Waffen, Männer, Alkohol

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SVENJA NYFFELER


Ich trotzde


Unsicher stehe ich neben einem Auto, das mich mit drei betrunkenen Männern in ein armenisches Gebirge führen soll. Dass neben meinem Rucksack ihre Waffen liegen, wusste ich nicht. Soll ich einsteigen? Alles in mir sagt Nein.

h habe es em getan! Und erschrecke, was ich dabei über mich her-

ausfinde. Zwischen Vorurteilen und klaren Gedanken, mit viel Angst und genauso viel Mut erlebe ich mich und erkenne erst rückblickend, was wirklich unheimlich ist.


Alawerdi


Erst vor paar Stunden sind wir über die Grenze nach Armenien gewandert, stecken noch fest in diesen Bergen im Norden des Landes. Ich bin erschöpft, wir haben kaum Geld und ich habe Hunger. In einem Restaurant, direkt am tosenden, braunen Fluss, teilen wir uns eine kleine Portion Pommes. Jetzt ist unser Geld aufgebraucht. Wo wir diesen Abend schlafen, wissen wir nicht. Vielleicht stellen wir unser Zelt, regengeschützt in eine der vielen Ruinen auf oder wir versuchen unser Glück nochmals an der Strasse, um per Anhalter Alawerdi, eine Stadt versteckt in einer Schlucht

weiter zu reisen. An dieses Gefühl, nicht zu wis-

in einem stark zerklüfteten Gebirge im Norden

sen, wie es weiter geht, habe ich mich bereits

Armeniens. Getrennt durch den wild reissen-

gewöhnt. Ich liebe dieses Freiheitsgefühl, es

den Gebirgsfluss Debed. Im Nirgendwo. Weit

lässt mir immer eine Tür offen für Unerwartetes

und breit keine Möglichkeit weiterzuziehen. Die

und Spontanes.

einzige Strasse, die sich durch diese Schlucht schlängelt, bleibt leer.

Mit drei Männer am Nebentisch kommen wir durch ein paar Gläser Tschatscha ins Gespräch.

Es regnet, es riecht nach verbrauchter Luft, ver-

Das ist ein unglaublich hässliches Getränk, mit

einzelt sehe ich Menschen, doch die Häuser wir-

einem Alkoholgehalt von 70% vol. Sie laden uns

ken nicht bewohnt, auch nicht bewohnbar. Viele

ein, mit ihnen hoch in die Berge Armeniens zu

Fenster sind kaputt, überall dunkle Löcher. Alles

fahren.

ist braun und grau. Teilweise sehe ich farbige Kleider an den Wäscheleinen, die versuchen, im Regen zu trocknen. Am liebsten würde ich gleich weiterreisen. Leicht hätte es sein sollen. Unbeschwert, ohne Ziel losziehen und sich ganz auf neue Kulturen und Menschen einlassen. Ich mit meiner Freundin, zwei junge Frauen aus der Schweiz, gerade mal 19 Jahre alt, brechen auf, um den Kaukasus per Anhalter zu bereisen. Und hinterlassen zwei Familien und viele Freunde, die voller Sorge auf Nachrichten von uns bangen.



Es würde niemand verstehen, weshalb wir mitgehen. Erst recht nicht mit dieser Begleitung, drei wildfremde, betrunkene Männer. Trotzdem machen wir es. Wohl bisschen aus Neugier, sicher aus Dummheit und naiver Gewissheit, dass schon nichts passiert. Schliesslich wollen wir unvergessliche Abenteuer erleben. Vorurteile über Menschen sollen auf dieser Reise keinen Platz haben. Doch als das Auto auf eine Lehmstrasse abbiegt und wir weiter weg von jeglicher Zivilisation fahren, umso deutlicher wird mir bewusst, was für ein Risiko wir eingegangen sind. Wenn ich nur wüsste, wie ich da wieder wegkomme. Ich bin nervös. Es regnet immer stärker, die Strasse ist nass, schlammig und wird immer schmaler und steiler. Dann ein abrupter Stopp. Aussteigen sofort! Von Weitem hören wir das Brummen eines Motors, ein Jeep nähert sich. Wir sollen das Auto wechseln. Wir werden grob in das andere Fahrzeug gezerrt. Ich verstehe nichts. Panik macht sich breit. Was soll das? Was passiert mit uns? Gerne hätte ich mich jetzt bei meiner Familie gemeldet. Meinen Standort geschickt, so wie ich das in Georgien öfters getan habe. Doch wir haben keinen Empfang und das schon seit Tagen.


Dare to fail

Beim Losfahren kontrolliere ich, ob unsere Rucksäcke auch im neuen Fahrzeug sind. Aber meine Aufmerksamkeit fällt auf die langen, flachen Taschen neben unserem Gepäck. Ich sitze in der Mitte. Neben mir ist Atom, mitte dreissig, glatzköpfig und sehr temperamentvoll. Er achtet streng darauf, dass wir keine Fotos aufnehmen und schon gar nichts publizieren, was er uns mit einem starken und lauten «No Internet, no Photo» immer wieder zu verstehen gibt. Wenn ich nur wüsste, wieso. Ob er Verbotenes vorhat, das weder aufgenommen noch geteilt werden darf? Mit im Auto sitzt Eduard, der Fahrer. Gekleidet in kompletter Militäruniform, sogar mit Hut, deutlich übergewichtig und wirkt ungepflegt. Er arbeitet in einem Stripclub in der Nähe. Ich beobachte ihn im Rückspiegel und staune über die Geschwindigkeit und Anzahl der Biere, die er während dem Fahren in sich rein kippen kann. Der Dritte ist Safin, von allen drei der Betrunkenste. Seine leuchtenden hellblauen Augen sieht man kaum hinter den dunklen Augenringen. Das Gesicht ist eingefallen, er ist still und abwesend.


No Ph

o t o


Comfo Der Regen hat inzwischen aufgehört und hin-

wir nur mit Google Translate, und das macht al-

terlässt eine lehmige Landschaft. Durch den

les noch viel schwieriger. Ich nicke, auch wenn

Nebel sehe ich ein Häuschen auf einem klei-

ich am liebsten ich wegrennen würde, runter in

nen Felsvorsprung mitten im Geröll. Das Auto

die Stadt, weg von Armenien, nach Hause in die

kommt zu stehen und Atom begrüsst uns in sei-

Sicherheit.

nem Reich. Zu meinem Erstaunen stehen wir vor einem neu gebauten Steinhaus mit einer

Ich strenge mich an, probiere mich zu entspan-

schönen kleinen Terrasse und einem kitschig

nen. Es ist dieses Kribbeln im Bauch, das mich

verschnörkelten Laternenpfosten in rosa. Stolz

nicht zur Ruhe kommen lässt. Mein Bauchge-

zeigen uns die Männer ihr kleines Reich. Die

fühl, das mir sagt, dass die Entscheidung mit

wenigen Häuser in der Umgebung sind alle ein-

diesen Männern mitzufahren nicht überlegt

gestürzt.

war. Vergebens versuche ich mein Bauchgefühl zu unterdrücken. «Es kommt schon gut»,

«Do you feel comfortable?», lese ich auf dem

ermutigen wir uns gegenseitig. Der Nebel

Smartphone von Atom. Kommunizieren können

steigt, es regnet erneut und dann ein Knall.


Do you feel

ortable Der erste Schuss. Eduard hat ihn abgefeuert, in Richtung Atom, der seinen Autoschlüssel im Wald neben der Hütte sucht, wahrscheinlich hat er ihn beim Pinkeln verloren. Safin, der kaum geradestehen kann, johlt und schiesst mit seinem Gewehr zwischen die Bäume. Atom lacht und hüpft wie ein Hase zurück. Ich versuche zu verstehen, was da genau passiert und bekomme ein Gewehr in die Hände gedrückt. Ich solle es auch mal versuchen und blind in den Nebel schiessen. Ich habe es nicht getan, aber mein Nein wird nicht akzeptiert. Auf Armenisch reden sie auf mich ein. Zitternd lege ich das Gewehr auf den Boden.

?



Auf dieser Reise durch den Kaukasus haben wir schon Vieles erlebt. Wir werden in eine Steppe verschleppt, um zu kiffen, auf der Strasse bis zu unserem Zimmer verfolgt und dann die ganze Nacht durchs Schlafzimmerfenster beobachtet. Wir werden beschimpft und angefasst und jetzt wird noch um uns herum wie wild geschossen. Ich bin müde. Diese Reise zerrt an meinen Kräften. Aber ich habe mich auf dieses Abenteuer eingelassen, mit allem, was so eine Reise mit sich bringt. Doch damals weiss ich noch nicht, dass mich noch Wochen nach der Heimreise diese Erlebnisse im Schlaf wieder einholen, dass ich in der Nacht hochschrecke, zitternd, schweissnass, mit dem Gefühl schnell weiterziehen zu müssen. Dass ich mich in meinen sicheren vier Wänden wieder sicher fühlen darf, beschäftigt mich viele Tage. Gefühle, die ich während meiner Reise erfolgreich verdrängt habe, kommen erst viel später an die Oberfläche.

was bleibt


Gefühle wie bei diesen Männern gefangen zu sein, als ich das Heulen der Schakale vor der Hütte höre. Das unbehagliche Gefühl, als ich auf Toilette muss und mich Safin und Eduard begleiten. Und tatsächlich, mit dem Rücken zu mir gewendet, mich umkreisen und ich in der Mitte am Boden kauernd am Pinkeln, als Safin hinter mir in die Luft schiesst und Eduard mit einem gestohlenen Nachtsichtgerät den Wald absucht. Angstgefühle als wir mit dem Auto den zerfurchten, ausgesetzten Pfad runter schlittern, Eduard noch betrunkener als beim Hochfahren, bremsend und beschleunigend ganz im Takt der Technomusik, Safin aus dem Fenster schiessend, während wir über das nasse Grass in das Tal donnern. So surreal all diese Erlebnisse heute sind, würde ich fast an meiner Erinnerung zweifeln, hätte ich damals nicht alles genau dokumentiert.



n e r Spu Und das lese ich jetzt in meinem Tagebuch, fast drei Jahre später. Durchsuche die Bilder, die ich trotz Verbot aufgenommen habe, blättere durch meine Notizen, finde die Zeichnung, die Safin skizziert hat, den Edelstein, den sie vor der Hütte gefunden, zersplittert und uns geschenkt haben. Die Erinnerungen sind immer noch unangenehm. Ich denke an meine Angst und diese Panik, die ich an diesem Tag erlebt habe. Seither habe ich nie wieder den Mut oder die Naivität gehabt, meinem Bauchgefühl so radikal zu widersprechen. Und doch ist es dringend an der Zeit, ehrlich zu sein. Ehrlich mit mir. Das Gruseligste waren meine Vorurteile, meine Vorstellung. Denn eigentlich sind die Drei stets bemüht, gute Gastgeber zu sein. Das Auto wechseln wir, um besser durch den Schlamm zu fahren, das Fotografieren ist verboten, weil sie ein paar gestohlene Gegenstände aus dem Militär dabeihaben. Sie begleiten uns auf Schritt und Tritt, um uns vor den Schakalen zu schützen. Wir sind Fremde in einer Stadt, die kaum von Fremden besucht wird. Wir sind Reisende ohne


e h c su Ziel und damals auch ohne Geld. Sie nehmen uns mit, zeigen uns ihre Heimat. Und ja, sie sind anders, anders als wir und anders, als wir es uns gewohnt sind. Aber vergessen wir nicht, wo diese Männer aufwachsen, was sie erleben und was sie prägt. Der Konflikt von Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach beschäftigt die ganze Bevölkerung und das schon seit über hundert Jahren. Bei jedem erneuten Ausbruch werden Männer im kriegsfähigen Alter eingezogen, ausgestattet mit veralteter und schlecht funktionierender Kriegsausrüstung, ohne Vorbereitung werden sie an die Front geschickt und kämpfen gegen die Drohnen von Aserbaidschan. Als Sieger kommt keiner zurück. Manche immerhin als Überlebende. Die Drei sehen und erleben Dinge, die wir uns nicht vorstellen können und hoffentlich nie verstehen müssen. Wir aus der Schweiz, die erfolgreich den Krieg woanders passieren lassen, bedeutet Krieg in erster Linie, Lebensmittel zu rationieren und die Grenzen zu bewachen.



Randvoll mit

Vorur teilen

Waffen sind für mich keine Spielzeuge, ich mei-

Weder wachse ich mit patriotischen Parolen auf,

de den Kontakt, und ich fühle mich unsicher.

noch redet man mir ein, meine Nachbarländer

Aber ich musste auch noch nie eine Waffe tra-

zu hassen. Und doch bin ich selbst randvoll mit

gen, mich noch nie mit einer verteidigen und

Vorurteilen, die ich eigentlich gar nicht haben

erst recht nicht auf einen Menschen schiessen.

möchte.


nochmals Einsteigen würde ich noch weiteres Mal. Denn

Viele Nächte im Zelt in den wunderschönen Ber-

ich ziehe nicht los, um zu entspannen, sondern

gen Georgiens, arbeite auf einem kleinen Wein-

um etwas zu erleben, Menschen zu verstehen,

gut an der Grenze Russlands mit und fülle meine

ohne zwingend gleicher Meinung sein zu müs-

Erinnerungen mit Geschichten und Erfahrun-

sen. Ich lerne Toleranz, manchmal sogar gegen-

gen, die mich ein Leben lang begleiten werden.

über Intoleranz. Ich verdopple meinen Horizont und halbiere den Schatten, über den ich springen muss. Ich verliebe mich in die Unabhängigkeit, die Freiheit und das Draussen sein. Und

P.s.: Wenn ich dein Interesse geweckt habe und

deswegen bin ich unterwegs in diesen frem-

du auch gerne mit Atom, Eduard und Safin die

den Ländern und verbringe meine Tage in den

umliegenden armenischen Bergen kennenler-

schönsten Landschaften im Kaukasus, bei den

nen möchtest, leite ich gerne den Kontakt wei-

freundlichsten Familien in Aserbaidschan und

ter, mit der Bedingung die Drei liebevoll von mir

bei den spannendsten Menschen in Armenien.

zu grüssen.


j n a e Sv

s

N

e l r e f f y

Svenja Nyffeler, wohnhaft in Bern, studiert im

Hintergründe anderer Menschen zu verstehen.

ersten Semester Multimedia Production.

Schon seit klein reizt es sie, mit wenigen Mitteln

Aus diesem Erlebnis hat sie gelernt, auf das

ein Nomaden-Dasein zu führen und damit der

eigene Bauchgefühl zu hören und hat heraus-

Natur, den Bergen und den Bewohnern unseres

gefunden, wie unangenehm es ist, wenn sie es

unglaublichen Planeten näher zu kommen. Was

nicht tut. Trotzdem findet sie es wichtig, über

vor drei Jahren noch per Anhalter war, bestrei-

die eigene Vorurteile nachzudenken und die

tet sie jetzt mit dem Fahrrad.


Dare to fa Waffen Do

Comforta

Warum? Sp


ail Alkohol o you feel

?

able

purensuche


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