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«Ich wünschte mir, dass es nur um unsere Texte geht»

Lubna Abou Kheir ist syrische Autorin in der Schweiz, Ivna Žic hat sich ebenfalls als Schriftstellerin und Theatermacherin im deutschsprachigen Raum einen Namen gemacht. An der Lesung im Zürcher Sogar Theater kommen sie über ihre Arbeit ins Gespräch.

INTERVIEW DIANA FREI

Lubna Abou Kheir, Ivna Žic, Ihr gemeinsamer Gesprächsund Leseabend heisst: «Weil Groll am Scheideweg schön ist». Was hat es mit diesem Titel auf sich?

Lubna Abou Kheir: Ich habe diesen Satz am Anfang der Revolution in Damaskus geschrieben. Das war, als Assads Regime mit der vollen Gewalt gegen die Demonstrant*innen vorzugehen anfing. In diesem Moment dachte ich: Groll – es gibt keinen anderen Weg. Ich bin hier anerkannte Geflüchtete mit Ausweis B. Aber als Asylsuchende oder Geflüchtete haben wir keine Wahlmöglichkeiten. Es gibt keinen Scheideweg. Groll ist an sich natürlich überhaupt nicht schön, aber manchmal ist er der einzige Weg, damit sich Dinge verändern.

Lubna Abou Kheir, Sie sind vor sechs Jahren aus Syrien in die Schweiz gekommen. Ivna Žic, Sie sind in Zagreb geboren und in der Schweiz aufgewachsen. Sie sind literarisch eng verbunden mit der Geschichte Ex-Jugoslawiens. Wo würden Sie sagen, decken sich Erfahrungen und Themen, wo unterscheiden sie sich?

Ivna Žic: Das ist immer ein schwieriges Thema, weil Biografien und Vergangenheiten sich nie decken. Auch Lubnas und meine Geschichte könnten nicht unterschiedlicher sein. Wir treffen uns als Theatermacherinnen, als Autorinnen, als zwei junge Frauen in Europa, in der Schweiz, mit bestimmten politischen Anliegen. Ich würde sagen, wir treffen uns in der Gegenwart, im Jetzt. Aber natürlich kann man sagen, dass irgendetwas im Fremdsein hängenbleibt. Auch im Fremdsein in der Sprache, im Fremdsein in der Welt. In einer inneren Verortung, im Weitermachen, in der Hoffnung.

Abou Kheir: Was uns verbindet, ist die Fremde nicht nur in der Sprache, sondern die Fremde auf verschiedenen Ebenen. Aus meiner Perspektive, um an deine Idee anzuschliessen, Ivna, bedeutet Fremdsein Freiheit. Du darfst alles damit machen. Ich habe nichts, was mich hält. Ich kann wählen, welche Sprache ich spreche. Freiheit als philosophische Idee für mich als Autorin. Geht es allerdings um Gesetze, um Ausweise, bedeutet Fremdsein vor allem eine Grenze. Ich für mich könnte mein Leben frei gestalten. Das Fremdsein wird zur Unfreiheit, weil der Staat entscheidet, dass meine Situation schwierig sein soll.

Das Politische und das (Familien-)Biografische finden in Ihren beiden Texten zusammen. Was macht Ihre Biografie mit Ihnen beim Schreiben, Ivna Žic? Können Sie das formulieren? Ich kann das schon formulieren, aber ich glaube, es ist sehr wichtig, dass nicht sofort Vergleiche gemacht werden. Lubnas Biografie hat nicht mit allen syrischen Biografien zu tun, genauso wie meine Biografie nicht mit allen kroatischen Biografien zu tun hat. Und es gibt viele Unterschiede, denn ich habe keine Fluchtgeschichte, keinen Kriegshintergrund. Das ist aber ein Setting, das oft auf mich projiziert wird. Deswegen bin ich da immer eher in der Abgrenzung als im Vergleich. Ganz individuell bin ich einfach ein Mensch, der sich grundsätzlich mit biografischem Material auseinandersetzt. Der sich viel mit Sprache und Vielsprachigkeit auseinandersetzt. Und nicht nur mit Sprachen als konkrete Sprachen, sondern auch als Erzählweisen. Was mich im Biografischen interessiert, ist, dass jede Generation für etwas steht. Aber auch mein Grossvater vertritt eine individuelle Geschichte innerhalb einer Generation innerhalb einer Zeit. Und die Frage ist: Wie hat er darüber erzählt? Wenn ich zum Beispiel eine Zweitweltkriegsgeneration beschreibe in einem Land, das eine Art Nazi-Regime hatte – nämlich Kroatien im Zweiten Weltkrieg – dann komme ich von dort zu weiteren Fragen wie: Hat mir die Schweiz darüber eigentlich etwas beigebracht?

Lubna Abou Kheir, «Weiter schreiben Schweiz» ist ein Portal für Exil-Autor*innen. Sehen Sie sich als Exil-Autorin? Und was wäre das denn?

Abou Kheir: Exil-Literatur ist ein Genre. Ich sehe mich nicht als Exil-Autorin. Aber weil es eine Entwicklung anstossen soll, und weil in der Welt Rassismus existiert, muss ich eine Exil-Autorin sein, damit ich weiterschreiben kann. Oder weiterarbeiten kann.

LUBNA ABOU KHEIR, Autorin und Schauspielerin aus Syrien. Sie studierte am «Higher Institute of Dramatic Art» in Damaskus, lebt und arbeitet seit 2016 in der Schweiz. Sie hat vier Stücke auf Deutsch geschrieben, «Gebrochenes Licht» und «Cheese Wars» (Theater Neumarkt Zürich). Sie schreibt auch Prosatexte, u. a. im Projekt «Weiter schreiben Schweiz». Preis als beste Schauspielerin 2022 am Amarcort Film Festival Rimini.

IVNA ŽIC, geboren 1986 in Zagreb, aufgewachsen in Zürich. Studium der Angewandten Theaterwissenschaft, Schauspielregie und Szenisches Schreiben in Giessen, Hamburg und Graz. Regisseurin und Dramatikerin u. a. am Theater Neumarkt, Schauspielhaus Wien, Theater Bremen und an den Münchner Kammerspielen.

Wenn ich als Autorin Lubna an ein Theater oder ein Magazin gelange, werde ich abgeblockt. Im Verständnis der Schweiz bin ich eine Geflüchtete und soll in dieser Rolle bleiben, ich kann nicht aus diesem Rahmen ausbrechen, den man mir zuweist. Aber ich will etwas zu den Generationen sagen, die sich auswechseln. Leute fragen: Was ist meine Kultur, was ist mein Hintergrund? Als etwas Starres. Aber Migration ist Bewegung, und diese schafft Zivilisation. Und Zivilisation braucht etwas anderes, als dass man Kulturen verteidigt.

Ein schöner Schluss. Oder gibt es noch etwas Wichtiges?

Abou Kheir: Ich würde gerne als Lubna einfach einmal die Chance haben, eine Lovestory zu schreiben, ohne dass ich mir die Kultur- und Sprachfrage stellen muss.

Žic: Für die Zukunft würde ich mir schon wünschen, dass es irgendwann vielleicht nur um die Texte von Lubna geht oder nur um die Texte von mir und weniger um diesen ganzen Metadiskurs: Warum schreiben wir so, und was macht unsere Biografie mit uns? In einer utopischen Welt würde ich mir wünschen, dass wir genau gleich wie ein Peter Stamm behandelt werden würden.

Ich habe mich nun tatsächlich nicht in bestimmte Texte vertieft. Sondern versucht, eine Vorschau auf eine Lesung mit Gespräch zu machen, die im Rahmen migrantischer Literatur unter dem Label «Weiter schreiben Schweiz» stattfindet.

Žic: Das ist ja in dem Rahmen auch erstmal ok so. Einerseits sind diese Gespräche wichtig, auch ein Format wie «Weiter schreiben». Es gibt immer eine Wichtigkeit – aber es gibt immer auch die Kehrseite davon. Und hoffentlich wird irgendwann die Kehrseite kleiner beziehungsweise zu einer grösseren Selbstverständlichkeit werden: Dass es hier nämlich um die Sichtbarkeit von Lite- ratur geht. Von Texten also. Nicht von Biografien. Und bis dahin muss man diese halt immer wieder laut benennen und einfordern.

Ich merke aber schon, dass ich vor allem auf Ihre Herkunft und deren Auswirkung auf Ihr Schreiben fokussiert habe. Wie vermeiden wir Journalist*innen rassistische Stolperfallen?

Abou Kheir: Ich beschuldige niemanden des Rassismus. Das Wort Rassismus ist kein einfaches Wort. Ich sehe, dass wir es unbewusst täglich wiederholen, bis wir uns daran gewöhnt haben, und das ist offen gesagt gefährlich. Sie haben das Interview mit uns zum Thema «Asyl in der Schweiz» (siehe Text unten) geführt, und es ist ganz natürlich, dass Sie mich in dem Rahmen nach meiner arabischen Herkunft fragen. Den grossen Fehler sehe ich darin, dass wir in der Schweiz immer in der Rolle von Geflüchteten sind. Ich unterscheide zwischen strukturellem Rassismus, Diskriminierung und Hass. Struktureller Rassismus wird durch die Rahmenbedingungen von Gesetz und Staat geschaffen. Diskriminierung ist ein soziales Phänomen. Hass ist ein persönliches Gefühl, das wir nicht kontrollieren können. Aber ich fand es unnatürlich, Ivna nach ihrer Herkunft zu fragen, obwohl sie Schweizerin ist. Wir können Journalist*innen keinen Rassismus vorwerfen, wenn der literarische Kontext auf Diskriminierung basiert.

Žic: Ich stimme all dem zu. Ich denke, dass ein ernsthaftes Gespräch, ein öffentliches Gespräch dazu führen wird, eine solche Gesprächskultur zu ändern. Es waren ja in dem Sinn keine falschen Fragen. Es geht um die Frage nach dem Fokus, nach einer neuen Selbstverständlichkeit.

«Weil Groll am Scheideweg schön ist», Lesung und Gespräch mit Lubna Abou Kheir und Ivna Žic, auf Arabisch und Hochdeutsch, Mo, 20. März, Sogar Theater, Josefstrasse 106, Zürich. www.sogar.ch

Benennen ohne festzuschreiben

Die Vermittlun g von mi grantischer Literatur als solche ist (zurzeit noch) nöti g und wichti g . Trotzdem stellt sich die Frage: Wie soll man das tun, ohne Stereotypen zu reproduzieren?

TEXT DIANA FREI

Das Zürcher Sogar Theater widmet sich im März dem Thema «Asyl in der Schweiz». Die Frage stellt sich: Wie kann man migrantischen Themen eine Plattform geben, ohne die Akteur*innen – Autor*innen, Regie, Schauspieler*innen – auf ihr «Fremdsein» festzunageln? «Wir suchen bei jedem Projekt wieder neu nach dem richtigen Weg», sagt Ursina Greuel, künstlerische Leiterin des Sogar Theater. Seien es Theaterstücke, Lesungen oder Gesprächsreihen, es geht im Kern immer um Fragen nach Perspektive, Fokus, Rahmen: «Bei meiner Theaterproduktion ‹Nach Lampedusa – Wandererfantasien› erzählen wir zum Beispiel bewusst aus unserer eigenen Sicht und versuchen nicht etwa in die Rolle von Asylsuchenden zu schlüpfen. In der Podiumsdiskussion dagegen sprechen Asylsuchende über ihre Erfahrungen, aber der Gegenstand des Gesprächs ist nicht ihre Biografie, sondern das Schweizer Asylwesen.» Das Theater hat eine feste Zusammenarbeit mit dem Verein «Weiter schreiben Schweiz».

Dieser vernetzt Exil-Autor*innen mit der Schweizer Literaturszene, um hierzulande Publikationen zu erleichtern. Lubna Abou Kheir und Ivna Žic sind «Tandem-Partner*innen» in diesem Rahmen.

Ana Sobral, die künstlerische Leiterin von «Weiter schreiben Schweiz», sagt: «Die Frage, die im Raum steht, ist sehr wichtig, und wir befinden uns hier in einem echten Widerspruch. Um Projekte wie «Weiter schreiben Schweiz» zu finanzieren und Leser*innen zu gewinnen, muss man oft deren ‹Fremdheit› in den Vordergrund stellen. Kurzum, wir müssen genau den Rahmen bedienen, den wir vermeiden wollen. Andererseits wollen wir gerade deutlich machen, dass die Autor*innen ein fester Bestandteil der Schweizer Kultur sind. Das ist eine laufende Debatte, die auch in Symposien mit literarischen Institutionen diskutiert wurde. Es ist ein Widerspruch im System, und er offenbart die eigenen rassistischen und vorurteilsbeladenen Strukturen des Systems.»