Swisslife Herbst 2014 // Ruhe

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SWiSSlife 5. Jahrgang // Ausgabe 3 // fr. 6.50

Herbst 2014 // Ruhe!


Ohrstöpsel auspacken, anwenden, danach gemütlich zurücklehnen und das SWISSLIFE-Magazin geniessen. Und zwar in aller Ruhe!


Editorial // 3

Grüezi Wir alle sehnen uns manchmal nach Musse, nach Stille, nach Ruhe – und jetzt, wo die besinnlichen Adventstage langsam, aber sicher näher rücken, wird dieser Wunsch bestimmt bei einigen noch etwas stärker. Tag für Tag sind wir umgeben von Lärm, einer manchmal geschwätzigen Gesellschaft, einem Grundrauschen, das uns das Abschalten oft schwer macht: Zu sehr werden wir davon abgelenkt, mit uns selbst zur Ruhe zu kommen. Auch deshalb haben wir, symbolisch wie praktisch, ein Paar Ohrstöpsel auf das Cover dieses Magazins geklebt: Nutzen Sie diese und geniessen Sie es, ungestört lesen zu können – etwa die Geschichte der Schriftstellerin Milena Moser. Oder betrachten Sie, frei von Aussengeräuschen, die Bilder eines Autofriedhofs, auf dem sich die Natur über die ausgedienten Karossen legte. Und entdecken Sie, weshalb das Klosterleben einen Mönch wie Bruder Daniel manchmal an seine Grenzen bringt. Kommen Sie mit auf die Reise ins Reich der Stille – der Alltag holt Sie rasch genug wieder ein!

SWISSLIFE Herbst 2014

Ivo Furrer, CEO Swiss Life Schweiz: «In unserem Leben geht es oft genug hektisch und lärmig zu und her: Ruhe suchen und Ruhe finden ist darum ab und zu absolut unerlässlich – und erweist sich als wunderbarer Genuss.»


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Photo Selection:

Modernde Rostlauben

Jahrzehntelang rosteten die Wracks auf dem Autofriedhof in Kaufdorf vor sich hin, bis er von Amtes wegen geräumt werden musste. Der Fotograf Thomas Margelist konnte die stille Idylle aus Blättern, Blech und Rost rechtzeitig fotografisch verewigen. 20 Zwei Seiten:

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Ruhe ist etwas Individuelles

Titelgeschichte:

Stille Tage in Sweetwater

Versteigerung von Kapitän, Capri & Co. Im September 2009 wurden die 800 Wracks im Wald von Kaufdorf versteigert. Ein Porsche aus den 1950er-Jahren ging für 20 000 Franken weg. Zwei Drittel der Wracks fanden neue Besitzer, der Rest kam in die Schrottpresse.

Keine Frage: Es wird oft viel geredet und wenig gesagt. Die Schriftstellerin Milena Moser kennt das – auch aus eigener Erfahrung. Die jährliche Schweigewoche kam deshalb nicht ungelegen. Aufgabe: sieben Tage lang aufs Maul sitzen.

32 Zahlensalat:

Ab wann Ruhe zu Lärm wird

35 Yoga-Lehrerinnen:

So fängt Zukunft an.

Gesamtverantwortung: Swiss Life, Kommunikation Schweiz, Martin Läderach Redaktionskommission: Ivo Furrer, René Aebischer, Thomas Bahc, Monika Behr, Elke Guhl, Christian Pfister, Hans-Jakob Stahel, Paul Weibel Redaktionsleiter UPDATE: Dajan Roman Redaktionsadresse: Magazin SWISSLIFE, Public Relations, General-Guisan-Quai 40, 8022 Zürich, magazin@swisslife.ch Projektleitung: Mediaform|Christoph Grenacher, Ittenthal/Zürich Konzept und Gestaltung: Festland Werbeagentur, St. Gallen/Zürich Übersetzung: Swiss Life Language Services Druck und Versand: Heer Druck AG, Sulgen; gedruckt auf FSC-Papier Anzeigenverkauf: Stämpfli AG, Anzeigenmanagement, Wölflistrasse 1, Postfach 8326, 3001 Bern, 031 300 63 84, inserate@staempfli.com Adressänderungen/Bestellungen: Magazin SWISSLIFE, General-Guisan-Quai 40, 8022 Zürich, magazin@swisslife.ch Auflage: 100 000 Erscheinungsweise: 3 × jährlich; Frühling, Sommer, Herbst. Rechtlicher Hinweis: In dieser Publikation vermittelte Informationen über Dienstleistungen und Produkte stellen kein Angebot im rechtlichen Sinne dar. Über Wettbewerbe wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. ISSN 2235-7645

Beruhigung von Körper und Geist Wer das vollkommene Gleichgewicht und die Harmonie jenseits von innerer Unruhe und Unklarheiten finden will, muss das Alltägliche hinter sich lassen und sich in Ruhe üben: Stillsitzen und die Atemzüge zählen. Von eins bis zehn.


Inhalt // 5

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A Swiss Life:

Bruder Daniel

Pfarramt, Seelsorge im Dorf, Administration und Töpferei waren bereits belegt, als Daniel Prandini im Jahr 2007 in die Benediktinergemeinschaft des Klosters Fischingen eintrat. Deshalb bietet Bruder Daniel heute Zazen-Kurse an. 53 Küchenfreuden:

Entschleunigung bei vollem Terminkalender Die Meditationskurse von Bruder Daniel tun nicht nur den rund 2000 gestressten Gästen pro Jahr gut, sondern auch ihm selber. Bei all den Mails, Telefonaten und der Pflege von vier Websites findet auch er oft zu wenig Ruhe.

55 Beni Frenkel:

56

Ein Rehrücken kann entzücken

Die Frenkel-Funktion

Wettbewerb:

Sieben Tage Ruhe zu gewinnen

Andreas Vollenweider, Harfenist, über den «Nullzustand der Ruhe»

58 Zugabe:

Beilage:

Sorgt für Klarheit: das Beratungsmandat Was ist, wenn man plötzlich krank wird? Und wie viel Geld braucht man nach der Pensionierung? Das Beratungsmandat von Swiss Life bringt vieles ans Licht. Und sorgt damit für ein gutes Gefühl der Sicherheit.

UPDATE

Lesen Sie, was eine umfassende Finanz- und Vorsorgeanalyse bringt, wie man seine finanzielle Zukunft gezielt in die eigene Hand nimmt und wie man sich mit freiwilligen Einkäufen in die Pensionskasse ein schönes monetäres Polster aufbauen kann.

Lesen Sie Magazin und UPDATE online mit der SWISSLIFE-App. Probieren Sie weitere Rezepte aus «Küchenfreuden» und nehmen Sie digital am Wettbewerb teil. Die App für Tablets und Smartphones gibt’s im App Store, bei Google Play und unter www.swisslife.ch/magazin.

SWISSLIFE Herbst 2014


Seite 24 // «Titelgeschichte» Milena Moser

Seite 44 // «A Swiss Life» Urs Mannhart

Es traf sich gut, als SWISSLIFE bei Milena Moser anklopfte: Die Bestsellerautorin («Die Putzfraueninsel», aktuelles Buch «Das wahre Leben», Verlag Nagel und Kimche) und Kolumnistin stand eben vor einer Reise in ihren früheren Wohnort San Francisco, wo sie Freunde traf und – alljährliches Ritual! – ihre Schweigewoche absolvierte. Fazit der Titelgeschichte der inzwischen offiziellen Zenbuddhisitin Milena Myoshin Moser: Wer Ruhe will, muss beissen.

Für Urs Mannhart, einst Velokurier, heute preisgekrönter Schriftsteller (Debütroman «Luchs», aktuelles Buch «Bergsteigen im Flachland», Secession Verlag) war die Begegnung mit Bruder Daniel im Kloster Fischingen ein Wiedersehen: Der Berner sass schon einmal während dreier Tage in der klausnerischen Stille ganz hinten im Thurgau. Damals war er auf den Spuren eines antiken Rennschlittens – nun hat er einen längeren Blick in die Agenda jenes Bruders geworfen, der aufgrund seiner Termindichte auf viel innere Ruhe bauen können muss.

Seite 20 // «Zwei Seiten» Ladina Bischof

«Der Mensch steht in meiner Arbeit im Fokus. Lebendigkeit und Authentizität sind mir wichtig. Ich möchte das wahre Leben festhalten, Effekthascherei mag ich nicht», sagt die St. Galler Fotografin Ladina Bischof. Bei ihrer Arbeit für «Zwei Seiten» begegnete sie Menschen in verschiedensten Situationen und stellte fest, dass auch einfache Fragen oft recht schwierig zu beantworten sind.

Seite 53 // «Küchenfreuden» Manuel Reichenbach

Manuel Reichenbach gilt als grosses Versprechen der Schweizer Kochszene: Lehrjahre in der Schweiz bei Roland Pierroz, Beat Bolliger und Anton Mosimann, bei Gordon Ramsay in London – bis 2003 grosse Erdrutsche die Surselva verwüsten, auch Trun, sein Heimatdorf. Reichenbach: «Als ich davon hörte, wusste ich: Ich muss nach Hause. Meine Eltern brauchen mich.» Seither kocht der knapp 40-Jährige im alten Patrizierhaus – kräftig und gewagt und immer auf der Suche nach noch mehr Perfektion – und mit einer betörenden Einfachheit, die sich auch im Rezept unserer Rubrik «Küchenfreuden» spiegelt.

Das Kundenmagazin, das Sie eben in den Händen halten, gefällt auch den Experten: Am diesjährigen «Best of Corporate Publishing» (BCP), dem grössten und bedeutendsten Wettbewerb für Kundenpublizistik, wurde SWISSLIFE im Sommer in München mit einem goldenen Award für Druck und Innovation und in zwei weiteren Kategorien mit Silber ausgezeichnet.

Bilder: Anna Yarrow/Santa Fe, Ladina Bischof, Bruno Voser, Beat Schweizer

6 // Heftmacher


22.—29.1.2015

Raffinerie AG für Gestaltung

50. S�LOTHURNER FILMTAGE


8 // Photo Selection

Rust in Peace

Kein Motorengedröhne, keine Abrollgeräusche, kein Hupen, einfach nur Totenstille. Auf dem historischen Autofriedhof im bernischen Kaufdorf rosteten die Wracks friedlich, aber ohne den Segen der Behörden vor sich hin. Die eindrücklichen Bilder des Walliser Fotografen Thomas Margelist zeigen das Verwachsen von Natur und Technik, das mit der Räumung der Kultstätte ab 2009 ein jähes Ende fand.

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Photo Selection // 13

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Photo Selection // 15

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Photo Selection // 19

«Von Moos überwachsene und von Bäumen durchschnittene Karosserien – im Laufe der Zeit wurden Natur und Technik eins.» Der Fotograf Thomas Margelist wurde 1966 in Baltschieder im Kanton Wallis geboren. Ab 2006 absolvierte er die M-Art-Fotoschule in Bern, die fünf Semester dauerte. Seine Leidenschaft für die Fotografie liegt in der Natur, hier findet er die Ruhe nach seiner Tätigkeit im Gesundheitswesen. Im eigenen Studio spezialisierte er sich auf Porträtaufnahmen. Seine Arbeiten wurden im EFFVAS (Eisenbahner Foto-, Film- und Videoamateure Schweiz) und im Fotoclub Brig mehrmals mit Gold, Silber, Bronze oder Urkunden ausgezeichnet.

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Der verwilderte Autofriedhof in Kaufdorf mit fast 800 Wracks wurde durch Presseberichte international bekannt. Dort lagerten Autos, deren Alter bis in die 1930er-Jahre zurückreichte. Da der Betreiber der Öffentlichkeit den Zutritt verwehrte, blieben die Autos, abgesehen vom natürlichen Verfall, oft vollständig erhalten. 2008 kuratierte der Künstler Heinrich Gartentor auf diesem Gelände eine Kunstausstellung. Aufgrund der Umweltschutzgesetzgebung sollte der Schrottplatz im Jahr 2009 aufgelöst werden, was zu heftigen Diskussionen zwischen Anwohnern und Behörden führte. Bis 2013 wurden schliesslich alle Autos versteigert oder entfernt. Im April 2008, noch vor der Kunstausstellung, konnte ich den Autofriedhof besuchen und die Eindrücke fotografisch festhalten. Was für ein Tag: Diese Oldtimer, eins mit der Natur, waren für mich als gelernten Automechaniker ein überwältigender Anblick.

Die Tier- und Landschaftsfotografie macht einem immer wieder bewusst, wie schön unser Planet ist. Alpentiere zu fotografieren, ist für mich immer von grosser Bedeutung. Meist kann man die Tiere nur beobachten. Doch auch ohne Bildmaterial kehrt man zufrieden nach Hause zurück. Die Spannung und der Reiz, an tolle Tierbilder zu kommen, bleiben. www.mth-fotografie.ch


Anna Lena Zimmermann (19), Designstudentin, St. Gallen

«Wenn alles um mich laut ist und ich doch für mich sein kann.»

Larissa Lanziletto (17), KV-Lehrling, St. Gallen

«Wenn ich entspannt am Strand liege.»

Douglas André (22), Detailhandelsfachmann, und Désirée Schmid (22), Drogistin, St. Gallen

«Wenn wir an einer gemütlichen Afterparty bei Freunden sind.»

Bild: Ladina Bischof

Morgan Heiniger (26), Artist, St. Gallen

Ruhe heisst für mich:

«Wenn meine Seele durch Musik und Liebe frei ist.»

Lukas Schneeberger (31), Lehrer, St. Gallen

«Wenn ich Zeit habe.»

Tabita Gentsch (24), PH-Studentin, Arbon

«Wenn meine Masterarbeit beendet ist.»

Björn Siegrist (28), Architekt ETH, Zürich

«Wenn der Akku vom Telefon leer ist.»

Manuela Leibundgut (29), Floristin, Gossau

«Wenn ich draussen im Garten ein Buch lese.»


Zwei Seiten // 21

Jasmin Mafalda Fischli (26), Waldspielgruppenbegleiterin, Appenzell

Shirin Ana Zollinger (18), Praktikantin auf Erlebnishof, St. Gallen

«Wenn ich die Erde unter meinen Füssen spüre.»

«Wenn ich durch die unberührte Natur reite.»

Jakob Forrer (32), Zimmermann, Rehetobel

«Wenn ich beim Fischen die Einsamkeit geniesse.»

Rosa Fäh (36), Lehrerin, Stein AR

«Wenn ich in der Kirche sitze.»

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Michael Tanner (30), Ausliefertechniker, Abtwil

Simona Frischknecht (20), MPA, Appenzell

«Wenn ich mit meinem Freund am Sonntagabend einen Film schaue.»

«Wenn ich in der Natur bin.»

Ueli Steingruber (26), Fotograf, Stein AR

«Wenn ich spüre, dass die Zeit vergeht.»

Anina Steiner (33), Lehrerin, Teufen

«Wenn ich von einem italienischen in ein Schweizer Restaurant wechsle.»

Linda Schläpfer (32), Pferdepsychologin, Abtwil

«Wenn bei meinen zwei Kindern und allen 36 Tieren am Abend Ruhe eingekehrt ist.»


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Titelgeschichte // 25

Text: Milena Moser, Illustration: Sylvia Geel

Stille Tage in Sweetwater

Sich nicht anschauen. Nicht zunicken. Nicht miteinander reden. Eine ganze Woche lang. Die Regeln des Zen Center in Kalifornien sind nicht einfach auszuhalten. Schon gar nicht für eine Schriftstellerin wie Milena Moser, in deren Mund sich pausenlos Wörter formen. Doch sie hat es versucht. Und sieben Tage auf die Zähne gebissen.

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26 // Titelgeschichte

E

s ist so laut hier. Warum ist es so laut hier? Was ist das für ein Geräusch? Ein schier unerträgliches Mahlen, Knirschen, Krachen füllt die Atmosphäre. Es ist früher Morgen in National City, einer Vorstadt von San Diego mit vielen industriellen und gewerblichen Betrieben. Das Postkartenkalifornien mit seinen Sandstränden und Palmen und weissgetünchten Villen und knallrosa Bougainvilleen ist weit weg. Das Sweetwater Zen Center ist eine einfache Schule. Kein Schnickschnack. Die Meditationshalle ist eine Jurte – eine offene Konstruktion aus einem Holzboden und Zeltdach. Von der einen Seite hört man die aufgebrachten Stimmen aus der Obdachlosen-Klinik, auf der anderen Seite befindet sich eine Autospenglerei. Aus dem Radio dringt mexikanischer Hip-Hop, Automotoren jaulen, Abgase kitzeln uns in der Nase. Doch jetzt, so früh am Morgen, ist es noch still. Die Luft ist kühl und leicht salzig. Wir sitzen zu fünft am Tisch, schweigend. Nur ein unermüdliches Mahlen und Knirschen ist zu hören. Das sind meine Zähne, die Granolabrocken zerkleinern. Knirsch, Krach, Knack. Mein Gesicht wird heiss. Ich halte den Blick auf meine Müeslischüssel gesenkt, wie es Vorschrift ist. Wir sollen uns nicht anschauen. Nicht zunicken. Und schon gar nicht miteinander reden. Eine ganze Woche lang nicht. Ich halte inne. Ich schlucke. Endlich ist Ruhe. «Es tut mir leid», möchte ich sagen. «Ich wusste nicht…» Die Worte stauen sich in meinem Mund. Ich hatte keine Ahnung, wie viele da sind. Worte, die gesagt werden wollen. Was wusste ich nicht? Dass das Kauen dieser speziellen Granolasorte, die ich

zuhause auch esse, so viel Lärm verursacht. Warum wusste ich das nicht? Weil ich zuhause die Zeitung lese, während ich frühstücke, Musik höre, telefoniere. Weil ich, wenn ich mit anderen am Tisch sitze, mit ihnen rede. Verstohlen hebe ich den Blick, lasse ihn über die Teller schweifen. Was haben die anderen mitgebracht? Blasse weiche Tortillas. Kraftriegel. Ein hartgekochtes Ei. Vielleicht sollte ich gar nichts mehr essen? Ich habe noch nie gefastet und auch nicht vor, es je zu tun. Aber jetzt plötzlich kann ich nachvollziehen, was ich darüber gehört habe: dass einem

Alles, was ich sagen möchte, ist Erklärung: «Ich bin aus der Schweiz. Ich spreche nicht so gut englisch. Ich bin Schriftstellerin. Ich habe zwei Kinder. Ich definiere mich über die Sprache.» Wer bin ich, wenn ich keine Sprache habe? Sind es die Engländer, die sagen: «Never explain, never complain?» Erkläre nichts, beklage dich nicht? Keine schlechte Devise. Entschuldige dich nicht, setze ich hinzu. Jedenfalls nicht automatisch. Ich ziehe den Löffel durch mein Joghurt, umschiffe die grössten Granolabrocken, lade zwei Blaubeeren auf und

«Erst in diesem ‹sinnvollen Schweigen› wird mir bewusst, wie viel ich den ganzen Tag schwafle, ohne etwas zu sagen.» erst dann richtig bewusst wird, was man den ganzen Tag gedankenlos in sich hineinstopft, wenn man es nicht mehr tut. Genau so wird mir erst in diesem «sinnvollen Schweigen» bewusst, wie viel ich den ganzen Tag schwafle, ohne etwas zu sagen. Ohne wirklich etwas zu sagen. Ich spüre, wie sich die Wörter in meinem Mund zu formen beginnen, wie sie gegen meine Lippen drängen, wie kleine Tiere, die sich zu befreien versuchen: «Entschuldigung!» Das ist offensichtlich immer das Erste, was mir beim Anblick eines anderen Menschen in den Sinn kommt. «Es tut mir leid», möchte ich sagen. «Es tut mir leid, dass ich so laut kaue. Es tut mir leid, dass ich so laut atme.»

schiebe sie mir zwischen die Lippen, wie um die Wörter zurückzudrängen. Und plötzlich sehe ich bildlich vor mir, was passieren würde, wenn ich den Mund aufmachte. Ich sehe mich Wörter ausspucken, nach ihnen greifen. Nach kompakten, aus Holz geschnitzten Buchstaben. Ich sehe mich diese Buchstabenwürfel in die ungefähre Richtung der anderen werfen, sehe sie auf den Tisch fallen, in den leeren Raum zwischen uns. Sie füllen diesen Raum, sie türmen sich zwischen uns auf, bis wir einander hinter diesen Wörterhaufen nicht mehr sehen können. Aber wir sollen uns ja auch nicht anschauen. Es ist mein erster Tag hier. Ich bin am Vorabend angekommen, habe


meine Lebensmittel im gemeinsamen Kühlschrank verstaut und mein Bett bezogen. Dann habe ich noch einmal den Stundenplan studiert: 05.30 Tagwache 06.00 Zazen 06.30 Kinhin 06.40 Zazen 07.10 Kinhin 07.20 Zazen 07.40 Sutrarezitation 07.55 Frühstück vorbereiten 08.15 Frühstück Hier sind wir jetzt: 08.15, Frühstück. Keine drei Stunden nachdem ich aufgestanden bin. Es scheint, als seien Jahre vergangen. Zazen heisst Zenmeditation im Sitzen, Kinhin ist die Gehmeditation. Weitere japanische Ausdrücke, die ich gelernt habe, sind Samu, Arbeit im Haus oder Garten, und Daisan, Einzelgespräch mit der Lehrerin. Der Stundenplan geht in diesem Stil, in Zwanzigminutenabschnitten, weiter bis 21 Uhr: Nachtruhe. Um 21 Uhr, das habe ich gestern festgestellt, ist es hier noch hell. Wann bin ich zuletzt schlafen gegangen, als es noch hell war? Ich darf hier weder lesen noch schreiben. Geschweige denn elektronische Geräte benutzen. Aber ich habe einen E-Reader eingeschmuggelt. Gestern habe ich damit unter der Bettdecke gelesen wie ein Kind. Heimlich, verboten. Das Wissen, dass das Licht von aussen sichtbar ist, trägt zum Vergnügen bei. Wann war Lesen zuletzt etwas Verbotenes? Weitere Vorschriften: Ich darf keine grelle oder gemusterte Kleidung tragen. Arme und Beine sollen bedeckt sein. Meine Freunde machen sich Sorgen. In

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Titelgeschichte // 29

was für eine Sekte bin ich da geraten? Sie bestehen darauf, dass wir ein Codewort vereinbaren. «Wir holen dich hier raus», sagen sie. «Jederzeit! Tag und Nacht!» Sie freuen sich schon auf das Abenteuer. Ich enttäusche sie nur ungern: «Ich kann doch jederzeit abreisen», sage ich. «Ich gehe ja nicht ins Gefängnis.» Das hab ich mit einer Romanfigur durchgespielt, mit der pathologisch zerstreuten Poppy, die unschuldig im Gefängnis landet und dort Ruhe findet. Durch Routine, einen geregelten Tagesablauf, durch eine drastische Einschränkung von Dingen, Möglichkeiten, Ablenkungen. Sie fühlt sich so wohl, dass sie kaum mehr weg will. Ironisch kommentierte sie, andere würden für so etwas teures Geld ausgeben, für einen solchen Retreat. Retreat heisst Rückzug. Rückzug wohin? In sich selbst? Was will ich in mir selbst? Was gibt es da zu sehen? Oder besser, zu hören? Vor vier oder fünf Jahren stolperte ich in Aarau zum ersten Mal in eine Zenschule. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon mindestens ein Jahr lang darüber nachgedacht, ob ich das nicht einmal ausprobieren wollte, «diese» Zenmeditation. Doch zwei Stunden schienen mir ziemlich lang. Und dann noch morgens früh um sechs. «Du kannst jederzeit aufstehen und gehen», sagte die Lehrerin. Ihre Anweisungen waren einfach genug. Stillsitzen, die Atemzüge zählen: ein, aus, eins, ein, aus, zwei. Und so weiter. Von eins bis zehn. Eins bis Zen. Haha! Stellt sich heraus, das ist gar nicht so einfach, wie es klingt. Ich sitze auf dem schwarzen Kissen, die Beine gekreuzt, die Hände ineinan-

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dergelegt, die Augen halb geschlossen. Ein Gong erklingt. Ich atme ein, ich atme aus. Ich zähle: eins. Einatmen, ausatmen, zwei. Einatmen, ausatmen… meine Hüfte tut weh. Wie lang sitze ich schon hier? Sollte man nicht meinen, jemand, der so viel Yoga macht wie ich, sollte eine halbe Stunde stillsitzen können? Da niest jemand. Zum Glück ist das nicht mir passiert. Andererseits, hat die Lehrerin nicht gesagt, unwillkürliche Körperregungen wie Schlucken, Niesen, Husten solle man nicht unterdrücken? Jetzt kitzelt es in meiner Nase. Ist Niesen ansteckend wie Gähnen? Oh Gott, nur nicht an Gähnen denken! Ich presse die Kiefer zusammen, meine Augen tränen. Ein un-

rictor, ausserdem einen kleinen Alligator, den sie in der Badewanne hielten. Ein, aus. Eins. Ein, aus, zwei. Ein, aus… Mein Atem zischt durch die Nasenlöcher. Warum atme ich so laut? Wie lange sitze ich schon hier? Mein Fuss ist eingeschlafen. Einatmen, ausatmen. Eins. Zwei. Drei. Plötzlich ist es still. Ganz still. Mein Atem löst sich auf. Ich löse mich auf. Nichts. Und dann bin ich plötzlich bei achtzehn. Achtzehn? Einatmen, ausatmen, eins… Das Wesen der Meditation ist ihre Nicht-Zielgerichtetheit. In diesem Sinne mache ich alles falsch: Ich meditiere, weil es mir gut tut. Ich gehe ins Zen

«Ich will kein besserer Mensch werden, ich glaube nicht an Erleuchtung, ich will nur glücklich sein.» widerstehliches Bedürfnis, den Arm zu heben, die Tränen wegzuwischen, die beim Trocknen auf meiner Haut ein unangenehmes Jucken hinterlassen. Wenn ich mich jetzt nicht kratze, sterbe ich. OK. OK. Ein, aus, eins. Ein, aus, zwei. Ein, aus… Der Geist sei wie eine Schlange, hat die Lehrerin gesagt, ständig in Bewegung ohne sich dessen bewusst zu sein. Steckt man nun diese Schlange in das Bambusrohr der Meditationspraxis, werden ihr diese Bewegungen erst bewusst. Wenn sie sich am Rohr anstösst. Als Kind wollte ich immer eine Schlange als Haustier haben, die Nachbarn hatten eine Boa Const-

Center, weil es mir in der Gruppe leichter fällt als allein. Das ist alles. Ich will kein besserer Mensch werden, ich glaube nicht an Erleuchtung, ich will nur glücklich sein. Nur? (Weil ich mich regelmässig in meiner alten Heimat, in Kalifornien, aufhalte, schlägt meine Lehrerin vor, dass ich das «Mutterhaus» besuche, in dem sie selber gelebt und gelernt hat. Dass ich ihre Lehrerin kennen lerne. Die Roshi, Seisen Saunders, hat nie ein Buch geschrieben und keine berühmten Schüler angezogen, nicht wie ihr Lehrer, Bernie Glassmann. Dank seiner Zu-


30 // Titelgeschichte

sammenarbeit mit Jeff Bridges hat die Zenmeditation mindestens bei meinen Söhnen Akzeptanz gefunden. Wenn «The Dude» es absegnet, kann es nicht ganz verkehrt sein. Tatsächlich kann man den Kultfilm «The Big Lebowsky» als Sammlung von ZenKoans interpretieren – aber so genau wollen meine Söhne das nun auch wieder nicht wissen. Und ich schweife schon wieder ab…)

kleine Frau nachdenken. Sie weint jeden Tag. Immer wieder. Manchmal höre ich sie schniefen. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie sie die Nase hochzieht, während der Gehmeditation verstohlen ein Taschentuch aus dem Ärmel zieht und sich das Gesicht abwischt. Es ist ungewohnt, zu weinen, wenn man sich nicht bewegt. Die Tränen kitzeln, während sie über das Gesicht rinnen und jucken, während

«Ist ein Moment real, wenn er nicht geteilt wird? Ist eine Erfahrung relevant, wenn sie nicht von anderen estimiert, geliked wird?» Einatmen, ausatmen. Eins. Zwei. Drei. Zwei Tage später, bei der Gartenarbeit, drehe ich mich ungeschickt um, die Schaufel auf meiner Schulter dreht sich mit und trifft die kleinere Frau, die neben mir steht, voll an der Schläfe. Ich lasse das Gartengerät und das «sinnvolle Schweigen» fallen. «Oh Gott, es tut mir leid! I am so, so, so sorry!» Jetzt, wo ich diese Worte endlich ausspucke, die sich seit Tagen in mir aufstauen, bin ich sicher, dass sie angebracht sind. Die kleinere Frau fasst sich an den Kopf, runzelt die Stirn – dann lächelt sie. «Es ist OK», sagt sie. «Ich habe schon Schlimmeres erlebt.» Schlimmeres? Wirklich? Jetzt würde ich gerne nachfragen, aber ich kann nicht. Ich darf nicht. Ich versorge die Schaufel und gehe zurück in die Meditationshalle, die Hände gefaltet den Kopf gesenkt. In den nächsten Tagen werde ich immer wieder mal über die

sie antrocknen. Doch auch das vergeht, wie alles. Ein, aus, eins. Ein, aus, zwei. Was hat sie für einen Grund zu weinen? Sie wirkt so jung, so gesund. Ist sie das erste Mal weg von zuhause? Von zuhause weggelaufen? Ein, aus, eins… Ein, aus… Nimmt mich ja wunder, was sie schon Schlimmes erlebt hat. Die Amerikaner sind so verwöhnt. Ein, aus, eins… Ach, und du bist wohl die Expertin für «Schlimmeres erlebt», was? Ein, aus… Im nächsten Moment überschwemmt mich allergrösstes Mitgefühl. Und dann vergeht auch das. Mittags schneide ich eine Tomate in Scheiben und plötzlich kommen mir die Tränen. Habe ich je etwas Schöneres gesehen als diese Tomate? Ich schaue auf – doch da ist niemand. Niemand, dem ich mich mitteilen könnte. Und selbst wenn, ich darf ja nicht. Ich muss es für mich behalten.

Ist ein Moment real, wenn er nicht geteilt wird? Ist eine Erfahrung relevant, wenn sie nicht von anderen zur Kenntnis genommen, estimiert, geliked wird? Etwas mitzuteilen heisst schon lange nicht mehr, über etwas zu reden. Reden genügt nicht. Wir müssen alles dokumentieren, öffentlich machen. Ich stecke mir ein Stück Tomate in den Mund, es schmeckt salzig. Als am letzten Tag das Schweigen gebrochen wird, reden alle durcheinander. Die Stimmen überschlagen sich. Wir schnattern, bis uns schwindlig wird. Die kleine Frau, die eine Woche lang neben mir sass und jeden Tag weinte, der ich die Schaufel über den Kopf gezogen habe, erzählt mir, dass sie in der Navy war. Sie schiebt den Ärmel hoch und zeigt mir ihr Tattoo: ein Anker und darunter die Worte «Death before Dishonor». «Ich hab doch gesagt, dass ich schon Schlimmeres erlebt habe», grinst sie. Worte. Sylvia Geel, Malerin, macht selber seit gut vier Jahren Yoga. Mit der gewählten Illustrationstechnik kann sie den inneren Fluss gut darstellen. Den Körperströmungen und Empfindungen hat sie unterschiedliche Farben zugeordnet. Die «groben» Zeichnungen und Schriften sind Störfaktoren, welche die Meditation unterbrechen und einen immer wieder zurück in die Realität holen. Die Metapher mit der Schlange zeigt das Bewusstwerden der Gedankenbewegungen sehr schön auf. Die Illustrationen von Sylvia Geel gehen noch einen Schritt weiter; nämlich zu dem Punkt der Meditation, wo der Geist abdriftet, wie in einen Sog gerät, also in einen Zwischenbereich des Wachseins und des Schlafens – schwebend, leicht. Die Farbe Blau steht für Mystik und wirkt unterstützend. Die Farben der Schlussillustration zeigen das Nachschwingen, das Ausklingen, das Zurückkehren in den Alltag. Die Strömungen und Emotionen, das Schweben und Gleiten, die inneren Kämpfe weichen langsam aus dem Körper.


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Lärm ist ein permanenter Teil des modernen Alltags. Das kann ins Ohr gehen. Auch wenn der Lärm vermeintlich nicht stört, kann er die empfindlichen Sinneszellen im Innenohr zerstören. Ob bei der Arbeit ohne Gehörschutz oder beim Musikhören über Kopfhörer – oft ist der Lärmpegel und damit die Gefahr bleibender Hörschäden hoch. Gönnen Sie den Ohren ihre Ruhe.

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«Technology is the answer, but what was the question?» fragte Cedric Price vor über drei Jahrzehnten.

Si e Be s t e l l e n o : ab ein Probe .ch e a rc h i t h e s Cedric Price, Innenperspektive des Fun Palace, 1964, Canadian Centre for Architecture Montréal, ©Pro Helvetia

Auch die Architekturbiennale in Venedig sucht dieses Jahr nach dem passenden Zusammenspiel neuer Technologien und Architektur. archithese berichtet von der wichtigsten Architekturausstellung der Welt. Tauchen Sie mit archithese ein in die Welt der Architektur und verfolgen Sie die aktuelle Debatte anhand tiefgründiger Essays, spannender Interviews und historischer Recherchen.

Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur


Yoga-Lehrerinnen // 35 e

Bild: Giorgio von Arb

So fängt Zukunft an. Körper, Geist und Seele im Einklang – durch einen kontrollierten Atem und Konzentration führt Yoga zu einer inneren Gelassenheit. Der Weg in die Stille fasziniert auch in der Schweiz immer mehr Menschen. Giorgio von Arb porträtiert Frauen, die unlängst ihre Ausbildung abgeschlossen haben und dafür sorgen, dass Mitmenschen zur Ruhe kommen – jenseits aller Gedanken und Gefühle. www.yoga.ch // www.lotosyoga.ch

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Cathleen epper, BenKen (Zh) «Mit Yoga geht eine tür nach innen auf.»


paSCale patrICIa hOFFMann-hOStettler, therWIl (Bl) «Yoga lehrt uns, tiefe Zufriedenheit und grenzenloses Glück in uns selber zu erfahren.»

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ClaudIa haurI, StrenGelBaCh (aG) «Mit Yoga begleite ich Menschen zu ihrer ruhigen Kraft.»


nOËlle hÄGler, adlISWIl (Zh) «Yoga hat für mich die gleiche Bedeutung wie die liebe: tief berührend und doch nie ausgelernt.»

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SuSanne rIeSer, ZÜrICh (Zh) «Yoga ist Weg und Ziel. In meinem unterricht schaffe ich einen raum für die teilnehmenden, in dem sie sich selber und die eigenen Möglichkeiten erforschen können.»


GaBrIele MÜller-BaSelGIa, OBerMuMpF (aG) «Yoga ist keine technik, die sich im Schnellverfahren lernen lässt. es ist ein persönlicher ganzheitlicher reifeprozess und eine individuelle Chance in unserer oft hektischen und schnelllebigen Zeit.» SWISSLIFE Herbst 2014


SneZana SulSer, WInterBerG (Zh) «Yoga fördert und unterstützt meine körperliche, seelische und geistige Gesundheit: Zeit und raum, um durchzuatmen und in meine innere ruhe einzutauchen.»


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A Swiss Life // 45

Text: Urs Mannhart, Bild: Tom Haller

Auszeit für die Einkehr

Besinnliches Klosterleben in Ruhe und Stille? Wunschdenken. Zwischen Entschleunigung und Einkehr hat Bruder Daniel vor allem eines: einen vollen Terminkalender, der ihn manchmal an seine Grenzen bringt. Denn ein Mönch ist auch nur ein Mensch.

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SWISSLIFE Herbst 2014


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it einem knöchellangen, pechschwarzen Gewand rauscht er flinken Schrittes durch lange Flure, unter dem Arm ein altes, in Leder gebundenes Buch. Das Licht des heranbrechenden Tages legt sich auf das schwarze, kurz geschnittene Haar und die charmante Glatze. Mit wachen Augen, einem Händedruck und herzlichen Worten begrüsst der 53-jährige Bruder Daniel die ihn erwartenden Gäste. Er muss, um mit Fremden in Kontakt zu treten, nicht aus einer tiefen Versenkung an die Oberfläche der Gegenwart klettern. Im Gegenteil; es gelingt ihm, Gästen gleich das Gefühl zu geben, mit ihm auf gleicher Ebene zu stehen. Er führt diese Menschen, die im Kloster Fischingen eine Auszeit vom beruflichen Stress suchen, in den obersten Stock dieses imposanten Sakralbaus, wo er sie bittet, die Schuhe auszuziehen. Mit seinem Tempo kann dabei niemand mithalten: Mit einer fliessenden Bewegung öffnet Bruder Daniel die Schnappverschlüsse seiner Teva-Sandalen und steht bereits im nächsten Zimmer, während sich alle anderen noch ungeschickt-unausgeschlafen mit Schnürsenkeln beschäftigen. Ungefähr siebzig Quadratmeter misst dieser Raum, der anmutet, als wäre er direkt von Japan in den Thurgau importiert worden: Der Boden ist ausgelegt mit Tatami-Matten, die Wände sind aus unbehandeltem Holz gefertigt, vor den Fenstern stehen filigrane, mit milchigem Reispapier bespannte Holzrahmen. Schwarze Kissen liegen wohlgeordnet auf den Matten, vorne befindet sich ein Altar mit einem Christusbild, einem Porträt des christlichen Zen-Lehrers Hugo Lassalle und einem Kreuz. Bruder Daniel setzt sich auf eines der Kissen und legt sich die Knöchel auf die Unterschenkel. Die Funkuhr zu seiner Rechten zeigt fast 7 Uhr; höchste Zeit, loszulegen. Je nach Beweglichkeit setzen sich die Gäste auf einen Stuhl, auf eine minimalistische Holzbank oder auf ein Kissen. «Es muss euch wohl sein», sagt der bereits eine ansteckende Ruhe ausstrahlende Mönch und wartet, bis alle sich mit dem eigenen Körper arrangiert haben. «Sehr gut», sagt er, um nach einer Pause anzufügen: «Und doch ganz falsch: Wir wollen alle so sitzen, dass wir einander nicht beobachten und kontrollieren.» Er sagt dies ganz ohne Vorwurf. Dass es nicht ums Plaudern geht, ist klar: «Zazen bei den Benediktinern» heisst einer der zahlreichen Kurse, die Daniel im Kloster Fischingen anbietet; Stille, Achtsamkeit, Einkehr sind die grossen Themen. Also drehen sich alle um, blicken schliesslich gegen eine Wand oder auf helles Holz; die Chancen, sich abzulenken, sind minimal. Dreimal schlägt Bruder Daniel die Klangschale an, ein angenehm heller, klarer Ton wandert durch den Raum. Kann es sein, dass die Ruhe ein Weg ist, der in Mäandern zur Stille führt?

Unvermittelt holt Bruder Daniel das alte Buch hervor. Als er die Buchdeckel öffnet, kommt ein Tablet-Computer zum Vorschein. Bald hat er einen im dämmrigen Licht zart aufleuchtenden Text vor Augen, den er sorgfältig vorträgt. Es geht in einprägsamen Worten um Gier, um das Streben nach unreinen Dingen – aufgrund des Publikums ein gewiss nicht zufällig ausgewählter Text. Hernach ereignet sich ganz lange nichts – falls die zerrinnende Zeit kein Ereignis ist. Wieso aber nehmen die anderen acht Mönche, die zusammen mit Bruder Daniel im Kloster Fischingen die Benediktinergemeinschaft bilden, nicht an diesen Meditationen teil? Das hat mit den unterschiedlichen Persönlichkeiten zu tun, die hier zusammengefunden haben. Und mit den Aufgaben, die unter den Mönchen verteilt werden. Als Daniel Prandini im Jahr 2007 den Eintritt ins klösterliche Leben wagte, stellte sich bald die Frage nach dem Betätigungsfeld: Das Pfarramt, die Seelsorge im Dorf, die Administration, die Töpferei – alles war bereits belegt. Daniel schlug deswegen vor, Zazen-Kurse anzubieten. Die Benediktiner reagierten nicht gerade euphorisch. Eine in Japan verwurzelte, von Menschen aller religiösen und nichtreligiösen Couleur tradierte Form der Meditation soll in einem katholischen Kloster für allerlei Gäste, auch für Frauen und für Kirchenferne, angeboten werden?

«Es muss euch wohl sein», sagt der bereits eine ansteckende Ruhe ausstrahlende Mönch und wartet, bis alle sich mit dem eigenen Körper arrangiert haben.

Bruder Daniel war nicht erstaunt über seine zögernden Mitmönche. Statt einen Vortrag darüber zu halten, was Zazen ist, holte er Kissen hervor, setzte die Mönche vor eine Wand und liess sie eine Viertelstunde reglos sitzen. Mit der sich ausbreitenden Stille konnten sich die sonst oft traditionsbewussten Benediktiner durchaus anfreunden. Also liessen sie Bruder Daniel gewähren – und ahnten nicht, welchen Erfolg er damit ernten würde: Heute reisen alljährlich rund zweitausend Menschen nach Fischingen, um mit Bruder Daniel während einer Stunde oder länger achtsam in einer durch


Auszeit vom Klosterbetrieb: Bruder Daniel findet Ruhe im Wald.

Das Kloster Fischingen ist ein Anziehungspunkt f체r Ruhesuchende. Rund 2000 Teilnehmende z채hlen die Zazen-Kurse jedes Jahr. SWISSLIFE Herbst 2014


Im Jahr 2007 wagte Bruder Daniel den Eintritt ins klÜsterliche Leben – ein Schritt in eine neue Welt.


A Swiss Life // 49

Klangschalenklänge angestossenen Stille zu sitzen – entsprechend überfüllt ist seine Mailbox, entsprechend häufen sich unbeantwortete Anrufe. «Es kommt vor, dass ich zu Bett gehe, obwohl noch 30 Mails zu beantworten wären – aber irgendwann kann ich halt nicht mehr, ich bin auch nur ein Mensch. Leider wird häufig geglaubt, es sei auf alles sofort eine Antwort erhältlich – dabei geht oft vergessen, wie wichtig es ist, sich Fragen zu stellen. Themen, die heute wichtig sind, werden es morgen auch sein.» Der Druck, ständig Mails zu beantworten, Telefonate zu führen oder die vier von ihm betreuten Websites zu aktualisieren,

«Es kommt vor, dass ich zu Bett gehe, obwohl noch 30 Mails zu beantworten wären – aber irgendwann kann ich nicht mehr, ich bin auch nur ein Mensch.»

ist nun, da Bruder Daniel mit halbgeschlossenen Augen diese Meditation leitet, weit weg. Abermals schlägt er die salatschüsselgrosse Klangschale an und holt, als ihre Wirkung verklungen ist, den Computer hervor. Im Text geht es um Himmel und Hölle. Nach einigen Sätzen überlässt er das Feld wieder der Stille. Bruder Daniel ist nicht der erste, der die Praxis der ZazenMeditation in einen christlichen Rahmen hineinträgt. Das haben Menschen wie Hugo Lassalle bereits vor sechzig Jahren getan. Trotzdem wird er hin und wieder kritisiert. «Ich kann gut verstehen, dass gerade heute, da die Welt derart unübersichtlich erscheint, eine Sehnsucht aufkommt, gewissen Dingen, zum Beispiel eben der Kirche, einen unveränderlichen Charakter zuzuschreiben. Aber das Leben war schon immer sehr bunt, das 21. Jahrhundert ist es sowieso, und Denkverbote und Sturheiten haben mir noch nie gefallen», sagt er. Während hie und da von einigen Berufsmenschen ein Seufzer zu hören ist – wobei unklar bleibt, ob damit der wohlige Zustand des annähernd gedankenlosen Denkens oder doch eher die in den Beinen wütenden Schmerzen ihren Ausdruck finden –, steht Daniel auf und schlägt mit einem Hammer mehrmals gegen ein Holz – damit ist das Meditieren abgeschlossen. Nun spricht er den zweiten Text an: Himmel und Hölle verstehe er nicht als geografische Orte, sondern syno-

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nym für positive und negative Gedanken. Es gehe nicht um moralinsaure Gebote, sondern um eine Einladung, ein paar Vorurteile über Bord zu werfen. Damit löst er die Veranstaltung auf. Für Gespräche unter vier Augen, wie er sie im Rahmen seiner Kurse sonst stets anbietet, bleibt nun keine Zeit, denn um 7:45 Uhr muss er sich in der St.-Idda-Kapelle einfinden, um Pilgern einen Segen mit auf den Weg zu geben. Mit Rucksack und Teleskopstöcken betritt wenige Minuten später tatsächlich eine Pilgerin die Kirche, gefolgt von einem jungen, ebenfalls wetterfest gekleideten Paar, das mit dem Fahrrad unterwegs ist. Bruder Daniel bittet die drei zum Altar, spricht Gebete und Fürbitten, drückt ihnen den Klosterstempel ins Pilgerbüchlein – und fragt sie nach ihren Etappenzielen. Die Frau weiss bereits, wo sie abends übernachten möchte. Die Radfahrer hingegen blicken staunend auf die Strassenkarte, die Bruder Daniel vor ihnen ausbreitet. Auch hier gibt er eigene Erfahrungen weiter: Als er noch in der Elektrobranche arbeitete, war er ein leidenschaftlicher Radfahrer. Auf langen, einsamen Touren mit Zelt und Schlafsack hat er sich in der Einkehr geübt. Und schliesslich hat er mit dem Fahrrad den Jakobsweg absolviert. Mit dem Hinweis, wo eine besonders rasante Abfahrt auf sie warte, bringt er das junge Paar zum Lachen. Erfreut, von einem Geistlichen nicht nur einen Segen, sondern auch handfeste Tipps mit auf den Weg zu bekommen, fotografieren die beiden den Kartenausschnitt und verabschieden sich herzlich. Inzwischen zeigt die Uhr an seinem Handgelenk bereits Viertel nach acht; höchste Zeit, zurück in die Zelle zu eilen und sich dort aus dem schwarzen Gewand zu schälen, denn der nächste Bus nach Wil verlässt Fischingen um 8:28 Uhr. Ein Mönch, der vormittags schon Feierabend macht? So ist es. Denn auch Mönche brauchen Ferien. Jährlich bis zu vier arbeitsfreie Wochen können in Fischingen beantragt werden; einmal monatlich haben die Mönche Anspruch auf einen arbeitsfreien Tag. «Zusätzlich zu diesen Erholungen gehe ich regelmässig in die Supervision», sagt Bruder Daniel. «Irgendwo muss ich ja den Ballast, all die Schicksale, die mir anvertraut werden, auch verarbeiten können.» Und was macht er in den Ferien? «Da gehe ich am liebsten ganz raus aus dem intensiven Betrieb des Klosters, ziehe mich zurück in eine Einsiedelei. Dort habe ich richtig Zeit zu lesen, zu meditieren, Gedanken zu vertiefen. Dort habe ich meine Ruhe.» Vielleicht lernen Sie Bruder Daniel bald persönlich kennen. Beim Wettbewerb (Seite 56) können Sie eine Woche Auszeit im Kloster Fischingen gewinnen. Nehmen Sie mit der Karte im UPDATE oder digital auf www.swisslife.ch/magazin oder mit der SWISSLIFE-App teil.


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Küchenfreuden // 53

Die Natur prägt die Küche in der Surselva – rätoromanisch für «ob dem Wald»: Die Talschaft am oberen Vorderrhein ist ein Paradies für Wild – und somit auch für Köche, die raffiniert damit umzugehen wissen.

Gebratener Rehrücken in der «Holzkruste» Für die Holzkruste alle Zutaten gut vermengen und beiseite legen. // Das Olivenöl in einer Bratpfanne auf mittlerer Hitze erwärmen. // Den Rehrücken gut in der Holzkruste wenden, so dass der ganze Rücken in der Kruste eingepackt ist. // Wenn das Öl heiss ist, den Rehrücken in die Pfanne legen und langsam knusprig braten. // Butterwürfel dazugeben. // Währenddessen den Wildjus aufkochen und abschmecken. // Wenn der Rehrücken gar ist, aus der Bratpfanne nehmen und vor dem Tranchieren abstehen lassen. // Das Gericht mit Rotkraut, gebratenen Steinpilzen und Pastinakenpüree servieren. Zutaten für 4 Personen: «Holzkruste»: 10 g gemahlene Kaffeebohnen, 15 g dunkle Schokolade (75 %), gerieben, 20 g schwarzer Trüffel, fein gehackt, 80 g helles Paniermehl, 5 g frische Thymianblätter, fein gehackt. Rehrücken: 600 g ausgelöster Rehrücken, Salz und schwarzer Pfeffer aus der Mühle, 6 El Olivenöl, 15 g Butterwürfel, 1 dl Wildjus.

SWISSLIFE Herbst 2014

Illustration: Sylvia Geel

Der Meister am Herd und das Reh ob dem Wald

Manuel Reichenbach über globale Bodenständigkeit Da, wo ich koche, bin ich auch aufgewachsen. Hier hab ich meine Wurzeln, das ist meine Heimat. Und das hat auch Einfluss auf meinen Kochstil: Ich suche nicht die Opulenz, im Gegenteil, mir geht es um das Schlichte. Das raffiniert Einfache auf hohem Niveau – das ist mein Kriterium. Und wir kochen mit Produkten aus der Gegend, wir pflegen diese kulinarische Kultur, wir tragen Sorge zur Bodenständigkeit und zum Gewachsenen und halten trotzdem stets die Augen offen. Ich hole mir die Inspirationen auf Reisen. London, wo ich auch einige Lehrjahre verbrachte, ist eine wunderbare Inspiration; dort trifft der Westen den Osten, der Süden den Norden – und so nähern wir uns in unserer Küche auch diesen Kulturen und lassen die Welt in unser Restaurant: damit der Gast, wenn er zu uns kommt, schöne und unvergessliche Momente geniessen kann. Manuel Reichenbach Nach Lehrjahren im In- und Ausland kehrte Manuel Reichenbach 2003 zurück in sein Elternhaus, die «Casa Tödi» in Trun (GR). Das Restaurant hat 14 Gault-Millau-Punkte; Reichenbach wurde 2014 als «Entdeckung des Jahres» in der Deutschschweiz ausgezeichnet. Casa Tödi, Via Principala 78, 7166 Trun, 081 943 11 21, www.casa-toedi.ch


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Illustration: Sarah von Blumenthal

Beni Frenkel // 55

Die Frenkel-Funktion – Schriftsteller stehen häufig vor dem Problem, dass sie nach ihrem Tod schnell vergessen werden. Wer kauft heute noch Bücher von Hubert Fichte, Efraim Kishon oder Johannes Mario Simmel? Deren Werke waren vor nicht langer Zeit Bestseller. Der dahinschwindende Wert von vermeintlichen literarischen Grössen zeigt sich auch bei unseren Banknoten. Nur auf der wenig zirkulierenden 200-Franken-Note wird ein Schriftsteller verewigt (Charles Ferdinand Ramuz). Blicke ich zur anderen Fakultät, nämlich zur mathematischen, so werde ich ein bisschen neidisch. Die grossen Wissenschaftler sind unsterblich. Ihre Axiome, Gesetze, Gleichungen sind unumstösslich und begleiten die Studenten von Semester zu Semester. Und so habe ich mir halt überlegt, auch etwas Mathematisches zu hinterlassen. Vorausschicken muss ich allerdings, dass ich als Schüler Mathematik ähnlich intensiv liebte wie die Kletterstange. Wo kann ich also ansetzen, dachte ich mir. Welches Thema ist noch nicht gründlich erforscht worden? Dabei kam ich auf das Problem der Pensionäre in den SBBZügen. Wer kennt sie nicht: die laute Phonak-Wandergruppe aus Opfikon im hintersten Abteil, die Kurs auf Andermatt nimmt. 20 fidele Damen und Herren quatschen in einer Lautstärke, die nicht mehr angenehm ist. Wie, so stellte ich mir die Anfangsfrage, wie kann man diesen Lautpegel mathematisch erfassen? Mein Ziel war, eine elegante Formel aufzustellen, die die Lautstärke exakt vorausberechnet. Nach vielen Überlegungen ist sie schliesslich herausgekommen, die «Pensionär-Zugslautstärkebestimmungsformel», oder kürzer die «Frenkel-Funktion». Übrigens, Sie dürfen diese Formel ruhig ausschneiden und in Ihr Portemonnaie legen:

f(x) = 0,5(x²)10 + 30w + 30mB + 30S

SWISSLIFE Herbst 2014

Beginnen wir mit einem einfachen Beispiel: Sie sitzen im Zug und da kommt die 68-jährige Frau S. Meier aus Köniz. Frau Meier fährt nach Wettingen und trifft sich dort mit ihren Freundinnen im Café. Wie laut wird Frau Meier während der Zugfahrt sein? Gemäss Formel angenehme 5 Dezibel. Das ist weniger laut als ein raschelndes Blatt. Doch was geschieht, wenn sich nun drei andere Pensionäre zu ihr gesellen? Und just in diesem Moment die Minibar (30mB) vorbeidüdelt? Dann haben wir 110 Dezibel. So laut ist nur eine Motorsäge! Aber Sie haben ja Glück. Dank der FrenkelFunktion wussten Sie das bereits im Voraus und haben das Abteil clever gewechselt. Die Frenkel-Funktion dient – wir haben das gerade gesehen – der Prävention und wird vermutlich bald von der Krankenkasse in ihren Katalog aufgenommen. Machen wir ein drittes und abschliessendes Beispiel: Eine zehnköpfige Wandergruppe (30w), steigt bei einer Station ein (30S). Der Fritz schreit der älteren Dame auf dem anderen Perron «Heidi, da simmer!!» zu und die Annemarie gigelet laut, weil der Köbi nicht jugendfreie Witze erzählt. Wie laut wird dieses Orchester? 560 Dezibel! Das ist, wie wenn Sie es sich auf dem Liegestuhl bequem gemacht haben und von allen Seiten je ein Düsentriebwerk läuft. Es fällt mir nicht leicht, auf dem Boden zu bleiben, das gebe ich zu. Da habe ich eine wichtige Formel entdeckt und publiziere sie in «SWISSLIFE» und nicht in «Science» oder «Lancet». Indes, wahrscheinlich entspricht dieses Vorgehen meinem bescheidenen Auftreten. Im Gegensatz zu Ramuz möchte ich auch nicht auf der 200-Franken-Note abgebildet werden. Mir wäre die 20-Franken-Note sympathischer. Eine Bitte an den Grafiker: nur mein rechtes Profil, ein wenig mehr Haupthaar und eine römische Nase. Danke, Nachwelt.


Gewinnen Sie sieben Tage Ruhe im Kloster Fischingen. Abstand vom eigenen Alltag durch die Teilnahme am klösterlichen Leben wie bei den Gebeten oder Mahlzeiten ermöglicht dieser Rückzug in die Stille: Der Gewinner wohnt – betreut von Bruder Daniel (siehe Porträt Seite 44) – im Gemeinschaftsbereich der Mönche. Der gesonderte Wettbewerbspreis für die Gewinnerin umfasst eine Woche Aufenthalt in der Stille des Bildungshauses des Klosters Fischingen. Zu den Chorgebeten und Gottesdiensten der Benediktinergemeinschaft ist sie ebenfalls herzlich eingeladen. Erraten Sie einfach, welche der vier Inschriften auf der Seite nebenan nicht über den Türen im Kloster Fischingen angebracht ist. Viel Glück!

Das Benediktinerkloster Fischingen wurde 1138 vom Konstanzer Bischof Ulrich II. gegründet. Das einzige von Mönchen belebte Kloster im Kanton Thurgau liegt am Oberlauf der Murg.

Nehmen Sie mit der SWISSLIFE-App oder auf www.swisslife.ch/magazin am Wettbewerb teil. Oder senden Sie uns die Antwortkarte im UPDATE mit Ihrer Lösung. Teilnahmeschluss ist der 7. Dezember 2014. Die Gewinner werden im nächsten SWISSLIFE bekannt gegeben. Wir gratulieren Markus Widmer in Wichtrach zum Gewinn des letzten SWISSLIFE-Wettbewerbs.


Wettbewerb // 57

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58 // Zugabe

Harfenist Andreas Vollenweider über seine Musik

«Ich brauche den Nullzustand der Ruhe.» «Für einen Musiker, für einen Komponisten ist die Ruhe das, was für einen Schriftsteller das leere Blatt oder für einen Maler die weisse Leinwand ist. Es ist die Basis, auf der wir aufbauen. Ohne den Nullzustand der Ruhe kann nichts wirklich Neues entstehen, es ist ein zwingender Status; erst jetzt kann man mit der Musik beginnen. Aber dazu muss man sich abkoppeln von allem andern, man muss sich den Raum für das ‹Entdecken› schaffen. Der erste Ton in eine solche Ruhe hinein ist natürlich unglaublich exponiert. Ist er einmal gesetzt, muss man weitergraben nach dem, was es in diesem inneren Raum zu finden gibt. Dann erst braucht es den Musiker, der es nach aussen bringt – dann erst wird es zu Musik. Bei mir entsteht fast alles aus der Improvisation. Das ist ein Zustand, in dem für einmal nicht das bewusste Denken dominiert, sondern die Intuition. Ich spiele so lange frei, bis etwas hängen bleibt, bis – im besten Fall – so etwas wie ein besonderer Moment entsteht. Ein typisches Erkennungszeichen für dieses ‹Besondere› ist, dass ihm etwas fast Geheimnisvolles, ja oft auch etwas Fremdes anhaftet und man eigentlich nicht sagen könnte: ‹Das ist mein Werk.› Ich habe mir deshalb angewöhnt, nie von ‹meiner Musik› zu sprechen. Es gibt dazu in der Quantenphilosophie ganz interessante Ansätze, die das Entstehen von Ideen in einen grösseren Zusammenhang stellen. In diese Richtung geht auch das Konzept des morphischen Feldes von Rupert Sheldrake, wonach es ein universales Feld aller Möglichkeiten gibt, quasi ein Rohstofflager für alles, was geschaffen werden kann. Die Kunst besteht darin, Zugang zu diesem Feld zu bekommen. Bildhaft gesprochen trennt uns eine unterschiedlich dicke Membrane von diesem morphischen Feld. Als kreativer Mensch muss man eine Stelle in dieser Membrane finden, die so dünn ist, dass man etwas durchschimmern sieht oder hört – und das gilt es nun zu ‹ernten›, ihm eine Form zu

geben, es hineinzubringen in unsere Welt der physischen Wahrnehmung. Voraussetzungen für diese Ernte sind höchste Ruhe und höchste Achtsamkeit und – möglichst wenig vom dominierenden Ego, von dem ‹Ich will›. Es bedarf einer kontemplativen Grundhaltung. Wenn wir es in diesem sehr fragilen und sensiblen Prozess nicht schaffen, an diesen Rohstoff-Fundus zu gelangen, dann ist das, was wir schaffen, mehr eine Umformulierung, ein Umgestalten von etwas Bestehendem. Das wäre auch eine Erklärung, weshalb wir doch immer wieder feststellen müssen: Alles klingt gleich. Neues und Innovatives kann nur durch die sehr anspruchsvolle Verbindung zu dieser Quelle entstehen. Für alle im sogenannt ‹Rationalen› Verhafteten klingt das sicher alles ziemlich abgehoben und ich höre sie schon, wie sie mich wieder in die esoterische Ecke stellen. Aber durch die jüngsten Erkenntnisse der Quantenphilosophie sind wir dem Verstehen des Wesens der Kreativität auch im wissenschaftlichen Sinn einen rechten Schritt näher gekommen.» Andreas Vollenweider ist Musiker und Komponist und wurde als bisher einziger Schweizer mit einem Grammy ausgezeichnet, der höchsten Auszeichnung der Musikbranche. Der 61-jährige Harfenist spielt auf allen Kontinenten, seine Alben verkauften sich über 15 Millionen mal. Ob solo, im Trio oder mit grossen Formationen, an seinen Konzerten herrscht stets eine ganz besondere Stimmung, geprägt durch die von Vollenweider selber entwickelte elektro-akustische Harfe. www.vollenweider.com



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