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/ TdZ September 2018 /
Worte und Gesten – „Eine Partie Dame“ ist Jelinek light, hier die Schriftstellerin in einem Wiener Café. Foto dpa
schen Genres oszilliert, sie fühlt sich offensichtlich wohl in dem Spiel von Ironie und Klischee. Sie nimmt das Drehbuch als eine Form des Erzählens, und es wird viel über Blicke und Gesten kommuniziert, auch in Posen. Auch wenn Boldt und Wietz mit verschiedenen TV-Sendern verhandelten, Jelinek hatte immer einen großen Kinofilm im Sinn. Was Andzrej anging, dachte sie an John Cassavetes oder Ben Gazzara, zwei Schauspieler mit einem Method-Acting-Hintergrund. Als Cassavetes und Gazzara außer Frage waren, wollten es die Produzenten mit Serge Gainsbourg versuchen. „Er ist die einzige Figur, die sich vollkommen locker und selbstverständlich bewegt, und das haben die Deutschen noch nie gekonnt, das kann selbst ein drittklassiger Ami noch besser“, so Jelinek.
Wurschtigkeit und Düsternis
mancher TV-Redakteur war interessiert, aber
Ein polnischer Jid, sagt Andzrej von
nicht genug. Vielleicht war man mehr interes-
sich selbst, „eine fast ausgestorbene Rasse,
Andzrejs Lokal im 1. Bezirk von Wien ist der
siert, damals, Anfang der Achtziger, am jun-
wenn auch nicht ganz freiwillig ausgestor-
Mittelpunkt dieser Geschichte „Eine Partie
gen deutschen Film mit politischer Botschaft,
ben“. Und Jelinek fügt gleich an, für den Ton-
Dame“, die Elfriede Jelinek als Drehbuch ge-
etwa „Die bleierne Zeit“ von Margarethe von
fall dieses Satzes, in Klammern: „leichthin,
schrieben hat, Anfang der Achtziger. Der Mit-
Trotta. Im Archiv der Produktionsgesellschaft
ohne Schwere!“. In einem Interview nach
telpunkt der Stadt. Andzrej Weintraub, „ein
dem Nobelpreis sagte sie: „Meine Lebenstra-
polnischer Jid“, mittleres Alter, Einzelgänger,
gödie ist, dass man in Deutschland die Juden
selbstbewusst, umgänglich, großzügig, stellt
ausgerottet hat und es dieses jüdische Bio-
sich auch mal an den Herd. Ein kommunistischer Idealist, der elektronische Produkte an die DDR verkauft. Manchmal kann er auch sehr brutal sein. Andzrejs Lokal ist der Treffpunkt der Wiener Migranten, Reste des habsburgischen Vielvölkerstaats, Tschechen, Polen, Franzosen, alte Spanienkämpfer. Und Huren, einige
Elfriede Jelinek: Eine Partie Dame. Hg. von Wolfgang Jacobsen und Helmut Wietz. Verbrecher Verlag, Berlin 2018, 189 Seiten, 15 EUR.
top, diesen Witz, den ich von meinem Vater hatte, nicht mehr gab.“ Lisas Liebe ist womöglich am Ende gar nicht so verrückt und obsessiv, es steckt auch eine tiefe Sehnsucht nach Zugehörigkeit darin, zugehören zur Stadt und ihrer Welt. Jelineks Drehbuch ist ein Porträt von Wien, seiner Mischung von Wurschtigkeit, Laisser-faire, allgemeiner Düsternis. Es gibt Echos aus dem
unter ihnen studierte. Es gibt in diesem Lokal
Nachkriegswien in diesem Buch, das der Film
eine Mischung aus Stammtisch, Erinnerung, Common Film wurden eine erste und eine zwei-
„Der dritte Mann“ beschwört. Es ist eine ge-
Aber dann verliebt sich Lisa in Andzrej,
te Fassung des Jelinek-Scripts (gedruckt ist die
bremste Dynamik in dieser Geschichte, in
sie ist Studentin der Theaterwissenschaft, ir-
zweite) sowie Briefe und Dokumente zur Pro-
dieser Stadt, „wie jähe Bewegungen in einem
gendwie mit dem Kommilitonen Klaus zu-
duktionsgeschichte aufbewahrt. Der Herausge-
Sumpf“. //
sammen, der nicht von ihr lassen will, auch
ber Wolfgang Jacobsen von der Deutschen Ki-
als Lisa immer eindeutiger zeigt, dass sie
nemathek in Berlin stellt sie im Nachwort dar.
Debatten, heftigem Streit.
Andrzej unbedingt haben will. Eine Amour fou, aber eher läppisch.
Das Buch ist Jelinek light, das ist unbedingt positiv gemeint. Das Drehbuch ist das
Fritz Göttler
Kraft ohne Macht
Einen geradlinigen Genrefilm hat Jeli-
leichteste literarische Genre, leichtfüßig und
Elfriede Jelinek ist wütend. Nicolas Stemann
nek geschrieben, und gemeinsam mit dem
leichtfertig. Es propagiert seine eigene Vorläu-
ist wütend. Und auch die Band Kraftklub be-
Regisseur Rainer Boldt, der voriges Jahr
figkeit und Nichtabgeschlossenheit, es fordert
singt zynisch die Wut all derer, die hände
starb, und dem Produzenten Helmut Wietz
die imaginative Arbeit der Leser, Regisseure,
ringend auf der Suche nach einem Sünden-
hat sie versucht, die Verfilmung des Buchs zu
Schauspieler und technischen Mitarbeiter.
bock sind: „Eins ist klar, so kann das nicht
organisieren. Die Finanzierung klappte nicht,
Jelinek hat immer gern zwischen den literari-
weitergehen mit dem Land. Vertraue nicht