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«iCh habe mein han DiC aP nie akzeP tiert»

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VorsCHAu

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Vor seinem Skiunfall war Pierre Massard Judo-Meister und ein guter Golfer. Nun spielt er im Rollstuhl und trainiert als 66-Jähriger noch fast täglich für sein grosses Ziel: Paralympics 2020…

Stefan Waldvogel

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Ein kleiner Kran hebt den Spezial-Rollstuhl aus dem Auto. Den kurzen Weg von der Türe zum Gefährt schafft Pierre Massard mit zwei Stöcken. Aber er ist «unendlich froh» um seinen 25 000 Franken teuren «Otto Bock». «Der Golfer-Rollstuhl gab mir mein soziales Leben zurück», erinnert sich der heute 66-jährige Westschweizer. Vor gut elf Jahren hat er «alles verloren». Nach einem 30-Meter-Sturz in eine Gletscherspalte habe er seine Beine, seine Frau und seinen Job verloren, erzählt er schon fast nüchtern von den Ereignissen, die sein Leben komplett veränderten. Vor dem Unfall war der gelernte Ingenieur unter anderem erfolgreicher Unternehmer, Gemeinderat von Veytaux im Kanton Waadt, mehrfacher Judo-Schweizermeister und Golfer mit Single-Handicap. Nach dem 20. Mai 2004 war alles anders. «Das erste Jahr konnte ich mich gar nicht bewegen, musste die Blumen an der Tapete zählen und an die Decke starren», erinnert er sich an das Spital in Sion. Später folgte «unendlich hartes Training». Seine Tränen würden wohl einen ganzen Swimmingpool füllen, versucht er den Aufwand zu umschreiben. Vor allem seine Erfahrungen als Judoka hätten ihm sehr geholfen, sonst wäre er sicher nicht so weit gekommen, erläutert Massard.

ehrGei Z iGer w ettkämpfer

Seine Geschichte hat er im letzten Sommer in einem Buch veröffentlicht: «Lève-toi et Swingue!» Also «Steh auf und schwinge». Dieses Motto gilt speziell für den unermüdlichen Kämpfer. Dank dem hydraulischen «Otto Bock» kann er sich im Rollstuhl aufrichten und golfen. «Natürlich bin ich dabei eingeschränkt. Meine Drives sind maximal 150 Meter lang, und wenn der Ball im Bunker landet, muss ich einen Strafschlag hinnehmen», illustriert Massard. Er habe sein Handicap aber nie akzeptiert und spiele am liebsten mit Leuten, die ganz herkömmlich zu Fuss unterwegs sind. Er sei ehrgeizig und wolle sich möglichst oft messen, erzählt er weiter. Dazu kommt das regelmässige Training auf der Driving Range und beim Kurzen Spiel. Im internen Matchplay im Golfclub Montreux kam er bis ins Halbfinale, daraufhin kam es zu Protesten von zwei Mitgliedern, und nun muss Massard bei den Turnieren ebenfalls ab Gelb statt wie bisher ab Blau abschlagen…

«Das ist kein Problem für mich, schliesslich habe ich noch grosse Ziele vor mir», reagiert der Sportler auf die eher peinliche Einstellung. Massard möchte an den nächsten Europa- und Weltmeisterschaften der «Handigolfer» dabei sein. In fünf Jahren sollten die Rollstuhl-Golfer auch bei den Paralympics spielen können. «Bis dahin bin ich sicher deutlich stärker. 2016 in Rio ist es noch nicht olympisch und käme wohl auch zu früh für mich», erklärt der ehrgeizige Wettkämpfer. Vor seinem Unfall hatte er sein bestes Handicap bei 12,5, im Rollstuhl begann er sein neues Golfer-Leben mit der anspruchsvollen Vorgabe von 18.

«Golf hat mich Gerettet»

Dieses Handicap zu unterspielen ist äusserst anspruchsvoll; um auf der «internationalen Tour» mitspielen zu können, sind maximal 16,4 erlaubt. «Mein Traum wäre ein Handicap von 12. Ich spiele nicht zum Spass; Golf hat mich gerettet, und hier spüre ich, dass die Leute schnell vergessen, dass ich überhaupt im Rollstuhl sitze», erzählt er ernst, aber mit einem inneren Lächeln. Trotz ständiger Schmerzen in den Beinen wirkt er im Gespräch äusserst aufgestellt und fröhlich und macht ab und zu einen Witz über seine Behinderung. «Immerhin habe ich nach dem Golfen keine dreckigen Schuhe.» Richtig eingeschränkt ist er mit seinem Gefährt nur bei Regen. Dann ist er nicht auf dem

Fairway und den Grüns unterwegs. Klar sei er zunächst etwas komisch angeschaut geworden, erzählt er. Doch die breiten Pneus seines Spezial-Rollstuhls verteilen das Gewicht so gut, dass pro Quadratzentimeter bloss etwa halb so viel Belastung entsteht wie durch einen sehr kräftig gebauten Mann. Mittlerweile sei er vor allem in der Westschweiz schon «sehr bekannt». Mehr als einmal erzählte er seine spannende Lebensgeschichte dem Lokal-TV Léman-Bleu. Sein Buch gibt es in den Golfclubs von Montreux, Sion und Lausanne zu kaufen. «Mit dem Buch bin ich zu einer Art Botschafter für Behinderten-Golf geworden, werde regelmässig zu Vorträgen eingeladen und beschäftige mich eigentlich nur noch mit dem Thema, wie man Grenzen überwinden kann», erzählt der Vater eines erwachsenen Sohnes. Eine seiner wichtigsten Grenzerfahrungen fand genau sieben Jahre und einen Tag nach seinem Unfall statt. Im Golfclub Montreux spielte er sein allererstes Turnier «danach», zusammen mit Didier Cuche im Zweierteam. «Wir haben ganz gut gespielt, aber nie damit gerechnet, zu gewinnen. Ich dachte, wenn Gott golft, dann war er an diesem Tag bei uns. Dieser Sieg hat meinen Kampfgeist neu geweckt.»

Das b uCh

Das 132-Seiten-Buch «Lève-toi et Swingue!» kostet 25 Franken, die Einnahmen gehen an die gleichnamige Organisation. In Montreux, Lausanne und Sion ist es in den Golfclubs erhältlich. Man kann es auch direkt per Mail bestellen unter: levetoietswingue@bluewin.ch

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