Geumhyung Jeong
Geumhyung Jeong erweitert die Möglichkeiten des Puppenspiels, indem sie ihren gesamten Körper als Animationstechnik choreografiert. In Jeongs Studien zur Belebtheit impliziert dieses Bühnenleben des Objekts immer schon Intimität und Sinnlichkeit. Sie baut und manipuliert ihre performenden Objekte, die von einfachen Masken über Puppen bis hin zu Maschinen reichen, und ist dabei körperlich mit ihnen in ein zweideutiges Spiel um Kontrolle verstrickt. In jenen sechs Performances, die Jeong zwischen 2008 und 2019 realisiert hat, werde ich immer wieder daran erinnert, dass es keine anima, kein Leben und keine Handlungsmacht gibt ohne ein sexuelles Sein. Liebe In ihrem ersten abendfüllenden Werk “7ways” [2014 bei Tanz im August aufgeführt, Anm. d. Red.] stellt Jeong aus einfachen Objekten und Haushaltsartikeln auf der Bühne provisorisch anmutende Puppen her. Sie befestigt Masken, Körperteile von Schaufensterpuppen und Stoffbahnen an ihrem Körper oder an Maschinen, um eine Reihe übernatürlicher Figuren mit je eigenständiger Anatomie und charakteristischen Bewegungen zum Leben zu erwecken. In einer Serie von Assemblagen, bestehend aus Jeongs Körperteilen und Objekten, entdecken wir Vignetten sinnlicher Begegnungen zwischen diesen nichtirdischen Wesen und Jeong selbst, die gelegentlich reglos oder völlig unbeteiligt erscheint. Was diese vielgestaltigen Figuren ohne jede
Bauchrednerei oder andere Form von Erzählung auf so überzeugende Weise lebendig macht, ist der choreografische Ausdruck ihrer sexuellen Lust, vermittelt durch jene einzigartige Bewegungsqualität, die Jeong mit ihnen erforscht. Einige dieser geilen Figuren treten auch in den Videos zu “Oil Pressure Vibrator” (2008), Jeongs folgender Bühnenarbeit, in Erscheinung. In dieser Lecture Performance erzählt Jeong von ihrer Suche nach sexueller Unabhängigkeit, die in einer Liebesaffäre mit einem hydraulischen Bagger kulminiert. Der gesamte Vortrag stützt sich auf Videoclips, die sie von ihrem Laptop abspielt, während sich auf der Bühne kein einziges performendenes Objekt befindet außer einem Spielzeugbagger. Dennoch erfüllt die Performance noch einen weiteren Zweck als Jeongs Manifest zum Puppentheater: Die Videos zeigen, wie sie Backstage die Materialien aus “7ways” herstellt und animiert. In der Erzählung tauchen sie als ihre Sexualpartner auf, die dem Bagger vorausgingen. Auf dem langwierigen Weg hin zum Liebesvollzug mit einem realen Bagger durchläuft sie danach einen Zertifizierungs prozess für die Bedienung des Motors. Er schlägt sich nieder als choreografischer Auftrag an ihren Körper, sich mit der Maschine zu vereinen. Trotz des scheinbar persönlichen Charakters der Erzählung erscheint Jeongs Präsentation der Clips in ihrem Vortrag so exakt und entpersönlicht wie klassisches Puppentheater.
Unerschrocken entwirft Jeong neue Vorstellungen davon, was Sexualität, oder das Sein als sexuelles Subjekt-Objekt, bedeuten und wie es aussehen kann. “7ways” und “Oil Pressure Vibrator” machen deutlich, wie Objekte ihre eigene Verkörperung herbeizubeschwören vermögen, die sich wiederum als Ausdruck einer fremden Sexualität artikuliert. Jeongs Kollaborateur*innen auf der Bühne zeigen in Aussehen und Bewegung keine Ähnlichkeit mit menschlichen oder tierischen Wesen. Tatsächlich führt sie ihre Überlegungen, wie sich die Widersprüche menschlicher Verkörperung mit Hilfe von Maschinen pervertieren lassen, in ihrer späteren Arbeit “Fitness Guide” (2011) fort. Betrachtet
“7 Ways” 2009 © Wooshik Lee
Die Geschichte des Puppentheaters ist voll von übernatürlichen Körpern, die danach streben zum Leben erweckt zu werden und sich von ihren Meistern zu emanzipieren. Die Performance einer Puppe reflektiert nicht selten deren Existenzbedingung. Wie kann ein beliebiges Objekt auf der Bühne zu einem lebendigen Körper werden? Diese Frage treibt auch das Werk der südkorea- nischen Künstlerin Geumhyung Jeong an.
39