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Der digitale Graben: Für mich, aber auch für dich?

Digitale Ausgrenzung findet an ganz unterschiedlichen Orten der Gesellschaft statt. Ein Streifzug durch die digitalen Gräben in der Schweiz.

Irgendwann im Jahr 2035 wird in der Schweiz der letzte Ticketautomat abmontiert werden. Das gab der ÖV-Tarifbranchenverband Alliance Swisspass Ende letzten Jahres bekannt. Wenn die Schrauben gelöst und der Kasten im Museum verstaut ist, gibt es Tickets für Zug, Tram und Bus nur noch digital. Wer dann kein mehr oder weniger aktuelles Smartphone besitzt, geht wohl leer aus. Kaum etwas veranschaulicht die digitale Transformation unseres Alltags so deutlich wie das schleichende Verschwinden der verlässlichen Ticketautomaten.

«Viele können sich vorstellen, dass manche Menschen Mühe haben, wenn es keine Ticketautomaten mehr gibt», sagt Isabelle Lüthi von Caritas Zürich. «Viel schwieriger vorstellbar ist es, dass jemand in der reichen Schweiz gar keinen Laptop oder keinen Zugang zum Internet hat.»

Lüthi befasst sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft – insbesondere für jene, die bereits heute am Rand leben.

Bereits die Kosten für einen Laptop oder ein Internetabo sind für viele eine zu hohe Hürde, um an der digitalen Gesellschaft teilhaben zu können (siehe «Zurück in die digitale Welt», S. 15). «Gemäss Statistiken des Bundesamts für Statistik belaufen sich die durchschnittlichen IT-Ausgaben in der Schweiz auf 250 Franken pro Monat», sagt Lüthi. Dazu gehören unter anderem Geräte, allfällige Reparaturen, Software und Apps sowie der Internetzugang. «Für jemanden mit einem knappen Budget ist das sehr viel Geld.»

Ein Problem, mit dem über 700 000 Armutsbetroffene und weitere rund 600 000 an der Armutsgrenze lebende Menschen in der Schweiz täglich konfrontiert sind. «Die Menschen in unseren Beratungen treibt der fehlende Zugang zur Digitalisierung sehr um», sagt Lüthi. Sie können sich ohne Laptop schlechter auf subventionierte Woh- nungen bewerben oder haben Mühe, ihre Rechnungen online zu bezahlen. Es drohen Mahnungen oder höhere Mieten. Manche trauen sich, in Digitalcafés oder Beratungssitzungen Unterstützung zu suchen, andere versuchen sich sonst irgendwie durchzuschlagen – nicht immer erfolgreich. Wieder andere resignieren.

«Um heute an der digitalen Welt teilzuhaben, braucht es im Wesentlichen zwei Dinge», sagt Christine Mühlebach, die beim Verein Sozialinfo das Kompetenzzentrum Digitalisierung und Soziale Arbeit leitet, «den Zugang zur nötigen Infrastruktur und digitale Kompetenzen.» Mit anderen Worten: Wer kein Smartphone hat, kann natürlich auch kein Onlineticket fürs Tram lösen. Wer zuhause keinen Internetanschluss hat, kann die Hausaufgaben nicht

Eine Zunahme der Investitionen in digitale Produktionstechnologien um

Chf 100 000

bringt für Hochqualifizierte eine Erhöhung von fast

6 Arbeitsplätzen, für Mittel- bzw. Geringqualifizierte resultiert ein Wegfall von auf der digitalen Lernplattform erledigen. Und wer nicht weiss, wie man online eine Überweisung tätigen kann, muss den Weg zu den immer seltener werdenden Bankschaltern auf sich nehmen. Ob jemand über digitale Kompetenzen oder entsprechende Geräte verfüge, sei dabei viel stärker vom Einkommen oder vom Bildungshintergrund als vom Alter abhängig, so Mühlebach. Der Blick durch die Generationenbrille ist zu eng. Der digitale Graben zieht sich eher kreuz und quer durch die Gesellschaft. Bildung, Einkommen, Alter, Kompetenzen, Sprache: alles spielt eine Rolle. Ein reicher Schweizer Rentner mag ebenso betroffen sein wie eine afghanische Gymnasiastin aus einer sechsköpfigen Familie an der Armutsgrenze. Und der digitale Graben ist keine Randerscheinung. Gemäss Daten des Bundesamts für Statistik (BfS) haben rund ein Viertel der Bevölkerung keine oder nur geringe digitale Kompetenzen.

4 bzw. 2 Arbeitsplätzen.

Aus der Logik der Privatwirtschaft gedacht

Diese zwei Millionen Menschen haben Mühe, übers Internet Kontakte herzustellen oder sich mit anderen digital auszutauschen. Sie können nur schwer Informationen in digitaler Form suchen und verarbeiten. Sie können geeignete nicht von ungeeigneten digitalen Instrumenten unterscheiden. Und sie können viele Programme und Geräte nur rudimentär oder gar nicht bedienen. All das, was in einer digitalen Gesellschaft lebensnotwendig ist.

Es sind auch zwei Millionen Menschen, die mit der «Strategie Digitale Schweiz 2023» des Bundes abgehängt zu werden drohen. Die Leitlinien der Bundesverwaltung fordern, dass künftig konsequent auf «digital first» gesetzt wird: Digitale Angebote werden, wo immer möglich, priorisiert. Der Bund will damit, dass «die gesamte Bevölkerung der Schweiz» von einer «nachhaltigen und verantwortungsvollen digitalen Transformation profitieren» soll.

Die gesamte Bevölkerung? Keineswegs.

«Diese Strategie akzentuiert die Problematik für die bereits heute digital Abgehängten», kritisiert Christine Mühlebach und nennt ein Beispiel: In vielen Gemeinden, Städten und Kantonen gibt es mittlerweile Onlineschalter. Damit lassen sich praktisch von Zuhause aus Betreibungsregisterauszüge, Familienbüchlein oder Wohnsitzbestätigungen bestellen. «Oft sind diese Angebote umsonst, weil sie in der Logik der Verwaltung günstig sind», sagt Mühlebach. «Sie benötigen wenig Personal und lassen sich mehr oder weniger automatisiert abhandeln.» Anders sieht es aus, wenn man persönlich vorbeigeht. «Dann kostet es mitunter extra.»