Eine vernünftige Ehegestaltung
und Ehereform muss jedenfalls in gleicher Weise die Eheschließung und Eheführung wie die Ehetrennung und Ehescheidung ins Auge fassen, vor allem aber muss sie in allen diesen Punkten die Gleichberechtigung und Gleichstellung beider Geschlechter zum Ausgangspunkt und Mittelpunkt aller ihrer Bestrebungen nehmen. Mögen die Religionen, welche den Gedanken der Nächstenliebe an die Spitze ihrer Gebote setzen, noch so viele Erklärungs- und Entschuldigungsgründe für die Stellung anführen, die sie dem Weibe innerhalb der Ehe als „Untertanin“ des Mannes anwiesen — die unbestreitbare Tatsache, dass sie diese Erniedrigung des Weibes viele Jahrhunderte hindurch duldeten und guthießen, die gewohnheitsmäßige Selbstverständlichkeit, mit der die Frau in der Ehe vom Manne der Freiheit beraubt, als Spielzeug und Werkzeug, als Haustier und Lasttier gemissbraucht wurde, wird einst als unauslöschlicher Makel am Judentum, Christentum, Buddhismus und Mohammedanismus kleben bleiben. Magnus Hirschfeld: Geschlechtskunde
10