Mobilität Michael im Zwergenland Die Leidenschaft von Surprise-Verkäufer Michael Hofer sind Züge und das Zug fahren. Er kennt alle Schweizer Strecken, und technische Daten von Lokomotiven sind für ihn, was für andere Fussballresultate. Für Surprise schaute er einem Lokführer bei der Arbeit über die Schulter. VON JULIA KONSTANTINIDIS (TEXT) UND MIRIAM KÜNZLI (FOTOS)
Zwerge weisen den Lokführern den Weg. Das überrascht selbst Zugliebhaber Michael Hofer. Mit 25 Jahren hatte er bereits sämtliche Zugstrecken in der Schweiz befahren. Die Bernina-Strecke gehört zu seinen Favoriten, oder die Fahrt ins französische Chamonix. Auch in Österreich ist Hofer oft mit dem Zug unterwegs. Dort gefällt ihm besonders die Lokomotive des Modells 1016/1116 ÖB: «Die klingt so schön beim Abfahren.» Den Winterthurer Surprise-Verkäufer faszinieren Loks und Züge schon seit seiner Kindheit: «Mein Grossvater arbeitete bei der Bahn, das Interesse fürs Zug fahren liegt wohl in der Familie», vermutet der 30-Jährige gut gelaunt. Soeben ist er einer Re 460-Lokomotive entstiegen, die ihn mit dem Interregio 2322 von Luzern an den Hauptbahnhof Zürich zurückbrachte. Für einmal fuhr der Vielfahrer und GA-Besitzer aber nicht wie normalerweise im Passagierwagen, sondern zusammen mit dem Lokomotivführer Kurt Gwerder vorne im Führerstand. Er, der fast alles über Züge weiss, wollte einmal einem Lokführer bei der Arbeit über die Schulter gucken. Tägliche Zugtaufe Gestartet ist der Zug mit der Surprise-Delegation frühmorgens im HB Zürich, und von der ersten Sekunde an wurde Michael Hofer klar, worauf ein Lokführer besonders achten muss: Auf Signale unterschiedlicher Art, Farbe, Form und Grösse. Und dazu gehören eben auch die Zwerge oder Zwergsignale, wie sie offiziell heissen. Die rund 80 Zentimeter kleinen, mit drei Lichtern versehenen, abgeschrägten Lichtsignale stehen entlang der Schienen und zeigen dem Lokomotivführer zusammen mit den Hauptsignalen die Fahrerlaubnis an: Zwei brennende Lichter übereinander bedeuten freie Fahrt, zwei brennende Lichter in der Waagerechten markieren Halt. «Egal, was mir die in der Höhe angebrachten Hauptsignale anzeigen, wenn mir der Zwerg Halt signalisiert, darf ich nicht weiterfahren», erklärt Kurt Gwerder auf der Fahrt nach Luzern. Die Vorsignale zeigen jeweils an, ob der nächste Streckenabschnitt frei ist: «So kann ich mit dem tonnenschweren Zug rechtzeitig reagieren.» Kurt Gwerder fährt seit 25 Jahren für die SBB und beherrscht sein Gefährt aus dem Effeff. Trotzdem merkt Michael Hofer bald, dass während der Fahrt nur das Wichtigste besprochen werden kann: «Das braucht eine enorme Konzentration», zeigt sich der Surprise-Verkäufer beeindruckt. Neulingen im Führerstand schwirrt nämlich schon nach
kurzer Zeit der Kopf ob all der Signale und der zahlreichen Knöpfe und Regler, die Kurt Gwerder vor sich auf dem Armaturenbrett in regelmässigen Abständen drückt und dreht. Sie leuchten auf und geben Warntöne von sich, zeigen Stromverbrauch, Luftdruck oder die vom System überwachte Geschwindigkeit an. Genauso wichtig, wie sie während der Fahrt in den Augen zu behalten, ist die Überprüfung der Instrumente vor Beginn der Fahrt. Als Kurt Gwerder den Zug um acht Uhr morgens von einem Kollegen übernommen hat, kontrollierte er die Funktionen der Lokomotive. Dabei zeigen die Bähnler unerwartet Gefühl: In ihrer Sprache nennen sie diesen technischen Ablauf Zugtaufe. Im Tunnel ohne Strom Auf dem Weg nach Luzern passiert der Zug unter anderem zwei eingleisige, enge Tunnels, dazwischen liegt der Bahnhof Sihlbrugg. Statt der dunklen Tunnelwände sieht Michael Hofer im Führerstand vorne geradeaus in den Tunnel. Die starken Scheinwerfer der Maschine erleuchten die Röhre und offenbaren ihm ihr unbekanntes Innenleben. «Hier wird das Sehen sprichwörtlich zum Tunnelblick», findet Kurt Gwerder, während er sich auch hier auf die Lichtsignale, die an der Tunneldecke hängen, konzentriert. Im Tunnel, den er nach der Ausfahrt aus Zürich passierte, fuhr der Zug ausserdem ohne Strom, weil die Fahrleitung dort für wenige Meter nicht unter Spannung steht. Davon bekommen die Zuggäste aber nichts mit, das Fahrgefühl ist dasselbe. Denn bis sich die Fahrt des 540 Tonnen schweren Zugs ohne Zugkraft verlangsamen würde, wäre das Gefährt schon längstens wieder aus dem Tunnel raus. Und auch wenn der Lokführer eingreifen und eine
«Wenn mir der Zwerg Halt signalisiert, darf ich nicht weiterfahren.»
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Schnellbremsung durchführen würde, müsste der Zug in dieser Situation immer noch einen Bremsweg von rund 250 Metern zurücklegen. Michael Hofer, der sich für energiesparende Technologien interessiert, ist begeistert, dass der Zug streckenweise ohne Strom fährt. Er fragt Gwerder, ob die Lokomotive Strom speichern kann, so wie ein österreichisches Modell, das er aus seinem Buch der europäischen Lokomotiven kennt. Das Fabrikat, in dem er gerade sitzt, ist jedoch nicht mit einer derartigen Funktion ausgerüstet. Trotzdem ist die Lok energieeffizient unterwegs, was den umweltbewussten Surprise-Verkäufer freut: Nebst einem Bremssystem, das mit Luftdruck funktioniert, verfügt die Lokomotive über eine elektrische Bremse, die den Zug stromSURPRISE 237/10