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Im Schreibprozess

Literatur Der Verein «Weiter Schreiben Schweiz» schafft Öffentlichkeit für Exil-Autor*innen. Und stellt damit die Frage, was nationale Literatur heute ausmacht.

TEXT DIANA FREI

«Weiter Schreiben Schweiz» ist ein Literaturportal für Exil-Autor*innen. Schon im Begriff «Exil» steckt eine Problematik, die das Projekt gerne aus der Welt geschafft hätte: dass hier lebende Autor*innen vor allem durch ihr Fremdsein definiert werden. Schliesslich sollen sie zu einem sichtbaren Teil der Schweizer Literaturszene werden.

Ana Sobral, künstlerische Leiterin von «Weiter Schreiben Schweiz» sagt: «Mit der Bezeichnung ‹Exilliteratur› schaffen wir einerseits eine Schublade. Anderseits ist sie strategisch wichtig. Momentan bekommen wir überhaupt nur

Zugang zum Literaturbetrieb, indem wir sagen: Diese Autor*innen bringen einen anderen Blick auf die Dinge, auf das Weltgeschehen mit.» Und dann gibt es noch ein Ziel: Gleichzeitig ein neues Verständnis einer nationalen –einer Schweizer – Literatur zu schaffen.

Um zu verstehen, dass das nicht so einfach möglich ist, muss man wissen, wo im Literaturbetrieb die grössten Hürden liegen: «Viele Verlage lassen sich in der Regel erst dann auf eine Übersetzung ein, wenn ein Text im Original bereits veröffentlicht wurde. Ohne diesen Schritt ist es fast unmöglich, in der Schweiz zu publizieren», sagt Sobral. Nun sind aber viele Texte der Autor*innen bei «Weiter Schreiben» deshalb nie publiziert worden, weil sie in den Herkunftsländern zensiert wurden. Das macht es schwierig, einen Verlag zu finden.

«Wir versuchen diese Hürde zu überwinden, indem wir Texte übersetzen und auf unserem Portal publizieren. Das sind oft Romanauszüge, Kurzgeschichten und Gedichte, damit die Verlage etwas in der Hand haben und das Potenzial sehen», sagt Sobral. Es sind Autor*innen dabei, die seit zwanzig oder dreissig Jahren hier sind. Sie werden von der Diaspora gelesen, bleiben im Schweizer Literaturbetrieb aber unsichtbar. «Der afghanische Autor Azizullah Ima etwa lebt seit den späten 1980er-Jahren hier, hat eine enge Beziehung zur persischsprachigen Diaspora, wird auf internationale Festivals eingeladen, aber er wird in der Schweiz nicht übersetzt. Er hat eine eigene Website, auf der er seine Gedichte auf Persisch veröffentlicht.» Auch Autor Ravindran Pathmanathan aus Sri Lanka lebt seit dreissig Jahren in diesem Land, gänzlich unsichtbar in der Literaturszene. «Die Autor*innen üben in der Schweiz einen anderen Beruf aus, weil sie von ihrem Schreiben nicht leben könnten. Gleichzeitig sind sie als Autor*innen in ihren Communitys und in der jeweiligen Diaspora durchaus bekannt», sagt Sobral. «Das war für uns eine Überraschung: dass es im Bereich der Literatur kulturelle Parallelwelten gibt. Es zeigt, wie schwierig der Zugang zum Schweizer Literaturbetrieb ist.»

Zugang zum System

Um Teil von «Weiter Schreiben Schweiz» zu werden, müssen Autor*innen in ihren Herkunftsländern bereits professionell tätig gewesen sein. Der Name ist also Programm: Es geht darum, den beruflichen Wiedereinstieg zu ermöglichen – Autor*innen, die ihren Schreibprozess durch Flucht und Migration unterbrechen mussten, die Gelegenheit zu geben, weiter zu schreiben. Das Projekt wurde 2017 in Deutschland gegründet, seit zwei Jahren existiert es auch in der Schweiz.

Erstes Ziel ist, Texte ins Deutsche und Französische übersetzen zu lassen (in der Romandie unter dem Namen «Écrire encore Suisse») und sie sowohl in der Originalsprache als auch in der Übersetzung online aufzuschalten, sodass sie für Literaturhäuser, Festivals, Verlage einsehbar sind. Das andere sind Lesungen und Kollaborationen mit sogenannten Tandem-Partner*innen: Schreibenden, die hierzulande vernetzt sind in der Literaturszene. Es geht dabei nicht um ein Mentorat im herkömmlichen Sinn, sondern um den Zugang zum professionellen System.

Die Autor*innen bei «Weiter Schreiben» wurden nicht zwingend aufgrund ihrer literarischen Werke verfolgt. Und doch setzen sich die Schreibenden sehr reflektiert mit der Welt auseinander und macht sich damit auch angreifbar. In autoritären Regimen gefährden sich Autor*innen aufgrund ihrer Tätigkeit oder können sich in ihrem Schreiben nicht frei fühlen. Wobei die Freiheit im Exil für viele auch nicht unbelastet ist: Gerade wer politisch verfolgt wird und eben weiter schreibt, lebt auch in Deutschland oder der Schweiz nicht unbedingt in Sicherheit. «Die Autor*innen, mit denen wir arbeiten, sind sehr vorsichtig damit, was sie auf den Sozialen Medien teilen.» Die Geheimdienste ihrer Herkunftsländer haben in der Regel einen langen Arm, und es ist bekannt, dass sie auch in der Schweiz aktiv sind.

Trotzdem ist die literarische Aufarbeitung der eigenen Erfahrungen, die Auseinandersetzung mit der Lage im eigenen Land für viele erst fern des Herkunftslandes möglich – und stösst damit im hiesigen Literaturbetrieb ganz neue Fragen an: Was bedeutet es, plötzlich so schreiben zu können, wie man möchte? Was macht es mit einem selbst, mit dem eigenen Schreiben? Oder auch: Wie wirkt sich Zensur auf das Denken aus? «Es ist spürbar, dass sich die Debatten im Literaturbetrieb langsam verändern. Im Literaturhaus Zürich fand ein grosses Kolloquium statt, ‹Literaturen der Schweiz›. Der Fokus lag auf Autor*innen in der Schweiz, die in einer anderen Sprache schreiben. Wir können damit nicht mehr so umgehen wie bislang. Es herrschte Konsens in diesem Raum, dass wir neue Formate brauchen.»

Nun, es bricht etwas auf: Mit Hussein Mohammadi und Shukri Al Rayyan veröffentlichen die ersten zwei Autoren einen Roman auf Deutsch, der zuvor nicht in der Originalsprache erschienen ist. Das Buch des im Iran aufgewachsenen Mohammadi ist bereits im Handel, Al Rayyan wird folgen. «Das ist ein Novum», sagt Sobral. «Ein Roman, der zuerst auf Deutsch erscheint und aus afghanischer Perspektive erzählt. In diesem Fall müsste er nun erst noch in der Originalsprache publiziert werden, um auch die persische Sprachgemeinschaft zu erreichen. Wir erleben einen total neuen Prozess im Literaturbetrieb.»

Das ist auch ein Prozess, den die Schweiz durchlebt, der gesamte deutschsprachige Raum: Das Verständnis davon, was eine sogenannte nationale Literatur ausmacht, dehnt sich aus. «Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der die Nationalliteratur von Deutschland auf Deutsch geschrieben wird und die Schweizer Nationalliteratur auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Rumantsch», sagt Sobral. Und meint damit: Nicht nur die Sprachen, sondern auch das Potenzial der literarischen, postmigrantischen Schweiz wird um einiges reicher.