jedesmalanders - 9. Ausgabe 02.2021

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Schöne, heile Digitalisierung Die Corona-Pandemie hat der allumfassenden Digitalisierung zweifellos einen Schub gegeben. Selbst wir im Theater, die wir normalerweise ein altmodisches, in gemeinsamer physischer Präsenz geteiltes ­Kulturerlebnis herstellen, sind nun vom Zwang zur Digitalisierung erfasst. So bemühen wir uns, durch im Internet verbreitete Programme, in Streamings, Podcasts und Videos, unser Publikum trotz ­Kontaktsperre zu erreichen. Dieser plötzliche Digitalisierungsversuch im Theater darf Anlass sein, sich hierzu im analogen Medium der Theaterzeitung einmal einige wenige Hinter-Gedanken zu machen. Den Gegensatz von „analog“ zu „digital“ kann man grundsätzlich vielleicht als bloßen Verfahrens­ unterschied verstehen: Analog wäre ein Verfahren, bei dem – mit wie viel Umwegen, Übertragungen und Verstärkungen auch immer – ein physischer Kontakt zwischen den betroffenen Einheiten besteht, etwa zwischen einem originalen Objekt (z.B. das fotografierte Ding) und seiner Reproduktion (der Kontaktabzug eines belichteten Negativs) oder einem Sender und einem Empfänger. Demgegenüber setzen digitale Verfahren anstelle der physischen Verbindung eine Codierung. Diese ermöglicht prinzipiell grenzenlose Übertragung, Verarbeitung, Verwertung des ‚digitalisierten Objekts’. Digitalisierung als gesamtgesellschaftlicher Prozess würde dann schlicht die zunehmende Ersetzung analoger Verfahren durch digitale bedeuten. Die Frage ist, ob damit neue Qualitäten des Erlebens, des Handelns und Wirtschaftens, der Beziehungen zwischen Menschen erzeugt werden. Während der Unterschied z.B. von analoger zu digitaler Filmtechnik für den Zuschauer allenfalls bei Filmriss versus verpixelter Bildstörung bemerkbar ist, sind die Auswirkungen in anderen Bereichen gravierend – so einerseits etwa in der Finanzwirtschaft, die ihre Blüte der letzten Dekade der Digitalisierung zu verdanken hat, oder eben andererseits in unserem immer noch auf jahrhundertealter Technik fußenden Theater, dessen vollkommene Marginalisierung im gesellschaftlichen Leben nun von der Digitalisierung endgültig vollbracht zu werden droht. Zudem ist die schöne, schnelle, heile Welt der Digitalisierung auch für sich genommen nicht wirklich heil. Konzerne wie Google, Amazon, Facebook und Apple besitzen und kontrollieren die digitalen Märkte der westlichen Welt, also die Netze, die Kommunikations- und Handelsplattformen, auf die wir als Nutzer immer umfassender angewiesen sind. Und diese Konzerne machen unglaubliche Gewinne, obwohl wir meist nicht einmal etwas für ihre Dienste bezahlen. Das gelingt, weil sie durch Werbung und Provisionen von Produktanbietern verdienen. Allerdings macht diese Handvoll Konzerne nicht nur immer mehr Profit, sondern weitet auch ihre Macht durch zunehmend umfassendere Kontrolle im Internet aus. Und das, weil immer mehr Menschen ihre Dienste nutzen: Jeder neue ‚User‘ stärkt ihren in der Finanzwirtschaft als Schätzung gehandelten Firmenwert und erweitert zugleich ihr Warenangebot durch die über den ‚User‘ in ihren Besitz gelangenden Informationen. Und da einige wenige Mega-Konzerne nicht nur die Netzwerke und Plattformen besitzen, sondern auch die zugrunde liegenden Betriebssysteme, ohne die sich z.B. keine Software runterladen lässt (wie heute Google und Apple für das mobile Internet so in den Anfängen ab den 1980er Jahren Microsoft Windows und Intel für die PC-Wirtschaft), führt heute schon bei uns eigentlich keine Aktion im Internet an solchen Konzernen vorbei. Während demgegenüber die Realwirtschaft, bei der es um anfassbare Produkte und handfeste Dienstleistungen geht (eine geputzte Wohnung oder ein schöner Theaterabend), seit langem eigentlich stagniert, boomt diese digitale, irgendwie irreale Wirtschaft mit ihren um so realeren Profiten nun wie irre. Wie lange kann das gut gehen? Und was ist zu tun? Und was tun im Theater? Bei all unseren Versuchen, im Lockdown im Internet für das Publikum präsent zu bleiben, mussten wir jedenfalls schmerzlich feststellen, dass sich das kollektive Live-Theater-Erlebnis eben nicht durch Abfilmen und Streamen, durch digitale Präsentation im Durchklickmodus auch nur annähernd herstellen lässt. Theater bleibt analog und damit anachronistisch. Aber genau das ist wohl auch gut so. Francis Hüsers, Intendant

Was geht?! – Auf Erkundungstour im digitalen Neuland Theaterarbeit lebt von Momenten der Gemeinsamkeit. Wenn auf den Proben die Ideen und Energien aller Beteiligten so zusammenkommen, dass etwas Besonderes entsteht. Und dieser Funke während einer Aufführung auf das Publikum überspringt. Seit uns die Pandemie zwingt, immer mehr in digitale Räume auszuweichen, haben wir alle umso deutlicher erkannt, wie viel Glück ein mit anderen geteiltes Live-Erlebnis bedeuten kann. Doch bei der Wahl zwischen komplettem Kunstverzicht und Erkundung des digitalen Neulands entschied sich das Lutz Team zu Beginn des ersten Lockdowns schnell für letzteres. Statt Stücke zu schreiben und zu inszenieren, begann ich, kleine Drehbücher zu entwerfen und Moderationen auswendig zu lernen. Gemeinsam mit Lutz Dramaturgin Anne Schröder und Techniker Tobias-Rene Kersting, der zum Chef von Kamera und Schnitt ernannt wurde, untersuchten wir alle Lutz Produktionen nach ihrer digitalen Tauglichkeit, forderten unser Schauspielensemble mit Spielszenen für Handy-Drehs heraus und spannten auch mal das gesamte Technikteam für einen Außendreh auf Distanz ein. Wir probierten aus und entwickelten uns weiter. Bis Januar 2021 sind so über 20 digitale Formate für Streams, die Webseite und das Junge Couchtheater entstanden: Previews auf unsere Neuproduktionen, Impulse zum Nachspielen und Kreativ-Werden für Zuhause, Mehrteiler wie die Making-Ofs zu TransformMates und pardauz sowie die Filmversion des kompletten Stücks sternenstaub. Statt einer Wiederaufnahme auf der Lutz Bühne halfen uns viele Grundschulkinder, eine filmische Version von Mit Musik in 80 Tagen um die Welt zu entwickeln. Ein digitales Klassenzimmerstück für die Mittelstufe wird noch im Frühjahr zur Verfügung stehen. Und dank unseres neuen Teammitglieds, Theaterpä­da­ gogin Daria Malygina, können wir nun auch digitale Workshops zu vielen Stücken anbieten. Die Orientierung in den digitalen Welten gelingt uns also immer besser. Was dabei unendlich fehlt, sind die Reaktionen unseres Publikums, im Bühnenbild spielende Kinder und die überraschenden Fragen von Schüler*innen bei Nachgesprächen. Die Sehnsucht nach realen Begegnungen, nach dieser besonderen Magie, die nur im gemeinsam geteilten Moment entstehen kann, wächst. Aber uns stehen auch viele neue Wege für die künftige Theaterarbeit für das junge Publikum offen. Es bleibt spannend. Anja Schöne, Leiterin des Kinder- und Jugendtheaters

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Tanz und die digitale Welt

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In allem liegt Gutes und Schlechtes. Als Schöpferin von Live-Kunst bin ich der Meinung, dass ein Original nicht ersetzbar ist, aber wir können ihm nahekommen, insbesondere in Zeiten der Pandemie. Ich glaube, dass Tanz, als universelle Sprache der Welt, eine Form der Kunst ist, die gleichermaßen zerbrechlich wie auch mächtig ist. Diese Form der Kunst gedeiht auch in einer digitalen Welt. Vielleicht liegt es daran, dass der Tanz den Jungen und den Junggebliebenen gehört. Tanz und die dem Tanz verbundenen Menschen wissen, dass sie flexibel bleiben müssen, um zu überleben. Die Bewältigung der Pandemie brachte die Tanzwelt dazu, die digitale Welt von ihrer besten Seite zu nutzen. Weltweit bilden sich Tanzkompanien und Tänzer*innen mittels Zoom kontinuierlich weiter. Wir haben die digitalen Türen für das Ballett Hagen geöffnet, um die professionellen Trainings und unsere Fachkenntnisse mit anderen Kompanien zu teilen. Innerhalb weniger Wochen war die Tanzwelt verbunden wie nie zuvor. Vielleicht ist es der Lichtstreifen in dieser Krise, dass das Virus uns zwingt, das Internet endlich so zu nutzen wie es immer gedacht war – uns miteinander zu verbinden, Informationen und Ressourcen auszutauschen und kollektive Lösungen für drängende Probleme zu finden. Schauen wir uns an, was um uns herum passiert, und zwar nicht nur in der Tanzwelt. Viele zoomen sich in Beerdigungen hinein, Meetings werden virtuell abgehalten, um unnötige Reisen zu vermeiden. Andere nehmen an Privatführungen von Museen teil, die tausende von Kilometern von ihrem Wohnort entfernt sind. Es treffen sich Menschen, die gerne auf Partys gehen, zum virtuellen Tanzen beim Cloud Clubbing mit Live-DJs in Metropolen weltweit. So wie ich und viele andere, die endlich virtuell Pilates- oder Yoga-Kurse nehmen, haben wir kaum eine Entschuldigung mehr, unpünktlich zu sein. Das alles ist schön und gut und ein Versuch, weiterzumachen und in Verbindung zu bleiben. Jedoch: Tanz ist eine Kunstform, die live erlebt werden muss, um die Energie des Tanzes in Echtzeit zu spüren und sich der Kraft des Körpers in seiner Zerbrechlichkeit und Stärke bewusst zu werden. Das Publikum wird durch das gemeinsame Erleben bewegt, im Wissen, dass jeder Moment einzigartig und unwiederholbar ist. Marguerite Donlon, Ballettdirektorin


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