlichkeit bedeutet auch, die Ursachen für die Unzufriedenheit mit der Demokratie besser zu verstehen und dies in der Sendung widerzuspiegeln - über kurze „Vox-Pops“ auf der Straße hinaus, hin zu einem forschungsbasierten Programm, das die Sorgen der Menschen und die Hintergründe widerspiegelt, erklärt und analysiert.

Die Punkte 1-4 können die „Munition“ für Punkt 5 liefern, eine durchsetzungsfähigere, evidenzbasierte Kommunikationsstrategie gegenüber der Öffentlichkeit, politischen Entscheidungsträgern und anderen Medien. Der finanzielle, politische, technologische und marktwirtschaftliche Druck auf PSM ist stärker denn je9 - aber auch die demokratische Notwendigkeit in der heutigen Welt. Wir haben Beweise dafür, dass in den Industrieländern mit gut finanzierten PSM die Bevölkerungen widerstandsfähiger gegen Online-Desinformation sind.10 Und in den meisten, wenn nicht allen Ländern mit PSM - mit Ausnahme der USA (vorerst) - hat die Mehrheit der Öffentlichkeit eine zunehmend negative Einstellung zu denjenigen, die unsere Demokratien untergraben, einschließlich der Tech-Bros, die die sozialen Medien kontrollieren. Möglicherweise nähern wir uns in den Industrieländern mit PSM sogar dem „Höhepunkt des Populismus“.

Selbstbewusstes Führen von oben Natürlich ist das alles nicht einfach. Die PSM-Führungskräfte müssen den Glauben an die Fähigkeit der Organisation, trotz der vielen Herausforderungen ihre wichtige Aufgabe zu erfüllen, zeigen und fördern.

Quellen

1 Economist Intelligence Unit, Democracy Index 2024, February 2025: https://www.eiu.com/n/campaigns/ democracy-index-2024/. The EIU is the research and analysis division of The Economist Group, publisher of The Economist.

2 Einige größere, reichere Länder verfügen auch über internationale PSM wie den BBC World Service, die Deutsche Welle und - bis zur Schließung durch Präsident Trump im März 2025 - Voice of America. Diese Dienste spielen eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung zuverlässiger Nachrichten in Ländern mit wenigen oder gar keinen unabhängigen Medien. Die Grundsätze, die ich erörtern werde, gelten auch für diese internationalen Medien, mit dem Unterschied, dass ihre Finanzierung noch knapper ist als die der inländischen PSM und dass sie oft in einem schwierigen und gefährlichen Umfeld arbeiten.

3 Ibid. pages 29-37.

4 Dan Milmo, ‘Frances Haugen: “I never wanted to be a whistleblower. But lives were in danger”’, Observer, 24 October 2021; Stuart Jeffries, ‘Careless People: A Story of Where I Used to Work by Sarah Wynn-Williams review – a former disciple unfriends Facebook’, Observer, 16 March 2025.

5 Sergei Guriev, Nikita Melnikov and Ekaterina Zhuravskaya, ‘3G Internet and Confidence in Government’, Quarterly Journal of Economics, 136, 4 (November 2021), 2533-2613.

6 Ian Burrell, ‘Newsnight is still a jewel in the BBC’s crown, despite suffering brutal cuts’, The I Paper, 16 December 2024.

7 Patrick Barwise and Peter York, (i) The War Against the BBC, Penguin, November 2020, pages 235-9; (ii) ‘Is the BBC left-wing? Not according to 80% of the British public’, Press Gazette, 13 June 2023, https://pressgazette.co.uk/comment-analysis/bbc-left-wing-bias/

8 MTM, Deprivation Study: What Is Life Like Without the BBC?, April 2022, https://wearemtm.com/case-studies/deprivation-2022/

9 Patrick Barwise, ‘The challenges facing public service broadcasters’, InterMedia 49, 4 (January 2022), pages 20-25, https://www.iicom.org/intermedia/vol-49-issue-4/the-challenges-facing-public-service-broadcasters/

10 Edda Humprecht, ‘Why resilience to online disinformation varies between countries’, LSE Media Policy nlog,

8 April 2020, https://blogs.lse.ac.uk/medialse/2020/04/08/why-resilience-to-online-disinformation-variesbetween-countries/

WIR BEFINDEN UNS IM KRIEG

In einer Zeit, in der Fakten brüchig sind und der Journalismus unter Beschuss steht, reicht es nicht mehr aus, die Wahrheit zu verteidigen. Wir müssen das Vertrauen wiederherstellen - nicht durch Slogans, sondern durch Offenheit, Gespräche und Demut.

I

Im Oktober 2017 überbrachte Jeff Bezos der Washington Post, der Zeitung, die er seit ein paar Jahren besitzt, ein Geschenk.

Der milliardenschwere Gründer von Amazon hatte eine altertümliche Wäschemangel erworben und einen handgefertigten Holztisch anfertigen lassen, um sie auszustellen. Das Ensemble wurde im Konferenzraum von Ben Bradlee aufgestellt.

Es war ein bedeutungsschweres Geschenk – eine Anspielung auf die Watergate-Ära und die legendäre investigative Berichterstattung von Carl Bernstein und Bob Woodward, die schließlich zum Rücktritt von Präsident Nixon führte.

Damals hatte Nixons Generalstaatsanwalt John Mitchell versucht, die Verlegerin der Post, Katharine Graham, einzuschüchtern, um die Veröffentlichung zu verhindern. Seine grobe Warnung: „Katie Graham wird ihre Titte in eine große, fette Wäschemangel gequetscht bekommen, wenn das veröffentlicht wird.“

Die Geschichte wurde trotzdem veröffentlicht. Auch über die Drohung selbst wurde berichtet, allerdings strich der legendäre Chefredakteur der Post, Ben Bradlee, das Wort „Titte“.

Bezos‘ Wäschemangel wurde zum Symbol für die Kraft, den Mut und die Entschlossenheit des Journalismus – sein Selbstvertrauen angesichts von Druck und Einschüchterung. Er fügte eine kleine Plakette hinzu, auf der zu lesen war: „Wenn es kommt, dann soll es so sein. Machen Sie einfach Ihre Arbeit, so gut Sie können, wohin auch immer sie führen mag”.

Ich bin auf diese Geschichte in Collision of Power: Trump, Bezos, and The Washington Post von Marty Baron gestoßen, der bis 2021 als Chefredakteur der Post tätig war. (Sie kennen ihn vielleicht aus dem Film Spotlight, der

die Geschichte des Investigativteams des Boston Globe erzählt, das jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche aufdeckt. Marty - gespielt von Liev Schreiber - war damals der Redakteur des Globe, bevor er nach Washington wechselte.)

II

Es ist ein Krieg im Gange – ein Krieg gegen den Journalismus, wie wir ihn kennen. Er entfaltet sich seit mehr als zwei Jahrzehnten. Trump hat ihn nicht begonnen; man könnte eher behaupten, dass er auf seiner Welle bis zur Präsidentschaft geritten ist und dann zu einem der lautesten Verstärker wurde.

Ben Smith – Chefredakteur von BuzzFeed News von 2011 bis 2020, später Medienkolumnist für die New York Times und jetzt Mitbegründer der Nachrichtenplattform Semafor – hat ein Buch darüber geschrieben, wie sich ein Großteil der Online-Medienlandschaft in ein Megaphon für (rechtsextreme) Ansichten verwandelt hat. Einige dieser Online-Medien taten dies absichtlich, indem sie ständige Angriffe auf relevante herkömmliche Medien, Journalist:innen, Fakten und Institutionen starteten. Und es hat funktioniert. Es handelte sich nicht nur um flüchtige Beleidigungen, sondern um langsame, unerbittliche Tropfen, die den Stein aushöhlten. Der Titel von Smiths Buch sagt alles: “Traffic: Genius, Rivalry, and Delusion in the Billion-Dollar Race to Go Viral”. Am Ende ging es nicht nur um Milliarden an Werbeeinnahmen. Es ging auch um Beschädigung, Zerstörung, Kontrolle.

Lange Zeit gingen wir in der Politik und im Journalismus von einer gemeinsamen Annahme aus: dass Fakten und Geschichten das öffentliche Verständnis prägen und Veränderungen bewirken. Aber jetzt sind Lügen – und die Unsicherheit, die sie erzeugen – mächtiger geworden als Fakten. Natürlich ist dies nicht nur eine amerikanische Geschichte. In unserer globalen digitalen Welt, die von Tech-Größen wie Musk und Zuckerberg vorangetrieben wird, lassen sich Lügen und Desinformationen problemlos über Grenzen hinweg verbreiten – ohne Passkontrolle, ohne Zoll. Auch in Europa nutzen rechtsextreme Politiker:innen und ihre medialen Verbündeten dieselben Plattformen und Taktiken, um demokratische Werte zu untergraben und den sozialen Kitt, der Gesellschaften zusammenhält, aufzulösen.

Teil der Strategie? Sie greifen die öffentlich-rechtlichen Medien an. Sie bezeichnen sie als „staatlich kontrolliert“, sie beschuldigen sie der Parteilichkeit, stellen ihre Unabhängigkeit in Frage. Sie ändern die Geset-

ze. Sie streichen die Finanzierung. Sie besetzen die Aufsichtsräte mit Loyalist:innen. Sie nutzen befreundete Medien, um die Glaubwürdigkeit zu untergraben. Sie heben Fehler hervor, um die Behauptung zu untermauern, die öffentlich-rechtlichen Medien seien korrupt.

Wir haben das in Ungarn und Polen gesehen – obwohl sich Polen, was man ihm zugute halten muss, gewehrt hat. Aber ähnliche Muster zeichnen sich auch anderswo ab. Ich komme aus den Niederlanden – einem Land, das ich lange Zeit für einen sicheren Hafen für unabhängigen Journalismus hielt. In vielerlei Hinsicht ist es das immer noch. Aber jetzt ist die rechte Freiheitspartei unter der Führung von Geert Wilders Teil der Regierungskoalition und hat die öffentlich-rechtlichen Medien zur Zielscheibe gemacht. Bislang ist es Wilders nicht gelungen, sie zu zerschlagen, aber er hat die Finanzierung gekürzt. Das ist der erste Schritt.

Vor einigen Jahren konnte man sich die Gesellschaft als einen großen Kreis vorstellen – mit kleineren Kreisen im Inneren, die verschiedene Institutionen repräsentierten: die Justiz, die Medien, das Bildungswesen. Sie waren alle unterschiedlich, aber dennoch Teil desselben Systems, verbunden durch eine Form des gegenseitigen Respekts, selbst bei Meinungsverschiedenheiten.

Dieser Kreis ist zerbrochen. Jetzt gibt es eine Schlucht.

Eine Kluft zwischen „uns“ und „ihnen“ - und beide Seiten empfinden das Gleiche über den anderen. Es ist auch eine Spaltung zwischen denjenigen, die Fakten schätzen, und denjenigen, die Fakten als Bedrohung ansehen – als Eindringlinge in eine Weltsicht, in der die Wahrheit von der Identität und nicht von Beweisen geprägt ist. Die Klimakrise ist ein deutliches Beispiel dafür. Dies ist nicht länger ein Kampf zwischen links und rechts. Das ist eine Schlacht zwischen Demokrat:innen und Antidemokrat:innen. Und die Medien - insbesondere die Mainstream-Medien - stehen jeden Tag unter Beschuss.

Fake CNN. Scheiternde New York Times. Die „Amazon Washington Post“. Die „Lügenpresse“. (Klingt für deutsche Ohren beunruhigend vertraut, nicht wahr?)

III

Vielleicht übertreibe ich ein wenig. Natürlich ist die Situation nicht in jedem Land gleich. Aber was ich zu beschreiben versuche, ist ein langfristiger Trend, dem wir dringend begegnen müssen. Was sollte also unsere Antwort sein? Was können wir tun?

Marty Baron war sich über seine Rolle im Klaren: „Wir befinden uns nicht im Krieg. Wir sind bei der Arbeit.” Er glaubte an die Kernaufgabe des Journalismus – zu recherchieren, zu enthüllen und die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen. Er verwies auf Geschichten, die politische Skandale aufgedeckt, Korruption aufgedeckt und zu Rücktritten, Strafanzeigen und realen Konsequenzen geführt haben. Geschichten über Krieg, Armut, Hunger, Gewalt und Menschenhandel, über die aus der ganzen Welt berichtet wird. Diese Arbeit ist wichtig. Das war sie schon immer. Im Journalismus geht es darum, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, Zusammenhänge aufzuzeigen, Punkte zu verbinden und den Vorhang über die Potemkinschen Dörfer zu lüften. Es geht darum, Betrug und Unsinn zu entlarven, wenn wir ihn sehen. Und ja, Marty hat Recht. Aber ich glaube nicht mehr, dass das ausreicht.

Würde ein neues Watergate - im Jahr 2026 - einen Präsidenten zu Fall bringen? Ich bezweifle das. Sehen Sie sich nur Trump an: ein Verurteilter, der immer noch eine politische Kraft ist. Würden brisante Enthüllungen ihn zu Fall bringen? Unwahrscheinlich. Seine Basis würde die Fakten ignorieren und dem Überbringer an die Gurgel gehen.

Es ist ein vertrautes Schema: Diskreditiere Journalist:innen. Ignoriere Beweise. Spalte das Land noch weiter. Das ist es, was Autokrat:innen tun - nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern überall. Und in dieser Dunkelheit werden der Journalismus - und die Demokratie - gemeinsam sterben.

IV

Wenn wir unsere Rolle in der Gesellschaft beschreiben, sagen wir oft Dinge wie „die Wahrheit sagen“ oder „die Mächtigen zur Verantwortung ziehen“. Und ja – das sind wichtige Ideen. Aber es sind auch unsere Worte. Ich bin mir nicht sicher, ob unser Publikum dieselbe Sprache verwenden würde – oder gar unsere Auffassung von dem, was Journalismus sein soll, teilt.

Es kann sein, dass sich die Verbindung zwischen dem professionellen Journalismus und der Öffentlichkeit immer mehr auflöst. Das kann man in vielen Redaktionen beobachten – vor allem im Rundfunk und in den digitalen Medien. Journalist:innen arbeiten oft in geschlossenen Räumen, unter Druck, an Bildschirmen klebend, mit nur einer Handvoll Reporter:innen, die unter Zeitdruck durch das Land rasen.

Wer hat da noch Zeit zum Innehalten? Um sich umzusehen? Um in lokalen Gemeinschaften präsent zu sein und echte Gespräche zu führen?

Hören wir die Geschichten, die nicht über Pressemitteilungen, offizielle Briefings oder Spin Doctors zu uns kommen? Sind wir – kulturell gesehen – zu homogen, wenn es darum geht zu entscheiden, was berichtenswert ist und was nicht? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen die redaktionellen Entscheidungen, die wir treffen, nicht verstehen – und ihnen vielleicht auch nicht trauen. Sie sehen den Prozess nicht. Und wenn Entscheidungen innerhalb einer Blackbox getroffen werden, ist Misstrauen programmiert.

Als ich Chefredakteur war, habe ich versucht, dieses Problem zu lösen, indem ich unseren Newsroom geöffnet habe. Eines der wirksamsten Instrumente war damals das Bloggen – nicht um die von uns veröffentlichten Geschichten zu wiederholen, sondern um die von uns getroffenen Entscheidungen zu erläutern. Redakteur:innen, Korrespondent:innen, das politische Team – sie alle tauschten sich darüber aus, wie Entscheidungen getroffen wurden, wie die Diskussionen verliefen und auf welche Hindernisse wir beim Zusammentragen der Nachrichten stießen.

Anfangs hielten meine Kolleg:innen dies für eine sinnlose Zusatzarbeit. Aber mit der Zeit begannen sie es zu schätzen - die Möglichkeit zu erklären, wie die Nachrichten zustande kommen, die Kompromisse, die Frustrationen, die Geschichten hinter den Kulissen der Kriegsberichterstattung und die täglichen Kämpfe.

Dies führte zu etwas Seltenem und Wertvollem: Einzelgespräche mit Zuschauer:innen, die ehrliche, vernünftige Fragen hatten. Wir kombinierten das mit Treffen aus dem wirklichen Leben. Wir brachten junge Menschen dazu, über die Nachrichten zu sprechen, Journalist:innen zu treffen und zu sehen, was wir mit ihren Beiträgen tatsächlich tun. Viele von ihnen waren beeindruckt – auch wenn sie nicht einverstanden waren. Sie verstanden unsere Entscheidungen besser. Sie sahen auch, dass wir Fehler machen – nicht als Teil einer Verschwörung, sondern weil wir Menschen sind.

Ich glaube, dass diese Art von Bemühungen – nicht als kurzfristige Projekte, sondern als Teil einer langfristigen Denkweise und eines langfristigen Engagements – das Vertrauen wiederherstellen kann, das wir verloren haben.

Transparenz ist der Schlüssel. Sie verwandelt eine vertikale Beziehung in eine horizontale.

Gerade die öffentlich-rechtlichen Medien brauchen Verbündete, Freund:innen, langfristige Partnerschaften. Nur so können wir echten Ge -

gendruck gegen koordinierte Angriffe aufbauen. So verteidigen wir Fakten, stärken die Wirklichkeit und schützen unsere Gesellschaften vor Desinformation und Lügen.

Und vielleicht, nur vielleicht, erweitern wir auf diese Weise den eigentlichen Zweck des Journalismus – indem wir uns der Öffentlichkeit öffnen, den Menschen zuhören, was ihnen wirklich wichtig ist, und gemeinsam eine neue Reihe gemeinsamer Werte und Grundsätze schaffen.

„Die Wahrheit an die Macht zu bringen“ ist eine Phrase von oben herab. Versuchen wir etwas Bodenständigeres: ein sinnvolles Gespräch. Zuhören. Die Grundlagen des Journalismus neu schreiben – gemeinsam. Nicht nur wir, die Journalist:innen.

Wir, die Menschen.

V Vor einigen Jahren haben wir von der NOS zwei Klassen einer Berufsschule in Rotterdam „adoptiert“ – Mädchen im Alter von 16 bis 19 Jahren, die meisten von ihnen mit marokkanischem oder türkischem Hintergrund. Sie erwarteten nicht viel von der Zukunft. Sie fühlten sich als Außenseiterinnen, an den Rand der Gesellschaft gedrängt.

Zunächst vertrauten sie uns nicht. Und warum sollten sie auch?

Journalist:innen kamen nur, wenn sie ein Zitat brauchten – dann verschwanden sie und hinterließen den Schaden. Aber wir tauchten immer wieder auf. Acht Monate lang besuchten wir sie. Wir sprachen über die Nachrichten, über die Geschichten, die für ihr Leben wichtig waren. Sie besuchten unsere Nachrichtenredaktion. Sie trafen unsere Moderator:innen. Einige saßen sogar selbst auf dem Moderationssessel. Vor allem die Mädchen, die Kopftücher trugen – sie hätten sich nie vorstellen können, dass sie einmal an so einen Ort gehören würden. Und etwas hat sich verändert. Einige ihrer Geschichten inspirierten unsere Berichterstattung. Sie fühlten sich respektiert. Gesehen. Und wir haben gelernt. Eine Menge gelernt. Am Ende dieses Jahres hatte sich etwas verändert. Es herrschte Vertrauen. Sogar Freundschaft. „Hans!“, rief eine von ihnen - wir kannten uns inzwischen beim Vornamen: „Hör mal. Früher haben wir zu Hause nur türkisches Fernsehen gesehen. Aber jetzt schaut meine ganze Familie jeden Abend um acht Uhr die NOS-Nachrichten. Denn jetzt ist NOS ein Teil unserer Welt. Wir gehören dazu.”

Das war einer der wichtigsten Momente in meiner Karriere.

DAS RUNDFUNKVOLKSBEGEHREN ALS MEILENSTEIN ÖSTERREICHISCHER

DEMOKRATIEGESCHICHTE

KONSTANTIN

Als zwischen dem 5.10. und 12.10.1964 das erste Volksbegehren der österreichischen Geschichte abgehalten wurde und sich 832.353 Personen den zentralen Forderungen anschlossen, wurde nicht nur ein Meilenstein österreichischer Mediengeschichte, sondern auch österreichischer Demokratiegeschichte gesetzt. Das „Rundfunkvolksbegehren“ steht sowohl symbolisch als auch realpolitisch für den Widerstand gegen den parteipolitischen Proporz und Kontrolle des ORF.

Wenngleich der ORF von seiner Gründung bis zur ersten Reform 1967 massiv von der Vergabe von Redezeiten und Posten auf Basis parteipolitischen Proporzes sowie der Einflussnahme auf die gesendeten Inhalte geprägt war, regte sich erst rund um das Jahr 1962 erster interner und zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen dieses System. Als 1963 ein Geheimabkommen der ÖVP/SPÖ-Regierung publik wurde, das die Situation der politischen Einflussnahme auf den ORF noch weiter verschärft hätte, positionierten sich vor allem die Chefredakteure Hugo Portisch (Kurier), Bruno Fjalnik (Wochenpresse) und Fritz Csoklich (Kleine Zeitung) gegen die Vorhaben der Koalitionsregierung. Unter der Headline „Gegen das Rundfunkdiktat“ begann der Kurier ab dem 23. März 1963 mit der Sammlung informeller Unterstützungsunterschriften. Trotz des Schweigens des ORF und der Parteimedien über diese Initiative konnten so über 370.000 Unterschriften gesammelt werden.

Dies führte schließlich zu einer Einladung Hugo Portischs ins österreichische Parlament durch die Bundesparteiobmänner Bruno Pittermann (SPÖ) und Alfons Gorbach (ÖVP), um die Bedingungen der Beendigung der Initiative zu verhandeln. Die zentrale Forderung Portischs und seiner Mitstreiter:innen waren neben einer Annullierung des Geheimabkommens und der „Entparteipolitisierung“ des ORF vor allem der Beschluss einer Durchführungsbestimmung für die Abhaltung von Volksbegehren durch das österreichische Parlament.

Nach dem der NR-Abgeordnete Fiedler (ÖVP) am 18. April 1963 verkündete, einen Entwurf für ein neues Volksbegehrensgesetz vorzulegen, wurde dieses am 10. Juli schließlich auch verabschiedet. Da eine Reform des ORF jedoch ausblieb, initiierte Hugo Portisch ganz offiziell das erste Volksbe -

gehren der österreichischen Geschichte, wobei sich mit Ausnahme der Parteimedien beinahe alle österreichischen Zeitungen dem Aufruf zum „Rundfunkvolksbegehren“ anschlossen.

Als die große Koalition 1966 in die Brüche ging und die ÖVP bei den Nationalratswahlen eine absolute Mehrheit erreichte, war diese bereit, die Forderungen in Form des Rundfunkgesetzes von 1967 umzusetzen.

Dieses Gesetz etablierte moderne und entpolitisierte Strukturen im ORF, wie etwa die Rolle des Generalintendanten bzw. der Generalintendantin, die Zusammensetzung des Aufsichtsrates, finanzielle und organisatorische Programmreformen sowie Kriterien für die Besetzung von Posten, auf Basis öffentlicher Ausschreibungen und fachlicher Eignung. Das Rundfunkvolksbegehren führte nicht nur zu einem Anstieg von journalistischer Qualität und Vielfalt im ORF, sondern förderte auch Transparenz und Unabhängigkeit in die Strukturen des Rundfunks. Insbesondere auch im Radio: Ö3, Ö1 und die Regionalprogramme wurden geschaffen, neue und kritische Sendungen etabliert. Ein Blick auf die seit 1967 durchgeführten Volksbegehren zeigt, dass durch das Rundfunkvolksbegehren ein Instrument direkter Demokratie erschlossen wurde, das sich bis heute durch große politische Partizipation der wahlberechtigten Bevölkerung und eine breite Themenvielfalt auszeichnet. Hugo Portisch selbst meinte dazu in „Medien und Zeit“: „Der Aufruf zur Reform des Rundfunks war damit auch die Geburtsstunde aller nachfolgenden Volksbegehren und Volksbefragungen bis zum heutigen Tag.“

Wenngleich die realpolitische Wirkung von Volksbegehren durch ihre nicht bindende Natur ambivalent betrachtet werden kann, zeigt das Rundfunkvolksbegehren eindrücklich zwei Aspekte auf. Einerseits macht es deutlich, inwiefern zivilgesellschaftliches Engagement zu tiefgreifenden politischen Veränderungen führen kann. Andererseits unterstreicht es die Bedeutung eines unabhängigen öffentlichen Rundfunks als Säule unserer Demokratie.

Hinweis

Der Beitrag erschien zuerst in „Radiomomente” von Konrad Mitschka, Karin Moser und Stefan Benedik (ISBN 978-3-01-000056-7)und wird hier mit freundlicher Genehmigung des Autors erneut publiziert.

ORF: WAS WAR, WAS IST, WAS WIRD

Als der ORF im Jahr 1967 seine Tätigkeit in Radio und Fernsehen aufnahm, ging es um zwei zentrale Fragen: um die Unabhängigkeit von den politischen Parteien und um die kulturelle Hegemonie in Österreich. Das ist fast 60 Jahre her, doch im Grunde hat sich daran nichts geändert. Beides wäre immer noch von zentraler Bedeutung. Was sich allerdings stark verändert hat, ist das öffentliche Ansehen des ORF. Dieses war in der Frühzeit der Anstalt enorm – trotz heftiger parteipolitischer Angriffe, zuerst seitens der SPÖ und nachdem Bundeskanzler Kreisky 1974 die (erste) Abwahl von Generalintendant Gerd Bacher erreicht hatte, kamen danach – wie das Amen im Gebet – die Angriffe der ÖVP. Der Schaden war zunächst unbedeutend, Bacher kam wieder für weitere acht Jahre und nach neuerlicher Abwahl ein drittes Mal. Dennoch, das üble Wort „Rotfunk“ war in die Welt gesetzt. Es hat zwar nicht gestimmt, aber es hat dem ORF geschadet.

Dazu kommt: Mit dem öffentlichen Ansehen des Journalismus, das lange Zeit in der Zweiten Republik beträchtlich gewesen war, ging es Ende des 20. Jahrhunderts generell bergab. Das hing mit einer immer stärkeren Boulevardisierung der Medien zusammen, was vielleicht nicht ganz zufällig mit dem zunächst unaufhaltsam scheinenden Aufstieg des Politikers Jörg Haider und der FPÖ zusammenfiel. Damit haben sich Politik und politischer Stil in der Zweiten Republik verändert.

Der ORF war davon ebenfalls betroffen, da er in Konkurrenz mit dem Aufkommen kommerzieller TV-Anstalten in der Bundesrepublik – mit zunächst kläglichem Niveau – treten musste, jedenfalls trat. Damit konnten die Seherzahlen anfangs gehalten werden, aber nicht das Ansehen als öffentlich-rechtliche Anstalt. Der ORF wurde zu einem Sender unter vielen und der Kampf um die kulturelle Hegemonie in Österreich trat in den Hintergrund.

Im Jahr 1999 hat eine Fachjury Gerd Bacher und Hans Dichand zu österreichischen Journalisten des Jahrhunderts gewählt. Die Entscheidung ist – betrachtet man die zweite Jahrhunderthälfte – kompetent, aber sie ist zynisch. Denn eben zwischen diesen beiden (und dem jeweils zugehörigen journalistischen Personal natürlich) fand der Kampf um die kulturelle Hegemonie statt. Der eine spornt die Menschen an, mit Kultur, Bildung und breitem Wissen den Ausgang zu finden aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Der andere empfiehlt ihnen dagegen, so zu bleiben, wie sie sind. Gerd Bacher wollte den ORF zu einer „Zentralanstalt für österreichi-

sche Identität“ machen. Hans Dichand wollte – ohne dies lautstark zu proklamieren – mit der KronenZeitung im Grunde dasselbe. Aber sein Weg im Kampf um die österreichische Seele war das genaue Gegenteil. Hans Dichand hat den Kampf gewonnen. Sein seismographisches Gespür für das, was die Österreicher wirklich wollen - vor allem keine Veränderung! – war legendär.

Es wäre unbillig, dem ORF vorzuwerfen, dass er jetzt nicht mehr will, was er einmal wollte: eine aufgeklärte Informationsgesellschaft schaffen. Heute klingt das sowieso wie Hybris. War es wohl auch und hat der Beliebtheit des ORF nicht gutgetan, als zudem die kommerzielle TV-Konkurrenz kam, die es billiger gab. Jetzt geht der ORF mit der Zeit und tut sich schwer genug damit angesichts von Missgunst und Feindschaft.

Faustregel Nummer Eins, wenn man in Bedrängnis ist: Verbündete suchen! Da sieht es für den ORF zur Zeit nicht besonders gut aus. Beginnen wir im Parlament, denn seine Abhängigkeit von der österreichischen Politik ist der ORF nie wirklich losgeworden: Die FPÖ als derzeit stimmenstärkste Partei hasst den ORF und wenn sie könnte, würde sie ihn zerstören – wie das Fico, der kritischen Journalismus verabscheut, eben in der Slowakei gemacht hat.

Die ÖVP geht nicht so weit. Aber sie mag den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch nicht. Diese Einschätzung teilt sie mit andern konservativen Parteien, mit der CDU seit Bundeskanzler Kohl, mit den englischen Konservativen, die die BBC bekämpfen – spätestens seit Thatchers FalklandKrieg, über den die BBC im Gegensatz zu den meisten Privatmedien nicht hurrapatriotisch berichtet hat, sondern korrekt. Und dass der ORF im konservativen Volksmund zum „Rotfunk“ geworden ist, das war nicht die FPÖ, die damals unbedeutend war, das war die ÖVP, weil sie nicht ausreichend Zugriff hatte.

Mit der SPÖ verhält es sich entfernt ähnlich. Auch sie vermisst den Zugriff, den sie gern hätte. Andererseits bejaht die SPÖ grundsätzlich das öffentlich-rechtliche System, auch wenn sie anfangs unter Kreisky den „BacherRundfunk“ bekämpft hat. Hier muss darauf hingewiesen werden, dass die Gründung des ORF nach dem erfolgreichen Volksbegehren 1964 das Verdienst der ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus gewesen ist.

Bei den Neos hat man nicht den Eindruck, dass ihnen der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein Anliegen ist. Ihnen scheint der kommerzielle Rundfunk, der Geld verdient, näher zu sein als der öffentlich-rechtliche, der Geld kostet.

Bleiben die Grünen, die für den ORF eintreten. Aber die sind eine Kleinpartei, deren Stimme gegenwärtig kein besonderes Gewicht hat.

Soweit die Situation im Parlament. Allerdings hat sich das Informationsund Entertainmentsystem in den vergangenen zwei Jahrzehnten durch neue digitale Dienstleistungen und Social Media derart grundlegend geändert, dass - wie man in dem Fall zurecht sagen kann – kein Stein auf dem andern geblieben ist. Das betrifft Print genauso wie Radio und Fernsehen und gerade das mediale Konsumverhalten der jungen Generation ist für die tradierten Medien eine Katastrophe.

Das hat zur Folge, dass von diesen in ihrer Existenz selbst Bedrohten wenig Unterstützung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu erwarten ist, zumal die Zeitungen selber in Konkurrenz zum ORF stehen, weil sie eigene digitale Projekte betreiben. Das alles ändert aber nichts daran, dass die Zukunft des ORF immer noch – wie in alten Zeiten - im österreichischen Nationalrat entschieden wird.

Das heißt: Wenn es kaum Verbündete in Politik und den anderen Medien gibt, dann bleibt dem ORF immerhin noch sein Publikum, Konsumentinnen und Konsumenten mit ihren Ansprüchen. Ein Volksbegehren wie 1964 wäre allerdings sinnlos. Dazu ist der ORF zu ramponiert und zudem denken seine Gegner in der Politik auch nicht an radikale Zertrümmerung, die einen Aufstand rechtfertigen könnte. Sie denken an die etwas langsamere systematische Zerstörung, indem man den Geldhahn immer weiter zudreht. Das hätte auch schon begonnen, wäre die FPÖ im Februar 2025 nicht unfähig gewesen, ihre Chance auf das Amt des Bundeskanzlers zu nutzen. Das hat den ORF gerettet.

Und jetzt - gerade noch einmal davongekommen - sollte sich der ORF auf seine eigentliche und ursprüngliche Aufgabe besinnen: informieren, aufklären, aber auch unterhalten und sein Alleinstellungsmerkmal als öffentlich-rechtliche Anstalt betonen. Im Radio funktioniert das gut mit Ö1 und FM4. Fragt jemand, warum der ORF öffentliches Geld kriegen soll, dann ist der Kultursender Ö1 ein unschlagbares Argument. Hier, bei diesen vergleichsweise billigen Radiosendern weiter zu kürzen, wäre für den ORF sicher kontraproduktiv.

Aufklären heißt: Es gibt ausreichend wissenschaftliche Literatur, was Populismus bedeutet, über sein Demokratiemodell, das letztlich auf Zerstörung der Demokratie und autoritäres Regieren hinausläuft. Und dass damit auch Medienfreiheit und Medienvielfalt zerstört werden würde. Das alles ist nicht neu, aber es muss unmissverständlich übermittelt werden.

Wie eine Kampfansage. Damit dient der öffentlich-rechtliche Sender der Demokratie und kann so sein Überleben sichern. Das wird aber nur funktionieren, wenn de ORF ausreichend digitale Möglichkeiten hat und auch nützt, weil er einen Teil des Publikums – vor allem das junge – nur auf diesem Weg erreichen kann.

Das wird viel Phantasie erfordern, neue Formate und Präsentationsformen, und es wird auch nicht ohne Stars (männlich/weiblich) gehen, die ausreichend Interesse erzeugen oder zur Identifikation einladen. Die inszenierte Debatte über die Honorare einiger weniger Spitzenmoderatoren dient dem Neidkomplex und ist Populismus der primitivsten Art.

Gleichzeitig – das liegt auf der Hand – kann sich der ORF nicht auf Information, Reflexion und Kulturangebote zurückziehen, wie es die kommerzielle Konkurrenz zwecks Gewinnmaximierung vorgeschlagen hatte, sondern er muss, wie es sein Auftrag als öffentlich-rechtliche Anstalt ist, ein möglichst breitgefächertes Publikum mit verschiedenen Interessen und Bedürfnissen bedienen. Das war nie einfach und ist es heute noch weniger, seit die Sendanstalten – egal, ob kommerziell oder öffentlich-rechtlich – das jugendliche Publikum verlieren.

Sollte es aber doch dazu kommen, dass sich der österreichische Nationalrat entschließt, den ORF finanziell auszuhungern, und sollte der Widerstand dagegen nicht ausreichen, dann wird der ORF Schwerpunkte setzen müssen: Information, Kultur, Wissenschaft, Sport, Unterhaltung. Das wird und muss immer noch eine Menge kosten, denn – um nur ein Beispiel zu nennen – auf sein hervorragendes Netz der Auslandskorrespondent:innen sollte der ORF auf gar keinen Fall verzichten. Ein öffentlich-rechtliches System auf Schmalspur darf es nicht werden.

Denn eines ist sicher: Ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird das Land dümmer.

EIN RESILIENTER ORF FÜR EINE

WEHRHAFTE DEMOKRATIE

CHRISTIAN HASLINGER & MARIA MAYRHOFER

#AUFSTEHN #ORFRETTEN 2017

Antidemokratische Kräfte stellen aktuell eine der größten Herausforderungen für demokratische Gesellschaften dar. Eine ihrer zentralen Strategien ist es, Medien unter ihre Kontrolle zu bringen und kritischen Journalismus unmöglich zu machen. Ein großes Feindbild sind dabei öffentlich-rechtliche Medien. Der Blick ins Ungarn der 2010er-Jahre oder in die Slowakei zeigt, wie schnell ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk und das ganze Mediensystem umgebaut und gleichgeschaltet werden kann. Statt kritischem Journalismus läuft vermehrt Regierungspropaganda. Das liegt auch daran, dass, weil in Ungarn der Rundfunk über Steuern aus dem Budget finanziert wird, die Regierung praktisch über die Gelder bestimmt und sich so direkt einmischen kann. Auch in Österreich gibt es immer wieder Pläne zur Budgetfinanzierung, die die Unabhängigkeit des ORF gefährden.

Das Feindbild Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk

Die „Orbanisierung” der Medien läuft meist nach demselben Muster ab: Zuerst wird alles daran gesetzt, kritische Medien zu diffamieren – auch persönliche Angriffe auf Journalist_innen treten vermehrt auf. Mit Begriffen wie „Lügenpresse” oder „Staatsfunk” wird das Vertrauen in Medien immer weiter untergraben. Insbesondere das Vertrauen in sogenannte „klassische Medien” ist seit der COVID19-Pandemie für große Teile der Bevölkerung angekratzt. Parallel dazu werden „Alternative Medien” mit rechtspopulistischer bis rechtsextremer Schlagrichtung aufgebaut, die hunderttausende Menschen erreichen und so gezielt Verschwörungsmythen, Falschnachrichten oder ganze Desinformationskampagnen verbreiten können. In Österreich hat die FPÖ ein Netzwerk „patriotischer” Medien aufgebaut – die gegen das „System” wettern, mit dem Feindbild Öffentlich-Rechtlicher ganz oben. Nicht ohne Grund waren die Top-Werbeplätze dieser Medien im Superwahljahr 2024 monatelang mit Anzeigen für die FPÖ-Petition gegen die „Zwangsgebühr” belegt.

Spätestens seit den Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP –der ORF-Redakteursrat schrieb die „Zerstörung des ORF” habe begonnen [1] – muss sich der ORF die Frage stellen, wie er mit antidemokratischen, populistischen Kräften und ihrer medialen Breitenwirkung umgehen sollte. Immerhin stehen sie konträr zum Public Value, also dem Wert und Nutzen unabhängiger Berichterstattung im Dienste der Gesellschaft. Insbesondere

die Kategorien Vielfalt, Europa-Integration und Vertrauen sowie Wissen machen es zur Aufgabe für den ORF, sich aktiv gegen europa-, wissenschaftsoder menschenfeindliche Positionen zu stellen. Bei 2,3 Millionen täglichen Konsument_innen kommt dem ORF hier eine große Verantwortung zu.

Klare Kante gegen Verschwörungsmythen und Fake News

Gerade bei Informationssendungen müssen sich die Menschen darauf verlassen können, dass die bereitgestellten Informationen richtig und ausgewogen sind. Erstens sollen diejenigen zu Wort kommen, die richtige und faktenbasierte Information liefern. Zweitens sollen mehrere Stimmen zu Wort kommen – seien es Expert_innen, Bürger_innen oder Betroffene. Ausgewogenheit ist nicht ohne Grund eine Grundanforderung für uns Bürger_innen. Jedoch wird die Kategorie „Ausgewogenheit” ad absurdum geführt, wenn extremen Positionen oder Verschwörungsmythen gleich viel Raum gegeben wird wie wissenschaftlich fundierten Fakten – nur um „ausgewogen” zu berichten. Besonders problematisch ist das etwa bei Themen wie Klimawandel, Gesundheit oder Migration. Lädt der ORF Menschen mit extremen Positionen in Diskussionssendungen ein, können sie dort ihr Gedankengut oder Falschnachrichten ungehindert an ein großes Publikum verbreiten – und im schlimmsten Fall Menschenleben gefährden. Besonders während der COVID19-Pandemie wurde etwa die Impfung mittels Verschwörungstheorien verteufelt, worunter die Impfbereitschaft litt. Da half es oft auch nicht, solche Aussagen in Diskussionssendungen zu entkräften oder zu widerlegen. Im Gegenteil: Solche Denkmuster sind so konstruiert, dass jede Gegenargumentation als Teil der Verschwörung interpretiert wird. Hier muss der ORF eine klare Kante zeigen und sollte nicht länger extremen Positionen unter dem Deckmantel der Ausgewogenheit Platz einräumen. Das zeigte sich auch im März 2025, als der rechtsextreme Verschwörungstheoretiker Martin Rutter bei einer Podiumsdiskussion des ORF-Niederösterreich zum Thema Corona teilnehmen sollte [2]. Zwar wurde die Diskussion nach Protesten von teilnehmenden Expert_innen vom ORF abgesagt – in Zukunft sollte aber durch eine entsprechende Einladungspolitik eine derartige Situation schon im Vorhinein abgewendet werden.

Mut zur Haltung – auch im digitalen Raum

In einer Zeit, in der etwa Medienfreiheit [3], Gleichstellung [4] oder ein gemeinsames Europa [5] zunehmend in Bedrängnis geraten, muss der ORF verstärkt für seine Werte einstehen. Dafür müssen Journalist_innen frei arbeiten können und dürfen sich nicht davor scheuen, im TV, aber auch auf Social Media, Haltung zu zeigen. Das Objektivitätsgebot – also die Pflicht für Journalist_innen, Nachrichten und Berichte sorgfältig auf Wahrheit und Herkunft

zu prüfen – wird nicht verletzt, wenn sie kritisch darüber berichten, wenn wichtige demokratische Werte in Gefahr sind. Sind die Grundpfeiler unserer Demokratie bedroht, fällt dem ORF eine große demokratische Verantwortung zu. Insbesondere im digitalen Raum wird diese Aufgabe derzeit nur unzureichend erfüllt: Dort füllen Journalist_innen – wenn auch teils in privater Rolle – eine wichtige Lücke. Auch dort sollte der ORF präsent sein und seinen Sendungsauftrag dahingehend ausbauen. Denn der digitale Raum ist längst Teil unserer Öffentlichkeit.

Ewige Baustelle politische Unabhängigkeit

Zwar wurde im März 2025 das längst überfällige VfGH-Urteil umgesetzt und der Einfluss von Regierung und Kanzler auf die Gremienbesetzung begrenzt. Damit ist ein erster, kleiner Schritt getan. Mit Blick auf eine dringend notwendige und von vielen Seiten geforderte Entpolitisierung handelt es sich dabei aber nur um die Minimalvariante einer Reform. Will man der Gefahr des antidemokratischen Populismus wirklich Einhalt gebieten, müssen Politiker_innen bereit sein, ihre eigenen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf den ORF zu beschneiden. Das stärkt nicht nur die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sondern erschwert die Instrumentalisierung für politische Agenden jetzt und in Zukunft. Offen ist zum aktuellen Zeitpunkt noch, ob und wie die neue Bundesregierung die Punkte „mehr Bürgerbeteiligung”, „vielfältige Expertise”, „verstärkte Unabhängigkeit der Gremien” und „Stärkung des Publikumsrats” aus dem Regierungsprogramm [6] anlegen möchte. Einen ersten Dämpfer für diese wichtigen Vorhaben lieferte der für Medien zuständige Vizekanzler Andreas Babler, als er entgegen der weitergehenden Vorhaben im Regierungsprogramm die im März beschlossene Gremienreform als abgeschlossen und als „Entpolitisierung” bezeichnete [7]. Um den ORF in Zukunft vor politischen Angriffen abzusichern, darf es jedoch nicht bei dieser Minimalvariante bleiben. Darüber hinaus wäre es ratsam, die Unabhängigkeit sowie die Finanzierung des ORF verfassungsrechtlich zu verankern.

War schon immer so, wird immer so sein?

„War schon immer so, wird immer so sein” – so lautet das Totschlagargument, das wir als engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft, die sich für einen unabhängigen ORF einsetzen, immer und immer wieder hören. Auch 2017, als wir von #aufstehn nach zahlreichen Angriffen von Politiker_innen auf den ORF unter dem Hashtag #ORFretten eine Unterschriftenaktion starteten und eine parlamentarische Bürgerinitiative unterstützten. Das Ziel: ein ORF-Gesetz, das die Zukunftsfähigkeit, Unabhängigkeit, Überparteilichkeit und wirtschaftliche Eigenständigkeit des ORF sichert. Über 50.000 Menschen

unterzeichneten unseren Online-Appell, es gab Protestaktionen und öffentliche Diskussionen, 15.917 Menschen unterstützten die parlamentarische Bürgerinitiative. Die diskutierten Forderungen wurden nur zu einem kleinen Teil erfüllt und blieben über die Jahre aufrecht. Mit dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs 2023, der das ORF-Gesetz aufgrund von zu viel Einfluss durch die Regierung für verfassungswidrig befand und eine Reparatur entsprechender Passagen bis 2025 verlangte, tat sich ein neues „Window of Opportunity” auf.

„Scheinheilig” nannten es manche, als wir folglich von der türkis-grünen Bundesregierung mit Nachdruck jene Entpolitisierung einforderten, die der Verfassungsgerichtshof eingemahnt hatte. Ein Appell an die Regierung, die Reparatur und damit auch eine Gremienreform nicht länger aufzuschieben, verhallte. Stattdessen wurden die Angriffe und Diskreditierungskampagnen gegen den ORF aus dem rechtspopulistischen Lager immer lauter; „Weg mit der ORF-Haushaltsabgabe” wurde zu einem der Top-Slogans im Superwahljahr. Dass diese und andere Pläne, den ORF in seiner Unabhängigkeit zu beschneiden, nicht ins ORF-Gesetz Eingang gefunden haben, ist allein dem Scheitern der FPÖ-geführten Regierungsverhandlungen zuzuschreiben.

Umso wichtiger ist es, dass jetzt alles getan wird, um das Vertrauen in den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk wiederherzustellen – auch das derjenigen, die man schon an die vermeintlichen „Alternativen” verloren hat.

Die Weisheiten der gelernten Österreicher_innen – „War schon immer so, wird immer so sein” – lassen sich nur entkräften, indem man Taten setzt. Will die Regierung den ORF demokratisieren und seine Unabhängigkeit schützen, muss sie zwangsläufig ihre eigene Einflusssphäre beschneiden. Zudem braucht der ORF mehr Raum, aber auch Mut, seinen Public Value und die damit verbundenen Werte in öffentlichen Debatten und auch im digitalen Raum einzubringen.

Quellen

[1] https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20250124_OTS0019/die-zerstoerung-des-orf-beginnt

[2] https://www.profil.at/oesterreich/orf-niederoesterreich-corona-rutter-nowotny/403020744

[3] https://radiokulturhaus.orf.at/artikel/260871/Dialogforum-Medienfreiheit

[4] https://der.orf.at/unternehmen/leitbild-werte/gleichstellung/index.html

[5] https://der.orf.at/unternehmen/leitbild-werte/leitbild/index.html

[6] https://www.derstandard.at/story/3000000259130/neue-orf-gremien-sollen-schon-vor-dem-sommerzusammentreten?ref=article

[7] https://www.derstandard.at/story/3000000262367/reform-der-orf-gremien-bleibt-bei-reparatur-stehenfuer-babler-entpolitisierung

ÜBER ÜBERLEBENSSTRATEGIEN ZUR QUALITÄTSGARANTIE: DIE ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN

SENDER DER ZUKUNFT

IG

„INITIATIVE ZUR BEWAHRUNG DER UNABHÄNGIGKEIT DES ORF” 2018

Geschieht etwas zu ihren Gunsten, wie mit dem nicht mehr endend wollenden Solo-Auftritt des Parteiobmanns der FPÖ nach dem Scheitern der Regierungsverhandlungen am 12.2.2025 zur besten Sendezeit im Fernsehen in ORF 2, haben populistische Parteien mit Parteilichkeit kein Problem. Stehen Sender oder Zeitungen dafür nicht zur Verfügung, werden sie in ihrer Existenzberechtigung unter Beweisdruck gestellt.

An der Einbeziehung ihrer Standpunkte zur Erweiterung des Meinungsspektrums hat populistische Politik kein Interesse, sie tritt mit uneingeschränkten Machtansprüchen auf. Erweisen sich Medien nicht für ihre Zwecke instrumentalisierbar, sind sie für sie wertlos. Zur Dauerpräsenz verfügt die populistische Politik längst über eigene Medien und Kanäle.

Der Umgang von Populisten mit nicht zu ihrem Einflussbereich zählenden Medien sieht nirgendwo anders aus. Medienvertreter unabhängiger Zeitungen und Sender gehören aus ihrer Sicht der „Lügenpresse“ an, Recherchen über sie sind für sie „Bespitzelungen“.

Die Gegenprobe, wie es die populistischen Kritiker der öffentlich-rechtlichen Sender in den eigenen Medien mit der Ausgewogenheit, Vielfalt und Objektivität halten, führt zu folgendem Ergebnis: Medien, die von Gegnern öffentlich-rechtlicher Sender betrieben werden, haben ausnahmslos Einseitigkeit zum Prinzip und sie lassen, genauso wie die Programmangebote kommerzieller privater Anbieter, Sendeanteile mit Kunst-, Kultur- und Bildungsprogrammen und kritische Berichterstattungen über Themen im eigenen Interessenbereich einfach aus. Die privaten Anbieter sind entschuldigt, sie müssen das Geld für ihre Programme weitestgehend selbst verdienen, die Betreiber von Parteimedien sind es nicht. Sie werden, gleich den öffentlich-rechtlichen Medien, zumindest zum Teil auch aus ihnen gesetzlich zugestandenen Mitteln finanziert, in diesem Fall nicht aus einem Gebührenrecht, sondern aus der staatlichen Parteienförderung.

Populistische Parteien und ihre Medien verfügen aber vor allem deshalb über keine Kunst-, Kultur- und Bildungsprogramme, weil Bildung für sie keine Notwendigkeit darstellt und Kunst und Kultur ebenso wie die öffent-

lich-rechtlichen Medien zu ihren Feindbildern zählen. Das gilt auch für Medien im Printbereich, insbesondere für Qualitätsmedien, die sich bei Kritik ebenfalls sofort mit Abschaffungsandrohungen konfrontiert sehen.

Warum es zu diesem für rechte Parteien vielversprechenden anderen Umgang mit öffentlich-rechtlichen Sendern und unabhängigen Zeitungen bei gleichzeitiger Rückkehr zu Parteimedien überhaupt kommen konnte, hat vor allem mit den geänderten Rezeptionsvoraussetzungen zu tun. Die Bezugs- und Distributionswege haben sich in den letzten Jahren grundlegend geändert, niemand ist mehr darauf angewiesen, zeit- oder ortsgebunden Programme zu empfangen. Niemand ist dazu gezwungen, nur noch Medienkonsument zu sein oder dafür etwas zu zahlen, jeder und jede kann sich sogar noch mit unmittelbaren feststellbaren Auswirkungen selbst zum oder zur am Mediengeschehen in Netzwerken Beteiligten machen. Das hat den Aufstieg populistisch ausgerichteter Medien und Plattformen stark begünstigt und, zumindest vorübergehend, den Markt der konventionellen Medien unter Druck und mehr noch auf den Punkt gebracht: Es kommt auf die Inhalte an. Dabei haben öffentlich-rechtliche Medien, wenn es um das gesamte Spektrum angebotener Programme geht, einen unbestreitbaren Vorteil, sie haben die Aufgabe und können sich diese Aufgabe auch leisten, einem Informations-, Bildungs- und Kulturauftrag nachzukommen, sie sind also im Bildungs- und Kulturbereich konkurrenzlose Marktführer und im Informationsbereich diejenigen Einrichtungen, die höchste Qualitätsstandards garantieren können. Wird das im Informationsbereich einmal nicht eingelöst, setzt sofort wieder die Diskussion über ihre Existenzberechtigung und vor allem über ihre Gebührenfinanzierung ein.

Die Hinterfragung der Rundfunkfinanzierung ist nicht ganz neu, sie war auch schon früher eine ständige Begleiterin im Kräfteringen zwischen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und privatwirtschaftlichen Anbietern. Neu an der Hinterfragung ist, dass sie von rechtspopulistischer Seite aus zum Dauerthema auf Parteiveranstaltungen, in Wahlkämpfen und Parteiprogrammen gemacht worden ist. Vorgeblich bekämpft wird dabei die „Ungerechtigkeit“ der Gebührenpflicht für „Nichtnutzer“ (gemeint per TV- und/oder Radio-Empfang) und die „Belastung“ durch die Gebührenzahlungen bei allen anderen. Ziel ist es, die öffentlich-rechtlichen Programme bei Regierungsbeteiligung unter die direkte Regierungskontrolle zu bringen. Bereits zweimal scheiterte dieser Zugriff in Österreich auf den ORF kurz vor der Umsetzung, 2019 durch das Platzen der Regierung Kurz-Strache und 2025 mit dem Nichtzustandekommen der Regierung Kickl-Stocker. Beide Male hatten sich zuvor Plattformen gebildet, die sich breitenwirksam auf die Seite des ORF stellten. Was beide Plattformen nicht verhindern konnten, war und ist, genauso wie in Deutschland, das

Einfrieren der Gebühren für die öffentlich-rechtlichen Sender auf mehrere Jahre hinaus. Es stehen dem ORF dennoch andere Ausgangsvoraussetzungen und Möglichkeiten zur Verfügung als sie sich in den letzten Jahren abgezeichnet haben. Vor allem im Vergleich mit solchen Entwicklungen und Verhältnissen wie denen des slowakischen oder des ungarischen Regierungsrundfunks oder des russischen Staatsfernsehens oder des sozialen Netzwerk-Medien-Imperiums von Donald Trump und Elon Musk.

Der ORF hat eine historische Chance zu einem Erneuerungsschub in der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung, der ihn nicht mehr „alt aussehen“ lässt und als parteiisch darstellen kann, nicht, indem er zu Beschwichtigungslösungen mit mehr Einbindung von Rechtpopulisten greift, sondern indem er sich der nicht mehr gesicherten Plausibilität seiner Existenznotwendigkeit stellt. Voraussetzung dazu ist: Die eigenständige Finanzierung des ORF muss beibehalten bleiben, das Ausmaß der bisherigen Finanzierung darf nicht verringert werden, die Unabhängigkeit des ORF und die Unvereinbarkeit von Funktionen bei anderen Sendern und in ORF-Gremien müssen garantiert sein.

Er darf also auch nicht von innen heraus zerstört werden können. Wie und wodurch kann ein auf diese und jede andere denkbare Weise neu positionierter ORF überzeugen? Generell durch ein gut abgestimmtes Angebot an fix programmierten Sendungen und abrufbaren Angeboten. Im einzelnen mit einer besseren Durchdringung des ORF mit kulturellen Angeboten und Ereignissen von außerhalb sowie mit einer besseren Durchdringung der kulturellen Angebote und Ereignisse über seine Programmarbeit hinaus. Es muss sowohl die Präsenz der Kunst, Kultur und Bildung im ORF deutlicher zum Vorschein kommen, als auch der ORF im Kulturleben und Bildungswesen verstärkt in Erscheinung treten. Er muss seine Startvorteile nutzen, will er nicht von einer ihn an die Kandare nehmenden Politik an die Wand gedrückt und von einer um Marktanteile kämpfenden Medienkonkurrenz an die Wand gespielt werden. Die größten Garantien für seine Unabhängigkeit und Überlebensfähigkeit bestehen darin, dass er sich für das österreichische Kulturleben und ein allgemeines Publikum so unentbehrlich macht, dass er nur mit Selbstbeschädigungsabsicht Österreichs zu einer Randerscheinung gemacht oder überhaupt abgeschafft werden könnte.

Ohne eine Medienpolitik, der die unverzichtbare Rolle der öffentlichrechtlichen Programme und der Qualitätsmedien bewusst ist, werden aber weder der ORF noch die Qualitätsmedien die Rollen einnehmen können, die für die Aufrechterhaltung demokratischer Medienverhältnisse und für eine auf verlässliche Information und größtmögliche Vielfalt an Meinun-

gen und Angeboten aufbauende Gesellschaft notwendig ist. Wenn nicht, werden auch in den Ländern in denen heute öffentlich-rechtliche Medien und Qualitätszeitungen das Zentrum darstellen, um die alle anderen Medien herum kreisen, im Vergangenheitsmodell eines russischen Staatsfernsehens oder im Zukunftsmodell einer Netzwerkmedienwelt nach amerikanischem Vorbild enden.

Es ist falsch und geht auf Kosten der Programmqualität, wenn Gebühren oder Abgaben für öffentlich-rechtliche Programme über gesamte Legislaturperioden hinweg eingefroren werden, nur weil die Angst vor dem Populismus umgeht, es ist falsch, wenn öffentlich-rechtliche Medien bei jedem Thema und in jedem Bereich Rechtspopulisten selbst dort mitreden lassen, wo es weder die Berechtigung durch eine Funktion noch durch entsprechende Sachkenntnisse gibt, was zwangsläufig auf das Niveau und die Qualität von Sendungen drückt, und es ist falsch zu glauben, dass dadurch Frieden mit dem Rechtspopulismus geschlossen werden kann, es wird ihn immer nur zu einem nächsten Schritt ermutigen.

Die öffentlich-rechtlichen Sender werden um die Auseinandersetzungen über ihre Existenzberechtigung nicht herumkommen, wie sie sich von privaten Anbietern und von Parteimedien unterscheiden wollen, und sie werden insbesondere überzeugend darstellen müssen, worin sie sich in ihren Programmangeboten von anderen Angeboten so abheben, dass sie von einem Publikum gerne gesucht und gehört und gesehen werden, das sein Geld nicht nur für alle möglichen Plattformangebote, sondern auch für das öffentlich-rechtliche Programm des ORF ausgeben möchte. Ein wenig Kommunikationsberatung wäre in diesem Zusammenhang vielleicht nicht schlecht, ob es wirklich „Zahlungsaufforderung zum ORF-Beitrag“ heißen muss und nicht einfach auch nur „Rechnung“ heißen kann, wenn man den Zahlschein mit dem ORF-Beitrag erhält.

Bei Kulturprogrammen zu sparen, wie das zuletzt auch bei den deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern der Fall war, wird die öffentlich-rechtlichen Medien jedenfalls nicht retten, ganz im Gegenteil werden dadurch ihren Gegnern noch mehr Argumente geliefert, warum sie eigentlich nicht mehr benötigt werden oder unter Staatsaufsicht, wie das mit einer Budgetfinanzierung beabsichtigt ist, gestellt werden müssen. Der ORF, seine zahlreichen Mitwirkenden und das Publikum, die Bildung, Kunst und Kultur und die Meinungsfreiheit, Medienvielfalt und Demokratie haben sich eine andere als eine solche Medienzukunft verdient.

ÖFFENTLICH-RECHTLICHE MEDIEN IN ZEITEN POPULISTISCHER ANGRIFFE –ERFAHRUNGEN AUS

#UNSERORF UND „ORF 2032”

FORUM INFORMATIONSFREIHEIT, WWW� UNSER-ORF� AT 2025

Die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unter Druck

In vielen Demokratien stehen öffentlich-rechtliche Medien unter zunehmendem Druck. Politische Einflussnahme auf Berichterstattung, Budgetkürzungen und Versuche, Redaktionen auf Parteilinie zu bringen, sind längst keine Einzelfälle mehr. Von Ungarn über Großbritannien bis in die USA werden Medienhäuser durch strukturelle Eingriffe geschwächt oder gar zu Regierungssprachrohren umgebaut. Die Entwicklung zeigt: Eine unabhängige Medienlandschaft ist keine Selbstverständlichkeit –sie muss aktiv verteidigt und weiterentwickelt werden.

Auch in Österreich gab es zuletzt Versuche, den ORF finanziell und strukturell so umzugestalten, dass seine politische Unabhängigkeit gefährdet gewesen wäre. Die gescheiterten Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP haben eine unmittelbare Zerschlagung zwar verhindert, doch der strukturelle Einfluss der Politik bleibt bestehen. Die Versuchung, den ORF für parteipolitische Zwecke zu nutzen, ist in verschiedenen Lagern vorhanden – ob durch direkte Einflussnahme auf Redaktionen oder durch Veränderungen in der Governance-Struktur.

Vor diesem Hintergrund stellt sich eine zentrale Frage: Wie können öffentlich-rechtliche Medien auf populistische Angriffe reagieren und sich selbst nachhaltig stärken? Die Antwort darauf kann nicht nur in der Verteidigung gegen politische Eingriffe bestehen – vielmehr braucht es eine positive Vision für einen starken, unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der aus sich selbst heraus widerstandsfähig ist.

Dieser Artikel beleuchtet anhand der Erfahrungen aus #unserORF/www. unser-orf.at und „ORF 2032“, wie zivilgesellschaftliche Beteiligung genutzt werden kann, um öffentlich-rechtliche Medien zu schützen, zu reformieren und langfristig zukunftsfähig zu gestalten.

#unserORF – Eine zivilgesellschaftliche Initiative als Antwort auf politische Einflussnahme

Als im Jänner 2025 die Regierungsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP

immer konkretere Pläne zur finanziellen Aushöhlung und strukturellen Schwächung des ORF enthüllten, wurde klar: Die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stand akut auf dem Spiel. Diese Bedrohung war der Auslöser für die zivilgesellschaftliche Initiative #unserORF, die binnen kürzester Zeit eine breite Mobilisierung in Gang setzte. Ziel war es, ein starkes Zeichen für einen unabhängigen ORF zu setzen – nicht als parteipolitisches Instrument, sondern als gemeinwohlorientierte Institution. Besonders Künstler:innen spielten dabei eine Schlüsselrolle: Zahlreiche bekannte Persönlichkeiten – darunter Adele Neuhauser, Florian Scheuba, Ursula Strauss und André Heller – stellten sich öffentlich hinter die Initiative und signalisierten mit ihren Statements, dass es um weit mehr als nur den ORF selbst ging: Es ging um die mediale Grundversorgung in einer Demokratie.

Die Resonanz war enorm: Innerhalb weniger Wochen unterzeichneten über 42.000 Menschen die Petition, mehr als 13.500 Mails wurden über unser-orf.at direkt an politische Entscheidungsträger:innen gesendet. Unterstützt von über 70 Organisationen – von Kulturinstitutionen über zivilgesellschaftliche Initiativen bis hin zu Medienexpert:innen – entwickelte sich #unserORF zu einem sichtbaren gesellschaftlichen Gegengewicht gegen Versuche der politischen Einflussnahme.

Doch #unserORF war mehr als nur ein Protest. Es wurde rasch klar, dass es nicht ausreichen würde, nur gegen drohende Einschnitte zu kämpfen. Der Diskurs musste weitergedacht werden: Wie kann der ORF langfristig gestärkt werden? Welche Reformen sind nötig, um seine Unabhängigkeit strukturell zu sichern? Diese Fragen führten zur nächsten Phase der Initiative: „ORF 2032“, einem offenen Beteiligungsprozess zur Zukunft des ORF.

“ORF 2032”: Von der Verteidigung zur Gestaltung der Zukunft

Die Erfahrung mit #unserORF hat gezeigt, dass Protest allein nicht ausreicht, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk langfristig zu sichern. Zwar konnte durch die breite öffentliche Unterstützung kurzfristig politischer Druck aufgebaut werden, doch die strukturellen Probleme – politische Einflussnahme, Finanzierungssicherheit und die Notwendigkeit von Reformen – blieben bestehen.

Deshalb war der nächste logische Schritt, den Fokus von der reinen Verteidigung auf die aktive Gestaltung der Zukunft zu lenken. Mit „ORF 2032“ wurde eine offene Partizipationsplattform ins Leben gerufen, auf der Bürger:innen, Medienexpert:innen und Kulturschaffende gemein-

sam überlegen, wie ein unabhängiger, gemeinwohlorientierter ORF im Jahr 2032 aussehen soll und welche Reformen es dafür braucht.

Warum Partizipation entscheidend ist

Statt hinter verschlossenen Türen über Reformen zu diskutieren, setzt ORF 2032 auf einen breiten, demokratischen Ansatz: Die Nutzer:innen selbst gestalten die Zukunftsvision für den ORF mit. Dieser Prozess basiert auf dem Prinzip, dass die Menschen, die ein öffentlich-rechtliches Medium finanzieren und konsumieren, auch eine Stimme in seiner Weiterentwicklung haben sollten.

Bereits nach wenigen Tagen hatten sich über 270 Teilnehmer:innen registriert und 70 konkrete Beiträge eingebracht. Die Diskussion (die noch bis 31.3. läuft) zeigt deutlich: Die Teilnehmenden wünschen sich einen ORF, der unabhängiger von politischer Einflussnahme, transparenter in seiner Finanzierung und Entscheidungsstruktur und stärker in seiner Vermittlung des öffentlich-rechtlichen Auftrags wird.

Zentrale Reformthemen, die bisher diskutiert wurden, umfassen:

• Politische Unabhängigkeit: Neue Modelle für die Bestellung der ORFGremien, um Parteieneinfluss zu reduzieren.

• Finanzierungsmodelle: Wie kann eine stabile Finanzierung sichergestellt werden, die nicht von kurzfristigen politischen Mehrheiten abhängt?

• Programmentwicklung: Mehr Vielfalt in der Berichterstattung, bessere Repräsentation aller gesellschaftlichen Gruppen und stärkere Kulturförderung.

• Transparenz: Klare und regelmäßige Berichterstattung über Einnahmen, Ausgaben und Entscheidungsprozesse des ORF.

Dieser breite Beteiligungsprozess läuft noch bis Ende März 2025 und bildet die Grundlage für den nächsten Schritt: Einen Multi-Stakeholder-Dialog, in dem Expert:innen aus Journalismus, Wissenschaft, Kultur und Zivilgesellschaft konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der gesammelten Ideen entwickeln. Damit könnte ORF 2032 nicht nur ein Modell für die Zukunft des ORF sein, sondern auch ein Beispiel für eine neue Kultur der demokratischen Mediengestaltung.

Transparenz als Schutz vor Einflussnahme und Vertrauensverlust Populistische Bewegungen greifen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oft mit einfachen, aber wirksamen Narrativen an: Der ORF werde als „Staatsfunk“ gesteuert, betreibe „linke Propaganda“ und sei von „Günst-

lingswirtschaft“ durchzogen. Solche Behauptungen sind nicht nur in Österreich verbreitet – sie gehören in vielen Ländern zum Standardrepertoire antidemokratischer Kräfte. Ziel dieser Rhetorik ist es, das Vertrauen in unabhängige Medien zu untergraben und sie durch parteinahe oder wirtschaftlich abhängige Alternativen zu ersetzen.

Warum Transparenz das beste Gegenmittel ist

Eine der wirksamsten Methoden, um solchen Angriffen den Boden zu entziehen, ist maximale Transparenz. Wenn alle relevanten Informationen – von Budgets über Gehälter bis hin zu Programmentscheidungen –offen zugänglich sind, können Mythen und Falschinformationen leichter entkräftet werden. Gerade weil der ORF von allen Haushalten mitfinanziert wird, haben Bürger:innen ein berechtigtes Interesse daran, genau zu wissen, wofür ihr Beitrag verwendet wird und wie Entscheidungen getroffen werden.

Die Einführung von Open Data-Prinzipien könnte hier ein entscheidender Schritt sein. Statt nur einmal im Jahr Finanzberichte zu veröffentlichen, könnte der ORF laufend Echtzeit-Einblicke in Budgets, Programminvestitionen und Entscheidungsprozesse geben. Denkbar wäre etwa:

• Detaillierte Budgets mit interaktiven Dashboards, die öffentlich zugänglich sind.

• Offene Entscheidungsprotokolle der Gremien, um nachvollziehbar zu machen, welche Argumente zu bestimmten Maßnahmen geführt haben.

• Veröffentlichung von Gehaltsstrukturen – nicht als individuelle Gehälter, sondern als transparente Übersicht nach Tätigkeitsfeldern.

Best Practices: Wie andere Länder es machen Verschiedene öffentlich-rechtliche Medien in Europa haben bereits erkannt, dass Transparenz ein zentraler Faktor für Vertrauen ist.

• Großbritannien (BBC): Die BBC veröffentlicht detaillierte Berichte über Gehälter und Produktionskosten. Zudem gibt es eine unabhängige Regulierungsbehörde (Ofcom), die regelmäßig die Unabhängigkeit und Qualität des Programms überprüft.

• Skandinavien: Öffentlich-rechtliche Sender wie NRK (Norwegen) und SVT (Schweden) setzen auf transparente Prozesse bei der Programmauswahl und bieten detaillierte öffentliche Berichte über die Verteilung von Produktionsbudgets.

• Deutschland (ARD/ZDF): Nach öffentlicher Kritik an Gehältern und Strukturen hat die ARD eine Transparenz-Offensive gestartet, die detaillierte Angaben zu Mittelverwendung und Gremienarbeit umfasst.

• Die Einführung ähnlicher Modelle beim ORF könnte dazu beitragen,

Misstrauen in der Bevölkerung zu reduzieren und populistischen Angriffen die Grundlage zu entziehen. Gerade in Zeiten politischer Unsicherheit kann maximale Transparenz ein wichtiger Schutzschild für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein – nicht nur gegen externe Angriffe, sondern auch als Maßnahme zur internen Qualitätssicherung.

Vom Zielbild zur Umsetzung: Ein erprobter Prozess für Reformen

Die Debatte über den ORF ist oft von kurzfristigen politischen Interessen geprägt – sei es durch Angriffe auf seine Unabhängigkeit oder durch reflexhafte Verteidigung bestehender Strukturen. Doch wenn der ORF langfristig zukunftsfähig bleiben soll, braucht es einen strukturierten, breiten und sachlichen Reformprozess, der über parteipolitische Agenden hinausgeht.

Ein erfolgversprechendes Modell für eine solche Transformation bietet der Multi-Stakeholder-Ansatz, der sich bereits in anderen Bereichen bewährt hat – etwa im Rahmen von mehrgrips.at, wo in einem strukturierten Verfahren eine langfristige Vision für Digitalpolitik in Österreich entwickelt wurde.

Warum ein Multi-Stakeholder-Ansatz?

Reformen im Medienbereich betreffen eine Vielzahl von Akteuren:

• Bürger:innen, die sich als Seher:innen und Gebührenzahler:innen einbringen können.

• Journalist:innen und Medienschaffende, die den öffentlich-rechtlichen Auftrag umsetzen.

• Kultur- und Kreativschaffende, deren Arbeit vom ORF maßgeblich unterstützt wird.

• Medienwissenschaftler:innen, die analysieren, wie sich ein unabhängiger Rundfunk in einer digitalen Medienwelt positionieren sollte.

• Politische Entscheidungsträger:innen, die Rahmenbedingungen setzen, ohne inhaltliche Kontrolle auszuüben.

Statt Einzelinteressen oder parteipolitische Zugänge gegeneinander auszuspielen, ermöglicht ein partizipativer Reformprozess die Entwicklung eines breiten Konsenses darüber, welche Rolle der ORF in zehn oder zwanzig Jahren spielen soll.

Stufenweise Transformation: Vom Zielbild zu Maßnahmen Basierend auf den Erfahrungen aus mehrgrips.at könnte ein Reformprozess für den ORF in folgenden Schritten verlaufen:

1. Erarbeitung eines positiven Zielbilds

• Wie soll ein unabhängiger ORF im Jahr 2032 aussehen?

• Welche Prinzipien und Werte sollen seine Arbeit bestimmen?

• Welche Funktionen muss er in einer sich verändernden Medienlandschaft erfüllen?

2. Ableitung konkreter Maßnahmen

• Welche strukturellen Änderungen sind notwendig, um das Zielbild zu erreichen?

• Wie kann eine nachhaltige Finanzierung ohne politische Einflussnahme sichergestellt werden?

• Welche Governance-Mechanismen braucht es, um langfristig unabhängigen Journalismus zu garantieren?

3. Implementierung mit breiter Rückkoppelung

• Einbindung von Expert:innen und Zivilgesellschaft in die Umsetzungsphase.

• Regelmäßige Evaluierung, um sicherzustellen, dass Reformmaßnahmen tatsächlich zur gewünschten Unabhängigkeit und Qualität beitragen.

Übertragbarkeit auf den ORF und andere öffentlich-rechtliche Medien Dieser partizipative Ansatz könnte auch in anderen Ländern als Modell dienen. Öffentlich-rechtliche Medien stehen international vor ähnlichen Herausforderungen:

• Politische Einflussnahme auf Strukturen und Inhalte

• Kritik an Finanzierungsmodellen und fehlender Transparenz

• Konkurrenz durch private Medienanbieter und digitale Plattformen

Indem Reformen nicht nur reaktiv als Antwort auf politische Krisen diskutiert werden, sondern vorausschauend und partizipativ entwickelt werden, kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk nachhaltig gestärkt werden.

Der Erfolg von „ORF 2032“ könnte damit über Österreich hinaus Signalwirkung haben – als Modell, wie eine breite demokratische Debatte über die Zukunft der Medienlandschaft geführt werden kann.

Fazit: Demokratische Medien brauchen demokratische Prozesse Die Angriffe auf den ORF und andere öffentlich-rechtliche Medien in Europa zeigen, dass unabhängiger Journalismus nicht selbstverständlich ist. Antidemokratischer Populismus lebt davon, Institutionen zu delegitimieren, Fakten durch Meinungen zu ersetzen und den öffentlichen

Diskurs zu polarisieren. In diesem Kontext sind öffentlich-rechtliche Medien nicht Teil des Problems, sondern eine entscheidende Säule der Lösung – sofern sie sich selbst konsequent an demokratischen Prinzipien ausrichten und reformbereit sind.

Öffentlich-rechtliche Medien als Antwort auf Populismus

Populistische Akteure nutzen gezielt Desinformation und Misstrauen gegenüber etablierten Medien, um eigene Narrative zu stärken. Ein unabhängiger, starker und transparenter ORF kann dem entgegenwirken, indem er:

• Objektiven Journalismus bietet, der auf Fakten basiert und nicht parteipolitischen Agenden folgt.

• Breite gesellschaftliche Perspektiven abbildet, um Polarisierung entgegenzuwirken.

• Bildungs- und Kulturaufträge wahrnimmt, die nicht primär auf Einschaltquoten, sondern auf gesellschaftlichen Mehrwert ausgerichtet sind.

Doch diese Rolle kann der ORF nur dann ausfüllen, wenn er von der Bevölkerung als glaubwürdig und unabhängig wahrgenommen wird – und hier liegt eine zentrale Herausforderung.

Die Bedeutung von Beteiligung: Lehren aus #unserORF und ORF 2032 Eines der deutlichsten Learnings aus #unserORF und dem Beteiligungsprozess „ORF 2032“ ist, dass es eine große Bereitschaft in der Bevölkerung gibt, sich aktiv in die Gestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einzubringen.

• Mehr als 42.000 Menschen haben die Petition von #unserORF unterschrieben.

• Über 13.500 E-Mails wurden direkt an politische Entscheidungsträger:innen geschickt.

• Mehr als 240 Personen haben sich innerhalb weniger Tage auf der Plattform „ORF 2032“ registriert, um über die Zukunft des ORF zu diskutieren.

Diese Zahlen zeigen: Das Bedürfnis nach unabhängigen, gemeinwohlorientierten Medien ist da – aber auch das Bedürfnis nach Mitsprache. Die Politik sollte diese Signale ernst nehmen. Öffentlich-rechtliche Medien können nur dann langfristig unabhängig bleiben, wenn auch ihre Strukturen demokratischer und transparenter werden. Die Zivilgesellschaft hat hier eindrucksvoll bewiesen, dass sie nicht nur bereit ist, gegen Einflussnahme zu protestieren, sondern auch aktiv an Lösungen mitzuarbeiten.

Wie geht es weiter mit ORF 2032 und vergleichbaren Initiativen?

Der Beteiligungsprozess „ORF 2032“ ist erst der Anfang. Die bisherigen Diskussionen liefern wertvolle Erkenntnisse darüber, welche Reformmaßnahmen notwendig sind – jetzt geht es darum, diese Debatte weiterzuführen und konkrete Schritte abzuleiten.

Dazu gehören:

• Die Weiterentwicklung der Ergebnisse in einem Multi-StakeholderDialog, in dem Expert:innen aus Medien, Wissenschaft, Kultur und Zivilgesellschaft ein langfristiges Reformkonzept erarbeiten.

• Die politische Einbringung der erarbeiteten Vorschläge, damit nicht nur minimal notwendige Reparaturen am ORF-Gesetz erfolgen, sondern eine echte Weichenstellung für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

• Die Übertragbarkeit auf andere Länder: Der Prozess, der hier in Österreich gestartet wurde, könnte als Vorbild für ähnliche partizipative Medienreformen in anderen europäischen Staaten dienen.

Ein unabhängiger ORF ist keine Selbstverständlichkeit – sondern eine bewusste gesellschaftliche Entscheidung. Die Frage ist nicht nur, wie der ORF gegen politische Einflussnahme verteidigt wird, sondern wie er zukunftsfähig gemacht werden kann.

Demokratische Medien brauchen demokratische Prozesse. Wenn #unserORF und „ORF 2032“ eines gezeigt haben, dann, dass die Bevölkerung bereit ist, sich einzubringen. Jetzt liegt es an Politik, Medien und Zivilgesellschaft, diese Beteiligung ernst zu nehmen – und gemeinsam die Weichen für die Zukunft eines unabhängigen, gemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu stellen.

PUBLIC VALUE STUDIE

Die Rolle öffentlich-rechtlicher Medien im Internet

Victor Mayer-Schönberger (Oxford University)

Die volkswirtschaftlichen Effekte des ORFFernsehens

Matthias Firgo, Oliver Fritz (WIFO), Gerhard Streicher (Joanneum Research)

Unterhaltung als öffentlich-rechtlicher Auftrag

Gabriele Siegert, M. Bjorn von Rimscha, Christoph Sommer (Universität Zürich)

Public Network Value

Thomas Steinmaurer, Corinna Wenzel (Universität Salzburg)

Generation What

Mag. Daniel Schönherr, SORA

Public Social Value

u. a. Univ.-Prof.in Dr.in Sonja Kretzschmar (Universität München)

Prof. Graham Murdock (Loughborough University)

Univ.Prof. Dr. Jens Lucht, Univ.Prof. Dr. Mark Eisenegger (Universität Zürich)

Der Auftrag: Bildung im digitalen Zeitalter

u. a. Prof. Dr. Hartmut Rosa, Universität Jena

Dr.in Maren Beaufort, ÖAW

Univ.-Prof.in Dr.in Katharine Sarikakis, Universität Wien

Prof. Dr. Bernhard Pörksen, Universität Tübingen

Der Auftrag: Demokratie

u. a. von Prof. Dr. Bernd Holznagel (Universität Münster)

Univ.-Prof. Dr. Christian Fuchs (University of Westminster)

Univ.-Prof. Dr. Stephen Cushion (Cardiff University)

PUBLIC VALUE DOKUMENTE

Gesetze und Regulative | Expert/innengespräch Kultur, Religion I Qualitätsprofile Fernsehen/Info | Fernsehen/Wissenschaft-Bildung-Service-Lebenshilfe | Radioprogramme | Fernsehen/Sport | Fernsehen/Unterhaltung

PUBLIC VALUE TEXTE

Quelle vertrauenswürdiger Informationen

Univ.-Prof. Dr. Dieter Segert, Texte 1

Medien-Unterhaltung als Service Public

Univ.-Prof. em. Dr. Louis Bosshart, Texte 12

Das Naserümpfen der Eliten

Mag. a Dr. in Karin Pühringer, Texte 11

Die komplexe Welt erklären

Dir. Uwe Kammann, Texte 4

Kultur im Fernsehen

Univ.-Prof. Dr. Hannes Haas, Texte 10

Nur was wirkt, hat Wert

Dir. Prof. Dr. Helmut Scherer, Texte 5

Österreichwert oder mehr Wert

Dr. Georg Spitaler, Texte 11

Welche Diversität für welchen Public Value?

Mag. a Dr. in Petra Herczeg, Texte 7

Zum Systemrisiko der Demokratie

Univ.-Prof. Dr. Kurt Imhof, Texte 3

Zwischen Auftrag und Kommerzialisierung

Univ.-Prof. Dr. Minas Dimitriou, Texte 11

Identität und Medien

Univ.-Prof. Dr. Karl Vocelka, Texte 3

Public Value

DDr. in Julia Wippersberg, Texte 2

Public Value als Wertschöpfungsbegriff?

Univ.-Prof. Mag. DDr. Matthias Karmasin, Texte 6

Channelling diversity

Univ.-Prof. in Dr. in Gunilla Hultén, Texte 13

Crisis or dismantlement?

Univ.-Prof. in Dr. in Isabel Fernández-Alonso und Dr. Marc Espin, Texte 13

Den öffentlichen Rundfunk entfesseln

Dr. Vinzenz Wyss, Texte 13

Eurovision and the „new” Europe

Univ.-Prof. in Dr. in Karen Fricker, Texte 14

Pluralism and public service media

Petros Iosifidis, Texte 13

The four horsemen of the post-broadcast era

Univ.-Prof. Dr.Marko Ala-Fossi, Texte 13

We are all Greeks

Univ.-Prof. in Dr. in Katharine Sarikakis, Texte 9

Auf dem Weg zum Publikum

Dr. Florian Oberhuber, Texte 8

Die Zukunft des Fernsehens

Dr. Alexander Wrabetz, Texte 8

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